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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 20 W 72/09
Rechtsgebiete: VBVG


Vorschriften:

VBVG § 5
Die Unterbringung eines Betroffenen in einer Pflegefamilie erfüllt im Regelfall nicht die vergütungsrechtliche Voraussetzung des Aufenthaltes in einem Heim im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 VBVG.
Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob im Rahmen der Festsetzung der Betreuervergütung der Aufenthalt der Betroffenen in einer Pflegefamilie als gewöhnlicher Aufenthalt in einem Heim im Sinne des § 5 VBVG zu klassifizieren ist.

Die Betroffene leidet an einer leichten Intelligenzminderung bei einer fortschreitenden demenziellen Entwicklung. Die Antragstellerin wurde für sie mit umfangreichen Aufgabenkreisen durch Beschluss des Amtsgerichts vom 14. März 2008 zur Berufsbetreuerin bestellt.

Die Betroffene wohnt seit dem 01. März 2008 im Rahmen eines von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie O1 geschaffenen und von deren Träger, dem A als überörtlichem Träger der Sozialhilfe finanzierten ambulanten Betreuungsangebotes, des Projektes "Begleitetes Wohnen von behinderten Menschen in Familien" bei einer Gastfamilie unter der eingangs genannten Adresse. Vertragsgemäß bewohnt sie ein separates, teilmöbeliertes Appartment mit Küche und Bad im Nachbarhaus und hat die Möglichkeit, am Familienleben der Gastfamilie teilzunehmen.

Die Betreuerin beantragte für die ersten drei Monate der Betreuung die Festsetzung einer Vergütung in Höhe von 924,-- EUR, wobei sie davon ausging, dass die mittellose Betroffene nicht in einem Heim lebt.

Nachdem die Antragsgegnerin die Auffassung vertreten hatte, der Aufenthalt der Betroffenen in der Pflegefamilie sei vergütungsrechtlich als Aufenthalt im Heim einzuordnen, setzte das Amtsgericht - dieser Argumentation folgend - die Vergütung auf 594,-- EUR fest und wies den Vergütungsantrag im Übrigen zurück.

Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde änderte das Landgericht den angefochtenen Vergütungsbeschluss ab und setzte die Vergütung in der von der Betreuerin beantragten Höhe von 924,-- EUR fest.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen weiteren Beschwerde, mit der sie insbesondere geltend macht, nach ihrer Auffassung liege ein Ausnahmefall im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Januar 2008 - XII ZB 176/07 vor, dass der Träger eine umfassende, von der aktuellen Situation des Betroffenen grundsätzlich unabhängige und dadurch den Betreuer dauerhaft entlastende Versorgungsgarantie übernommen habe.

Die Betreuerin verteidigt die angefochtene Entscheidung des Landgerichts und macht geltend, aus ihrer Sicht seien die Lebensumstände der Betroffenen vergleichbar mit einem Erwachsenen, der mit einem Ehepartner oder anderen Familienangehörigen in häuslicher Gemeinschaft lebe und denen ein Betreuer bestellt sei. Die Entlastung durch den Fachdienst beziehe sich auf eine soziale Betreuung und berühre oder vereinfache nicht ihre Aufgabe als gesetzliche Vertreterin der Betroffenen.

II.

Die kraft Zulassung im angefochtenen Beschluss statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige weitere Beschwerde führt in der Sache nicht zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.

Zu Recht hat das Landgericht für die Bemessung der Vergütung der Berufsbetreuerin im vorliegenden Falle zugrunde gelegt, dass der Aufenthalt der Betroffenen in der Pflegefamilie nicht als Heimaufenthalt anzusehen ist.

Durch die Regelung des § 5 VBVG wurde der in der Vergangenheit notwendige Einzelnachweis der aufgewendeten Betreuungszeit durch ein Pauschalierungssystem ersetzt, das nach der Vorstellung des Gesetzgebers einfach, streitvermeidend und an der Realität orientiert ist und dem Berufsbetreuer ein auskömmliches Einkommen sichern soll (vgl. BT-Drucks 15/2494 S. 31).

Hinsichtlich des in Ansatz zu bringenden pauschalierten Zeitaufwandes unterscheidet das Gesetz zwischen mittellosen (§ 5 Abs. 2 VBVG) und nicht mittellosen Betreuten (§ 5 Abs. 1 VBVG). Des Weiteren erfolgt eine Differenzierung innerhalb dieser jeweiligen Fallgruppen danach, ob der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat oder nicht.

