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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 20.11.2001
Aktenzeichen: 20 W 419/01
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 28 Abs. 2
BGB § 1904
BGB § 1904 Abs. 1
Bei einem irreversibel hirngeschädigten Betroffenen bedarf die Entscheidung des Betreuers über den Abbruch der Ernährung durch eine Magensonde der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Maßgebliches Kriterium der Entscheidung ist eine mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen (Bestätigung des Beschl. v. 15.7.98, NJW 98, 2747).
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

20 W 419/01

Verkündet am 20.11.2001

In dem Betreuungsverfahren ... an dem weiter beteiligt ist: ...

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die weitere Beschwerde des Betreuers gegen den Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. September 2001 am 20. November 2001 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Juli 2001 werden aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.000,-- DM.

Gründe:

I.

Für die 85jährige Betroffene, die aufgrund eines hirnorganischen Psychosyndroms mit mangelhafter Orientierung und eingeschränkter Gedächtnisleistung in einem Pflegeheim lebte, wurde nach einer Operation wegen einer Schenkelhalsfraktur mit erheblichen Komplikationen durch Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Oktober 2000 deren Ehemann als Betreuer für alle Angelegenheiten bestellt. Nach einer zweiten Operation unter Vollnarkose am 05. September 2000 hat sie nach Angaben des Betreuers das Bewusstsein bisher nicht wiedererlangt. Nach Implantierung einer Magensonde (PEG), über die sie seitdem ernährt wird, wurde die Betroffene am 09. Oktober 2000 in das Pflegeheim zurückverlegt.

Der Betreuer beantragte mit Schreiben vom 09. Juni 2001 die Einstellung der künstlichen Ernährung durch die PEG-Sonde und führte zur Begründung aus, er selbst und die beiden gemeinsamen Kinder könnten an Eides Statt versichern, dass es im Hinblick auf frühere Äußerungen keinesfalls dem anzunehmenden Willen der Betroffenen entsprochen hätte, durch Sondenernährung künstlich in einem komatösen Zustand ohne Aussicht auf ein Erwachen gehalten zu werden.

Die vom Amtsgericht bestellte Verfahrenspflegerin teilte mit Schreiben vom 20. Juni 2001 mit, nachdem sie bei einem Besuch der Betroffenen festgestellt habe, dass mit ihr ein Gespräch zwar nicht möglich sei, sie jedoch auf Berührung und Ansprache reagiere, hänge für sie die Entscheidung von einer ärztlichen Stellungnahme ab, ob ein komatöser Zustand vorliege und mit einer Besserung des Gesundheitszustandes der Betroffenen noch gerechnet werden könne.

Ohne nähere Aufklärung des Sachverhaltes wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2001 den auf Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung auszulegenden Antrag des Betreuers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine analoge Anwendung des § 1904 BGB scheide nach Ansicht des Gerichts, das der gegenteiligen Auffassung des Senats im Beschluss vom 15. Juli 1998 nicht folgen könne, aus. Es sei Sache des Gesetzgebers, den Behandlungsabbruch gesetzlich zu regeln.

