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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 21.02.2003
Aktenzeichen: 25 U 149/02
Rechtsgebiete: BGB, EuGVO


Vorschriften:

BGB § 661 a
EuGVO Art. 5 Nr. 3
Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Klage, mit der nach § 661 a BGB Ansprüche aus Gewinnzusagen einer niederländischen Firma geltend gemacht werden.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

25 U 149/02

Verkündet am 21.02.2003

In dem Rechtsstreit

...

hat der 25. Zivilsenat in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter a m Oberlandesgericht ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 05.06.2002 (6 O 164/02) aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Kassel zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus zwei Gewinnzusagen nach § 661a BGB in Anspruch.

Die Klägerin erhielt im August 2001 die Schriftstücke wie Bl. 6 - 7 und Bl. 8 - 10 der Akten, in denen von Geldgewinnen von 7.000 DM und 36.000 DM die Rede ist. Auf das in den Schriftstücken ebenfalls enthaltene Angebot zum Kauf von Waren auf Probe (dort als "Test-Anforderung" bezeichnet) ging sie nicht ein. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (Bl. 32-34 d.A.) wird Bezug genommen.

Die Klägerin begehrt Zahlung von 43.000 DM = 21.985,55 ? nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Beklagte vor den Gerichten der Niederlande verklagt werden müsse. Die Beklagte hat sich in beiden Instanzen nur zur Frage des Gerichtsstandes eingelassen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klage ist zulässig, die deutschen Gerichte sind international zuständig.

Die Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Zivil- und Handelssachen (EuGVO). Diese gilt nach Art. 66, 76 EuGVO für Klagen, die erhoben worden sind, nachdem die Verordnung am 1. März 2002 in Kraft getreten ist. Die Klageschrift ist am 23.4.2002 zur Zustellung hinausgegeben worden und ausweislich des Poststempels auf dem Rückschein Bl. 23 d.A. anscheinend am 25.4.2002 zugestellt worden. Die Klageerhebung ist damit nach In-Kraft-Treten der EuGVO erfolgt.

Nach Art. 2 EuGVO sind Personen grundsätzlich vor den Gerichten des Staates zu verklagen, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Für die Beklagte als Gesellschaft mit beschränkter Haftung niederländischen Rechts ist dabei nach Art. 60 Abs. 1 EuGVO als Wohnsitz deren satzungsmäßiger Sitz in Eindhoven, Niederlande anzusehen. Vor einem deutschen Gericht kann nach Art. 3 EuGVO die Beklagte damit nur dann verklagt werden, wenn sich eine solche Zuständigkeit aus den Abschnitten 2 bis 7 des Kapitels II der EuGVO ergibt. Dies ist hier der Fall.

Es kann dahinstehen, ob die mit den übersandten Gewinnzusagen verbundene Vertragsanbahnung, also die Aufforderung zu einer Bestellung, ohne dass eine solche aufgegeben wird, bereits zur Bejahung des Verbrauchergerichtsstandes nach Art. 15, 16 EuGVO ausreicht (so BGH, Urteil vom 28. November 2002, III ZR 102/02, NJW 2003, 426 unter II 2 b für Art. 13 f. EuGVÜ).

Die Gewinnzusage begründet nämlich für sich genommen zwar nicht den Verbrauchergerichtsstand (Art. 15 f. EuGVO) oder denjenigen des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVO), wohl aber den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVO), denn in einer Gewinnzusage im Sinne des § 661a BGB ist ein deliktsähnliches Verhalten der Beklagten zu sehen. Es handelt sich nicht etwa um einen nicht erfassten gesetzlichen Anspruch, für den der allgemeine Gerichtsstand nach Art. 2 EuGVO gälte.

Mit der Regelung des § 661a BGB hat der Gesetzgeber einen neuartigen Anspruch geschaffen. Von der Qualifikation dieses Anspruchs hängt die Frage der Zuständigkeit nach der EuGVO ab. Die in der EuGVO verwendeten Begriffe sind dabei autonom, nicht nach innerstaatlichem Recht, auszulegen, wobei in erster Linie die Systematik und die Zielsetzung der Verordnung zu berücksichtigen sind (EuGH NJW 2002, 3159 <Tacconi> zum EuGVÜ).