Zur Definition des Heimbegriffes übernimmt § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG im Wesentlichen die Formulierung des § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG. Danach sind Heime im Sinne dieser vergütungsrechtlichen Vorschrift Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und entgeltlich betrieben werden.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 23. Januar 2008 -Az. XII ZB 176/07 (FamRZ 2008, 778 = MDR 2008, 569 = NJW-RR 2008, 739) im Rahmen eines Hinweises hervorgehoben, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des VBVG im Rahmen des Zweiten BtÄndG unter anderem das Ziel verfolgt hat, durch die Einführung von pauschalierenden Stundenansätzen die Abrechnung der Betreuervergütung zu vereinfachen. Diesem Ziel würde es widersprechen, wenn der Begriff des Aufenthaltes in einem "Heim" auch solche Wohnformen umfassen würde, deren Subsumtion unter den Heimbegriff unter Umständen umfängliche Recherchen erfordern würde, etwa in dem Sinne, dass beim Aufenthalt eines Betreuten in einer Pflegefamilie nach den konkreten dortigen sachlichen wie persönlichen Gegebenheiten geforscht und die Intensität, mit der der Betreute in den Tagesablauf und die Organisation dieser Familie eingebunden ist, festgestellt werden müsste. Zusätzliche Schwierigkeiten würden sich daraus ergeben, dass die Gerichte zur Feststellung dieser sich im Laufe der Pflege möglicherweise ändernden Gegebenheiten auf die Angaben des Betreuers, um dessen Vergütung es geht, angewiesen wären. Der Bundesgerichtshof hat aus diesen Erwägungen abgeleitet, dass es sinnvoll ist, von einem strikten, an griffigen und leicht feststellbaren Kriterien gebundenen Verständnis des vergütungsrechtlichen Heimbegriffes auszugehen, zumal der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber die Gerichte im Rahmen der Vergütungsfestsetzung der Mühe entheben wollte, in jedem Einzelfall die "Vergleichbarkeit" der konkreten Wohnsituation eines Betreuten mit einem Pflegeheim prüfen zu müssen. Deshalb hält der Bundesgerichtshof eine teleologische Auslegung des Heimbegriffes im Vergütungsrecht für geboten, die auf der gesetzgeberischen Vorstellung beruht, dass der Aufwand der rechtlichen Betreuung sich erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zu Hause oder in einem Heim lebt. Die deutliche Verringerung der anfallenden Betreuungsaufgaben im Falle eines Heimaufenthaltes im Vergleich zu anderen Wohnformen beruht darauf, dass ein Heim herkömmlicher Weise professionell, also von einer geschulten Heimleitung und unter Heranziehung von ausgebildetem Pflegepersonal geführt wird, weil der hiermit einhergehende Organisationsapparat jedenfalls mit zunehmender Dauer der Heimbetreuung eigene organisatorische Vorkehrungen des Betreuers mehr und mehr entbehrlich machen wird, wobei auch die Überwachung der täglichen Pflege unbeschadet gelegentlicher Kontrollen durch den Betreuer zumeist dem hierfür verantwortlichen Leitungspersonal des Heimes überlassen werden kann. Hieran anknüpfend geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass Wohnformen für Betreute, die eine solche professionelle Führung durch ausgebildetes Leitungs- und geschultes Pflegepersonal nicht kennen, dem vergütungsrechtlichen Heimbegriff auch dann nicht unterfallen sollen, wenn sie formal unter den weit gefassten Wortlaut der Definition des § 5 Abs. 3 VBVG subsumiert werden könnten. Dies soll beim Aufenthalt von Betreuten in Pflegefamilien schon im Hinblick auf die relativ geringe Zahl der dort wohnenden Betreuten, welche eine größere Organisationsdichte ausschließt und auch eine regelmäßige eigene Kontrolltätigkeit des Betreuers nicht verzichtbar erscheinen lässt, generell der Fall sein.