Nachdem der vom Betreuer beauftragte Verfahrensbevollmächtigte hiergegen für die Betroffene und den Betreuer Beschwerde eingelegt hatte, schloss sich die Verfahrenspflegerin nunmehr der Auffassung des Amtsgerichts an und trug des weiteren vor, die Betroffene sei nach ihrem eigenen persönlichen Eindruck nicht komatös. Das Landgericht wies die Beschwerde mit Beschluss vom 11. September 2001 mit der Begründung zurück, es schließe sich den Entscheidungen des Landgerichts München I (NJW 1999, 1788) und des Landgerichts Augsburg (NJW 2000, 2363) an, wonach eine analoge Anwendung des § 1904 BGB entgegen der in Rechtsprechung und Literatur kritisierten Entscheidung des Senates nicht in Betracht komme. Der Antrag des Betreuers sei bereits von dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge nicht umfasst. Über lebensbeendende Maßnahmen hätten Ärzte und Angehörige in eigener Verantwortung zu entscheiden. Im übrigen sei die Frage vom Gesetzgeber zu regeln.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Betreuers, der unter Verweisung auf das grundrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung die entsprechende Anwendung des § 1904 BGB für erforderlich und notwendig hält.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde ist auch in der Sache begründet, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§§ 27 Abs. 1, 550 ZPO). Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Die Ablehnung der entsprechenden Anwendung des § 1904 BGB durch die Vorinstanzen stellt nach Auffassung des Senats eine Verletzung des Gesetzes dar. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 15. Juli 1998 (NJW 1998, 2747 = FamRZ 1998, 1137 = BtPrax 1998, 186 = JZ 1998, 1122 = JuS 1998, 1062 = MDR 1998, 1483 = Rpfleger 1998, 424 = FG Prax 1998, 183 = MedR 1998, 1483 = JR 1999, 71 = OLG-Report Frankfurt 1998, 245) in Übereinstimmung mit dem in einer Strafsache ergangenen Urteil des Bundesgerichtshofes vom 13. September 1994 ( BGHSt 40, 257 = NJW 1995, 204 = NStZ 1995, 80 = JR 1995, 335 = MDR 1995, 80) entschieden, dass bei einem irreversibel hirngeschädigten Betroffenen die Entscheidung des Betreuers über den Abbruch der Ernährung durch eine PEG-Magensonde in entsprechender Anwendung des § 1904 BGB der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf und als Kriterium für diese Entscheidung maßgeblich auf eine mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen abzustellen ist, an deren Feststellung wegen des Lebensschutzes in tatsächlicher Hinsicht strenge Anforderungen zu stellen sind, während bei deren Nichtaufklärbarkeit die Genehmigung zu versagen ist.

Dieser Senatsbeschluss hat zu einer umfangreichen, kontroversen Diskussion in Rechtsprechung und Literatur geführt und wurde auf dem 63. Deutschen Juristentag in Leipzig 2000 erörtert. Die Entscheidung hat nach ihrer Veröffentlichung sowohl Ablehnung (vgl. etwa Laufs NJW 1998, 3399; Müller-Freienfels JZ 1998, 1125; Seitz JZ 1998, 1125; Jürgens BtPrax 1998, 159; Bienwald FamRZ 1998, 1138; Vormundschaftsgerichtstag e.V. BtPrax 1998, 161; Nickel MedR 1998, 520; Wagenitz FamRZ 1998, 1256; Stalinski BtPrax 1999, 86; Dodegge NJW 1999, 2709; Alberts NJW 1999, 835; Ankermann MedR 1999,387; Schlund JR 2000, 65; Eberbach MedR 2000, 267; Paehler BtPrax 2000, 21; Kutzer MedR 2001, 77 sowie in der Rechtsprechung LG München und Augsburg a.a.0.; AG Ratzeburg SchlHA 1999, 50; AG Garmisch-Partenkirchen FamRZ 2000, 319; ) als auch Zustimmung erfahren (vgl. etwa Saliger JuS 1999, 16; Coeppicus NJW 1998, 3381; Rehborn MDR 1998, 1464; Knieper NJW 1998, 2720; Frister JR 1999, 73; Verrel JR 1999, 5; Berger JZ 2000, 797; Spickhoff NJW 2000, 2297; Zöller ZRP 2000, 317; Taupitz NJW 2000, Beilage zu Heft 25; Lipp DRiZ 2000, 231; Hufen NJW 2001, 849; Meier BtPrax 2001, 181 sowie in der Rechtsprechung LG Duisburg NJW 1999, 2744). Aus der obergerichtlichen Rechtsprechung hat das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 27. März 2001 (Rpfleger 2001, 347 = FGPrax 2001, 155 = BtPrax 2001, 170 = MDR 2001, 940 = NJW 2001, 2807 = DNotZ 2001, 345 = OLGR Düsseldorf 2001, 384) die Rechtsfrage offen gelassen. Der Beschluss des OLG Brandenburg vom 17. Februar 2000 (DA- Vorm 2000, 345 = NJW 2000, 2361 = FamRZ 2000, 1033 = OLGR Brandenburg 2000, 430), mit dem eine familiengerichtliche Genehmigung der Entscheidung der Eltern über den Behandlungsabbruch ihres Kindes abgelehnt wurde, betrifft eine mit der Rechtsstellung des Betreuers nicht vergleichbare Rechtsfrage aus dem Bereich der elterlichen Sorge und kann deshalb für den vorliegenden Fall nicht zu einer Vorlage gemäß § 28 Abs. 2 FGG an den Bundesgerichtshof führen. Nach erneuter Überprüfung und Abwägung aufgrund der breiten öffentlichen Erörterung hält der Senat an seiner Rechtsauffassung weiterhin fest.

