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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 04.12.2006
Aktenzeichen: 20 W 425/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1846
BGB § 1906 Abs. 4
BGB § 1908 i Abs. 1
FGG § 70 h Abs. 3
1. Die richterliche Anordnung der Fixierung einer untergebrachten Person als einstweilige Maßregel nach § 1846 BGB kommt nicht in Betracht, wenn dem Vormundschaftsrichter mangels Einholung der gebotenen Auskünfte nicht bekannt ist, dass bereits ein Betreuer mit den Aufgabenkreisen der Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge bestellt ist.

2. Zu den Anforderungen an die Feststellung der Voraussetzungen und das ärztliche Zeugnis zur Genehmigung einer Fixierung.


Gründe:

I.

Nachdem die Betroffene in der Nacht des 28. Juni 2006 gemäß § 10 HFEG in das psychiatrische Krankenhaus eingewiesen worden war und sie dort im Rahmen eines aggressiven Durchbruchs Einrichtungsgegenstände zerstört und Mitarbeiter tätlich angegriffen hatte, ordnete das Amtsgericht nach Anhörung der Betroffenen und Einholung einer ärztlichen Stellungnahme am Vormittag des selben Tages durch einstweilige Anordnung die vorläufige Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 09. August 2006 an. Außerdem wurde in dem Beschluss die zu dokumentierende Fixierung der Betroffenen nach ärztlicher Anordnung bis zum 12. Juli 2006 genehmigt.

Gegen die Genehmigung der Fixierung legte die Verfahrenspflegerin am 07. Juli 2006 sofortige Beschwerde ein, mit der sie nach Ablauf des Genehmigungszeitraumes von 2 Wochen die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fixierungsgenehmigung beantragte.

Das Landgericht wies die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 27. September 2006 zurück und führte zur Begründung aus, zwar werde in den Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung eine Rechtsgrundlage nicht angegeben und das Hessische Freiheitsentziehungsgesetz komme hierfür nicht in Betracht. Der Sache nach habe das Amtsgericht die Fixierung jedoch zu Recht nach §§ 1846, 1908 i Abs. 1 BGB genehmigt, denn für die Betroffene sei zwar - was dem Amtsgericht nicht bekannt war - bereits ein Betreuer bestellt gewesen, der jedoch jedenfalls durch Abwesenheit gehindert gewesen sei, die gemäß § 1906 Abs. 4 BGB erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen.

Mit der am 20. Oktober 2006 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde verfolgt die Verfahrenspflegerin das Feststellungsbegehren fort.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung der Fixierung zulässig. Auch nach Erledigung der Hauptsache durch Ablauf der im amtsgerichtlichen Beschluss angegebenen Befristung gebietet die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wegen des mit der Fixierung verbundenen tiefgreifenden Grundrechtseingriffes und der wegen der kurzen Dauer der Maßnahme sonst regelmäßig nicht zu erreichende Rechtschutzes die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. BVerfGE NJW 1998, 2432 und 2002, 2456).

Das Rechtsmittel führt auch in der Sache zum Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die Rechtswidrigkeit der Genehmigung der Fixierung durch das Amtsgericht festzustellen.

Zutreffend ist das Landgericht zunächst davon ausgegangen, dass das vom Amtsgericht allein in seiner Entscheidung herangezogene HFEG eine Rechtsgrundlage für die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Fixierung einer nach § 1 HFEG untergebrachten Person im Unterschied zu den Unterbringungsgesetzen anderer Bundesländer nicht vorsieht (vgl. hierzu Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., B Rn. 261 m. w. N.; Bohnert, Unterbringungsrecht, S. 167; Metzger/Mann, Praxis der Kommunalverwaltung: Das Hessische Unterbringungsrecht, K 10b Ee S. 61; Jürgens, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1906 Rn. 44; Pardey, BtPrax 1999, 83/85).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann eine Rechtsgrundlage für die Fixierungsgenehmigung im vorliegenden Falle auch nicht den Vorschriften der §§ 1846, 1908 i Abs. 1 und 1906 Abs. 4 BGB i. V. m. § 70 h Abs. 3 FGG entnommen werden.

Der Senat lässt dahinstehen, ob eine derartige "Umdeutung" bezüglich der heranzuziehenden Rechtsgrundlage grundsätzlich in Betracht kommen kann (vgl. hierzu zur Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB und der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach Landesrecht OLG München RuP 2006, 91).

