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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.12.2006
Aktenzeichen: 23 U 149/05
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 50 Abs. 1
InsO § 51 Nr. 1
InsO § 55 Abs. 2
InsO § 55 Abs. 2 Nr. 1
InsO § 55 Abs. 2 Nr. 3
InsO § 170 Abs. 1 S. 2
Für den Fortfall der zugunsten der Schuldnerin aufgrund einer Globalzession bestehenden Einziehungsermächtigung ist zu verlangen, dass der Sicherungszessionar von seinem Recht zum Widerruf Gebrauch macht. Ohne einen Widerruf verliert der Zedent die ihm eingeräumte Befugnis, die abgetretenen Forderungen einzuziehen, nicht ohne weiteres, wenn er in eine finanzielle Krise gerät, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt wird und die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wird. Erst mit Eröffnung des Konkursverfahrens entfällt die Einziehungsermächtigung von selbst.
Gründe:

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, die keiner Änderung bedürfen, wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Ergänzend ist festzustellen, dass die Schuldnerin gemäß Ziff. 3.5 der zugunsten der Klägerin vereinbarten Globalzession vom 30.3./5.4.2000 zur Einziehung der abgetretenen Forderungen berechtigt war und diese Berechtigung von der Klägerin nicht widerrufen worden ist.

Gegen das ihr am 1.6.2005 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin am 21.6.2005 fristgerecht Berufung eingelegt und diese am 1.9.2005 innerhalb der bis zu diesem Datum verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Einziehung von Forderungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Verwertungshandlung des Beklagten nach § 166 Abs. 2 InsO darstelle, die nach § 170 InsO zur Befriedigung des absonderungsberechtigten Gläubigers verpflichten würde. Eine Untersagung des Forderungseinzugs für absonderungsberechtigte Gläubiger nach § 21 Abs. 1 InsO sei hingegen nicht erfolgt. Die Einziehung von Forderungen in vorläufigen Insolvenzverfahren gebe der Klägerin auch keinen Anspruch auf Auskehrung einer Bereicherung als Masseverbindlichkeit, denn § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO setze den Einzug als Insolvenzverwalter und § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Bereicherung der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus, was beides nicht gegeben sei. Eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO scheide aus mangels Übergangs der Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter durch Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. InsO.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen Abweisung der Klage aufgrund der Verneinung eines Absonderungsanspruchs nach §§ 50, 51 InsO durch das Landgericht. Zu Unrecht sei das Landgericht davon ausgegangen, dass § 170 InsO dem aufgrund der wirksamen Globalzession zugunsten der Klägerin vom 30.3./5.4.2000 gegebenen Absonderungsrecht nach §§ 51 Nr. 1, 50 Abs. 1 InsO entgegen stehe, da dort lediglich die Abwicklung des Absonderungsrechts geregelt werde.

Der Beschluss des AG Wetzlar vom 8.12.2003 über die Überlassung eingehender Gelder an den vorläufigen Insolvenzverwalter sei rechtswidrig, weil es sich insoweit nicht um eine Sicherung, sondern eine unzulässige Verwertung handele. Die Klägerin habe mit den Zahlungen vom 15.1.und 17.2.2004 nicht auf ihre Rechte aus der Globalzession verzichtet, sondern lediglich aufgrund des vorgenannten Beschlusses Zahlungen ausgekehrt, und zwar nicht aus ihrem eigenen Vermögen, sondern vom Konto der Schuldnerin A GmbH. Das Landgericht habe die Bestimmung des § 407 BGB unzutreffend angewendet, die dem Schutz des Leistenden und nicht dem Schutz des Empfängers, also der hiesigen Schuldnerin bzw. deren Insolvenzverwalter, diene. Masseverbindlichkeiten könne schließlich auch der vorläufige Insolvenzverwalter begründen, und zwar hier in Form von Schadensersatzansprüchen der Klägerin aus §§ 823, 826 BGB wegen Verstoßes gegen das Verwertungsverbot. Neben dem Absonderungsrecht habe die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 55 Nr. 1 InsO. Die zweitinstanzlich von dem Beklagten erklärte Anfechtung der Abtretung aller nach dem 8.11.2003 entstandenen Forderungen sei als neues Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen; außerdem habe der Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen der Inkongruenz und Gläubigerbenachteiligung ebenso wenig schlüssig dargetan wie das Entstehen der Forderungen mit Vertragsschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 1.9.2005 (Bl. 70-75 d.A) und vom 14.12.2005 (Bl. 104-107 d.A.) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Limburg a.d. Lahn vom 27.5.2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 63.813,13 € nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.4.2004 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die insoweit angegriffene Entscheidung des Landgerichts unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Das Landgericht habe die Regelung des § 170 InsO ebenso zutreffend angewendet wie die des § 407 BGB. Der Beschluss des AG Wetzlar vom 8.12.2003 entspreche § 21 InsO und sei rechtmäßig. Bei einem Forderungseinzug sei die Sicherung gleichbedeutend mit dem Einzug auf dem Insolvenzanderkonto. Eine etwaiger Kondiktionsanspruch wegen Zahlungen vor Insolvenzeröffnung sei keine Masseverbindlichkeit, ein Anspruch der Klägerin aus § 55 Abs.1 Nr.3 InsO bestehe nicht. Masseverbindlichkeiten könnten allenfalls von einem "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter begründet werden, der vorliegend jedoch nicht gegeben sei.

