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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 10.03.2006
Aktenzeichen: 24 U 31/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1004
Zur Verwirkung eines Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche aus § 1004 BGB.
Gründe:

1. Die Kläger sind seit dem Jahre 2004 Eigentümer eines Gartengrundstückes. Durch dieses Grundstück verläuft eine von der Beklagten betriebene Gasleitung, die im Jahre 1965 verlegt wurde. Nunmehr verlangen die Kläger die Beseitigung der Leitung.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der von ihm gefundenen Gründe sowie der getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil vom 22.11.2005 verwiesen.

Mit der Berufung tragen die Kläger vor, sie seien der Beklagten nicht auf der Grundlage des § 8 AVBGasV zur Duldung der Leitung verpflichtet, da sie nicht Anschlussnehmer i. S. der Regelung seien.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Landgerichts Darmstadt abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die von ihr auf dem Grundstück Flur ..., Flurstück ... in O1 verlegte Gasleitung zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, die Klägerseite sei schon deshalb Anschlussnehmer, weil der Kläger eine Wohnung auf seinem in der Nachbarschaft des streitigen Grundstückes gelegenen Hausgrundstück - wie unstreitig ist - vermietet habe und dorthin Gas geliefert werde. Die Leitung diene der Versorgung einer Vielzahl von Verbrauchern in der Gemeinde. Jegliche Beseitigungsansprüche seien auch verjährt oder verwirkt.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sachvortrages der Parteien wird auf die vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze verwiesen.

2.

Die Berufung ist unbegründet.

a)

Zwar sind die positiven Voraussetzungen eines Beseitigungsanspruches zugunsten der Kläger - § 1004 Abs. 1 BGB - erfüllt. Denn die Kläger sind Eigentümer des Grundstückes, durch das die Gasleitung verläuft; diese Leitung beeinträchtigt durch ihr bloßes Vorhandensein im Erdreich das Eigentum; und als Betreiberin der Leitung ist die Beklagte "Störerin".

Die Eigentumsstörung stellte sich im Ansatz auch als widerrechtlich dar; eine von der seinerzeitigen Eigentümerin möglicherweise, sei es - vertreten - ausdrückliche, sei es stillschweigende Genehmigung wäre rein schuldrechtlicher Natur und würde die Klägerin deshalb nicht binden (allg. hierzu BGH NJW 1976, 416; Hanseatisches OLG NJW-RR 1991, 403).

b)

Ob ein Beseitigungsanspruch schon deshalb ausgeschlossen ist, da die Kläger zur Duldung verpflichtet sind (§ 1004 Abs. 2 BGB), kann dahingestellt bleiben; denn ein etwa bestehen gebliebener Beseitigungsanspruch wäre verwirkt:

c)

Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche aus § 1004 BGB sind grundsätzlich wie alle subjektiven Rechte "verwirkbar" (OLG Köln NJW-RR 1998, 1625; Palandt-Bassenge, BGB, 65. Aufl. 2006; vgl. auch OLG Stuttgart ZMR 1998, 802).

Die sachlichen Voraussetzungen einer Verwirkung sind eingetreten; die Eigentümerseite hat ein Recht auf Beseitigung der Leitung über einen längeren, unter den konkreten Umständen erheblichen Zeitraum hinweg nicht geltend gemacht ("Zeitmoment"); und das Versorgungsunternehmen hat sich hierauf eingerichtet, durfte unter den gegebenen Umständen auch darauf vertrauen, dass der Anspruch zukünftig nicht geltend gemacht werden würde ("Umstandsmoment").

Das "Zeitmoment" ist ganz greifbar erfüllt; die Voreigentümerin duldete im Bewusstsein des Vorhandenseins der Leitung deren Bestand über etwa 29 Jahre hinweg, nämlich seit der Verlegung im Jahre 1965 bis hin zum Verkauf des Gartengrundstückes im Jahre 2004.