Eine Ausnahme hiervon hat der Bundesgerichtshof nur für den Ausnahmefall in Erwägung gezogen, dass die Unterbringung in einer Pflegefamilie von einem Träger organisiert sowie ständig kontrolliert und begleitet wird, der Heime im vorbezeichneten Sinn unterhält und dessen umfassende Betreuungsleistung durch geschultes Personal auch dort im Vordergrund steht, wo im Einzelfall die Betreuung des Betroffenen lediglich vom Heim in eine Pflegefamilie als einer für den individuellen Betroffenen besonders geeignet erscheinenden Wohnform "ausgelagert" ist. In derartigen Fällen soll der Aufenthalt als eine für den Betreuer arbeitssparende Unterbringung in einem "Heim" aber nur dann beurteilt werden können, wenn der Träger eine umfassende, von der aktuellen Situation des Betroffenen grundsätzlich unabhängige und dadurch den Betreuer dauerhaft entlastende Versorgungsgarantie übernommen hat. Denn in einem solchen Ausnahmefall kann es gerechtfertigt sein, die Betreuung des Betroffenen in der Pflegefamilie und die Organisation und Begleitung durch den Träger als Einheit anzusehen und die Pflegefamilie als eine für den Betreuer arbeitssparende Unterbringung im Sinne eines Heimes einzuordnen.

Der Senat folgt diesen Erwägungen des Bundesgerichtshofes zur vergütungsrechtlichen Einordnung des Aufenthaltes von Betreuten in Pflegefamilien.

Die vom Bundesgerichtshof genannten Ausnahmevoraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss verwiesen werden. Danach kann dahin stehen, ob die Pflegefamilie angesichts der jeweiligen individuellen Auswahl des Mitbewohners hier überhaupt nach dem Wortlaut die allgemeinen Voraussetzungen einer Heimeinrichtung im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG erfüllt.

Zwar handelt es sich bei dem A, der das Projekt als Träger der überörtlichen Sozialhilfe finanziert, um eine Einrichtung, die auch Heime im vorbezeichneten Sinne unterhält. Der Fachdienst des Zentrums für B als Träger des Begleiteten Wohnens erbringt jedoch im vorliegenden Falle keine im Vordergrund stehende umfassende Betreuungsleistung, die mit der Betreuung der Betroffenen in der Pflegefamilie eine Einheit bilden und die Familienpflege als eine für den Betreuer arbeitssparende Unterbringung wie in einem Heim erscheinen lassen würde. Die Pflegefamilie ist vertraglich verpflichtet, die Betroffene in ihre eigene Wohnung aufzunehmen, ihr Unterkunft zu gewähren und sie in vielfältiger Weise an dem Familienleben teilnehmen zu lassen, etwa durch gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten und Einbeziehung in Freizeitaktivitäten. Dabei hat die Familie die Aufgabe, die Betroffene bei der Entwicklung zu einer selbständigeren Lebensführung zu fördern. Im Bereich der Gesundheits- und Körperpflege sind durch die Familie, die insoweit keine besonderen beruflichen Voraussetzungen erfüllen muss, nur geringfügige Unterstützungen vorgesehen, wie sie sich typischerweise die Mitglieder einer Familie untereinander gewähren. Das Vertragsverhältnis ist für alle Beteiligten kurzfristig aufkündbar. Die Begleitung der Betroffenen in der Pflegefamilie durch den Fachdienst beschränkt sich nach den vorgelegten Unterlagen auf die Unterstützung in allen sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden fachlichen, rechtlichen und finanziellen Fragen.

Sie wird praktisch in der Regel umgesetzt durch einen Hausbesuch eines Sozialarbeiters pro Woche sowie die Bereithaltung eines telefonisch erreichbaren Notdienstes für Krisensituationen. Damit sorgt der Fachdienst für die im Betreuungsvertrag vorgesehene Integration der Betroffenen in die Familie, gewährt aber ebenso wie die Pflegefamilie nicht die für eine Heimunterbringung typische umfassende und von der aktuellen gesundheitlichen Situation der Betroffenen unabhängige Versorgungsgarantie mit der damit für die Betreuerin verbundenen Entlastung bei der Erledigung der rechtlichen Angelegenheiten der Betroffenen. Letzteres unterscheidet den vorliegenden Fall von dem Sachverhalt, welcher der Entscheidung des OLG Oldenburg (FamRZ 2008, 778 = NJW-RR 2008, 739 = BtPrax 2008, 118), zu Grunde lag. Dort hatte, worauf auch der BGH (a.a.O.) ausdrücklich hingewiesen hat, die Pflegefamilie eine umfassende, auch Veränderungen des Gesundheitszustandes oder des Hilfebedarfes einbeziehende Versorgungsgarantie übernommen.

Die Unterbringung der Betroffenen in einer Pflegefamilie ist deshalb vergütungsrechtlich nicht als Heimaufenthalt einzuordnen, so dass das Landgericht zutreffend den Vergütungssatz des § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VBVG in Ansatz gebracht hat.

Die sofortige weitere Beschwerde war somit zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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