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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 03.12.2004
Aktenzeichen: 24 U 121/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 138
1. Die Frage nach der krassen finanziellen Überforderung der Ehefrau eines Darlehenskunden als Grundlage der widerleglichen Vermutung einer Übernahme von Bürgschaftsverpflichtungen allein aus emotionaler Verbundenheit beurteilt sich dann, wenn die Bürgin mehrere Bürgschaften für ihren Ehemann bei derselben Bank übernommen hat, aus einer Gesamtschau sämtlicher eingegangener Bürgschaften.

2. Dem so begründeten Sittenwidrigkeitsurteil kann die Bank sich nicht durch eine nachträgliche Beschränkung ihrer Bürgschaftsforderungen auf für sich betrachtet "zulässige" Teilbeträge entziehen.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

24 U 121/04

Verkündet am 03.12.2004

in dem Rechtsstreit

Der 24. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2004 durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 12.05.2004 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Klägerin ist mit mehr als 20.000,00 € beschwert.

Gründe:

1.

Die Beklagte verbürgte sich - neben ihrem Ehemann - am 25.09.1998 für den Ausgleich von Kreditforderungen der Klägerin gegen das vom Ehemann der Beklagten als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer betriebene Handelsunternehmen; sie übernahm zum einen eine Bürgschaft zur Sicherung eines Kontokorrentkredits bis zur Höhe von 50.000,00 DM, zum anderen eine Bürgschaft der Sicherung eines Darlehns in Höhe von 300.000,00 DM, jeweils zuzüglich 20 % "Pauschale für Zinsen und Kosten". Die Bürgschaften - am 25.01.1999 ergänzt um eine weitere Bürgschaft in Höhe von 60.000,00 DM - dienten der Ablösung einer früher zur Höhe von 480.000,00 DM übernommenen Bürgschaft.

Die Beklagte verdiente seinerzeit aus einem Angestelltenverhältnis zu dem vom Ehemann geführten Unternehmen ca. 1.400,00 DM monatlich; auf ihren Namen war eine Lebensversicherung abgeschlossen; deren Rückkaufswert betrug damals ca. 36.000,00 DM.

Das vom Ehemann der Beklagten geführte Unternehmen wurde insolvent; die Klägerin stellte die Darlehenskonten mit Schreiben vom 23.04.2003 fällig und kündigte mit Schreiben vom 25.04.2003 die Inanspruchnahme der Beklagten und ihres Ehemannes aus den Bürgschaften in einer Gesamthöhe von 182.538,79 € zuzüglich zukünftig anfallender Zinsen und Kosten an.

Mit Schreiben vom 03.07.2003 verzichtete die Klägerin mit Rücksicht auf die begrenzte finanzielle Leistungsfähigkeit der Beklagten auf Bürgschaftsansprüche, die über den Betrag von 60.000,00 DM aus einer der beiden Bürgschaften vom 25.09.1998 hinaus gingen.

Das Landgericht hat die auf diese Bürgschaft gestützte Zahlungsklage mit Urteil vom 12.05.2004 abgewiesen; auf das Urteil wird wegen der ihm zu Grunde gelegten tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen.

Mit der Berufung trägt die Klägerin vor, die - zuletzt insgesamt drei - von der Beklagten übernommenen Bürgschaften stellten kein einheitliches Rechtsgeschäft dar; die in diesem Prozess umstrittene Bürgschaft über 60.000,00 DM habe auch für sich allein betrachtet ihren Sinn gehabt, und für sich betrachtet habe sie die Beklagte wirtschaftlich nicht überfordert. Dies gelte um so mehr, nachdem die Klägerin auf eine Inanspruchnahme der Beklagten aus den beiden anderen Bürgschaften verzichtet habe. Ohnedies habe kein Näheverhältnis zwischen der Beklagten und der Hauptschuldnerin, der vom Ehemann der Beklagten geführten GmbH bestanden; die Vermutung, die Beklagte habe die Bürgschaft ohne eigenes wirtschaftliches Interesse allein aus persönlicher Verbundenheit mit ihrem Ehemann übernommen, sei nicht begründet. Sie habe allerdings ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Sicherung des Kredits zu Gunsten dieses Unternehmens gehabt, nämlich das Interesse am Erhalt ihres Arbeitsplatzes.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 12.05.2004, Az. 4 O 77/04, unter Aufhebung im Kostenpunkt im Übrigen wie folgt abzuändern:

Die Beklagte wird kostenpflichtig verurteilt, an die Klägerin € 30.677,51 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die in ihrer Gesamtheit zusammengehörigen Bürgschaften hätten die Beklagte in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit krass überfordert; die Klägerin habe die emotionale Notlage der Beklagten ausgenutzt, um die Bürgschaftserklärungen einzuholen.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2.

a) Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen; Ein Anspruch aus der am 25.09.1998 zur Höhe von 60.000,- DM übernommenen Bürgschaft vom besteht nicht, da der Bürgschaftsvertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist (§ 138 Abs. 1 BGB).

