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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: 20 W 297/03
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

AuslG § 57 II 1
AsylVfG § 13 III 2
AsylVfG § 14 IV
AsylVfG § 55 I
AsylVfG § 67
Ein Verstoß gegen § 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG hat auf den Bestand der gesetzlichen Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG keinen Einfluss.
Gründe:

Der Betroffene, der nach eigenen Angaben am 25. Mai 2003 illegal auf dem Landwege die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, wurde am 4. Juni 2003 in einem Lebensmittelgeschäft in ... - an der Kasse sitzend - festgenommen. Bevor er am 5. Juni 2003 wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Ausländergesetz in Untersuchungshaft genommen wurde, stellte der Betroffene beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge per Fax einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 9. Juli 2003 wies das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet zurück. Am 16. Juli 2003 wurde der Betroffene durch das Amtsgericht in Hanau zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt und aus der Untersuchungshaft entlassen. Ebenfalls am 16. Juli 2003 ordnete das Amtsgericht Hanau auf Antrag des Antragstellers vom selben Tag gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 30. September 2003 an. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Hanau durch Beschluss vom 30. Juli 2003 zurückgewiesen. Am 12. August 2003 wurde die Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Bundesamts vom 9. Juli 2003 vollziehbar. Am 15. September 2003 wurde der Betroffene abgeschoben.

Mit der am 14. August 2003 eingegangenen sofortigen weiteren Beschwerde wendet sich der Betroffene gegen den landgerichtlichen Beschluss und beantragt - nach der durch die Abschiebung eingetretenen Erledigung der Hauptsache im Rechtssinne - die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung festzustellen.

Mit der Erledigung der Hauptsache im Rechtssinne ist das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde nicht beendet; denn der Betroffene hat einen Anspruch darauf, dass der Senat prüft, ob die Haftanordnung rechtswidrig war (vgl. dazu BVerfGE 104, 220 = InfAuslR 2002, 132 = DVBl. 2002, 688 = FGPrax 2002, 137 = NJW 2002, 2456 = StV 2002, 609). Das ist hier der Fall.

Das Landgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene unerlaubt nach Deutschland eingereist ist und der begründete Verdacht besteht, der Betroffene wolle sich der Abschiebung entziehen. Da es hierbei um Fragen tatrichterlicher Würdigung geht, hat der Senat als Rechtsbeschwerdegericht nur darüber zu befinden, ob das Landgericht bei seiner Beurteilung wesentliche Tatumstände übersehen hat oder seine Feststellungen in Widerspruch zu Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen stehen. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die tatrichterliche Überzeugung. Danach hielt sich der Betroffene mindestens drei Jahre lang illegal in Deutschland auf, hat in dem Lebensmittelgeschäft, in dem er festgenommen wurde, gearbeitet und zunächst versucht, seine wahre Identität zu verschleiern.

Der Betroffene macht geltend, ihm sei im Zeitpunkt der Haftanordnung der Aufenthalt nach § 55 Abs. 1 AsylVfG gestattet gewesen und dies stehe der Anordnung von Abschiebungshaft entgegen.

§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestattet einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens den Aufenthalt (Aufenthaltsgestattung). Die Voraussetzungen für die gesetzliche Aufenthaltsgestattung sind erfüllt, wenn der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat. Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung begehrt (§ 13 Abs. 1 AsylVfG). Während Ausländer, die nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere sind, an der Grenze um Asyl nachzusuchen haben (§ 13 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG), müssen sich Ausländer im Fall der unerlaubten Einreise unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung melden oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachsuchen (§ 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG).

Zu Recht geht der Betroffene davon aus, dass Sicherungshaft grundsätzlich nicht angeordnet oder aufrechterhalten werden darf, wenn dem Ausländer der Aufenthalt nach § 55 Abs. 1 AsylVfG gestattet ist (vgl. BayObLG Beschluss vom 19. Februar 1998 in der Sache 3Z BR 42/98 = BayObLGZ 1998, 47). Etwas anderes gilt nur unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 AsylVfG und nur insoweit als dies dort ausdrücklich bestimmt ist (BayObLG aaO). Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch nicht gegeben.

