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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 02.07.2004
Aktenzeichen: 24 U 15/96
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 II
BGB § 903
BGB § 1004
1. Mit der abschließenden verwaltungsgerichtlichen Erkenntnis zur Rechtmäßigkeit eines genehmigten Bauvorhabens steht mit Bindungswirkung unter den Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens auch für den Zivilprozess fest, dass die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Schutznormen nicht zu Lasten des Nachbarn verletzt wurden.

2. Die öffentlich-rechtlichen Grundsätze zum enteignenden Eingriff sind auf das zivilrechtliche Verhältnis unter Nachbarn nicht zu übertragen; aus rechtmäßigem Eingriff in die Belange des Nachbarn kann kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch entstehen.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

24 U 15/96

Verkündet am 02.07.2004

in dem Rechtsstreit

Der 24. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2004 durch die Richter ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 13.12.1995 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Der Kläger ist mit mehr als 20.000,00 € beschwert.

Gründe:

1.

Der Kläger ­ Grundstücksnachbar der Beklagten ­ begehrt Ausgleich der Einbußen, die er in einer nach seiner Beurteilung rechtswidrigen, übermäßigen Bebauung des von den Beklagten bewohnten Grundstückes.

Das Grundstück des Klägers ist mit einem eingeschossigen Wohnhaus mit geneigtem Dach bebaut. Die Terrasse liegt auf der dem Wohnhaus der Beklagten zugewandten Seite des Gebäudes. Der Beklagte zu 1) beantragte im Jahre 1992 die Erteilung einer Baugenehmigung mit dem Ziel einer Aufstockung seines Wohnhauses; dem bis dahin zweigeschossigen Gebäude sollten ein drittes und ­ die rechtliche Einordnung als "Vollgeschoss" ist streitig ­ ein Dachgeschoss hinzugefügt werden.

Nachdem die Baugenehmigung erteilt worden war, legte der Kläger Widerspruch ein und führte im Wesentlichen aus, das Bauvorhaben des Beklagten weise drei Vollgeschosse auf und halte die erforderlichen Grenzabstände nicht ein. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen.

Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage blieb in beiden Instanzen im Wesentlichen erfolglos.

Bereits vor Einleitung des Widerspruchsverfahrens hatte der Kläger die Beklagten vor den Zivilgerichten auf Beseitigung des Dachgeschosses/dritten Vollgeschosses, hilfsweise auf Ausgleich in Geld in Anspruch genommen. Die Kammer hat die Klage abgewiesen. Wegen der von ihr getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil vom 13.12.1995 Bezug genommen.

Mit der Berufung hatte der Kläger zunächst seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt; auf der Grundlage des ihm ungünstigen Ausganges des Verwaltungsstreitverfahrens hat der Kläger nunmehr den auf Beseitigung gerichteten bisherigen Hauptantrag fallengelassen und begehrt nur noch Ausgleich der von ihm gesehenen Einbußen in Geld.

Er trägt vor, das Wohnhaus der Beklagten nutze das Grundstück ­ verglichen mit dem Charakter des Wohngebietes ­ im Übermaß; der Giebel rage extrem hoch und beschatte das Grundstück des Klägers stark. Mehrere Räume sowie die Terrasse würden verdunkelt. Damit habe sich auch der Verkehrswert seines Hausgrundstückes um 200.000,00 DM/ca. 100.000,00 € verringert.

Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 102.258,38 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, ihr Wohnhaus verschatte das Haus des Klägers und seine Terrasse nicht; planungsrechtlich sei das Maß der Bebauung ihres Grundstückes ohne weiteres auch auf der Grundlage eines Bebauungsplanes denkbar. Ein Ausgleich etwaiger Belastungen des Klägers ­ seines Grundstückes ­ sei auch nicht unter Billigkeitsgesichtspunkten geboten; ein solcher Ausgleich komme nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht.

Wegen des zweitinstanzlichen Sachvortrages im Einzelnen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2.

Die Berufung ist unbegründet; der mit ihr ­ noch ­ verfolgte Schadensersatz- oder Ausgleichsanspruch steht dem Kläger nicht zu.

a) Ein Schadensersatzanspruch ist nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Schutzgesetzverletzung dergestalt begründet, dass das Wohngebäude der Beklagten das Eigentum des Klägers rechtswidrig beeinträchtigte und die Beklagten deshalb "an sich" zur Beseitigung des Aufbaus verpflichtet wären (§ 823 Abs. 2 i. V. m. § 1004 BGB).