Zunächst kann der Argumentation des Landgerichts nicht gefolgt werden, die Entscheidung des Betreuers über den Abbruch der Sondenernährung sei durch dessen Aufgabenkreise nicht abgedeckt. Der Senat geht davon aus, dass eine derartige Entscheidung vom Aufgabenkreis der Sorge für die Gesundheit gedeckt wird, die alle Bereiche der Medizin umfasst ( vgl. BayObLG BtPrax 1995, 218/219 ). Denn nicht nur bei der Implantation einer PEG-Magensonde, sondern auch bei der kontinuierlichen Zuführung der künstlichen Ernährung auf diesem Wege handelt es sich um eine medizinische Behandlungsmaßnahme. Ebenso wie der Beginn und die Fortsetzung stellt auch der Abbruch einer solchen künstlichen Ernährung eine Behandlungsmaßnahme dar, die der Arzt nur mit Einwilligung des Patienten vornehmen darf (vgl. hierzu ausführlich Lipp, a.a.0., S. 233 m. w. N.). Somit umfasst der Aufgabenkreis der Gesundheitssorge nach dem Verständnis des Senats alle im Bereich der medizinischen Behandlung anstehenden Entscheidungen, die der Betroffene selbst nicht mehr treffen kann, auch wenn aufgrund des Krankheitsbildes eine Wiederherstellung der Gesundheit nicht mehr zu erreichen ist. Letztlich kann dies für den vorliegenden Fall jedoch dahinstehen, da dem Betreuer hier nicht nur der Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge, sondern alle Angelegenheiten übertragen worden sind.

Des weiteren vermag die in Rechtsprechung und Literatur teilweise geäußerte Auffassung, bei der Entscheidung über einen Behandlungs- oder Ernährungsabbruch handele es sich um eine höchstpersönliche Angelegenheit, die von der Wahrnehmung durch einen Betreuer oder sonstigen Vertreter prinzipiell ausgeschlossen sei (so etwa Deichmann MDR 1995, 983/985; LG München a.a.0.), nicht zu überzeugen. Denn der Gesetzgeber ist bei der Einführung des Betreuungsgesetzes ersichtlich von einer grundsätzlichen Vertretungsmacht des Betreuers auch für diesen höchstpersönlichen Bereich ausgegangen. Dies zeigt sich bereits in der Gesetzesbegründung, in der darauf hingewiesen wird, dass der grundsätzliche Willensvorrang des Betreuten auch im Bereich der Heilbehandlung z. B. zur Folge habe, dass der Betreuer den Wunsch eines nicht mehr einwilligungsfähigen Betreuten auch dann zu beachten habe, wenn dieser darauf gerichtet sei, in der letzten Lebensphase nicht sämtliche denkbaren lebens-, aber auch schmerzverlängernden medizinischen Möglichkeiten einzusetzen (vgl. Bt-Drucks. 11/4528, S. 142; vgl. hierzu auch: Saliger, a.a.0., S. 18; LG Duisburg a.a.0.).

Der analogen Anwendung des § 1904 BGB kann auch nicht entgegen gehalten werden, diese Vorschrift bezwecke den Schutz des Lebens, wo hingegen der Behandlungsabbruch gerade auf dessen Beendigung abziele (vgl. hierzu insbesondere LG München I, Jürgens, Alberts und Schlund jeweils a.a.0.). Denn diese Betrachtung wird dem Regelungsgehalt des § 1904 BGB nicht in der gebotenen Weise gerecht. Der primäre Zweck des § 1904 Abs. 1 BGB liegt nämlich nicht im Schutz der Gesundheit des Betreuten, der bereits allgemein durch die Einschaltung eines Betreuers Rechnung getragen werden soll. Mit dem Erfordernis der Zustimmung des Vormundschaftsgerichts zur Einwilligung des Betreuers in besonders riskante und folgenschwere ärztliche Eingriffe sollte vielmehr eine präventive Kontrolle des Betreuers bei der Einwilligung zu gefährlichen ärztlichen Maßnahmen mit irreversiblen Folgen geschaffen werden. Dieser Schutz ist aber erst recht dann erforderlich, wenn der Tod des Betroffenen nicht nur als mögliches Risiko, sondern als sichere Folge der Umsetzung der Entscheidung des Betreuers in Betracht zu ziehen ist (vgl. hierzu insbesondere Lipp a.a.0. S. 237). Entscheidend für die analoge Anwendung des § 1904 BGB ist nicht die Zweckrichtung der ärztlichen Maßnahme, sondern die Schwere des Eingriffs, auf den sich die Einwilligung des Betreuers bezieht (so richtig LG Duisburg a.a.0. und Zöller a.a.0. S. 317).