Ansprüche der Klägerin aus §§ 823, 826 BGB existierten nicht mangels Verstoßes gegen das Verwertungsverbot oder einer sonstigen Pflichtverletzung und wären im übrigen nur gegen die Person des Insolvenzverwalters zu richten, aber keine Ansprüche nach § 55 InsO. Schließlich habe das OLG Karlsruhe (ZIP 2005, 1248) entschieden, dass der Erwerb von im voraus durch eine Globalzession an die Bank abgetretenen Forderungen eine inkongruente Deckung im Sinne des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstelle, weshalb die Beklagte nunmehr die Anfechtung der Abtretung aller nach dem 8.11.2003 durch Rechnungsstellung entstandenen Forderungen erkläre. Dies sei als neues Verteidigungsmittel zuzulassen, die betreffenden Forderungen seien im letzten Monat vor Insolvenzantragsstellung entstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens des Beklagten wird auf die Schriftsätze vom14.11.2005 (Bl. 92-99 d.A.) und vom 7.11.2006 (Bl. 159-161 d.A.) verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet, dürfte jedoch in der Sache keinen Erfolg haben.

Es liegt kein Berufungsgrund im Sinne des § 513 ZPO vor, denn weder beruht die Entscheidung des Landgerichts auf einer Rechtsverletzung nach § 546 ZPO noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.

Zu Recht hat das Landgericht einen Zahlungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten hinsichtlich der von diesem bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.2.2004 vereinnahmten Zahlungen von Drittschuldnern in Höhe von insgesamt 103.189,28 € aus §§ 170 Abs. 1 S. 2, 51 Nr. 1, 50 Abs. 1 sowie 55 Nr. 1 u. 3, 55 Abs. 2 InsO verneint.

Die vom Beklagten eingezogenen Forderungen standen zwar aufgrund der Globalabtretung eigentlich der Klägerin zu, sie sind jedoch mit den Zahlungen erloschen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt des Eingangs der Zahlungen beim vorläufigen Insolvenzverwalter noch zur Einziehung der Forderungen berechtigt war; wäre das nicht der Fall gewesen, dann wären die Drittschuldner jedenfalls nach der zu ihren Gunsten bestehenden Schutzvorschrift des § 407 BGB von ihren Verbindlichkeiten frei geworden, denn sie hatten nach dem Vorbringen der Parteien von der Abtretung der Forderungen keine Kenntnis.

Die Gutschriften auf dem Anderkonto des vorläufigen Insolvenzverwalters sind dem Vermögen der Schuldnerin damit bereits vor der Eröffnung des Konkursverfahrens zugeflossen (vgl. BGH ZIP 2000, 895; 1990, 1417f); dass damals bereits die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet war, hat auf das Ergebnis keinen Einfluss (so auch BGH aaO).

Auf dem vom Beklagten in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter eingerichteten Konto bestand auch keine treuhänderische Bindung zugunsten der Klägerin, denn eine Zuordnung der Zahlungseingänge zum wirtschaftlichen Vermögen der Klägerin würde mindestens voraussetzen, dass der Beklagte das Konto tatsächlich - auch - zugunsten der Zessionare etwaiger zur Sicherung abgetretener Forderungen eingerichtet und unterhalten hätte (vgl. BGH ZIP 2000, 895; 1979, 1551; BGHZ 109, 47). Nach dem Vorbringen der Parteien hat der Beklagte aber bei der Einziehung der Forderungen nicht als Treuhänder für die Klägerin gehandelt, sondern nur ein (u.U. vermeintliches) Recht der Schuldnerin wahrgenommen.

