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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 23.11.2000
Aktenzeichen: 20 W 344/00
Rechtsgebiete: ZPO, AsylVfG, FEVG, FGG


Vorschriften:

ZPO § 668 a.F.
AsylVfG § 18 a Abs. 1 Satz 5
FEVG § 5 Abs. 2
FEVG § 3 Satz 2
FGG § 70 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 344/00

2/28 T 128/00 LG Frankfurt/M.

934 XIV 1744/00 AG Frankfurt/M.

Entscheidung vom 23.11.2000

In dem Freiheitsentziehungsverfahren ...

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main ­ 28. Zivilkammer ­ vom 24. Juli 2000 am 23. November 2000 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat nach der Abschiebung des Betroffenen festgestellt, dass die Hauptsache erledigt ist und den Antrag des Betroffenen auf Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten als Pflichtanwalt abgelehnt. Dagegen wendet sich der Betroffene.

Nach Auffassung des Senats ist die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtanwalts mit der Beschwerde anfechtbar, weil sie einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt und deshalb nicht als eine bloße Zwischenentscheidung angesehen werden kann (vgl. für die Ablehnung der Bestellung eines Notanwalts § 78 b Abs. 2 ZPO; für die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers §§ 140 Abs. 2, 304 Abs. 1 StPO).

In der Sache kann die Beschwerde keinen Erfolg haben, weil es bisher für die Beiordnung eines Pflichtanwalts in den für das Abschiebungshaftverfahren geltenden Verfahrensgesetzen keine gesetzliche Ermächtigung gibt.

II.

Die gerichtliche Beiordnung eines Pflichtanwalts ist seit der Aufhebung des Entmündigungsverfahrens, das in § 668 ZPO a.F. für die Erhebung der Klage auf Antrag die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Vertreter vorsah, nur noch im Strafverfahren unter gesetzlich näher bestimmten Voraussetzungen für Beschuldigte, Angeschuldigte und Angeklagte vorgesehen, die über keinen anwaltlichen Beistand verfügen (vgl. z.B. die §§ 140, 141 StPO).

Das Ausländergesetz (AuslG) verweist in § 103 Abs. 2 Satz 1 für das Verfahren bei Freiheitsentziehungen und damit auch für das Abschiebungshaftverfahren auf das

Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FEVG); dieses wiederum verweist in § 3 Satz 2 auf die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Beiden Verfahrensgesetzen ist der Pflichtanwalt fremd.

Während § 18 a Abs. 1 Satz 5 AsylVfG für das sogenannte Flughafenverfahren einen Anspruch auf kostenlose asylrechtskundige Beratung enthält (vgl. dazu GK- AsylVfG § 18 a Rn. 50.2) sieht das FEVG die amtswegige Bestellung einer Person als Beistand nur in der Form eines Verfahrenspflegers für einen ganz besonderen Tatbestand vor. Nach § 5 Abs. 2 FEVG ist die Bestellung erforderlich, wenn a) die Anhörung unterbleibt, weil sie nicht ohne Nachteile für den Gesundheitszustand des Anzuhörenden ausführbar ist oder wenn der Anzuhörende an einer übertragbaren Krankheit leidet, b) der Anzuhörende keinen gesetzlichen Vertreter in den persönlichen Angelegenheiten hat und c) der Anzuhörende auch nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten wird.

Diese Voraussetzungen sind nach der Erfahrungen des Senats in Abschiebungshaftverfahren nur im - auch hier nicht vorliegenden - absoluten Ausnahmefall gegeben.

Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, einem volljährigen Betroffenen könne im Verfahren nach dem FEVG in analoger Anwendung des § 70 b FGG ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt werden (vgl. Saage/Göppinger Freiheitsentziehung und Unterbringung 3. Aufl. § 5 Rn. 3). Dem vermag der Senat nicht zu folgen, weil sich die Verweisung in § 3 Satz 2 FEVG auf die allgemeinen Verfahrensvorschriften des FGG, nämlich die §§ 1 bis 34 , bezieht. Das schließt nicht aus, dass eine Verfahrenspflegerbestellung nach den besonderen Vorschriften des Betreuungs- und Unterbringungsrechts dann in Betracht zu ziehen sein kann, wenn der vor der Abschiebung stehende Ausländer an einer Geisteskrankheit leidet, die seine Unterbringung in einer geschlossenen Krankenabteilung erforderlich macht (vgl. dazu auch EGMR R & P 1993, 30).

