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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.03.2004
Aktenzeichen: 20 W 33/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 172
BGB § 1896 Abs. 2
BGB § 1897 Abs. 4
FGG § 20
Zur Auslegung einer notariellen Urkunde als Betreuungsverfügung oder Vorsorgevollmacht können nur solche Umstände herangezogen werden, die allgemein oder zumindest für den potentiell betroffenen Personenkreis bekannt oder erkennbar sind.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

Aktenzeichen: 20 W 33/04

Entscheidung vom 29.03.2004

In dem Betreuungsverfahren

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde der Betroffenen und des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 08. Dezember 2003 am 29. März 2004 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Beschwerdewert: 3.000,-- EUR.

Gründe:

I.

In einer am ... November 2001 vor dem Notar A B in O1 zu UR-Nr. .../2001 beurkundeten Erklärung gab die Betroffene unter Ziffer 1 und 2 zunächst Anweisungen an die Ärzte im Sinne einer Patientenverfügung sowie zum Verbot einer Organentnahme.

Unter Ziffer 3 "Vollmacht" bevollmächtigte sie den Beteiligten zu 2) alle Erklärungen gegenüber Ärzten und Krankenhäusern, die sie selbst wegen einer Bewusstseinstrübung oder aus sonstigen Gründen nicht mehr abgeben kann, für sie abzugeben und von Ärzten und Krankenhäusern für sie entgegenzunehmen. Ziffer 4 "Betreuung" enthält folgende Regelung:

"Für den Fall, dass mein Gesundheitszustand eine Betreuung notwendig machen sollte, bestelle ich schon heute als Betreuer Herrn Rechtsanwalt und Notar C D.

Diese Bestellung spreche ich für den genannten Fall bereits jetzt aus.

Diese Betreuung soll sich auf den gesamten möglichen Bereich erstrecken, also meine Vertretung in sämtlichen rechtsgeschäftlichen und persönlichen Angelegenheiten."

Die Betroffene, die ihrem Hausarzt bereits seit Frühjahr 2001 mit einer schleichend wahnhaften Symptomatik aufgefallen war, leidet nach dem Ergebnis eines fachpsychiatrischen Gutachtens jedenfalls seit Sommer 2003 an einer senilen Demenz vom Alzheimer-Typ.

Unter dem ... September 2003 beantragte der Beteiligte zu 2) beim Vormundschaftsgericht unter Vorlage der notariellen Urkunde und einer Stellungnahme der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie, ihn zum Betreuer der Betroffenen mit dem Aufgabenkreis der Veranlassung einer ärztlichen Versorgung und der Aufenthaltsbestimmung zu bestellen und die vorübergehende Unterbringung der Betroffenen in einer psychiatrischen Klinik zu genehmigen. Bevor der vom Amtsgericht am 18.09.2003 von der Betreuungsbehörde angeforderte Sozialbericht erstellt worden war, musste die Betroffene aufgrund einer akuten Verschlechterung ihres Zustandes am ... September 2003 in das ... O2 aufgenommen werden. Der zuständige Eilrichter ordnete nach Anhörung der Betroffenen und Einholung eines mündlich erstatteten Kurzgutachtens am selben Tage durch einstweilige Anordnung die vorläufige Unterbringung der Betroffenen bis zum 10. November 2003 an.

Nach Vorlage des Betreuungsberichtes vom 10. Oktober 2003, persönlicher Anhörung der Betroffenen am selben Tage sowie Eingang des fachpsychiatrischen Gutachtens vom 14. Oktober 2003 bestellte der zuständige Vormundschaftsrichter mit Beschluss vom 16. Oktober 2003 die Beteiligte zu 1) zur Berufsbetreuerin mit den Aufgabenkreisen der Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Zustimmung zur Unterbringung, Wohnungsangelegenheiten sowie Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt. In der Begründung wurde u. a. ausgeführt, dem Betreuervorschlag der Betroffenen in der notariellen Urkunde könne nicht gefolgt werden, da der Beteiligte zu 2) als rechtlicher Betreuer nicht geeignet sei.

Dies ergebe sich sowohl aus dem Bericht der Betreuungsbehörde als auch aus dem fachpsychiatrischen Gutachten. Nach diesen Unterlagen hatte der Bet. zu 2) jegliche Unterstützung der Betreuungsbehörde bei der Erstellung des Betreuungsberichtes verweigert und war nach dem Eindruck der Mitarbeiter des E in den zurückliegenden Monaten vor der Unterbringung nicht in der Lage, mit der Erkrankung der Betroffenen adäquat umzugehen. Des weiteren hatte er in einem Telefonat mit den Klinikärzten jegliches Verständnis für die angeordnete Medikation vermissen lassen und auf eine Einstellung jeglicher Behandlung sowie eine sofortige Entlassung gedrängt.

