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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.11.2001
Aktenzeichen: 23 U 49/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97
ZPO § 713
ZPO § 322
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Die rechtskräftige Entscheidung über einen Schmerzensgeldanspruch steht der Geltendmachung eines weiteren Anspruches nicht entgegen, wenn dieser auf Verletzungsfolgen gestützt wird, die im ersten Prozess nicht erkennbar waren.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

23 U 49/01

Verkündet am 07.11.2001

In dem Rechtsstreit ...

hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main durch die Richter am Oberlandesgericht ... auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 7.11.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.1.2001 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Wert der Beschwer beträgt 30.000,- DM.

Entscheidungsgründe:

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Ausführungen des Landgerichts, auf die gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen werden kann, sind zutreffend.

Die Rechtskraft des Urteils des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8.11.1995 - 17 U 27/95 - steht der Geltendmachung eines weiteren Schmerzensgeldes entgegen.

Urteile sind nach § 322 ZPO insoweit der Rechtskraft fähig, als über den erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Unter Anspruch ist das prozessuale Begehren, d.h. der durch den Klageantrag und den zu seiner Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalt umgrenzte Streitgegenstand zu verstehen. Die Rechtskraft eines Urteils bezieht sich daher auf diejenige Rechtsfolge, die auf Grund eines bestimmten Sachverhalts am Schluss der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der Entscheidung bildet.

Bei Schmerzensgeldansprüchen wird der Streitgegenstand maßgeblich von dem zur Anspruchsbegründung vorgetragenen Verletzungstatbestand geprägt. Durch den zum Ausgleich des immateriellen Schadens zuerkannten Betrag sollen daher alle diejenigen Verletzungen abgegolten werden, die sich aus dem von den Parteien vorgetragenen Streitstoff in der letzten mündlichen Verhandlung ergeben. Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten oder nicht erkennbar waren und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt geblieben sind, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld bilden (GS BGHZ 18, 167; BGH NJW 88, 2301).

Die Frage, ob und welche im Vorprozess bereits vorliegenden Verletzungsfolgen zu erkennen und damit einschließlich ihrer naheliegenden künftigen Auswirkungen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen waren, ist objektiv, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen zu beantworten (BGH NJW 80, 2754). Es kommt nicht darauf an, wie der Kläger den Heilungsverlauf beurteilt oder ob das Gericht die Verletzungsfolgen zutreffend gewürdigt hat. Andernfalls würde man zu dem mit dem Wesen der Rechtskraft nicht zu vereinbarenden Ergebnis gelangen, dass diese mit der Behauptung in Frage gestellt werden könnte, die Entscheidung beruhe auf einer nicht vollständigen Erfassung des Streitstoffes. Dieser Einwand kann nur im Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden (BGH NJW 88, 2301). Nur wenn es sich um Verletzungsfolgen handelt, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung eines unfallursächlichen Körperschadens beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind, darf angenommen werden, dass sie vom Streit- und Entscheidungsgegenstand des Vorprozesses nicht erfasst gewesen sind (BGH NJW 80, 2754). Diese Rechtsprechung hat der BGH im Urteil vom 7.2.1995 (NJW 95, 1614) fortgeführt. Maßgeblich ist danach, ob sich bereits im Vorverfahren die jetzt zur Entscheidung stehende Verletzungsfolge als derart naheliegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt dazu, dass die vom Kläger geschilderten Umstände nicht ausreichen.

Landgericht und Oberlandesgericht haben im Vorprozess ersichtlich nicht an solche Folgen gedacht, wie sie der Kläger nunmehr mit der Behauptung ständigen Schmerzes, Schlafstörungen, völliger Arbeitsunfähigkeit und Einschränkung von bewegungsorientierten Freizeitbeschäftigungen geltend macht. Dies ergibt sich schon aus den Feststel- lungen in den Urteilen und der Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes, das für solche Folgen mit 9.000,- DM sicher nicht ausreichend gewesen wäre. Dass solche Zukunftswirkungen nicht genügend berücksichtigt worden sind und bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ersichtlich keine Rolle gespielt haben, ändert aber nichts an der Rechtskraftwirkung. Maßgeblich ist allein, ob die eingetretenen Folgen für einen Sachverständigen so vorhersehbar waren, dass ihr Eintritt nicht nur möglich, sondern naheliegend war.