Nach der bestehenden Rechtslage sind mittellose Ausländer, die für das Abschiebungshaftverfahren anwaltlichen Beistand benötigen, darauf angewiesen, die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen über die Prozesskostenhilfe zu beantragen (vgl. §§ 103 Abs. 2 Satz 1, AuslG, 3 Satz 2 FEVG, 14 FGG, 114 ff ZPO).

Zu Recht weist Deichmann (MDR 1997, 16) darauf hin, dass das Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu dem auf Beschleunigung angelegten Abschiebungshaftverfahren passt. Im übrigen steht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von Gesetzes wegen unter dem - für die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder Verfahrenspflegers unbekannten - Vorbehalt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Rechtsverteidigung im Abschiebungshaftverfahren wird im übrigen dadurch erschwert, dass das Gesetz eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten aus der Staatskasse in keinem Fall vorsieht, und der am Verfahren beteiligten Ausländerbehörde die außergerichtlichen Kosten, selbst wenn das Gericht die Anordnung der Freiheitsentziehung abgelehnt hat, nur dann auferlegt werden können, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Haftantrags nicht vorlag (§ 16 Satz 1 FEVG).

III.

Eine entsprechende Anwendung der strafprozessualen Bestimmungen über den Pflichtverteidiger auf das Abschiebungshaftverfahren kommt nach Auffassung des Senats schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei dem Abschiebungshaftverfahren um ein zivilrechtliches Freiheitsentziehungsverfahren handelt. Allein der Umstand, dass auch die Abschiebungshaft häufig in Justizvollzugsanstalten vollzogen wird, rechtfertigt eine entsprechende Anwendung strafprozessualer Regelungen für Verfahren über die Anordnung von Abschiebungshaft nicht.

In seiner Entscheidung vom 25. Juni 1998 in der Sache V ZB 7/98 (= BGHZ 139, 254 = InfAuslR 1998, 454 = FGPrax 1998, 198 = NVwZ-Beil. 1998, 87 = AuAS 1998, 222 = Hess.JMBl. 1998, 892), auf die sich der Betroffene beruft, stellt der Bundesgerichtshof fest, dass im Abschiebungshaftverfahren im Einzelfall die Beiordnung eines Pflichtanwalts in Betracht kommen kann, nennt jedoch keine Ermächtigungsgrundlage für eine dahingehende gerichtliche Entscheidung. Soweit Deichmann (aaO) das Fairness-Prinzip als unmittelbar geltendes Verfassungsrecht als Ermächtigungsgrundlage für eine richterliche Beiordnungskompetenz für ausreichend hält, vermag ihm der Senat mangels hinreichender Konkretisierung des Fairness-Gebots nicht zu folgen.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht dem Beschuldigten, Angeschuldigten und Angeklagten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren gewährleistet (vgl. z.B. BVerfGE 70, 297, 323; 63, 380, 390; 46, 202, 210). Das Bundesverfassungsgericht hat dabei jedoch betont, dass sich das, was das rechtsstaatliche Gebot fairer Verfahrensführung fordert, nicht abstrakt feststellen lässt, sondern in seiner konkreten Bedeutung nur im Blick auf das jeweilige das Verfahren regelnde Prozessrecht ermittelt werden kann (BVerfGE 63, 380, 392).

IV.

Der Senat sieht mit dem Bundesgerichtshof (aaO), Deichmann (aaO); Saage/Göppinger (aaO) und Gusy (NJW 1992, 457, 462) ein Bedürfnis für die Bestellung eines Pflichtanwalts für das Abschiebungshaftverfahren, hält aber eine gesetzliche Ermächtigung für erforderlich.

Ungeachtet der fehlenden Bestimmungen für die Bestellung eines Pflichtanwalts hat der Senat wiederholt (zuletzt in den Entscheidungen 20 W 373/00, 20 W 297/00 und 20 W 285/00) darauf hingewiesen, dass es zu den Grundsätzen eines fairen Abschiebungshaftverfahrens gehört, dass dem betroffenen Ausländer vor der richterlichen Anhörung zur Sache Gelegenheit gegeben wird, anwaltlichen Rat einzuholen und dass das Gericht gegebenenfalls von der im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit der Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung (§ 11 FEVG) Gebrauch machen muss.

Nach Auffassung des Senats kommt es wesentlich darauf an, dass die anwaltliche Beratung bereits von Beginn der ersten richterlichen Anhörung an gewährleistet ist. Der rechtzeitige anwaltliche Beistand trägt nicht nur zur fairen Verfahrensführung, sondern auch zur Vermeidung von Abschiebungshaft und vor allem zur Verkürzung der Dauer der Abschiebungshaft bei. Dies liegt im Interesse des betroffenen Ausländers, aber auch im Interesse des Staates.



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