Wie in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ausgetragen ist, verstößt eine zu Gunsten des Ehegatten - auch: des von ihm in der Rechtsform einer Handelsgesellschaft betriebenen Unternehmens - übernommene Bürgschaft im allgemeinen gegen die guten Sitten, wenn die Bürgschaftsverpflichtung nicht auf Grund einer freien Entscheidung übernommen wurde, die Bank vielmehr die emotionale Bindung des Ehegatten an den - sei es: wirtschaftlichen - Darlehensnehmer ausgenutzt hat. Von einer solchen Ausnutzung der emotionalen Bindung ist insbesondere dann auszugehen, wenn die mit der Bürgschaft übernommene Verpflichtung den Übernehmenden finanziell krass überfordert; dies wiederum ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der Bürge nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen im Bürgschaftsfalle voraussichtlich nicht einmal in der Lage wäre, die laufenden Zinsen mit seinen eigenen finanziellen Mitteln auf Dauer aufzubringen (BGHZ 146, 37; 136, 347; WM 2000, 410; 1998, 2366; 2327).

b) Einer krassen finanziellen Überforderung wurde die Beklagte durch die seitens der Klägerin von ihr am 25.09.1998 eingeholten Bürgschaftserklärungen ausgesetzt; dies ergab sich - ohne dass es der einbeziehenden Betrachtung auch der abgelösten früheren Bürgschaften und der im Januar des folgenden Jahres übernommenen weiteren Bürgschaft bedürfte - aus dem Verhältnis der Gesamthöhe der Bürgschaften vom 25.09.1998 zum verfügbaren Einkommen und Vermögen der Beklagten. Die Bürgschaften eröffneten eine Inanspruchnahme zur Höhe von insgesamt 420.000,00 DM, nämlich zur Höhe von 60.000,00 DM einerseits, 360.000,00 DM andererseits.

Aus ihrem verfügbaren Einkommen konnte die Beklagte auf die gesicherten Darlehensforderungen nicht einmal die laufenden, nämlich überhaupt keine Zinsen aufbringen; denn das verfügbare Einkommen - das pfändbare Einkommen - unterschritt mit monatlich ca. 1.400,00 DM die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO.

Auch das verfügbare Vermögen der Beklagten reichte nicht hin, die vertragliche Zinslast über einen wesentlichen Zeitraum zu decken. Dieses Vermögen in Gestalt einer zu Gunsten der Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherung - konkret: ihres Rückkaufwertes - belief sich auf ca. 36.000,00 DM. Aus diesem Betrag hätte ausgehend von dem von beiden Parteien zugrunde gelegten Zinssatz von 6,97 % jährlich auf die mit nominal insgesamt 350.000,00 DM verbürgten Darlehen nicht einmal der Zins von eineinhalb Jahren - 36.592,50 DM - getragen werden können, und dass dies im Blick auf die Darlehnshöhe und die Einkommensverhältnisse der Beklagten kein wesentlicher Zeitraum ist, bedarf keiner Diskussion. Vertieft werden muss deshalb auch nicht, dass die Bürgschaften sogar bis zu einer 20 %-igen Pauschale an Zinsen und Kosten erteilt worden waren und der Kontokorrentkredit von vornherein höher als mit 6,97 % zu verzinsen war.

c) Der Auffassung der Klägerin, für die Beurteilung der Frage nach der finanziellen Überforderung der Bürgin komme es nicht auf die "Gesamtbelastung" der Bürgin im Verhältnis zur Kreditgeberin, also weder auf eine Gesamtschau sämtlicher zwischen den Parteien eingegangener Bürgschaften noch auch nur auf eine Gesamtschau der beiden gleichzeitig - am 25.09.1998 - übernommenen Bürgschaften an, kann das Berufungsgericht nicht folgen.

Die Frage nach der krassen finanziellen Überforderung der Ehefrau eines Darlehenskunden als Grundlage der widerleglichen Vermutung einer Übernahme von Bürgschaftsverpflichtungen allein aus emotionaler Verbundenheit ist keine Frage nach der rechtlichen Ausgestaltung vertraglicher Beziehungen, es ist vielmehr eine Frage nach ihrer tatsächlichen Ausgestaltung. Denn eine etwa festzustellende "krasse finanzielle Überforderung" ist nichts als die tatsächliche Grundlage einer bestimmten - ebenfalls tatsächlichen - Vermutung. Es ist weder die rechtliche Bezeichnung eines bestimmten auf Haftungsübernahme zielenden Geschäfts noch die äußerlich einheitliche oder aufgespaltene Beurkundung eines oder mehrerer äußerlich voneinander unabhängiger Rechtsgeschäfte, die die Grundlage der tatsächlichen Vermutung abgibt; diese Grundlage liegt vielmehr darin, dass die Ehepartnerin sich gegenüber der kreditgebenden Bank in einem Maße verpflichtet hat, welche sich aus vernünftigen wirtschaftlichen Überlegungen heraus nicht mehr erklären lässt.