Dies ist vorliegend der Fall. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich aus den eingeholten Sachverständigengutachten vom 13.7.1998 und 29.10.1999 keine wesentliche Verschlechterung des Schadensbildes ergibt. Bereits im Gutachten vom 1.3.1994 sind bestimmte Schmerzsymptome genannt, die auf das Vorhandensein sogenannter freier Gelenkkörper hindeuteten. Bei zunehmender Belastung des Sprunggelenks traten verstärkte Schmerzen und Anschwellungen auf. Dies deutete auf einen vorzeitigen Verschleiß des Sprunggelenks hin, der auch auf den Röntgenbildern zu erkennen war. Das Sprunggelenk war zu 1/5 in seiner Gebrauchsfähigkeit beeinträchtigt. Mit einer weiteren Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit war auf Grund der Zunahme des Verschleißes zu rechnen. Im Gutachten vom 13.7.1998 wird im wesentlichen das gleiche Schadensbild bestätigt, wenn auch bereits die Beeinträchtigung des unteren Sprunggelenks mit etwa 1/4 angegeben wird (Bl. 18 d.A.). Dies wird durch das Gutachten vom 29.10.1999 bestätigt, was ebenfalls eine beginnende Arthrose des oberen Sprunggelenks und eine in Zukunft zu erwartende weitere Zunahme des Verschleißes attestiert. Das Gutachten stellt weiter fest, dass die metallischen Artefakte keinen Einfluss auf die Schmerzzustände des Klägers haben können. Auch das Gutachten vom 13.4.2000 beschreibt lediglich den Zustand fortgeschrittener Arthrose des oberen Sprunggelenks.

Aus den späteren Gutachten kann mithin keine Verletzungsfolge entnommen werden, die im Gerichtsgutachten des Vorprozesses noch nicht als vorhersehbar und damit naheliegend enthalten war. Die fortschreitende Arthrose und Bewegungsbeeinträchtigung reicht deshalb nicht aus, um als neue Folge die Rechtskraft zu durchbrechen. Die Möglichkeit der Verschlechterung ist bereits vom 17. Senat bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt worden bzw. hätte berücksichtigt werden müssen.

Der Kläger beruft sich bei näherer Betrachtung auch nicht auf die nachfolgenden Gutachten, sondern bezieht sich auf die Atteste vom 19.11.97 und 10.1.98, die ihm schwerste Schmerzzustände und die dauerhafte Gabe von Analgetika bestätigen.

Es ist allerdings nicht zu erkennen, worauf die Schmerzzustände des Klägers zurückzuführen sind, weil die Gutachten entsprechende Ursachen klinisch nicht bestätigen konnten und auch das letzte Gutachten dem Kläger postoperativ knorpelfreie Zonen bestätigt hat. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger tatsächlich unter solchen Schmerzen leidet. Dafür spricht die Tatsache, dass er nach den Attesten mit starken Schmerzmitteln versehen worden ist. Es ist allerdings nichts dafür ersichtlich, dass die behaupteten Schmerzen eine andere Ursache haben und nicht ­ möglicherweise angesichts besonderer Disposition des Klägers - zwangsläufige Folge der zunehmenden Arthrose oder Bewegungsbeeinträchtigung sind.

Der Kläger hat insoweit auch nichts vorgetragen, was Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung geben könnte. Die von ihm benannten Zeugen können lediglich bestätigen, dass er an solchen Schmerzen leidet, nicht aber, welche Ursache dafür in Betracht kommt. Ebenso liegen keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten vor, da die bisher eingeholten Gutachten keine relevante körperliche Veränderung aufweisen und auch keine besondere Ursache für die ­ als Symptom bekannte ­ besondere Schmerzhaftigkeit aufzeigen konnten.

Da angesichts der Vorgutachten auch keine Anhaltspunkte für neurologische oder psychische Störungen erkennbar sind, verbleibt ­ den Sachvortrag des Klägers als richtig unterstellt ­ lediglich die Möglichkeit, dass die fortschreitende Arthrose dem Kläger erheblich mehr Schmerzen bereitet, als dies für ihn im Zeitraum des Vorprozesses der Fall war. Für den Sachverständigen und damit auch für die gerichtlichen Instanzen im Vorprozess war aber eindeutig erkennbar, dass durch die Sprunggelenksdistorsion eine fortschreitende Arthrose in Gang gesetzt worden war, die bis zur Versteifung des Sprunggelenks führen konnte. Dass dies mit stärkeren Schmerzen verbunden sein könnte, liegt auf der Hand und war mithin im Sinne der oben dargelegten Grundsätze voraussehbar und auch naheliegend.

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass im Urteil des OLG Frankfurt am Main die Ersatzfähigkeit künftiger immaterieller Schäden festgestellt worden ist. Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen wird, dargelegt, dass die Bedeutung des Feststellungstenors sich im Wesentlichen in der Unterbrechung der Verjährung für später eintretende und nicht voraussehbare Folgen erschöpft, dieser aber nicht zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.



Ende der Entscheidung

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