Auch das "Umstandsmoment" ist gegeben. Die Beklagte durfte von Anfang an davon ausgehen, dass die seinerzeitige Eigentümerin mit der Verlegung der Leitung einverstanden sei; sie hat die ausdrücklich auf ihr Einverständnis abstellende schriftliche Erklärung des Herrn A vom 12.02.1965 unwidersprochen stehen lassen, hat auch in der Folgezeit keine Einwände erhoben; aus der vernünftigen Sicht der Beklagtenseite konnte überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die Eigentümerin in der Tat mit der Verlegung - und folgerichtig dem Bestand - der Leitung einverstanden sei. Nur zur Vermeidung von Missverständnissen hält das Berufungsgericht fest, dass die im Schreiben vom 12.02.1965 gebrauchten Worte "gestatte ich Ihnen die vorübergehende Inanspruchnahme meines Grundstückes" nicht etwa dahin auszulegen waren, dass die Leitung nur vorübergehend im Grundstück verbleiben solle, sondern dass die Grundstücksoberfläche in dem Sinne "vorübergehend" in Anspruch genommen werden sollte, dass die Kabel- und Verlegearbeiten vorübergehen würden.

Der Charakter des Grundstückes als bloßes Gartengrundstück gab dem in der Einwilligung angelegten und im Ablauf von Jahrzehnten gefestigten Vertrauen der Beklagtenseite in den Fortbestand ihres Nutzungsrechts eine zusätzliche Grundlage; denn eine "Kollision" mit dem Wurzelwerk der auf dem Grundstück angepflanzten Eiche offenbarte sich nicht, und mit der Notwendigkeit eines tieferen Aushebens von Erdreich war - eben weil es sich um ein Gartengrundstück handelt - nicht zu rechnen. Von daher durfte - und darf - die Beklagte davon ausgehen, dass Beseitigung nicht verlangt werden würde, wie keine wesentliche Veränderung der Umstände eintreten, wie keine greifbare tatsächliche Störung von der Leitung ausgehen würde.

Die Beklagte hat sich auch auf den Bestand der Einwilligung eingerichtet. In der Zeit nach der Verlegung der Leitung wurde nämlich die gemeindliche Straßen- und Wegeplanung geändert; an die Stelle einer zuvor im angrenzenden Bereich geplanten Straße trat ein mit etwa einem Meter relativ schmaler, direkt an die Uferböschung des dort verlaufenden Gewässers angrenzender Fußweg. Eine Verlegung der Gasleitung in diesen schmalen Bereich hinein wäre - wie dem Berufungsgericht offensichtlich erscheint - nicht ganz einfach, schwieriger jedenfalls als eine Verlegung im breitflächigen Bereich einer Straße. Hätte man damals die spätere "Rücknahme" der Einwilligung vorausgesehen, dann hätte die Beklagte - wie kraft ihrer Stellung im System der gemeindlichen Daseinsvorsorge sehr nahe gelegen hätte - auf die Gemeinde und damit die Planung einwirken können, um günstigere Voraussetzungen zu schaffen.

Die so eingetretene Verwirkung greift auch zu Lasten der Rechtsnachfolger der früheren Eigentümerin, zu Lasten der Kläger. Ihr sachlicher Grund liegt in den Wirkungen, die ein in vertrauensbegründenden Umstände gebetteter Zeitablauf auf Seiten des Verpflichteten schafft. Die Verwirkung belastet nicht eine bestimmte Person - inahber des verwirkten Rechts - , gibt vielmehr dem Gesamtkomplex der Umstände, in die das Recht eingebettet ist, das Gepräge. Rechtsnachfolger können das Recht nicht frei von der mit seiner Verwirkungen begründeten Belastung erwerben (OLG Köln NJW-RR 1998, 1625; OLG Stuttgart ZMR 1998, 802; vgl. auch BayObLG NJW-RR 1991, 1041).

3.

Das Berufungsgericht erachtet die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision für nicht gegeben; insbesondere sind die das Urteil tragenden Grundsätze zur Verwirkung in der Rechtsprechung ausgetragen.

Ende der Entscheidung

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