Im vorliegenden Falle fehlt es jedenfalls an den Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 1846 BGB i. V. m. § 70 h Abs. 3 FGG. Denn aufgrund ihres subsidiären Charakters sind derartige Maßnahmen nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn im Interesse der Betroffenen nicht auf ein Eingreifen des Betreuers gewartet werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 1846 BGB um eine restriktiv zu handhabende Ausnahmevorschrift handelt, deren Anwendung nicht dazu führen darf, die gebotene Beteiligung des Betreuers am Verfahren zu umgehen (vgl. BayObLB NJW-RR 2000, 524; OLG München BtPrax 2006, 36; Keidel/Kuntze/ Winkler, FGG, 15. Aufl., § 70 h Rn. 18 m. w. N.). Durch die Regelung des § 1906 Abs. 4 BGB hat der Gesetzgeber die Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen ausdrücklich dem Betreuer zugewiesen. Im vorliegenden Falle war für die Betroffene bereits ein Betreuer u. a. mit den Aufgabenkreisen der Aufenthaltsbestimmung und der Gesundheitsfürsorge bestellt. Allein der Umstand, dass dem Amtsrichter diese Betreuerbestellung zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht bekannt war, vermag das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1846 BGB nicht zu begründen. Zwar erfolgte die Einweisung der Betroffenen nach § 10 HFEG während der Nachtstunden durch die hierfür zuständige Polizeidienststelle. Bereits aus der dem Amtsgericht im Laufe des Vormittags des 28. Juni 2006 per Fax übersandten ärztlichen Stellungnahme des psychiatrischen Krankenhauses ergaben sich jedoch im Hinblick auf die mitgeteilte Diagnose sowie den Hinweis auf drei frühere stationäre Vorbehandlungen deutliche Anhaltspunkte dafür, dass für die Betroffene bereits ein Betreuer bestellt sein könnte. Da die Anhörung der Betroffenen am 28.06.2006 und somit nicht an einem Wochenende, sondern an einem Mittwoch stattfand, ist für den Senat nicht nachvollziehbar, weshalb vor der Unterbringungsentscheidung die naheliegende und telefonisch während der üblichen Dienstzeiten kurzfristig mögliche und hier auch gebotene Anfrage bei dem Wohnsitzamtsgericht nach dem Bestehen einer Betreuung und die Information des Betreuers unterblieben sind. Auch während der persönlichen Anhörung wurde die Betroffene ausweislich des Inhaltes des Protokolles nicht danach gefragt, ob ihr bereits ein Betreuer zur Seite gestellt wurde. Angesichts dieser Gesamtumstände entbehrt die Annahme des Landgerichts, der Betreuer sei durch Abwesenheit gehindert gewesen, die gemäß § 1906 Abs. 4 BGB erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen, einer tatsächlichen Grundlage. Der Umstand, dass eine rechtzeitige Information und Hinzuziehung des Berufsbetreuers unterblieben ist, vermag dessen tatsächliche Verhinderung nicht zu begründen, zumal der Betreuer selbst ausweislich des in der Akte befindlichen Vermerks (Bl. 12 Rs d. A.) am 30. Juni 2006 von sich aus mit dem die Unterbringung anordnenden Gericht Kontakt aufnahm und die ihm zugewiesenen Aufgabenkreise sowie seine Adresse mitteilte. Angesichts der bestehenden Bestellung eines Berufsbetreuers und fehlender Anhaltspunkte für dessen tatsächliche Verhinderung lagen somit die Voraussetzungen für eine gerichtliche Entscheidung über unterbringungsähnliche Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB unter Umgehung des Betreuers nicht vor.

Unabhängig davon fehlt es auch an hinreichenden Tatsachenfeststellungen zur Rechtfertigung der Genehmigung der Fixierung als unterbringungsähnlicher Maßnahme nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 4 BGB i. V. m. §§ 70 Abs. 1 Nr. 2, 70 h FGG. Dabei ist in Rechtsprechung und Literatur zwischenzeitlich weitgehend anerkannt, dass entgegen dem insoweit misslungenen Wortlaut die Vorschrift des § 1906 Abs. 4 BGB auch auf solche Personen anwendbar ist, die bereits freiheitsentziehend untergebracht sind; dies gebietet jedenfalls eine verfassungskonforme Auslegung, da der Eingriff in die Freiheitsrechte insoweit deutlich über die mit der Unterbringung selbst regelmäßig verbundenen Einschränkungen hinausgeht und wird auch durch den Wortlaut des § 70 f Abs. 1 Nr. 2 FGG, der eine konkrete Umschreibung der Unterbringungsmaßnahme erfordert, gestützt (vgl. BayObLG BtPrax 1993, 139; OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 118; HK-BUR/Rink § 1906 BGB Rn. 46; Palandt/Diederichsen, BGB, 65. Aufl., § 1906 Rn. 23; MünchKomm/Schwab,BGB, § 1906 Rn. 29; Damrau/ Zimmermann, Betreuungsrecht, 3.Aufl., § 1906 Rn. 73).