Das Landgericht hat zunächst unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 31. März 1998 in der Sache 20 W 94/98 = AuAS 1998, 99 = InfAuslR 1998, 457) zutreffend ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 AsylVfG hier deshalb nicht vorliegen, weil der Betroffene seinen Asylantrag weder aus der Untersuchungshaft oder Strafhaft noch aus Vorbereitungs- oder Sicherungshaft, sondern aus sonstigem öffentlichen Gewahrsam gestellt hat (vgl. dazu auch die Senatsbeschlüsse vom 30. April 1998 in der Sache 20 W 158/98 = AuAS 1998, 213 = InfAuslR 1998, 459; vom 15. Mai 1998 in der Sache 20 W 183/98 = AuAS 1998, 257 = InfAuslR 1998, 464 = NVwZ-Beil. 1998, 125; vom 14. Dezember 2001 in der Sache 20 W 443/01; vgl. auch Kammergericht Beschluss vom 31. Juli 2000 in der Sache 25 W 9744/99 = KGR Berlin 2001, 48 = FGPrax 2001, 40; OLG Köln Beschluss vom 8. März 2001 in der Sache 16 Wx 33/01 - dokumentiert bei juris).

Sodann hat das Landgericht ausgeführt, dass die gesetzliche Aufenthaltsgestattung nur eintritt, wenn der Betroffene unverzüglich und nicht erst lange Zeit nach der Einreise um Asyl nachsucht. Das Landgericht hat sich dabei auch auf die Rechtsprechung des Senats bezogen und zwar auf den Beschluss vom 7. Juli 1999 in der Sache 20 W 195/99.

In jener Entscheidung des Senats heißt es u.a.:

"Soweit die Betroffene darauf verweist, daß sie nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft und vor der Anordnung von Sicherungshaft um Asyl nachgesucht habe, steht dies der Anordnung der Sicherungshaft hier - anders als in der Sache 20 W 94/98 (= InfAuslR 1998, 457 = AuAS 1998, 99 = NVwZ-Beil 1998, 80 LS) - nicht entgegen. Die gesetzliche Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG tritt nämlich nur ein, wenn der Betroffene Ausländer unverzüglich und nicht erst viele Monate nach der (unerlaubten) Einreise um Asyl nachsucht. Dies folgt aus § 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG (vgl. dazu auch BayObLG 3Z BR 127/99 vom 30. April 1999 - dokumentiert bei Juris)."

Nach nochmaliger Überprüfung kann der Senat seine Aussage, dass die Aufenthaltsgestattung bei unerlaubter Einreise nur bei unverzüglicher Antragstellung eintritt, nicht aufrechterhalten.

Nach der genannten Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in der Sache 3Z BR 127/99 (= BayObLGZ 1999, 97 = BayJMBl. 1999, 102 = BayObLGR 1999, 55 = InfAuslR 1999, 646) entfällt der Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG entgegen § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG nicht bei einem unerlaubt eingereisten Ausländer, der sich entgegen § 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG nicht unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung meldet oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachsucht (vgl. dazu auch den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgericht vom 19. Februar 2001 in der Sache 3Z BR 58/01 = NVwZ-Beil. 2001, 44; vgl. auch OLG Naumburg Beschluss vom 26. Januar 2001 in der Sache 10 Wx 2/01 - dokumentiert bei juris und bei Melchior).

Die Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgericht hat nicht nur Zustimmung, sondern auch Widerspruch erfahren. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 in der Sache 26 Wx 4/00 = OLGR Düsseldorf = InfAuslR 2000, 236 = NVwZ-Beil. 2000, 47 und 6.4.2004 in der Sache I-3 Wx 68/04 = FGPrax 2004, 254 = InfAuslR 2004, 305) und das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 15. Juni 2000 in der Sache 11 Wx 75/00 = NVwZ-Beil 2000, 111 = Die Justiz 2001, 76) haben die Auffassung vertreten, dass der Wortlaut des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG eine Auslegung im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht zulasse.

Der Bundesgerichtshof hat in zwei auf Vorlagen des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Bayerischen Obersten Landesgerichts ergangenen Entscheidungen (Beschluss vom 10. Februar 2000 in der Sache V ZB 5/00 = FGPrax 2000, 130 = NVwZ 2000, 965 und Beschluss vom 28. Februar 2001 in der Sache V ZB 8/01 = BGHR 2001, 341 = NVwZ-Beil. 2001, 61) die Streitfrage ausdrücklich offengelassen. Gleiches gilt für das Thüringer Oberlandesgericht (Beschluss vom 5. Juli 2001 in der Sache 6 Wx 396/01 - dokumentiert bei Melchior) und das Oberlandesgericht Zweibrücken (Beschluss vom 23. April 2002 in der Sache 3 W 66/02 - dokumentiert bei juris).

