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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: 3 U 205/03
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 38
InsO § 55
Ein für den Fall der Kündigung im Geschäftsführervertrag vorgesehener Abfindungsanspruch ist Insolvenzforderung i. S. v. § 38 InsO und nicht Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 I Nr. 1 InsO, auch wenn die Kündigung erst nach Insolvenzöffnung erfolgt.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 205/03

Verkündet am 16. September 2004

In dem Rechtsstreit

...

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 3. Zivilsenat - durch die Richter ... auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juli 2004 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - 23. Zivilkammer - vom 3.9.2003 - 2/23 O 141/03 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheit kann durch schriftliche, unbefristete, unbedingte und unwiderrufliche Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts erbracht werden.

Die Beschwer des Klägers beträgt 53.685,65 €.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger hat gegen die Beklagte Gehalts- und Abfindungsansprüche aus einem undatierten Geschäftsführervertrag (Bl. 6 f. d.A.) geltend gemacht. Über das Vermögen seiner Arbeitgeberin, der Firma X GmbH wurde am 1.2.2001 das Insolvenzverfahren eröffnet, die Beklagte ist die Insolvenzverwalterin.

Streitig ist im Berufungsverfahren allein der in § 9 Ziff. 7 des Geschäftsführervertrages festgelegte Abfindungsanspruch, zu dem folgendes bestimmt ist:

"Unbeschadet etwaiger noch bestehender Vergütungsansprüche hat der Geschäftsführer für den Fall der Kündigung des Vertrages durch die Gesellschaft Anspruch auf Zahlung einer Abfindung bzw. Entschädigung in Gesamthöhe von 105.000,00 DM (...)".

Unter dem 8.1.2002 ging dem Kläger ein Kündigungsschreiben zu, in welchem die Beklagte das zwischen der Gemeinschuldnerin und dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis kündigte.

Der Kläger hat beantragt,

von der Beklagten nicht anerkannte Gehaltsforderungen und Abfindungsansprüche in Höhe von insgesamt 89.423,91 € brutto als Masseverbindlichkeit im Insolvenzverfahren festzustellen.

Er hat die Ansicht vertreten, der in § 9 Ziff. 7 des Geschäftsführervertrages geregelte Abfindungsanspruch sei eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 InsO.

Hinsichtlich der Abfindung hat er hilfsweise beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, 53.685,65 € (105.000,00 DM) als Insolvenzforderung des Klägers in die Insolvenztabelle aufzunehmen.

Die Beklagte hat im Verlauf des Rechtsstreits eine Masseverbindlichkeit in Höhe von 2.237,12 € anerkannt.

Das Landgericht hat einen Gehaltsanspruch von 8.948,46 € brutto als Masseverbindlichkeit festgestellt und die Klage im übrigen mit dem Hauptantrag abgewiesen. Den Hilfsantrag hat es als unzulässig abgewiesen. Es hat dem Kläger Gehaltsansprüche für den Zeitraum bis Ende Februar 2002 zuerkannt, einen Anspruch auf anteilige Bonuszahlung jedoch verneint, weil dies kein Teil des Festgehaltes gewesen sei. Die Abfindung stehe dem Kläger ebenfalls nicht zu, weil es sich nicht um eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 InsO handele, da nicht durch Rechtshandlung der Beklagten begründet. Der Abfindungsanspruch sei bereits vor Insolvenzeröffnung durch Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Gemeinschuldnerin begründet worden; Lediglich die Bedingung, die Kündigung, sei nach Insolvenzeröffnung eingetreten. Der Hilfsantrag sei unzulässig, weil die Forderung zuvor nicht in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden sei.

Gegen das am 17.9.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.10.2003 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 17.12.2003 an diesem Tag begründet.

Er verfolgt seinen Hauptantrag bezüglich des Abfindungsanspruches weiter. Der Abfindungsanspruch habe den Sinn gehabt, wirtschaftliche Härten beim Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden. Es handele sich nicht um eine Abfindungsvereinbarung im Sinne von §§ 9, 10, Kündigungsschutzgesetz oder im Rahmen eines Sozialplanes oder gerade wegen drohender Insolvenz. Das Anstellungsverhältnis sei nach der Insolvenzeröffnung fortgesetzt worden, die frühestmögliche Kündigungsmöglichkeit habe die Beklagte nicht genutzt. Daher sei ein neues Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten in der bisherigen Vertragsform entstanden. Alle anderen Mitarbeiter seien nach Maßgabe des § 103 InsO unter dem 30.11.2001 gekündigt worden, nachdem Masseunzulänglichkeit festgestellt worden sei, der Kläger hingegen erst im Januar 2002. Die Abfindungsregelung werde erst durch die Kündigung des Arbeitgebers wirksam.