Trotz der hiergegen gerichteten Kritik ist der Senat davon überzeugt, dass die analoge Anwendung des § 1904 BGB auch nach Inkrafttreten des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes vom 25.06.1998 aufgrund einer weiterhin bestehenden planwidrigen Regelungslücke im Gesetz geboten ist. Wie bereits erwähnt, hatte der Gesetzgeber des Betreuungsgesetzes 1992 erkennen lassen, dass er den Betreuer ermächtigen will, die mutmaßliche Weigerung des Betroffenen in Bezug auf lebensverlängernde Maßnahmen zur Geltung zu bringen (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 142). Wenn in dem Gesetz selbst gleichwohl eine antizipierte vormundschaftsgerichtliche Kontrolle lediglich für den wesentlich geringfügigeren Eingriff der riskanten Behandlungsmaßnahme in § 1904 BGB vorgesehen wurde, während jegliche Regelung in Bezug auf die ungleich eingriffsintensivere Entscheidung des Betreuers über die Fortsetzung oder den Abbruch lebensverlängernder Behandlungsmaßnahmen unterlassen wurde, so rechtfertigt dies den Schluss auf das Vorliegen der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Lücke im Gesetz (vgl. hierzu Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl., S. 187 ff). Dieser Argumentation ist nunmehr hinzuzufügen, dass der Gesetzgeber des zum 01.01.1999 in Kraft getretenen Betreuungsrechtsänderungsgesetzes die Vorschrift des § 1904 BGB trotz des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs vom 13. September 1994 (a. a. O.) nur durch die Erstreckung der Genehmigungspflicht auf einen Bevollmächtigten, nicht aber in Bezug auf die Frage des Behandlungsabbruches geändert hat. Auch nach Veröffentlichung der die Rechtsprechung des BGH fortführenden Entscheidung des Senates vom 15. Juli 1998 (a.a.0.) und der hierdurch erneut ausgelösten umfänglichen öffentlichen Diskussion in den Medien und der juristischen Literatur hat der Gesetzgeber eine Klarstellung oder Änderung des § 1904 BGB nicht veranlasst. Dieser Umstand lässt sich nicht im Sinne eines beredten Schweigens" als Argument gegen die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke anführen ( so aber Stalinski a. a. O.), sondern unterstreicht gerade deren Existenz ( so auch Ruhl, 63. Deutscher Juristentag Leipzig 2000, Band II/1 Referat K 29/34 und Taupitz, Gutachten zum 23. Deutschen Juristentag Leipzig 2000 , A 92). In dieselbe Richtung weist die Äußerung der Bundesregierung in ihrer Antwort vom 12. August 1998 auf die Anfrage eines Bundestagsabgeordneten zu einem diesbezüglichen gesetzgeberischen Handlungsbedarf (BT-Drucks. 13/11345 S. 11), in der ausgeführt wird, die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main werfe nicht nur tiefgreifende juristischethische Fragen, sondern auch vielfältigen forensisch-praktische Probleme auf, die einer gründlichen Aufarbeitung bedürften, bevor die Frage nach der Notwendigkeit einer gesetzgeberischen Maßnahme durch die Bundesregierung beantwortet werden könne.