Eine von der Nutzung des Nachbargrundstückes ausgehende Beeinträchtigung - eine solche in Gestalt von Schattenwurf unterstellt ­ eröffnet nur dann einen Beseitigungsanspruch, wenn diese Beeinträchtigung rechtwidrig ist. Wird die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs im Rahmen des § 1004 BGB auch im Grundsatz durch die bloße Tatsache einer Beeinträchtigung als solche indiziert, so ist der Beseitigungsanspruch doch ausgeschlossen, wenn der betroffene Eigentümer zur Duldung verpflichtet, der Eingriff ­ deshalb nicht rechtswidrig ist (§ 1004 Abs. 2 BGB). Den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen Eingriffe des Nachbarn zu dulden sind, umschreibt insbesondere § 906 BGB; diese Bestimmung dient dem Interessenausgleich zwischen den Grundstücksnachbarn, dem Ausgleich zwischen einem denkbar beiderseitig unbeschränkten Recht, mit dem Grundstück nach Belieben zu verfahren (§ 903 Alt. 1 BGB) und einem denkbar uneingeschränkten Recht, den jeweils Anderen von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903 Alt. 2 BGB). Den notwendigen Interessenausgleich schafft die in § 906 BGB getroffene Regelung dadurch, dass sie nur die Zuführung von so genannten Imponderabilien (Gase, Dämpfe, Gerüche, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliches), von positiv die Grenze überschreitend sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen verbietet. So genannte negative Einwirkungen, so den Entzug von Sonnenlicht, verbietet § 906 BGB hingegen nicht (BGH NJW-RR 2003, 1313; NJW 1991, 1672; NJW 1984, 729; Palandt-Bassenge, BGB, 63. Aufl. 2004, § 906 Rz 4; § 903 Rz 9).

b) Die Beklagten sind dem Kläger auch nicht zum Schadensersatz wegen der Verletzung drittschützender Normen des Baurechts verpflichtet (§§ 823 Abs. 2, 1004 analog BGB).

Zwar kann sich ­ wie der Kläger es zu Recht hervorhebt ­ die Verletzung planungsrechtlicher Gebote, so des § 34 Abs. 1 BBauG als Verletzung einer ­ auch ­ dem Schutz des Nachbarn dienenden gesetzlichen Regelung darstellen (BGHZ 1221; BVerwG DVBl 1989, 1055); dasselbe gilt für die öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Grenzabstand (BGHZ 66, 356; NJW 1985, 2836).

Das verwirklichte Bauvorhaben des Beklagten steht aber mit den einschlägigen Normen des öffentlichen Rechts im Einklang; die ihm erteilte Baugenehmigung ist ­ von im vorliegenden Rechtsstreit nicht interessierenden unwesentlichen Teilaspekten abgesehen ­ rechtmäßig erteilt worden.

Auf der Grundlage des Urteils des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 18.09.2001 und des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Mai 2003 steht zwischen den Parteien fest, dass die dem Beklagten erteilte Baugenehmigung rechtmäßig ist. Am Verwaltungsgerichtsverfahren war neben dem Kläger als - ebenfalls ­ dortigem Kläger und dem dortigen Beklagten ­ dem Landreis DarmstadtDieburg ­ beteiligt auch der Beklagte des vorliegenden Verfahrens als Bau-Antragsteller. Da seine Beiladung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine notwendige war ­ die Entscheidung über die Baugenehmigung konnte auch ihm gegenüber nur einheitlich getroffen werden (BVerwG 51, 275; 57, 35) -, und deshalb wirkte die Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung unmittelbar zwischen diesen Parteien (§§ 121 Ziffer 1, 65 Abs. 1 VwGO; Kopp/Schenke, VwGO, 13 Aufl. 2003, § 121 Rz 25). Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war die baubzw. bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens, insbesondere im Blick auf die Einhaltung der Grenzabstände und die Einpassung in die Umgebung (§ 34 BauGB); dass das Bauvorhaben mit den diesbezüglichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Einklang stand, war der den Urteilsausspruch tragende Gedanke, und dieser Gedanke erwächst ­ deshalb ­ mit dem Urteilsausspruch in Rechtskraft (BGH NJW-RR 2001, 477; NJW 1995, 968).

Mit der abschließenden verwaltungsgerichtlichen Erkenntnis zur Rechtsmäßigkeit des genehmigten Baus steht ­ notwendig die am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligte Beklagte einschließend ­ mit Bindungswirkung auch im Zivilprozess fest, dass die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Schutznormen nicht zu Lasten des Klägers verletzt wurden (vgl. hierzu BGHZ 117, 159; 86, 226). Die verwaltungsgerichtliche Anwendung der bau- bzw. bauplanungsrechtlichen Normen hat den Norminhalt im Blick auf das konkrete Bauvorhaben abschließend definiert.

c) Dem Kläger steht auch keine Geldentschädigung nach den Grundsätzen zum sog. nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch ­ über § 242 BGB, analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ­ zu.

Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen tatsächlichen Gründen jedoch nicht unterbinden kann, und wenn er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß an Beeinträchtigung übersteigen (BGHZ 155, 99; 147, 45; 142, 66; 90, 255; 58, 149).

An diesen Voraussetzungen fehlt es aber schon deshalb, weil die vom Grundstück der Beklagten ausgehende Einwirkung nicht rechtswidrig ist; die sog. negative Einwirkung in Gestalt des ­ zu unterstellenden ­ Entzuges von Sonnenlicht ist vom Kläger zu dulden (vgl. oben a)).

Einen Ausgleichsanspruch aus rechtmäßigem Eingriff kennt das deutsche Recht nur dort, wo es um die Auswirkungen hoheitlicher Tätigkeit geht (Grundsätze zum enteignenden Eingriff).

Unabhängig von der Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Einwirkung auf das Nachbargrundstück ist ein Ausgleichsanspruch auf der Grundlage des sog. nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn ein billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Da die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren haben, ist solches ­ nämlich ein dringendes Gebot billigen Ausgleichs ­ nur in Ausnahmefällen anzunehmen, in denen eine entschädigungslose Hinnahme einer vom Nachbargrundstück ausgehenden Beeinträchtigung mit einer an Treu und Glauben orientierten Bewertung der Pflichten zu nachbarlicher Rücksichtnahme schlechterdings nicht zu vereinbaren wäre (BGH NJW 2003, 1392; 1995, 2635; LM § 903 Nr. 2).

Von einem solchen Ausnahmefall, davon, dass eine entschädigungslose Hinnahme des nunmehr gegebenen Zustandes dem Kläger schlechterdings nicht zuzumuten wäre, kann aus der Sicht des Senats aber keine Rede sein. Das Gebäude des Klägers wird schon von der von ihm selbst gesetzten Bepflanzung, insbesondere vom dichten Baumbewuchs stark beschattet. Das wird aus den von Beklagtenseite vorgelegten Lichtbildern (Anlagen K 4 ff. zum Schriftsatz vom 25.08.1995) anschaulich und zeigt sich gerade auf der dem Grundstück der Beklagten zugewandten Seite auch auf den vom Kläger in Anlage zur Klageschrift vorgelegten Polaroidfotos.

Das Haus der Beklagten ist auch durch die starke Abschrägung der Dachflächen so angelegt, dass es den Einfall des Sonnenlichts nicht im Übermaß behindert, erreicht es doch als Folge der starken Abschrägung seine höchsten Punkte erst in deutlicher Entfernung zum Grundstück des Klägers; das Dach wirkt gewissermaßen als "Einfallsrampe" für das naturgemäß von oben einfallende Sonnenlicht. Die Belichtung des Grundstücks des Klägers ist ausweislich der von ihm wie der von den Beklagten vorgelegten Fotografien weit besser als es für die Wohnungen einer Vielzahl von Menschen im hiesigen Bereich gilt.

Da schon die tatbestandlichen Voraussetzungen eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs nicht gegeben sind, kann dahingestellt bleiben, ob Teile des Verkehrs das Grundstück des Klägers im Blick auf die Bebauung des Nachbargrundstückes als gemindert betrachten könnten. Nur am Rande merkt der Senat deshalb an, dass er die Annahme einer wesentlichen Wertminderung­ gar in fünfstelliger Höhe ­ rundheraus ausschließt. Auch das nunmehr entstandene Bild ­ das Verhältnis der Nachbarhäuser und -grundstücke ­ stellt sich als im hiesigen Raum sowohl in großzügigeren städtischen Randlagen als auch in ländlichen Lagen mit freierer Wohnbebauung "alltäglich" dar; die richterliche Erfahrung der Mitglieder des Sentas reicht hin, zu beurteilen, dass ein Verhältnis der Gebäude und Grundstücke, wie es aus den vorgelegten Lichtbildern anschaulich wird, allenfalls in ausgesprochenen Villenlagen Auswirkungen auf die Wertschätzung des Verkehrs hätte; die vorgelegten Lichtbilder weisen das Baugebiet aber nicht als in diesem Sinne herausgehoben aus.

3.

Der Senat erachtet die gesetzlichen Voraussetzungen einer Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht für gegeben.

Ende der Entscheidung

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