Nach diesen Vorschriften kommt eine vorläufige Genehmigung einer Fixierung durch den Vormundschaftsrichter nur dann in Betracht, wenn dies zum Wohl der Betroffenen erforderlich ist. Die hierfür notwendigen Angaben lassen sich im vorliegenden Falle dem nach § 70 e Abs. 1 Satz 3 FGG eingeholten ärztlichen Zeugnis jedoch nicht entnehmen. Denn der Sachverständige hat in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 28. Juni 2006 (Bl. 3 d. A.) die Notwendigkeit der Unterbringung nur mit einer Fremdgefährdung begründet und zu der darüber hinaus als erforderlich angesehene Fixierung keinerlei Ausführungen gemacht. Auch den ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen während der persönlichen Anhörung der Betroffenen lassen sich hinreichende Anhaltspunkte für eine Notwendigkeit der Fixierungsgenehmigung zum Wohl der Betroffenen zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für deren Leben oder Gesundheit nicht entnehmen. Vielmehr richteten sich nach den Schilderungen des Sachverständigen während des akuten Schubes in der Nacht die Aggressionen der Betroffenen gegen das Personal und Einrichtungsgegenstände, nicht jedoch gegen sich selbst . Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb der Amtsrichter in seiner Entscheidung formelhaft nicht nur von einer Fremdgefährdung von Mitpatienten und Personal, sondern auch von einer Eigengefährdung der Betroffenen ausging.

Darüber hinaus kommt eine Genehmigung einer unterbringungsähnlichen Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift nur dann in Betracht, wenn hiermit der Betroffenen die Freiheit über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig entzogen werden soll. Auch bezüglich dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Falle an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen. Zum Zeitpunkt der Anhörung der Betroffenen und Entscheidung durch den Amtsrichter dauerte die Fixierung der Betroffenen erst einige Stunden an. Insoweit erscheint es fraglich, ob hier eine unterbringungsähnliche Maßnahme über einen längeren Zeitraum beabsichtigt und notwendig war, zumal bereits während der Anhörung von einer Besserung des Zustandes der Betroffenen ausgegangen wurde und eine Lockerung der Fixierung möglich war (vgl. zur Dauer der unterbringungsähnlichen Maßnahme BayObLG BtPrax 1993, 139; Jürgens/Kröger/Marschner, Betreuungsrecht kompakt, Rn 510; HK-BUR/Rink, § 1906 BGB Rn. 48; Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 1906 BGB Rn. 75). Der Sachverständige hat insoweit zwar um eine Genehmigung der Fixierung für den Zeitraum von zwei Wochen gebeten, jedoch keinerlei Ausführungen zu der Frage der konkret notwendigen Dauer sowie einer eventuell wiederkehrenden Notwendigkeit einer Fixierung gemacht. Seine pauschalen Ausführungen vermögen eine Anordnung oder Genehmigung der Fixierung nicht zu rechtfertigen. Denn eine solche unterbringungsähnliche Maßnahme darf im Hinblick auf den hiermit verbundenen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff, mit welchem die Freiheit weit über das Maß der angeordneten Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung hinaus in zusätzlich besonders belastender Weise beschränkt werden soll, nur nach sorgfältiger einzelfallbezogener Prüfung und mit entsprechender Begründung der Notwendigkeit zum Wohl der betroffenen Person angeordnet werden.

Wegen der aufgezeigten Mängel war auf Antrag der Verfahrenspflegerin die Rechtswidrigkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung der Fixierung im Wege der einstweiligen Anordnung auszusprechen.

Die Entscheidung über die Gebührenfreiheit beruht auf § 128 b KostO.

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 13 a Abs. 2 S. 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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