Unter dem 28. Oktober 2003 legte der Beteiligte zu 2) im eigenen Namen und für die Betroffene Beschwerde gegen die Betreuerbestellung ein, mit der er insbesondere geltend machte, nach dem Willen der Betroffenen sei ihm durch Ziffer 4 der notariellen Urkunde eine umfassende Altersvorsorgevollmacht erteilt worden, die sich auch auf die Einlegung der Beschwerde beziehe.

Das Landgericht verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 08. Dezember 2003 als unzulässig und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, eine Vollmacht sei dem Beteiligten zu 2) durch Ziffer 3 der notariellen Urkunde nur gegenüber Ärzten und Krankenhäusern, nicht aber zur Anfechtung von gerichtlichen Entscheidungen erteilt worden. Demgegenüber enthalte deren Ziffer 4 lediglich eine Betreuungsverfügung, mit der die Betroffene den Beteiligten zu 2) als Betreuer vorgeschlagen habe.

Hiergegen richtet sich die von dem Beteiligten zu 2) wiederum sowohl im eigenen Namen als auch für die Betroffene eingelegte weitere Beschwerde, mit der er unter Vorlage einer dies bestätigenden dienstlichen Äußerung des zwischenzeitlich aus dem Amt ausgeschiedenen Notars geltend macht, die Betroffene habe ihn mit Ziffer 4 der Urkunde für den Bedarfsfall in sämtlichen rechtsgeschäftlichen und persönlichen Angelegenheiten bevollmächtigen wollen.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die Erstbeschwerde durch das Landgericht als unzulässig verworfen wurde (vgl. hierzu Keidel/Meyer-Holz, FGG, 15. Aufl., § 27 Rn. 10 m. w. N.). In der Sache führt das Rechtsmittel jedoch nicht zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO). Die Entscheidung des Landgerichts, wonach der Beteiligte zu 2) zur Einlegung einer Beschwerde weder namens der Betroffenen noch in eigenem Namen berechtigt war, lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

Die Auslegung des Landgerichts, wonach Ziffer 4 der notariellen Urkunde nur der Erklärungswert einer Betreuungsverfügung, nicht jedoch einer Vorsorgevollmacht entnommen werden kann, erweist sich als zutreffend. Das Landgericht hat hierbei zu Recht auf den Wortlaut der Urkunde abgestellt, die in Ziffer 4 nur von einer Betreuung und der Bestellung eines Betreuers spricht, wohingegen in Ziffer 3 der Beteiligte zu 2) zur Vertretung gegenüber Ärzten und Krankenhäusern bevollmächtigt wird. Zwischen einem Betreuer, der vom Gericht bestellt wird und sein Amt unter staatlicher Aufsicht führt und einer Vollmacht als einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht bestehen erhebliche und rechtsgrundsätzliche Unterschiede. Nachdem das 1992 eingeführte Rechtsinstitut der Betreuung in den zurück liegenden 12 Jahren seiner praktischen Anwendung erhebliche Bedeutung und Verbreitung gefunden hat, kann davon ausgegangen werden, dass zwischenzeitlich in der Bevölkerung allgemein bekannt ist, dass zwischen der Bestellung eines Betreuers und einer Bevollmächtigung erhebliche Unterschiede bestehen.

Jedenfalls gilt dies für den Bereich des Rechts- und Geschäftsverkehrs.

Zumindest kann vorausgesetzt werden, dass einem Notar die grundlegenden Unterschiede zwischen den Rechtsinstituten der Vorsorgevollmacht und der Betreuungsverfügung bekannt sind. Wenn demnach in einer notariellen Urkunde neben einer ausdrücklich erklärten Bevollmächtigung die Begriffe des Betreuers und der Betreuung Verwendung finden, so spricht dies für ihre Verwendung in dem vom Gesetz beigelegten Sinne.

Der Inhalt und der Umfang einer Vollmacht sind nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Gleiches gilt für die Frage, ob durch eine bestimmte Erklärung eine Vollmacht erteilt werden sollte.

Dabei kommt es bei der reinen Innenvollmacht auf die Verständnismöglichkeit des Bevollmächtigten an, wohingegen bei der nach außen Kund gegebenen oder in einer Urkunde gemäß § 172 BGB verlautbarten Vollmacht für die Auslegung auf die Sicht des Geschäftsgegners abzustellen ist. Deshalb können bei der Auslegung einer Vollmachtsurkunde nur solche Umstände herangezogen werden, die dem Geschäftsgegner bekannt oder jedenfalls für ihn erkennbar sind (vgl. RGZ 143, 199; BGH NJW 1983, 1906 und BGH NJW 1991, 3141). Bei einer durch Vollmacht nach § 172 BGB erteilten Vollmacht handelt es sich um eine Erklärung, die sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen wendet. Deshalb richtet sich die Auslegung solcher Erklärungen nach der Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Empfängers oder Geschäftsgegners. Hieraus folgt, dass außer dem Text der Erklärung nur solche Umstände berücksichtigt werden können, die allgemein oder zumindest für die potentiell betroffenen Personenkreise bekannt oder erkennbar sind (vgl. BGHZ 53, 307; Palandt/Heinrichs, BGB, 63 Aufl., § 133 Rn. 9 und 12).

