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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 23.01.2004
Aktenzeichen: 24 U 135/03
Rechtsgebiete: BGB, StGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 2
StGB § 266 a
1. Bestehen Anhaltspunkte für die Annahme, dass der kaufmännische Geschäftsführer einer GmbH fällige Arbeitgeberanteile nicht an die Einzugsstelle abführt, so hat der technische Geschäftsführer kraft verbliebener Überwachungspflichten Sorge dafür zu tragen, dass aus eingehenden liquiden Mitteln vorrangig Beiträge abgeführt werden.

2. Ein in diesem Sinne hinreichender Anlass zum Tätigwerden ist spätestens dann gegeben, wenn auch dem technischen Geschäftsführer bekannt wird, dass die liquiden Mittel nicht mehr hinreichen, sämtliche fälligen Verbindlichkeiten sofort zu erfüllen.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

24 U 135/03

Verkündet am 23. Januar 2004

in dem Rechtsstreit

...

Der 24. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2004 durch ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 29.04.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 6.525,03 € nebst jeweils 4 % Zinsen aus

217,32 € für die Zeit vom 16.07.1999 bis 15.08.1999,

2.483,16 € für die Zeit vom 16.08.1999 bis 15.09.1999,

3.673,57 € für die Zeit vom 16.09.1999 bis 15.10.1999,

5.568,49 € für die Zeit vom 16.10.1999 bis 15.11.1999,

7.207,91 € für die Zeit vom 16.11.1999 bis 15.12.1999,

9.125,01 € für die Zeit vom 16.12.1999 bis 05.11.2002,

8.925,01 € für die Zeit vom 06.11.2002 bis 03.01.2003,

8.725,01 € für die Zeit vom 04.01.2003 bis 05.02.2003,

8.525,01 € für die Zeit vom 06.02.2003 bis 05.03.2003,

8.325,01 € für die Zeit vom 06.03.2003 bis 03.04.2003,

8.125,01 € für die Zeit vom 04.04.2003 bis 05.05.2003,

7.925,01 € für die Zeit vom 06.05.2003 bis 03.06.2003,

7.725,03 € für die Zeit vom 04.06.2003 bis 03.07.2003,

7.525,03 € für die Zeit vom 04.07.2003 bis 02.09.2003,

7.325,03 € für die Zeit vom 03.09.2003 bis 02.10.2003,

7.125,03 € für die Zeit vom 03.10.2003 bis 05.11.2003,

6.925,03 € für die Zeit vom 06.11.2003 bis 02.12.2003,

6.725,03 € für die Zeit vom 03.12.2003 bis 05.01.2004 und

6.525,03 € für die Zeit ab 06.01.2004

zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte ist mit weniger als 20.000,00 Euro beschwert.

Gründe:

1.

Der Beklagte war Geschäftsführer der Firma X Baudekoration GmbH; Mitgeschäftsführer waren die Zeugen Z 1 und Z 2. Alle drei Geschäftsführer waren zugleich Gesellschafter.

In dem mit dem Beklagten geschlossenen Anstellungsvertrag vom 21.11.1998 hieß es u. a.: "§ 1 Aufgaben und Pflichten... Herrn Y obliegen insbesondere die Aufgaben, die... zum Geschäftsbereich des technischen Geschäftsführers gehören." An entsprechender Stelle hieß es im Anstellungsvertrag des Zeugen Z 2 vom selben Tage:

"... die Aufgaben, die... zum Geschäftsbereich des kaufmännischen Geschäftsführers gehören." Die Gesellschaft war in Zahlungsschwierigkeiten. Sie führte vom 01.06. bis 30.11.1999 einbehaltene Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht an die Klägerin - die zuständige Einzugsstelle - ab.

Hieran anknüpfend begehrt die Klägerin Schadensersatz wegen der Verletzung von Geschäftsführerpflichten.

Sie trägt vor, seit Anfang 1999 sei offensichtlich gewesen, dass die GmbH in eine finanzielle "Schieflage" geraten sei. Das habe dem Beklagten vor Augen gestanden.