Die Streitfrage, welche Bedeutung das Gebot unverzüglicher Antragstellung in § 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfg im Hinblick auf die Monatsfrist des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG für die Frage der Haftfortdauer im Falle der Haft nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG hat (vgl. zu der Streitfrage auch OLG Hamm Beschluss vom 25. Februar 2003 in der Sache 15 W 43/03 = FGPrax 2003, 143 = JMBL. NW 2003, 180), ist hier nicht entscheidungserheblich. Denn - ungeachtet welcher Meinung man folgt - ist die Annahme nicht gerechtfertigt, dass bei einem Verstoß gegen § 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG die in § 55 Abs. 1 AsylVfG vorgesehene gesetzliche Gestattung des Aufenthalts nicht eintritt oder erlischt.

Der Senat vermag dem Gesetz keine Sanktionen für einen Verstoß gegen § 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG im Hinblick auf den Eintritt oder Bestand des gesetzlichen Aufenthaltsrechts in der Form der Aufenthaltsgestattung des § 55 Abs. 1 AsylVfG zu entnehmen. Auswirkungen kann ein Verstoß (über die vom Bayerischen Obersten Landesgericht angenommenen Folgen hinaus) allerdings insoweit haben als ein unbegründeter Asylantrag unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden kann (vgl. dazu auch GK-AsylVfG § 13 Rn. 173 und Hailbronner AuslR § 13 AsylVfG Rn 55). Darüber hinaus werden auch strafrechtliche Sanktionen in Betracht gezogen (vgl. BayObLG Beschluss vom 2.Oktober 1998 in der Sache 4St RR 131/98 = BayObLGSt 1998, 172 = AuAS 1998, 268 = DÖV 1999, 119).

Der Senat sieht sich in seiner Auffassung auch dadurch bestätigt, dass das Gesetz in § 14 Abs. 4 AsylVfG in den Fällen, in denen der Ausländer aus der Untersuchungshaft, Strafhaft oder Abschiebungshaft heraus einen Asylantrag stellt, die Dauer der Abschiebungshaft beschränkt. Die Abschiebungshaft endet mit Zustellung der Entscheidung des Bundesamts, spätestens jedoch vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt, es sei denn, der Asylantrag wurde (vor Ablauf der Frist - vgl. dazu den Beschluss des OLG Hamm vom 30. August 2004 in der Sache 15 W 269/04 - dokumentiert bei Melchior und den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 17. Februar 2003 in der Sache 3 Wx 39/03 dokumentiert bei Melchior; vgl. auch BayObLG Beschluss vom 2. März 2004 in der Sache 4Z BR 14/04 - dokumentiert bei Melchior = BayVBl. 2004, 539) als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt. Hätte der Betroffene im vorliegenden Fall wenige Stunden später (nach Anordnung der Untersuchungshaft) den Asylantrag gestellt, dann hätte Abschiebungshaft nicht angeordnet werden dürfen, weil das Bundesamt im vorliegenden Fall die Vier-Wochen-Frist nicht eingehalten hat (vgl. dazu auch BayObLG Beschluss vom 13. Januar 2005 in der Sache 4Z BR 81/04 - dokumentiert bei Melchior). Der Asylantrag des Betroffenen vom 5. Juni 2003 wurde vom Bundesamt erst am 9. Juli 2003 und damit nach Ablauf von vier Wochen beschieden. Danach war dem Betroffenen bei seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft und im Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung über den Abschiebungshaftantrag am 16. Juli 2003 der Aufenthalt noch gestattet. Die Aufenthaltsgestattung ist erst im Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit des Bescheids am 12. August 2003 erloschen (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylVerfG).

Deshalb erweist sich die Abschiebungshaftanordnung - soweit sie vollzogen wurde - als rechtswidrig. Dies gilt auch für die Zeit nach dem 12. August 2003; denn es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Betroffene vor diesem Zeitpunkt nicht freiwillig ausgereist wäre.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens beruht auf § 16 Satz 1 FEVG.

Ende der Entscheidung

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