Aus diesem Grunde vermag auch die von dem Beteiligten zu 2) vorgelegte dienstliche Erklärung des beurkundenden Notars, wonach der Wille der Betroffenen darauf gerichtet gewesen sein soll, den Beteiligten zu 2) im Bedarfsfall mit ihrer Vertretung in sämtlichen rechtsgeschäftlichen und persönlichen Angelegenheiten zu bevollmächtigen, eine Auslegung im Sinne einer Vorsorgevollmacht nicht zu rechtfertigen.

Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der mittlerweile nicht mehr amtierende Notar meint, die Erteilung einer Vorsorgevollmacht komme einer Betreuung gleich und angibt, die Formulierung in Ziffer 4 der Urkunde deshalb mit Bedacht unter Verwendung der Begriffe "Betreuung" und "Betreuer" gewählt zu haben. Da der Notar damit die wesentlichen Unterschiede zwischen den Rechtsinstituten der Betreuung und der Vorsorgevollmacht verkennt, muss befürchtet werden, dass eine ordnungsgemäße diesbezügliche Beratung und Aufklärung der Betroffenen nicht stattgefunden haben kann. Selbst wenn der Wille der Betroffenen tatsächlich auf die Erteilung einer umfassenden Vollmacht gerichtet gewesen sein sollte, kann ihre Erklärung in der notariellen Urkunde nicht in diesem Sinne ausgelegt werden. Denn im Unterschied zu einem Vertrag, bei dem sich der übereinstimmende wirkliche Wille beider Vertragsparteien gegenüber einem abweichenden objektiven Erklärungswert durchsetzen kann (vgl. etwa BGH NJW 1996, 1679 und 2002, 1038; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 133 Rn. 8), muss bei der hier vorliegenden Urkunde, die sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen richtet und deshalb auch der uneingeschränkten eigenen Aus legung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt (vgl. hierzu Keidel/Meyer-Holz, a.a.O., § 27 Rn. 50 m. w. N.), auf die objektive Erklärungsbedeutung abgestellt werden. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urkunde und ihrem objektiven Erklärungswert kann ihrer Ziffer 4 jedoch nur die Bedeutung einer Betreuungsverfügung beigemessen werden, mit der die Betroffene dem Vormundschaftsgericht eine Person vorgeschlagen hat, die gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB zum Betreuer zu bestellen ist, wenn es ihrem Wohl - etwa wegen fehlender Eignung der ausgewählten Person - nicht zuwiderläuft.

Aus der zutreffenden Auslegung der Ziffer 4 der notariellen Urkunde als Betreuungsverfügung hat das Landgericht des weiteren zu Recht gefolgert, dass es an einer wirksamen Bevollmächtigung des Beteiligten zu 2) durch die Betroffene zu einer Einlegung der Beschwerde in ihrem eigenen Namen fehlte.

Des weiteren ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 2) keine eigene Beschwerdeberechtigung im Sinne des § 20 FGG hat.

Denn er kann nicht geltend machen, durch die Entscheidung des Landgerichts in eigenen Rechten verletzt zu sein. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Betroffene mit Ziffer 4 der Urkunde nach der gebotenen Auslegung lediglich eine Betreuungsverfügung in Ausübung ihres gesetzlichen Vorschlagsrechtes nach § 1897 Abs. 4 BGB getroffen hat. An diesen Vorschlag ist das Vormundschaftsgericht nicht zwingend gebunden, sondern muss in eigener Verantwortung prüfen, ob die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl der Betroffenen nicht zuwiderläuft. Bereits hieraus ergibt sich, dass der in einer Betreuungsverfügung benannten Person aus diesem Vorschlag kein subjektives Rechts auf Bestellung zum Betreuer erwächst. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Bestellung eines Betreuers nicht dessen eigenen Interessen, sondern nur dem Wohl des Betreuten zu dienen bestimmt ist. Hieraus folgt, dass der vorgeschlagenen Person kein subjektives eigenes Recht auf Bestellung zum Betreuer erwachsen kann.

Damit hat das Landgericht zu Recht festgestellt, dass der Beteiligte zu 2) keine Beschwerdeberechtigung im eigenen Namen hat.

Die gegen die Betreuerbestellung gerichtete weitere Beschwerde war deshalb zurückzuweisen.

Da der Senat davon ausgeht, dass das Rechtsmittel aus der Sicht des Beteiligten zu 2) im Interesse der Betroffenen eingelegt wurde, war die Gebührenfreiheit gemäß § 131 Abs. 3 KostO anzuordnen.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.

Über die von dem Bet. zu 2) ebenfalls eingelegte sofortige Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung der vorläufigen Unterbringung wird das Landgericht noch zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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