Die Klägerin hatte ihre Beitragsausfälle zunächst auf 9.125,01 € angesetzt, nach Ausgleichszahlungen des Zeugen Z 2 in erster Instanz zuletzt noch 8.325,01 € nebst Zinsen verlangt.

Der Beklagte hat vorgetragen, als technischer Geschäftsführer sei er mit den Geschäftsbereichen "Personalwesen" und "Sozialversicherung" nicht befasst gewesen.

Er habe sich bis zum Ausscheiden des Zeugen Z 2 - Ende 1999 - darauf verlassen, dass dieser seinen Pflichten als kaufmännischer Geschäftsführer entsprechend alle Beiträge korrekt abführe.

Das Landgericht hat - nach Beweiserhebung über diesen Komplex - den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Sachanträge wird auf den Tatbestand des Urteils vom 29.04.1003 Bezug genommen.

Im Berufungsverfahren trägt der Beklagte vor, mit der Zuweisung einer ausschließlichen Geschäftsführungszuständigkeit für den technischen Bereich seien seine Geschäftsführerpflichten auf technische Fragen konzentriert worden, und in kaufmännischen Fragen habe sich lediglich eine Überwachungsverpflichtung ergeben. Eine solche Verpflichtung habe er nicht verletzt, da der kaufmännische Geschäftsführer ihm nichts von den Liquiditätsproblemen der Gesellschaft gesagt habe. Das Landgericht habe die Aussagen der Zeugen Z 2 und Z 1 zum Nachteil des Beklagten fehlerhaft gewürdigt. Mit Schriftsatz vom 02.01.2004, ergänzt durch Schriftsatz vom 22.01.2004, trägt der Beklagte vor, die von der Klägerin angesetzten Beiträge überstiegen das bei richtiger Berechnung anzusetzende Maß.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29.04.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt anschließend an weitere Ausgleichszahlungen des Mitgesellschafters Z 2,

die Berufung des Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29.04.2003, 13 O 489/02, wird kostenpflichtig zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass der Beklagte unter Tragung der Kosten nunmehr dahingehend verurteilt wird, an die Klägerin 6.525,03 € nebst jeweils 4 % Zinsen aus

217,32 € für die Zeit vom 16.07.1999 bis 15.08.1999,

2.483,16 € für die Zeit vom 16.08.1999 bis 15.09.1999,

3.673,57 € für die Zeit vom 16.09.1999 bis 15.10.1999,

5.568,49 € für die Zeit vom 16.10.1999 bis 15.11.1999,

7.207,91 € für die Zeit vom 16.11.1999 bis 15.12.1999,

9.125,01 € für die Zeit vom 16.12.1999 bis 05.11.2002,

8.925,01 € für die Zeit vom 06.11.2002 bis 03.01.2003,

8.725,01 € für die Zeit vom 04.01.2003 bis 05.02.2003,

8.525,01 € für die Zeit vom 06.02.2003 bis 05.03.2003,

8.325,01 € für die Zeit vom 06.03.2003 bis 03.04.2003,

8.125,01 € für die Zeit vom 04.04.2003 bis 05.05.2003,

7.925,01 € für die Zeit vom 06.05.2003 bis 03.06.2003,

7.725,03 € für die Zeit vom 04.06.2003 bis 03.07.2003,

7.525,03 € für die Zeit vom 04.07.2003 bis 02.09.2003,

7.325,03 € für die Zeit vom 03.09.2003 bis 02.10.2003,

7.125,03 € für die Zeit vom 03.10.2003 bis 05.11.2003,

6.925,03 € für die Zeit vom 06.11.2003 bis 02.12.2003,

6.725,03 € für die Zeit vom 03.12.2003 bis 05.01.2004 und

6.525,03 € für die Zeit ab 06.01.2004

zu zahlen.

Sie trägt vor, die Liquiditätsprobleme der Gesellschaft seien dem Beklagten positiv bekannt gewesen. Ohnedies habe er sich kraft seiner Allzuständigkeit über die wirtschaftliche Lage der GmbH regelmäßig informieren müssen.

