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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 17.12.2002
Aktenzeichen: 3 Ss 317/02
Rechtsgebiete: StGB, JGG


Vorschriften:

StGB § 111
JGG § 55 II 1
JGG § 109 VI 1
1. Im Verfahren gegen Heranwachsende ist ausnahmsweise ein zweites Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zulässig, wenn der bereits in erster Instanz freigesprochene Heranwachsende auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin erneut freigesprochen wird. Denn mangels eines Schuldspruchs ist eine tatsächliche Entscheidung über die Anwendung von Jugendstrafrecht, die gemäß § 109 VI S. 1 JGG Voraussetzung für die entsprechende Anwendung des § 55 II S. 1 JGG ist, notwendigerweise unterblieben.

2. Eine Aufforderung zu rechtswidrigen Taten i.S.d. § 111 StGB ist eine Erklärung, die nicht notwendigerweise ernst gemeint sein muss, aber mindestens den Eindruck der Ernstlichkeit macht oder machen soll.

3. Die wörtliche Mitteilung fremder Äußerungen stellt nur dann eine Aufforderung dar, wenn der Verbreitende sie durch eigene Mitteilung oder durch die Art und Weise der Wiedergabe erkennbar zu seiner eigenen Erklärung macht.


OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN Im Namen des Volkes Urteil

3 Ss 317/02

Verkündet am 17.12.2002

In der Strafsache

gegen

wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 8. Kleinen Strafkammer -Jugendkammer- des Landgerichts Wiesbaden vom 24.6.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in der Sitzung vom 17.12.2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender, Richter am Oberlandesgericht, Richter am Amtsgericht als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Beamter der Staatsanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision wird verworfen.

Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Das Amtsgericht - Jugendgericht - Wiesbaden hat den Angeklagten vom Vorwurf der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten freigesprochen. Die dagegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht - Jugendkammer - mit der Begründung verworfen, dass es am Tatvorsatz fehle. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird. Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Revision ist zulässig.

Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und mit der- ausgeführten - Sachrüge hinreichend begründet worden.

Die Staatsanwaltschaft ist zur Einlegung der Revision berechtigt. Die Einlegung der Revision gegen das Berufungsurteil nach vorheriger Einlegung der zulässigen Berufung ist nicht gem. § 55 Abs. 2 S. 1 JGG gesetzlich ausgeschlossen. Die Vorschrift findet in dem Verfahren gegen den heranwachsenden Angeklagten gem. § 109 Abs. 2 S. 1 JGG keine Anwendung, da weder das Amts- noch das Landgericht gem. § 105 JGG Jugendstrafrecht angewandt haben. Aus diesem Grunde ist nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung und der Literatur in Verfahren gegen Heranwachsende ein zweites Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zulässig, wenn der in erster Instanz freigesprochene Heranwachsende auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin erneut freigesprochen wird (vgl. OLG Gelle NdsRpfl. 1962, 88; OLG Düsseldorf, VRS 75, 474; Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl. 2002, § 55 Rzn. 16-18; Eisenberg, JGG, 8. Aufl. 2000, § 55, Rz. 37; Ostendorf, JGG, 5. Aufl. 2000, § 55, Rzn. 1, 32). § 109 Abs. 2 S. 1 JGG macht die entsprechende Anwendung von § 55 JGG im Verfahren gegen Heranwachsende ausdrücklich von der Anwendung von Jugendstrafrecht abhängig. Insoweit kommt es nach zweimaligem Freispruch nicht darauf an, ob nach dem Prozessablauf und den Urteilsgründen hinreichende Anhaltsgründe dafür bestehen, dass im Falle eines Schuldspruchs Jugendstrafrecht angewandt worden wäre. Denn eine tatsächliche Entscheidung über die Anwendung von Jugendstrafrecht ist mangels eines Schuldspruchs notwendigerweise unterblieben. Im übrigen erforderte die Anwendung von Jugendstrafrecht gem. § 105 JGG anderenfalls eine eindeutige Feststellung des Gerichts (vgl. Brunner/Dölling, aaO, § 55, Rz. 16). Eine in Einzelfällen denkbare Beeinträchtigung des die Regelung des § 55 JGG begründenden Erziehungszwecks durch ein erneutes Rechtsmittel rechtfertigt es nicht, in anderen als den bestimmten bezeichneten Ausnahmefällen von dem allgemeinen Rechtsmittelzug im Strafprozess abzusehen (vgl. OLG Gelle, aaO, 89).