In dieser Betrachtung sieht sich das Berufungsgericht in Einklang mit den Wertungen, die die in ZIP 2002, 844 veröffentlichte Entscheidung des OLG Köln vom 30.01.2002 tragen. Für die tatsächliche Belastung der Beklagten aus ihren gegenüber der Klägerin übernommenen Verpflichtungen blieb es ohne jeden Belang, ob diese Belastungen aus einem einzigen oder zwei gleichzeitig unterzeichneten und gleichartig ausgestalteten Verträgen herrührten. Jede andere Beurteilung würde - worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat - geradezu einladen, den Schutz des § 138 BGB durch Aufspaltung von Bürgschaftsverträgen in der vorliegenden vergleichbaren Konstellationen zu umgehen.

Auf die von der Klägerin aufgeworfene Problematik rechtlicher Einheitlichkeit des Geschäfts i.S.d. § 139 BGB kommt es deshalb nicht an; nur am Rande hält das Berufungsgericht deshalb fest, dass der äußere Zusammenhang der beiden zur Absicherung von Krediten zu Gunsten desselben Unternehmens durch die selbe Bank auch ungeachtet der äußeren Trennung in zwei Vertragsurkunden zur Annahme eines einheitlichen Rechtsgeschäfts geführt hätte.

d) Die angesichts der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten begründete Vermutung, dass sie sich bei der Übernahme der Bürgschaften vom 25.09.1998 nicht von ihren Interessen und einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen, vielmehr die Klägerin die emotionale Beziehung zwischen der Beklagten und ihrem Ehemann in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, hat die darlegungs- und beweisbelastete (BGHZ 146,37; WM 2002, 210) Klägerin nicht ausgeräumt. Sie hat insbesondere nicht dargetan, dass die Beklagte - was gegen die umschriebene Vermutung auf einen freien Willensentschluss hindeuten könnte - ein wesentliches oder von ihr selbst als wesentlich empfundenes Eigeninteresse an der Gewährung oder Prolongation der zu Gunsten des vom Ehemann geführten Unternehmens versprochenen oder ausgezahlten Kredite gehabt hätte, der Beklagten aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen seien. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin im Wesentlichen die Tatsache angesprochen, dass die Beklagte im Unternehmen des Ehemannes angestellt war. Angesichts des sehr begrenzten, bei klarer Betrachtung unauskömmlichen Einkommens der Beklagten von ca. 1.400,00 DM im Monat (§ 850 c ZPO) liegt die Annahme, die Beklagte habe ihr äußerst bescheidenes Einkommen durch die Übernahme von Verpflichtungen in vielfacher Höhe sichern wollen, als Ergebnis auch nur entfernt begründbarer vernünftiger Überlegung derart fern, dass das Berufungsgericht sie nicht ernstlich in Rechnung stellen kann. Mit Fällen, in denen Belegschaften von Wirtschaftsunternehmen zur Sicherung inländischer Arbeitsplätze begrenzten Gehaltsverzicht üben - wie es aktuell in einer Vielzahl von Fällen erwogen oder vollzogen wird - wäre solches nicht im Entferntesten zu vergleichen.

e) Die Klägerin muss die finanzielle Leistungsunfähigkeit der Beklagten als ihr - der Klägerin - seinerzeit bekannt gewesen gegen sich gelten lassen. Nach banküblichen Gepflogenheiten überprüfen Kreditinstitute nämlich die geforderten Sicherheiten vor der Hereinnahme mit kaufmännischer Sorgfalt auf ihre Werthaltigkeit. Sieht eine Bank davon ab, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass sie die die krasse finanzielle Überforderung begründenden objektiven Tatsachen und Verhältnisse schon bei Vertragsschluss kannte oder sich ihnen bewusst verschlossen hat (BGHZ 146, 37; WM 2000, 410; 1998, 2327; 1996, 53). Exakt dieser Schluss ist vorliegenden Falles begründet: Allein schon das Schreiben der Klägerin vom 03.07.2003, mit welchem sie "sang- und klanglos" auf die größere der beiden Bürgschaften verzichtete, zeigt, dass sie sich vor Einholung der Bürgschaften mit der Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit der Klägerin entweder gar nicht befasst hat oder sich von gewonnenen Erkenntnissen nicht hat leiten lassen. Geradezu folgerichtig nimmt sie auch nicht in Anspruch, vor der Hereinnahme der Bürgschaften die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beklagten sorgfältig geprüft zu haben und - etwa - in die Irre geleitet worden zu sein.

f) Der von der Klägerin - mit dem soeben angesprochenen Schreiben - erklärte Teilverzicht bleibt für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Bürgschaft(en) ohne Belang. Denn die Beurteilung der Wirksamkeit oder Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts hat sich an den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Vornahme dieses Geschäfts zu orientieren. Von Ausnahmefällen des Wandels sittlicher Maßstäbe abgesehen (vgl. dazu i.e. Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, § 138 Rz 10) ist in der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäftes auf die Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Vornahme abzustellen, nicht auf die - mehr oder minder zufällige - weitere Entwicklung der Dinge (BGHZ 7, 111; 107, 96; 126, 226; OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 578). Das hat die Klägerin selbst auch in anderem Zusammenhang so hervorgehoben.

3.

Das Berufungsgericht erachtet die gesetzlichen Voraussetzungen einer Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) für nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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