Wegen des zweitinstanzlichen Vortrages der Parteien im Einzelnen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2.

Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat den Beklagten zu Recht zum Schadensersatz wegen der Verletzung der Pflichten eines Geschäftsführers einer GmbH verurteilt. Der Urteilsausspruch ist lediglich an die durch Teilzahlungen des Mitgeschäftsführers Z 2 verminderte aktuelle Schadenssumme anzupassen.

a)

Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vorenthält, ist der Einzugsstelle zum Schadensersatz verpflichtet (§§ 823 Abs. 2 BGB, 266 a Abs. 1 StGB). Ist Arbeitgeberin eine juristische Person, so ist straf- und haftungsrechtlich verantwortlich das vertretungsberechtigte Organ, im Falle der GmbH damit ihr - jeder - Geschäftsführer (BGHZ 133, 370). In diesem Sinne vorenthalten sind erarbeitete Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dann, wenn sie bei Fälligkeit nicht an die zuständige Einzugsstelle abgeführt werden (BGHZ 144, 311; 133, 370).

b)

Wie der Beklagte nicht in Abrede stellt, wurden im Zeitraum Juni bis November 1999 die Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen der bei der Gesellschaft tätigen - sieben - Arbeitnehmer zum Fälligkeitszeitpunkt jeweils am 15. des Folgemonats und auch anschließend an die Klägerin nicht abgeführt.

c)

Die Abführung der Beiträge war der Gesellschaft - so ist es ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung des § 266 a StGB (BGHZ 133, 370; 134, 304; VersR 1998, 468) - auch möglich: Der Beklagte hebt - Schriftsatz vom 09.12.2002, Bl. 5 - selbst hervor, dass die GmbH seinerzeit über genügend Mittel verfügte, um ihren Verbindlichkeiten nachzukommen.

d)

Der Beklagte ist mit dem Vorwurf vorsätzlichen Unterlassens, vorsätzlicher Missachtung seiner Geschäftsführerpflichten in der Vorenthaltung der Beiträge belastet.

Vorsatz - wie ihn § 266 a Abs. 1 StGB voraussetzt - fordert das Wissen um die - Möglichkeit der - Vorenthaltung erarbeiteter Beiträge einerseits, den Willen andererseits, den Arbeitgeber- bzw. Geschäftsführerpflichten entgegen nicht für die Abführung der Beiträge zu sorgen (BGH VersR 2001, 902).

aa)

Das Berufungsgericht zweifelt ebenso wenig wie das Landgericht daran, dass dem Beklagten die Möglichkeit, der kaufmännische Geschäftsführer werde die geschuldeten Beiträge nicht abführen, vor Augen stand, dass dem Beklagten also bewusst war, dass die - durchaus vorhandenen - liquiden Mittel der GmbH nicht dafür ausreichten, sämtliche Verbindlichkeiten zu erfüllen. Wenn sich das Landgericht auf der Grundlage des Vortrages der Parteien und der Aussagen der Zeugen Z 1 und Z 2 die Überzeugung verschafft hat, dass man unter den Gesellschaftern und Geschäftsführern über die schlechte wirtschaftliche Lage der GmbH gesprochen habe, dass man gemeinsam festgelegt habe, wie die eingehenden liquiden Mittel auf fällige Verbindlichkeiten "verteilt" werden sollten, dann sieht das Berufungsgericht in der Beweiswürdigung des Landgerichts nichts, was Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil begründen könnte. Deshalb besteht auch kein Raum für eine nochmalige Vernehmung des Zeugen Z 1, wie der Beklagte sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht beantragt hat (§ 529 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 ZPO). Es sieht nur Anlass, herauszustellen, dass die Behauptung des Beklagten, man habe unter den Gesellschaftern/Geschäftsführern bis zum Ausscheiden des Zeugen Z 2 niemals "über Geld gesprochen", absolut unglaubhaft erscheint. Immerhin wollte der Beklagte von den Erträgen der GmbH leben.

bb)