II.

Die Revision ist nicht begründet.

Das Landgericht hat u.a. festgestellt, dass der in politischer Hinsicht nicht aktive Angeklagte im Frühjahr 2000 an dem "Abi-Buch 2000" seines Gymnasiums mitgewirkt habe. Dieses sei in einer Auflage von ca. 500 Stück hergestellt und für 8 DM an der Schule verbreitet worden, aber auch sonstigen interessierten Personen zugänglich gewesen. Zur Aufmachung und zum Konzept des Abi-Buchs unter Bezugnahme auf die Theaterwelt, zur Gestaltung der einzelnen Beiträge und insbesondere zur Darstellungsweise und zum Inhalt der von dem Angeklagten gestalteten Seite 143 hat das Landgericht als völlige Feststellungen getroffen, insbesondere auch den verfahrensauslösenden Liedtext dargestellt, und im übrigen gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf S. 143 des bei den Akten befindlichen Buches Bezug genommen. Des weiteren hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte zur Provokation und um seinem aufgestauten Schulfrust Ausdruck zu verleihen gehandelt habe. Niemand aus der Schule habe die Textseite des Angeklagten ernstgenommen. Der Angeklagte habe sich dahingehend eingelassen, dass er nicht zu Straftaten habe auffordern wollen und auch nicht damit gerechnet habe, dass irgendjemand sich zur Begehung von Straftaten aufgefordert fühlen könnte. Die Einlassung des Angeklagten hat das Gericht als glaubhaft angesehen und zur Grundlage seiner Feststellungen gemacht.

Diese Feststellungen sind hinreichend klar, widerspruchsfrei und vollständig. Sie sind insbesondere nicht - wie mit der Revision gerügt wird - deswegen lückenhaft, weil das Landgericht nur unzureichende Feststellungen zur inneren Tatseite getroffen habe. Lückenhafte oder unzureichende Feststellungen können nach ganz überwiegender Auffassung neben einer Verfahrensrüge wegen Verletzung des § 267 Abs. 1, Abs. 5 StPO auch die Sachrüge begründen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl. 2001, § 337, Rzn. 22 ff., § 267, Rz. 42; KK-Pikart, StPO, 3. Aufl. 1993, § 337, Rz. 28; KK-Engelhardt, aaO, § 267, Rz. 47). Die getroffenen Feststellungen lassen indes keine entsprechenden Mängel erkennen. Die Feststellungen zur äußeren Tatseite sind besonders umfassend und detailliert. Die Feststellungen zur inneren Tatseite sind knapp gehalten, aber ausreichend. Zu Motivation und Zielrichtung des Handelns des Angeklagten sind ausdrückliche Angaben vorhanden. Im übrigen ergibt sich aus der als glaubhaft den Feststellungen zugrundegelegten Einlassung des Angeklagten, dass er nicht damit gerechnet habe, dass irgendjemand sich zur Begehung von Straftaten aufgefordert fühlen könnte, hinreichend deutlich, dass das Gericht den Inhalt dieser Einlassung ohne Einschränkungen festgestellt und damit auch hinreichende Feststellungen zur inneren Tatseite betreffend dritte Personen außerhalb der Schule betroffen hat. Eine entsprechende Feststellung zur inneren Tatseite findet sich auch nochmals im Rahmen der rechtlichen Würdigung in dem landgerichtlichen Urteil. Soweit die Feststellungen in einem Abschnitt der Urteilsbegründung getroffen worden sind, in dem sie gewöhnlich nicht ihren Platz haben, wird dadurch ihre Bedeutung nicht beeinträchtigt, da die schriftlichen Entscheidungsgründe eine Einheit bilden (vgl. BGH AfP 78,103; Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 267, Rz. 2).

Die Beweiswürdigung des Landgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen. Die revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbare Beweiswürdigung kann rechtsfehlerhaft sein, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO, § 337, Rz. 27). Fehlerhaft ist es insbesondere, wenn eine sich aufdrängende, naheliegende Möglichkeit des Tathergangs, auch der inneren Tatseite außer Betracht gelassen wird (st. Rspr. d. BGH, zuletzt BGHSt 65,351, 353). Insoweit hat das Landgericht ohne Rechtsfehler die Einlassung des Angeklagten als glaubhaft zugrundegelegt und damit erkennbar auch die weniger wahrscheinliche Möglichkeit, dass der Angeklagte damit gerechnet haben könnte, dass sich dritte Personen außerhalb der Schule zu Straftaten aufgefordert fühlen könnten, gewürdigt.