Ein etwaiger Anspruch nach § 816 Abs. 2 BGB, der der Klägerin zustehen würde, wenn der Beklagte die Forderungen unberechtigt eingezogen hätte, wäre, da er ebenfalls vor Konkurseröffnung entstanden wäre, jedenfalls nur einfache Konkursforderung (BGH ZIP 2000, 895 mwN; im übrigen s.u.). Der Zufluss der Gegenleistung nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung steht der Einziehung zur Masse nach Eröffnung des Konkursverfahrens nicht gleich (BGH aaO mwN zur KO). § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO verlangt hingegen den Einzug als Insolvenzverwalter und § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Bereicherung der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Der Beklagte hat auch Absonderungsrechte der Klägerin nicht verletzt, denn er war zur Einziehung der Forderungen befugt. Dies ergibt sich bereits aus dem auch insoweit entgegen der Ansicht der Klägerin rechtmäßigen Beschluss des AG Wetzlar vom 8.12.2003, dessen es jedoch nicht bedurft hätte. Für den Fortfall der zugunsten der Schuldnerin bereits aufgrund der Globalzession bestehenden Einziehungsermächtigung ist nämlich nach der Rechtsprechung des BGH (aaO) zu verlangen, dass der Sicherungszessionar von seinem Recht zum Widerruf Gebrauch macht, was vorliegend die Klägerin indessen nicht getan hat. Ohne einen solchen Widerruf verliert der Zedent die ihm eingeräumte Befugnis, die abgetretenen Forderungen einzuziehen, nicht ohne weiteres, wenn er in eine finanzielle Krise gerät, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt wird und die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet wird (vgl. BGH aaO zur KO). Erst mit Eröffnung des Konkursverfahrens entfällt die Einziehungsermächtigung von selbst (vgl. BGH aaO mwN).

Danach darf der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich auch zur Sicherheit abgetretene Forderungen einziehen; nicht schon die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß § 21 Abs. 2 InsO, sondern erst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder ein hier nicht erfolgter Widerspruch des Sicherungsnehmers) beenden die der Schuldnerin zuvor erteilte Einziehungsermächtigung (BGH aaO; KG NZI 1999, 500; Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2.Aufl. 2001, § 22 Rn 133), von der vorliegend der vorläufige Insolvenzverwalter auch ohne den vorgenannten Beschluss des AG Wetzlar, nämlich im Zusammenwirken mit der Schuldnerin hätte Gebrauch machen können.

Von daher kommt auch ein Anspruch der Klägerin nach § 816 Abs. 2 BGB nicht in Betracht und es scheiden zugleich Schadensersatzansprüche der Klägerin aus §§ 823, 826 BGB bereits mangels jeglicher Pflichtverletzungen des Beklagten als vorläufigem Insolvenzverwalter aus.

Damit ist das Landgericht ferner zutreffend davon ausgegangen, dass die Einziehung von Forderungen durch den vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter im Zeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Verwertungshandlung des Beklagten nach § 166 Abs. 2 InsO darstellte, die nach § 170 Abs. 1 S. 2 InsO zur Befriedigung des nach §§ 51 Nr. 1, 50 Abs. 1 InsO absonderungsberechtigten Gläubigers verpflichten würde, weil diese Pflicht nur für nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Handlungen des Insolvenzverwalters gilt, die vorliegend jedoch nicht Streitgegenstand sind.

Auch die Ablehnung einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO durch das Landgericht mangels Übergangs der Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter durch Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. InsO begegnet keinen Bedenken. Verbindlichkeiten, die auf die Zeit einer vorläufigen Insolvenzverwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückgehen, stellen keine Masseverbindlichkeiten dar (Hess/Weis/Wienberg § 55, Rn 196 mwN). Das gilt nach zutreffender, inzwischen herrschender Auffassung auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (BGH ZIP 2005, 314; 2002, 1625), selbst bei dessen Ermächtigung zum Forderungseinzug (BGH ZIP 2002, 1625); eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO hierauf scheidet mangels planwidriger Regelungslücke aus (BGH aaO; Eickmann et al., InsO, 4. Aufl. 2006, § 55 Rn 27 mwN; Uhlenbruck- Uhlenbruck/Berscheid, InsO, 12. Aufl. 2003, § 55 Rn 81; Münchener Kommentar-Hefermehl, InsO, 2001, § 55 Rn 216).

Auf die von der Beklagten erstmals im Berufungsverfahren erklärte Anfechtung der Abtretung aller nach dem 8.11.2003 entstandenen Forderungen wegen inkongruenter Deckung im Sinne des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die Fragen des Vorliegens ihrer Voraussetzungen sowie ihrer Zulassung als neues Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO kommt es nach dem Vorstehenden nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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