Der Beklagte verletzte durch sein Stillhalten konkrete Geschäftsführerpflichten. Zwar war seine deliktische Verantwortlichkeit auf eine Überwachungspflicht beschränkt; denn die Wahrnehmung der kaufmännischen Aufgaben - so auch die Sicherstellung der Abführung fälliger Sozialversicherungsbeiträge - war durch interne Zuständigkeitsregelung dem Mitgeschäftsführer Z 2 übertragen worden. Eine solche Aufteilung der Geschäfte ist straf- und haftungsrechtlich grundsätzlich beachtlich, da der Geschäftsführer seinen Handlungspflichten für die Gesellschaft auf unterschiedliche Weise, so auch durch die Mitwirkung an einer Regelung nachkommen darf, durch die jedem Geschäftsführer bestimmte Aufgaben zugewiesen werden (BGHZ 133, 370; VersR 2001, 902).

Auch unter der Geltung interner Zuständigkeit verbleiben bei jedem Geschäftsführer aber Überwachungspflichten, Pflichten, dann einzugreifen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den - intern - zuständigen Geschäftsführer nicht mehr gewährleistet ist; denn nach außen trifft den - jeden - Geschäftsführer grundsätzlich eine "Allzuständigkeit" (BGHZ 133, 370; VersR 2001, 902).

War dem Beklagten - vgl. oben aa) - bewusst, dass die Gesellschaft in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte, war ihm zugleich bewusst, dass durchaus liquide Mittel zur Verfügung standen, um fällige Verbindlichkeiten auszugleichen, dann hatte er die Pflicht, das Wirken des kaufmännischen Geschäftsführers dahin zu überprüfen, ob und dass aus den liquiden Mitteln der GmbH zunächst die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt würden, musste sich notfalls sogar bei der Einzugsstelle - der Klägerin - rückversichern, ob Verbindlichkeiten offen standen; sozialversicherungsrechtliche Verbindlichkeiten waren vorrangig zu erfüllen (BGHZ 134, 304; VersR 2001, 902).

e)

Der Höhe nach ist der Beklagte in dem - lediglich durch Abzug zwischenzeitlicher Ausgleichszahlungen des Mitgeschäftsführers Z 2 anzupassenden - Umfang zu verurteilen, wie er sich aus dem Beitragsansatz der Klägerin in erster Instanz ergeben hat. Dieser Beitragsansatz war in seiner Richtigkeit bis zum 05.01.2004 - dem Tage des Eingangs des Schriftsatzes vom 02.01.2004 - unumstritten; das neue Vorbringen des Beklagten muss in der Berufungsentscheidung unberücksichtigt bleiben.

Denn neue Verteidigungsmittel sind in der Berufungsinstanz nur dann zuzulassen, wenn sie entweder einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, oder infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht (§ 531 Abs. 2 ZPO). Stehen die ersten beiden Zulassungstatbestände von vornherein nicht im Raum, so kommt auch keine Zulassung deshalb in Betracht, weil das verspätete Bestreiten der Beitragshöhe nicht auf einer Nachlässigkeit des Beklagten beruhte.

Die von ihm mit seinem neuen Vortrag verbundene Erklärung, es habe sich (gemeint ist wohl: erst) "jetzt herausgestellt", dass der Ansatz der Klägerin nicht den tatsächlich erarbeiteten Beiträgen entspreche, "erst in den letzten Tagen" habe "wegen der Insolvenz der Firma die eigentliche Forderungshöhe ermittelt werden" können, stellt keine zureichende Entschuldigung des verspäteten Vorbringens im Sinne des § 531 Abs. 2 3. Fall ZPO dar. Spätestens seit Abweisung des Insolvenzantrages am 13.02.2002 hatte der Beklagte kraft seiner Stellung als Gesellschafter und Geschäftsführer/Liquidator freien Zugriff auf die geschäftlichen Unterlagen der Gesellschaft.

Er hätte - sogar - bereits vor Zustellung des Mahnbescheides in dieser Sache, erst recht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im März 2003 klären können, in welcher Höhe nach seiner Berechnung Beiträge erarbeitet worden sein könnten.



Ende der Entscheidung

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