Die Feststellungen tragen den erfolgten Freispruch. Unter Zugrundelegung der Feststellungen fehlt es sowohl am objektiven als auch am subjektiven Tatbestand einer öffentlichen Aufforderung zu Straftaten gem. § 111 StGB.

In objektiver Hinsicht fehlt es an einer Aufforderung zu rechtswidrigen Taten. Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass in dem von dem Angeklagten widergegebenen Liedtext der Rockgruppe "Slime" zu hinreichend konkretisierten Straftaten wie Körperverletzung u.a. aufgerufen wird. Es fehlt indes an einer Aufforderung zu derartigen Taten durch den Angeklagten. Aufforderung i.S.d. § 111 StGB ist eine an die Motivation anderer gerichtete Erklärung, die erkennbar ein bestimmtes Tun verlangt, nicht notwendig ernst gemeint sein muss, die aber mindestens den Eindruck der Ernstlichkeit macht und machen soll (vgl. BGHSt 32, 310; Thüringer OLG NStZ 1995, 445; LK-von Bubnoff, StGB, § 111, Rz. 8; SK-Horn, StGB, § 111, Rz. 14 c; Schönke/Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl. 1997, § 111, Rz. 3 u. 6; Lackner, StGB, 20. Aufl. 1993, § 111, Rz. 8). Der von dem Angeklagten im Rahmen der von ihm gestalteten Seite eines Abi-Buches widergegebene Liedtext macht erkennbar nicht den Eindruck der Ernstlichkeit und sollte dies auch nicht. Dies ergibt sich zunächst deutlich aus der Gestaltung des gesamten Abi-Buches als Theaterwerk mit Prolog und Darstellung des Ensembles. Auf der vom Angeklagten gestalteten Seite selbst folgt durch die abgebildeten Masken eine inhaltliche Distanzierung von der Darstellung. Gegen eine ernstliche Aufforderung spricht des weiteren die überzeichnete, ironisch-provokative Selbstdarstellung des Angeklagten. Die kollagenartige Darstellung lässt ebenfalls eine Distanzierung des Verfassers vom Inhalt erkennen. Schließlich steht die offensichtliche Wiedergabe fremder Äußerungen der Annahme einer Aufforderung durch den Angeklagten entgegen. Die wörtliche Mitteilung fremder Äußerungen stellt nur dann eine Aufforderung dar, wenn der Verbreitende sie durch eigene Mitteilung oder durch die Art und Weise der Wiedergabe erkennbar zu seiner eigenen Erklärung macht (vgl. BGHSt 36, 364; OLG Frankfurt NJW 1983, 1207; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl. 2003, § 111, Rz. 2). Schließlich ist bei entsprechenden Fallgestaltungen aufgrund von Presse- und Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 u. 3 GG eine verfassungskonforme restriktive Auslegung des Begriffs des Aufforderns geboten.

In subjektiver Hinsicht fehlt es an dem erforderlichen Tatvorsatz. Nach ganz überwiegender Auffassung ist keine Absicht hinsichtlich des Tatentschlusses Dritter erforderlich, sondern reicht dolus eventuales aus (vgl. LK-von Bubnoff, aaO, Rz. 30; SK-Horn, aaO, Rz. 14; Tröndle/Fischer, aaO, Rz. 6; a.A. Schönke/Schröder-Eser, aaO, Rz. 16 f.). Notwendig ist die billigende Inkaufnahme der Ernstnahme der Aufforderung (LK-von Bubnoff, aaO; SK-Horn, aaO; Tröndle/Fischer, aaO). Eine billigende Inkaufnahme der Ernstnahme durch den Angeklagten ist nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ausgeschlossen, da der Angeklagte danach bereits nicht damit rechnete, dass irgendjemand sich zu Straftaten aufgefordert fühlen könnte. Im übrigen ist die Annahme bedingten Vorsatzes fernliegend, wenn es - wie ausgeführt - bereits objektiv an einer Aufforderung i.S.d. § 111 StGB fehlt.

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen folgt aus § 473 Abs. 1 u. 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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