Der Kläger beantragt,

unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Landgerichts Frankfurt vom 3.9.2003, Geschäftsnummer 2/23 O 141/03 festzustellen, dass dem Kläger eine Forderung in Höhe von 53.685,65 € als Masseverbindlichkeit im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma X GmbH zusteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und argumentiert, die Abfindung sei kein Gehaltsbestandteil und es sei kein neues Arbeitsverhältnis begründet worden. Auch der Kläger sei unter dem 30.11.2001 gekündigt worden, habe die Kündigung jedoch angeblich nicht erhalten, weswegen erneut gekündigt worden sei. Überdies sei er seit 1.12.2001 freigestellt gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sie bleibt indessen in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat mit Recht die Klage hinsichtlich des Abfindungsanspruches abgewiesen, weil es sich weder um einen Anspruch nach § 55 Abs. 1 Ziff. 1, noch nach § 55 Abs. 1 Ziff. 2 InsO handelt.

Der geltend gemachte Abfindungsanspruch ist nicht durch eine Handlung der Beklagten im Sinne von § 55 Abs. 1 Ziff. 1 InsO begründet worden. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt kein Neuabschluss eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten vor. Grundsätzlich bestehen nämlich Dienst- und Arbeitsverhältnisse trotz Insolvenzeröffnung fort (§ 108 Abs. 1 InsO) und ihr Bestand und Inhalt werden durch die Insolvenzeröffnung nicht berührt. Lohn- und Gehaltsansprüche, die nach Insolvenzeröffnung entstehen, sind demgemäß Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO und werden nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter Rangforderungen gemäß § 209 InsO (MüKo zur InsO/Hefermehl, § 55, Rdz. 161, 164 bis 166; Braun, InsO, § 55 Rdz 27 und 28). Vergütungs- und Gehaltsansprüche, die vor dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung entstanden sind, sind hingegen bloße Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO. Anders verhält es sich mit Abfindungsleistungen, bei denen es sich nicht um laufende Vergütungs- und Gehaltsansprüche handelt. Derartige Ansprüche können Masse-Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Ziff. 1 InsO werden, wenn sie durch Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind. Dies hat das Landgericht indessen mit Recht verneint.

Denn der Abfindungsanspruch ist durch den Geschäftsführervertrag zwischen dem Kläger und der Gemeinschuldnerin begründet worden. Diese haben sämtliche Einzelheiten der Abfindungszahlung bereits dort geregelt, insbesondere die genaue Höhe festgelegt, die nicht von der Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängig war. Lediglich der Eintritt der Rechtswirkungen der Vereinbarung ist hinausgeschoben auf den Fall einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Es handelt sich damit um eine aufschiebende Bedingung bzw. eine Fälligkeitsregelung und nicht um eine Vertragsbedingung, welche den Anspruch erst entstehen lässt (Palandt- Heinrichs, 63. Aufl., Rdz. 1 vor § 158). Der Anspruch ist also nicht durch eine Rechtshandlung der Beklagten begründet worden.

Beruht aber der Abfindungsanspruch auf einer Vereinbarung zwischen dem Schuldner und dem Arbeitnehmer, so ist er stets Insolvenzforderung nach § 38 InsO, nicht aber Masseverbindlichkeit, weil er vor Verfahrenseröffnung begründet wurde. Dies gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis erst nach Insolvenzeröffnung endet, denn der Anspruch war - wie ausgeführt - zum Zeitpunkt der Eröffnung aufschiebend bedingt entstanden, so dass der Arbeitnehmer nur Insolvenzgläubiger sein kann (MK-Inso/Hefermehl a.a.O., Rdz 181; Uhlenbruck-Berscheid, InsO 12. Aufl., § 55 Rdz. 11; Hess/Weis/Wienberg, InsO 2. Aufl., Rdz. 134 zu § 55; BAG in NJW 1982, S. 127).