Allerdings erachtet auch der Senat insbesondere im Hinblick auf die im Anschluss an seine Entscheidung kontrovers geführte öffentliche Diskussion eine klare Lösung des Problems durch den Gesetzgeber für geboten und wünschenswert (vgl. hierzu insbesondere Taupitz, a.a.0.; Eberbach a.a.O.; Hohloch JuS 98, 1062; Hufen a.a.O.) Hieraus kann entgegen der Auffassung der Vorinstanzen jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass es bis zur Schaffung einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage an einer Genehmigungsfähigkeit für die Einwilligung des Betreuers in einen Behandlungsabbruch fehlt. Denn damit würde dem nach heutiger Rechtsauffassung mit verfassungsrechtlichem Rang ausgestatteten Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl. BVerfGE 52, 131 und Höfling a.a.0. S. 114 jeweils m. w. N.) in einem essentiellen Bereich die gebotene rechtliche Anerkennung und Berücksichtigung versagt und der ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Lebensschutzverpflichtung einseitig der Vorrang eingeräumt (vgl. hierzu insbesondere Taupitz a.a.0. S. 13 und 123). Gerade zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten ist aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung die richterliche Rechtsfortbildung systematisch anerkannt ( vgl. BVerfGE 96, 56 ) und hier durch die analoge Anwendung des § 1904 BGB geboten ( so auch LG Duisburg a.a.O. und Ruhl a.a.O. K 34). Dem kann insbesondere nicht mit dem Einwand begegnet werden, das Gericht schwinge sich damit zum Richter über Leben und Tod" auf ( so insbesondere Deichmann MDR 1995, 983 und AG Hanau BtPrax 1997, 82). Denn die Entscheidung über die Einwilligung selbst hat der Betreuer auf der allein maßgeblichen Grundlage des individuellen mutmaßlichen Willens des Betreuten im Sinne einer zuvor feststellbar ausgeübten Selbstbestimmung zu treffen. Ist der diesbezügliche Wille des Betroffenen nicht zweifelsfrei feststellbar, so ist der Betreuer ebenso wie der Arzt und die Angehörigen an den verfassungsrechtlich abgesicherten Vorrang der Verpflichtung zum Lebensschutz gebunden und muss eine Einwilligung in einen Behandlungsabbruch nach dem Grundsatz in dubio pro vita" ablehnen. Insoweit geht nach Auffassung des Senates die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 13. September 1994 (a.a.0.) zu weit oder gibt zumindest Anlass zu Missverständnissen, wenn für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Betroffenen nicht nur dessen frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen sowie religiöse und sonstige persönliche Wertvorstellungen berücksichtigt werden sollen, sondern bei deren Fehlen auch ein Rückgriff auf allgemeine Wertvorstellungen in Erwägung gezogen wird ( kritisch hierzu insbesondere Höfling und Laufs jeweils a.a.O.). Unter diesem Blickwinkel stellt die präventive Kontrolle der Betreuerentscheidung durch das Vormundschaftsgericht den gebotenen Schutz des Betreuten gegen einen Missbrauch der Vertretungsmacht sicher, mit der insbesondere der Gefahr entgegen gewirkt werden kann, dass Arzt, Angehörige oder der Betreuer über den Behandlungsabbruch nach ihren eigenen Wertvorstellungen oder unter Kostenaspekten entscheiden. Dem gegenüber kann es zur Überzeugung des Senates im Hinblick auf die herausragende Bedeutung einer derartigen Entscheidung nicht als ausreichend erachtet werden, sie lediglich einer möglichen nachträglichen gerichtlichen Überprüfung nach den Maßstäben des Strafrechts zu unterstellen.

Ist somit § 1904 BGB auf die hier beantragte Genehmigung zur Einwilligung des Betreuers in den Abbruch der künstlichen Ernährung durch eine PEG-Magensonde analog anwendbar, so waren die Entscheidungen der beiden Vorinstanzen aufzuheben. Die Sache ist an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen. Das Amtsgericht wird zunächst die gebotene Sachverhaltsaufklärung zu betreiben haben. Neben der Einholung des Gutachtens eines unabhängigen ärztlichen Sachverständigen ( § 69 d Abs. 2 FGG ) über den Krankheitszustand und die Prognose für die Betroffene wird es insbesondere auch versuchen müssen, den mutmaßlichen Willen der Betroffenen über die Fortsetzung oder den Abbruch der künstlichen Ernährung festzustellen. Dann wird es über den Antrag des Betreuers unter Beachtung der obigen Rechtsausführungen neu zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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