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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 03.02.2005
Aktenzeichen: 21 AR 150/04
Rechtsgebiete: BGB, HWiG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 312 I
HWiG § 1 I
ZPO § 29 c
ZPO § 36 I 3
Der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung ist unzulässig, wenn für die Beklagten ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nach § 29 c ZPO begründet ist. Ein Haustürgeschäft liegt auch dann vor, wenn der erste Besuch des Vertreters zwar bereits mehrere Wochen zurücklag, die Überraschungssituation und die Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit aber dadurch fortwirken, dass der Vertreter Finanzunterlagen zur Prüfung erhalten und auf deren Grundlage vereinbarungsgemäß ein Anlagenkonzept erarbeitet hat.
Gründe:

Die Klägerin nimmt die Beklagten mit ihrer vor dem Landgericht Gießen erhobenen Klage aus abgetretenen Recht ihres Ehemannes auf Schadenersatz in Höhe von 39.668,55 € nebst Zinsen wegen angeblicher schuldhafter Verletzung von Beratungspflichten aus einer Anlageberatung und wegen angeblicher vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Anspruch.

Die Beklagten zu 2) und 3) traten als selbständige Handelsvertreter für die Beklagte zu 1) auf, die ein international arbeitendes Finanzoptimierungsunternehmen betreibt. Etwa im Januar 2001 kam es zu einem Kontakt des Ehemannes der Klägerin mit dem Beklagten zu 3), der sich als Vermögensberater vorstellte, als er vor dessen Haus Baggerarbeiten durchführte. Ca. zwei Wochen später suchte der Beklagte zu 3) den Ehemann der Klägerin zu Hause auf. Dieser überreichte dem Beklagten zu 3), der ihm eine Visitenkarte der Beklagten zu 1) überließ, die Unterlagen über seine bestehenden Vermögensanlagen, welche dieser überprüfen wollte. Der Beklagte zu 3) erarbeitete auf der Grundlage dieser Unterlagen eine Finanzdiagnose über eine neue Anlagestrategie für die Klägerin und ihren Ehemann. Nach dem Vortrag der Klägerin suchten etwa vier bis sechs Wochen später, am 30.3.2001, die Beklagten zu 2) und 3) den Ehemann der Klägerin zum Zwecke der Beratung erneut in seiner Wohnung auf. Der Beklagte zu 2) überreichte gleichfalls eine Visitenkarte der Beklagten zu 1). Der Ehemann der Klägerin unterzeichnete mehrere Unterlagen, unter anderem drei seitens des Beklagten zu 3) vorbereitete Kündigungsschreiben betreffend die bei der A ... AG und der B ... A.G. unterhaltenen Lebensversicherungen, ein Formular über eine Verwaltungsvollmacht und einen Treuhandvertrag mit der C (Suisse) S.A., die zwischenzeitlich unter der Bezeichnung D ... S.A. firmiert, sowie eine Verpfändungserklärung hinsichtlich der im Rahmen des Vermögensverwaltungsvertrages durch die Bank zu erwerbenden Wertpapiere (Blatt 48 ff., 54, 173 der Akte).

Das Landgericht Gießen hat auf das Fehlen seiner örtlichen Zuständigkeit hingewiesen und den Rechtsstreit auf den vorsorglich gestellten Antrag der Klägerin gemäß Beschluß vom 18.11.2004 nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Gießen sei nicht gegeben. Insbesondere liege ein besonderer Gerichtsstand wegen eines Haustürgeschäftes nicht vor (§ 29 c Abs. 1 ZPO). Zwar sei nach dem maßgebenden Vorbringen der Klägerin davon auszugehen, daß anläßlich des ersten Besuches des Beklagten zu 3) eine Haustürsituation gegeben gewesen sei. Dies sei aber bei dem zweiten Besuch des Beklagten zu 3) nunmehr in Begleitung des Beklagten zu 2), anläßlich dessen die behaupteten schadensverursachenden Aufklärungsmängel erfolgt seien, nicht mehr der Fall gewesen. Die Indizwirkung dafür, daß eine ursprüngliche Haustürsituation ursächlich für die Abgabe der zu widerrufenden Willenserklärung geworden sei, entfalle aber bei zunehmendem zeitlichen Abstand und jedenfalls bei einem Zeitraum von mehr als drei Wochen. Dem Ehemann der Klägerin sei klar gewesen, daß der von ihm gewollte erneute Besuch dazu habe dienen sollen, ihm im Rahmen eines vereinbarten Beratungsgesprächs ein konkretes Anlagenkonzept vorzustellen. Eine unerlaubte Handlung der Beklagten ergebe sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht hinreichend.

Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. ZPO liegen nicht vor. Zwar bestehen für Beklagten verschiedene allgemeine Gerichtsstände Auch sollen sie als Streitgenossen in Anspruch genommen werden. Hierfür reicht die Herleitung des Schadenersatzanspruchs gegen die Beklagten aus einem einheitlichen Lebensvorgang aus (§ 60 ZPO), da § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO alle Arten der Streitgenossenschaft erfaßt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 36, Rdnr. 14). Für die Beklagten ist aber ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet, nämlich der Gerichtsstand für Haustürgeschäfte (§ 29 c Abs. 1 ZPO).

Nach dem für die Beurteilung der Zuständigkeit maßgebenden Vortrag der Klägerin beruht die Klage auf einem Haustürgeschäft (§ 1 Abs. 1 HWiG a.F.). Dies gilt auch, soweit sich die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) als Vertreter oder Vermittler richtet. Erfaßt sind nach der gebotenen weiten Auslegung der Vorschrift alle Ansprüche, die das Haustürgeschäft betreffen (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 29 c, Rdnr. 4 m.w.N.). Die Beklagte zu 1) als Unternehmer und der Ehemann der Klägerin als Verbraucher haben einen Vertrag geschlossen, der eine entgeltliche Leistung zum Gegenstand hat und zu dessen Abschluß der Ehemann der Klägerin durch mündliche Verhandlungen im Bereich einer Privatwohnung bestimmt worden ist (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWiG a.F. bzw. § 312 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F.). Auch bei dem zweiten Besuch des Beklagten zu 3) und nunmehr auch des Beklagten zu 2) am 30.3.2001 in der Wohnung der Klägerin und ihres Ehemannes, bei dem es zur Unterzeichnung der Vertrags- und sonstigen Unterlagen kam, lag eine Haustürsituation vor, welche als entscheidender Beweggrund für den Vertragsschluß mitursächlich war. Zwar erfolgte dieser Besuch auf Wunsch des Ehemannes der Klägerin, nachdem der erste Besuch bereits mehrere Wochen zurücklag. Das Überraschungsmoment des ersten Besuchs wirkte aber noch fort, und der Ehemann der Klägerin war infolge dessen weiterhin in seiner Entschließungsfreiheit beeinträchtigt. Hierbei kommt es auf den zeitlichen Abstand zwischen beiden Gesprächen nicht entscheidend an. Maßgebend ist, daß der Beklagte zu 3) von dem Ehemann der Klägerin Unterlagen über dessen bestehende Vermögensanlagen erhalten hatte, welche er überprüfen wollte. Der Ehemann der Klägerin war demzufolge bei dem erneuten Besuch des Beklagten zu 3) und nunmehr des Beklagten zu 2) mit der Situation konfrontiert, daß der Beklagte zu 3) für ihn Zeit investiert und ein Konzept mit entsprechenden Unterlagen erarbeitet hatte, über dessen Verwendbarkeit er nun entscheiden sollte. Die Überraschungssituation des ersten Besuchs, bei welchem er dem Beklagten zu 3) seine Finanzunterlagen zur Prüfung übergeben hatte, wirkte mithin fort und war geeignet, seine Entschließungsfreiheit, den ihm angebotenen Vertrag zu schließen oder davon Abstand zu nehmen, zu beeinträchtigen. Nur auf diese Beeinträchtigung kommt es an (vgl. BGH, NJW 1994, 262, 265; ZIP 2003, 432 f. m.w.N.). Daß der Ehemann der Klägerin wußte, daß der erneute Besuch dazu dienen sollte, im Rahmen eines vereinbarten Beratungsgesprächs ein konkretes Anlagenkonzept vorzustellen, steht dem nicht entgegen.