Der Kläger meint nun, es sei eine andere Betrachtungsweise geboten, weil es sich nicht um eine Abfindungsvereinbarung im Sinne von §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz bzw. im Rahmen eines Sozialplans bzw. im Hinblick auf eine bevorstehende Insolvenz gehandelt habe. Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Entscheidend für die Frage, ob eine bloße Insolvenzforderung oder eine Masseverbindlichkeit vorliegt, ist der Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich bei der Vereinbarung um einen Sozialplan oder um eine Vereinbarung über einen Abfindungsanspruch nach §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz oder um eine einzelvertragliche Vereinbarung handelt (vgl. zum ganzen: Uhlenbruck-Berscheid a.a.O. Rdz. 11 zu § 55 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Anders kann der Fall liegen, wenn es sich um Abfindungen handelt, die im Kündigungsschutzprozess über eine vom Insolvenzverwalter ausgesprochene sozialwidrige Kündigung vereinbart oder nach den §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz festgesetzt werden (Uhlenbruck-Berscheid a.a.O.). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 55 Abs. 1 Ziff. 2 InsO. Denn es handelt sich nicht um eine Verbindlichkeit aus einem gegenseitigen Vertrag, soweit dessen Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Soweit Arbeitsverhältnisse betroffen sind, beruht die genannte Vorschrift, die im übrigen dem früher maßgeblichen § 59 Abs. 1 Ziff. 2 KO entspricht, auf dem Grundgedanken, dass der Arbeitnehmer trotz Insolvenz seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen muss und daher im Gegenzug seine vertraglich geschuldeten Ansprüche behalten soll (Uhlenbruck-Berscheid a.a.O., Rdz. 46, 47 und 59 zu § 55 InsO). Im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen dabei alle Lohn- und Gehaltsansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen, z.B. Fahrtkosten, Spesen, Auslösungen, vermögenswirksame Leistungen, Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfalle und ähnliches. Das gilt auch für Weihnachtsgratifikationen, sofern auf sie ein Rechtsanspruch besteht.

Sonstige Gratifikationen, Jahresleistungen oder Sonderzuwendungen sind im Fall der Insolvenz als Arbeitentgelt für denjenigen Zeitraum zu behandeln, in dem die mit der Gratifikation, Jahresleistung oder Sonderzuwendung vergüteten Dienste geleistet wurden (Uhlenbruck-Berscheid a.a.O., Rdz. 64 zu § 55 InsO). Anders ausgedrückt müssen die begehrten Sonderzuwendungen als Entgelt für die im Zeitraum nach Insolvenzeröffnung erbrachte Arbeitsleistung zu werten sein. Nur in einem solchen Fall werden sie Masseverbindlichkeit (BAG in NJW 1982, S. 127). Die genannte Entscheidung ist zwar zu § 59 Abs. 1 Nr. 2 der damals gültigen Konkursordnung ergangen, diese entspricht jedoch - wie ausgeführt - § 55 Abs. 1 Ziff. 2, abgesehen von einer lediglich redaktionellen Änderung (Uhlenbruck- Berscheid a.a.O., Rdz. 46 zu § 55 InsO). Der Anspruch aus § 9 Ziff. 7 des Geschäftsführervertrages stellt indessen kein Entgelt für die im Zeitraum nach Insolvenzeröffnung erbrachte Arbeitsleistung dar. Die dort geregelte Abfindung steht vielmehr in keiner unmittelbaren Beziehung zur Arbeitsleistung. Wie der Kläger nämlich selbst vorträgt, hatte die Abfindungsregelung den Zweck, wirtschaftliche Härten beim Verlust des Arbeitsplatzes abzufangen. Sie war bereits bei Vertragsabschluss der Höhe nach festgelegt und bezog sich nicht auf einen bestimmten Zeitraum. Der Anspruch steht auch nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitsleistung, sondern wurde gerade für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam.

Aus den genannten Gründen greift auch § 209 Abs. 2 Ziff. 1 InsO nicht ein.

Die Kosten der damit erfolglosen Berufung trägt gemäß § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 10, 711, 108 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, die - soweit ersichtlich - bislang nicht ergangen ist.

Ende der Entscheidung

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