Der Anspruch aus § 661a BGB ist kein vertraglicher Anspruch im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVO oder ein Anspruch, der solchen vertraglichen Ansprüchen ähnlich wäre.

Erst recht handelt es sich damit nicht um Ansprüche aus einem Verbrauchervertrag nach Art. 15 EuGVO.

Eine isolierte Gewinnzusage ist kein Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVO, denn ein solcher setzt eine freiwillig eingegangene Verpflichtung voraus (EuGH a.a.O. <Tacconi> Rn 23 m.w.N.). Der hier geltend gemachte Anspruch aus § 661a BGB beruht nicht auf einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung. § 661a BGB bestimmt nicht, dass ein Unternehmer, der einen Gewinn zusage, den zugesagten Preis zu leisten habe. Er bestimmt vielmehr, dass derjenige Unternehmer, der den Eindruck erweckt, der Verbraucher habe einen Preis gewonnen, diesen Preis zu leisten hat. Der Unternehmer will mit einer Gewinnzusage regelmäßig nämlich gerade keine rechtsgeschäftliche Erklärung abgeben, es handelt sich also weder um einen Vertrag noch um ein einseitiges Rechtsgeschäft; § 661a BGB fingiert allenfalls ein solches (so Münchner Kommentar-Micklitz, 4. Aufl., § 13 BGB Rdn. 47, der zutreffend darauf hinweist, dass die Verwendung des Verbraucherbegriffes unpassend ist, weil es an einem Rechtsgeschäft gerade fehlt).

Entstehungsgrund für den Anspruch aus § 661a BGB ist das Erwecken eines Eindrucks.

Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Fall der Haftung für zurechenbar gesetzten Rechtsschein (BGH a.a.O. unter II 2 c aa mit Hinweis auf Lorenz, NJW 2000, 3305 ff.). Der Anspruch besteht nämlich unabhängig davon, ob der Empfänger überhaupt auf die Gewinnzusage vertraut hat oder die Absicht des Absenders sogleich durchschaut hat.

Vielmehr ist für einen Anspruch aus einer Gewinnzusage der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO gegeben, BGH a.a.O. unter II 2 c. Den dortigen Ausführungen des BGH schließt sich der Senat an (siehe auch OLG Dresden, OLG Report Dresden 2002, 281 unter 1 b und LG Freiburg, Urteil vom 22. März 2002, 6 O 147/01 -juris- unter I 1 b). Der Begriff der unerlaubten Handlung im Sinne von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ, der mit Art. 5 Nr. 3 EuGVO wortgleich ist, bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH auf alle nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 anknüpfenden Klagen, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird (EuGH NJW 2002, 2697 <Gabriel> Rdn. 33 m.w.N., BGH a.a.O. m.w.N.). Nicht an einen Vertrag im Sinne von Art.5 Nr. 1 angeknüpft wird dabei immer dann, wenn keine freiwillig eingegangenen Verpflichtungen in Rede stehen, sondern der Anspruch aus einem Verstoß gegen Rechtsvorschriften folgt (EuGH NJW 2002, 3159 <Tacconi> Rdnrn. 23, 25-27). Auch Ansprüche aus Aufnahme geschäftlicher Kontakte (vgl. jetzt § 311 BGB) sind danach deliktsähnliche Ansprüche im Sinne der EuGVO, solange es sich nicht um im Rahmen des Kontakts freiwillig übernommene Pflichten (wie etwa Beratungspflichten) handelt, sondern die Verletzung allgemeiner gesetzlicher Verhaltenspflichten (vgl. jetzt § 241 Abs. 2 BGB) einschließlich der Pflicht, bei geschäftlichem Kontakt nach Treu und Glauben zu handeln, in Rede steht (EuGH <Tacconi> a.a.O.). Von daher bedarf es für die Bestimmung des Gerichtsstands keiner Unterscheidung, ob in den Kategorien des deutschen Rechts § 661a BGB einen Fall der unerlaubten Handlung oder einen solchen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo, jetzt § 311 Abs. 2 BGB) regelt (BGH a.a.O.).

