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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 12.01.2001
Aktenzeichen: 24 U 95/99
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 3 Abs. 2 a
StVO § 3 Abs. 3 Ziffer 1
StVO § 3 Abs. 3 Ziffer 2 a
Zu den Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrers, wenn sich ein Kind der Fahrbahn nähert
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

24 U 95/99

2 O 143/98 LG Darmstadt

Verkündet am 12.01.2001

in dem Rechtsstreit ...

Der 24. Zivilsenat in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2001 durch die Richter ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 14. April 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten sind mit DM 50.000,00 beschwert.

Von der Darstellung der

Entscheidungsgründe

im einzelnen sieht der Senat ab, da er den Ausführungen, mit denen die Kammer die Verurteilung der Beklagten begründet hat, vollen Umfanges folgt (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Die Berufungsbegründung gibt dem Senat lediglich Anlaß, das Folgende hervorzuheben:

1. Die Bremsausgangsgeschwindigkeit des von der Beklagten zu 2) gefahrenen Wagens betrug - eine leichte Abweichung nach oben steht im Raum, ist aber nicht erwiesen - 50 km/h. Diese Fahrgeschwindigkeit war ihr auf dem innerörtlich gelegenen Berliner Ring zwar im Grundsatz eröffnet, dies aber nur - so hebt es das Gesetz ausdrücklich hervor - unter günstigsten Umständen (§ 3 Abs. 3 Ziffer 1 StVO). Solche günstigsten Umstände lagen aber allein schon deshalb nicht vor, weil sich ein - 7 1/2 Jahre altes - Kind erkennbar dem Straßenrand näherte oder am Straßenrand stand und die Beklagte 2) die Möglichkeit in Rechnung stellen mußte, daß das Kind auf die Straße treten bzw. laufen würde.

Zwar darf die Kraftfahrerin im allgemeinen darauf vertrauen, daß andere Verkehrsteilnehmer sich verkehrsgerecht verhalten; darauf darf sie auch gegenüber größeren Kindern vertrauen (BGH VersR 1994, 326; r + s 1997, 365). Ob ein 7 1/2 jähriges Kind in diesem Sinne bereits als größer" und damit als verkehrstüchtig gelten muß ­ allein schon die in § 3 Abs. 2 a StVO festgehaltene Regelung deutet in eine andere Richtung ­ , bedarf hier allerdings keiner Klärung. Denn der Vertrauensgrundsatz kann nur so weit reichen, wie kein konkreter Anlaß besteht, aus dem heraus eine Gefährdung des schwächeren Verkehrsteilnehmers zu besorgen ist. Solcher Anlaß bestand hier; die Möglichkeit, daß die Klägerin auf die Straße treten oder laufen würde, lag unter den Umständen, wie sie sich der herannahenden Beklagten 2) boten, nicht gänzlich fern.

Zwar sind diese Umstände gerade im Blick auf die Situation unmittelbar vor dem Augenblick, in dem die Klägerin die Fahrbahn betrat ­ oder auf die Fahrbahn lief ­ nicht völlig geklärt. Hierzu bestehen aber nur zwei Möglichkeiten, und unter beiden Möglichkeiten hätte die Beklagte zu 2) das Kind sehen können und die aufkommende Gefahr in Rechnung stellen müssen: Die eine Möglichkeit ist die, daß es bereits auf dem Bürgersteig der einmündenden Elbinger Straße - damit rechtwinkelig auf die Straßenkreuzung zu - lief; war dem so, dann mußte sich der herannahenden Autofahrerin geradezu aufdrängen, daß das Kind - auch - auf die Fahrbahn laufen werde. Die andere Möglichkeit war die, daß es am Straßenrand stand und zwar - da der Schulweg des Kindes über die Straße führte - mit Blickrichtung über die Straße, damit praktisch mit Überquerungstendenz; allein daraus mußte der herannahenden Beklagten 2) bei genügender Aufmerksamkeit deutlich werden, daß das Kind auf die Fahrbahn treten wollte.

Damit bot sich unter beiden denkbaren Konstellationen zwingender Anlaß für die herannahende Autofahrerin, ihre Fahrgeschwindigkeit zu senken. Ordnet § 3 Abs. 2 a StVO nämlich an, daß Fahrzeugführer sich gegenüber Kindern... insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft", so verhalten müssen, daß eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist", so bedeutet das, daß die Fahrzeugführerin immer dann, wenn Kinder im Gefahrenbereich des Straßenverkehrs auftauchen und ein Fehlverhalten dieser Kinder nicht auszuschließen ist, das Äußerste an Sorgfalt aufbringen muß. In diesem Fall sind die Umstände, unter denen die höchst zulässige Geschwindigkeit innerörtlich eröffnet ist, nicht mehr gegeben, nämlich nicht mehr die günstigsten.

2. Die Mißachtung der in §§ 3 Abs. 3 Ziffer 1 und 2 a StVO verordneten Sorgfaltsanforderungen wurde zur (Mit-)Ursache des Unfalles; das wird anschaulich aus den im Rahmen des Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen des Sachverständigen P.: Bereits eine - fast minimal zu nennende - Verringerung der Fahrge- schwindigkeit auf ca. 40 km/h hätte hingereicht, den Unfall zu vermeiden; fast naturgemäß ergibt sich, daß sich schon bei einer Verminderung der Geschwindigkeit auf einen Mittelwert zwischen 50 und 40 km/h weit weniger schlimme Unfallfolgen ergeben hätten.

3. Soweit die Beklagten die tatsächlichen Feststellungen der Kammer, die deren - und damit des Senats - Erwägungen zum Verschuldensvorwurf tragen, unter dem Gesichtspunkt angreift, daß sich die Kammer nicht durch Augenschein die Überzeugung davon hätte verschaffen können, daß das Kind für die herannahende Beklagte zu 2) bei genügender Aufmerksamkeit erkennbar war, gehen diese Angriffe fehl: Wenn die Kammer sich durch Augenschein - ergänzend übrigens belegt durch die beiden zu den Ermittlungsakten genommenen Lichtbildserien - Klarheit darüber verschafft hat, was man in der Annäherung an die Unfallkreuzung sehen konnte, dann ist dies ein geradezu klassischer Fall des Augenscheinsbeweises. Der Senat sieht nicht, inwieweit - so die Rüge der Beklagten - ein Kraftfahrzeugsachverständiger besser beurteilen könnte als die den Augenschein einnehmenden Richter, was man mit eigenen Augen sehen konnte und kann.

Ende der Entscheidung

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