Daß § 1 Abs. 2 HWiG a.F. das Widerrufsrecht des Verbrauchers für bestimmte Fälle ausschließt, ändert nichts daran, daß es sich um ein § 1 Abs. 1 HWiG a.F. definiertes Hautürgeschäft handelt, für das § 29 c ZPO unabhängig von einem sachlich-rechtlichen Widerrufsrecht gilt (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluß vom 6.5.2004 - Az. 21 AR 31/04 -; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 29 c, Rdnr. 4 m.w.N.).

Danach kann dahinstehen, ob die für Klage auch der gemeinschaftliche besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 Abs. 1 ZPO) begründet ist. Die Klägerin stützt ihren Schadenersatzanspruch auf die Verletzung von Beratungspflichten aus einem Anlageberatungsvertrag mit der Beklagten zu 1), welche die Beklagten zu 2) und 3) vermittelt hätten und in dessen Rahmen sie beratend tätig geworden seien. Leistungsort für derartige Schadenersatzansprüche ist der Ort, an dem die verletzten Primärpflichten zu erfüllen waren (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 29, Rdnrn. 20, 23 und 25 "Schadensersatz"). Da nach dem Vortrag des Klägers nur die Beklagten zu 2) und 3) ihm gegenüber für die Beklagte zu 1) im Rahmen des Beratungsverhältnisses tätig geworden sind, rühren die behaupteten Schadenersatzforderungen gegenüber den Beklagten aus demselben Rechtsverhältnis her. Der Kläger will auch die Beklagten zu 2) und 3) aus dem Vertragsverhältnis persönlich in Anspruch nehmen. Damit sind die denkbaren Erfüllungsorte für etwaige Schadensersatzpflichten aller Beklagten identisch (vgl. hierzu OLG Frankfurt a.M., Beschlüsse vom 14.10.2002, 11.11.2002 und 5.12.2002 - Az. 21 AR 14/02, 21 AR 69/02 und 21 AR 97/02 -; BayObLG, BayObLGR 1997, 72).

Ferner kann dahinstehen, ob auch für den Beklagten zu 3) ein besonderer Gerichtsstand der eigenen Niederlassung (§ 21 Abs. 1 ZPO) in O 1 begründet ist, obwohl er dort als Teamleiter in der Direktion des Beklagten zu 2) tätig war und obwohl aus dem Vortrag der Beklagten nicht ersichtlich ist, ob eine Niederlassung auch zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch bestand.

Da der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung abgelehnt wird, ist eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. BGH, MDR 1987, 735).

Der Gegenstandswert war auf rund 1/10 des Hauptsachestreitwerts festzusetzen. Die Bemessung nach dem vollen Hauptsachestreitwert ist nicht geboten, da im Rahmen des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens keine Entscheidung über die Hauptsache ergehen und insbesondere keine Abweisung der Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit erfolgen kann. Der Hauptsachestreitwert ist aber zur Bemessung heranzuziehen, da es sich bei der Bestimmung der Zuständigkeit nicht lediglich um eine formale Frage handelt, die für den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache ohne jeden Belang ist. Vielmehr kann die Frage der örtlichen Zuständigkeit und die Frage, ob ein Gericht für alle Antragsgegner gemeinsam zuständig ist, Auswirkungen auf die Verteidigungsmöglichkeiten der Antragsgegner haben, insbesondere auf die Frage, ob ein Antragsgegner einen anderen als Zeugen benennen kann.

Ende der Entscheidung

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