Der Anspruch aus § 661a BGB beruht auf der wettbewerbsrechtlich unzulässigen unlauteren Werbung mittels Vortäuschung scheinbarer Gewinne; die Vorschrift verfolgt den erklärten Zweck, solche Geschäftspraktiken durch die Einräumung von Leistungsansprüchen zu unterbinden (näher BGH a.a.O. m. N.). Für solche außervertraglichen Verpflichtungen von Gewerbetreibenden, von bestimmten durch den Gesetzgeber missbilligten Verhaltensweisen Abstand zu nehmen, ist der Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO gegeben. Der Begriff des schädigenden Ereignisses in dieser Vorschrift ist weit zu verstehen und erfasst im Bereich des Verbraucherschutzes nicht nur Sachverhalte, in denen Einzelne einen individuellen Schaden erleiden,

sondern u. a. auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch Verwendung missbräuchlicher Klauseln (EuGH, Urteil vom 1.10.2002, C-167/00, NJW 2002, Heft 43, S. VIII).

Hieraus ergibt sich zum einen, dass es entscheidend nicht auf die Rechtsnatur des erhobenen Anspruchs, sondern auf den mit der Anspruchsnorm verfolgten Zweck ankommt. Dass dieser im Fall des § 661a BGB die Verteidigung der Rechtsordnung, also die Unterbindung unerlaubter Handlungen ist, liegt auf der Hand (vgl. BGH a.a.O.). Zum anderen folgt daraus, dass es im Rahmen von Art. 5 Nr. 3 EuGVO unerheblich ist, dass die Klägerin durch die Gewinnzusage einen individuellen (Vermögens-)Schaden nicht erlitten hat (anders OLG Nürnberg, NJW 2002, 3637 [3639 unter II 3 a]).

Auch die Stellung des § 661a BGB im Titel "Auslobung" vermag an dieser Einordnung nichts zu ändern (so aber LG Dortmund, Urteil v. 21.5.2002 - 12 O 94/02 - unveröff.)

Für die Stellung im BGB war ersichtlich nur die sachliche Nähe des geregelten äußeren Tatbestands zu Auslobungen und Preisausschreiben maßgeblich, während der für die Gerichtsstandsbestimmung ausschlaggebende Grund der Haftung ein ganz anderer ist.

Der gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVO maßgebliche Ort, "an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist", liegt unter anderem auch am Wohnsitz der Klägerin. Dort trat nämlich mit dem Empfang des scheinbaren Gewinnversprechens der Erfolg der unerlaubten Handlung ein (BGH a.a.O. unter II 2 c bb m.w.N.).

Einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedarf es aus den vom BGH (a.a.O. unter II 3) ausgeführten Gründen nicht. Auch der erkennende Senat hält es im Hinblick auf die genannten Entscheidungen des Gerichtshofs für ausgeschlossen, dass sich die Beklagte auf den allgemeinen Gerichtsstand des Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ berufen könnte.

Die Sache wird auf den übereinstimmenden Antrag beider Parteien nach § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen; dies ist angemessen, weil die Beklagte bislang aufgrund Art. 24 EuGVO gehalten war, ausschließlich zur Zuständigkeit zu verhandeln und deshalb noch nicht zur Sache selbst vortragen konnte. Die Revision ist nicht zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO, da nach dem Urteil des BGH vom 28.11.2002 (a.a.O.), das die Frage der internationalen Zuständigkeit geklärt hat und dem der Senat folgt, eine Revisionsentscheidung weder wegen grundsätzlicher Bedeutung noch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (vgl. hierzu BGH NJW 2002, 2957 und 3029).

Eine Kostenentscheidung ist im vorliegenden Urteil ebensowenig zu treffen wie eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit (Albers in BLAH, ZPO, 61. Aufl., § 538 Rn. 23).



Ende der Entscheidung

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