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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 22.07.2000
Aktenzeichen: 3 U 262/94
Rechtsgebiete: AUB 88, AUB 61, AGBG, VVG, ZPO


Vorschriften:

AUB 88 § 4 Abs. 2 Nr. 2
AUB 88 § 10
AUB 88 § 8 Abs. 2
AUB 88 § 2 Abs. 4
AUB 88 § 9
AUB 88 § 7 Abs. 1 Nr. 1
AUB 61 § 10 Abs. 5
AGBG § 5
VVG § 34
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 710
Zur Frage der Invaliditätsentschädigung nach einem Bergunfall und zur Frage der Abgrenzung von Sachverständigen und sachverständigen Zeugen.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 262/94

9 O 392/89 Landgericht Wiesbaden

Verkündet am 22.7.2000

In dem Rechtsstreit ...

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch die Richter ... auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 1999

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der g. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 25. 11. 1994 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstrekkung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.420.000,00 DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Beklagten wird nachgelassen, Sicherheitsleistung auch durch schriftliche, selbstschuldnerische, unbedingte und unbefristete Bankbürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürge zugelassenen inländischen Kreditinstituts zu erbringen.

4. Die Beschwer der Beklagten wird auf 1.270.350,00 DM festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer Unfallversicherung. Er schloß am 8.8./6.9.1998 bei der Beklagten eine Unfallversicherung zu den Bedingungen der AUB 88 ab. Für den lnvaliditätsfall war eine Versicherungssumme zwischen 600.000,00 DM und 1.200.000,00 DM vereinbart, wobei der Höchstbetrag bei einem Lebensalter unter 65 Jahren und einer mindestens 70 % unfallbedingten Invalidität zur Zahlung fällig sein sollte. Darüber hinaus wurde ein auf zwei Jahre befristetes Krankenhaustagegeld von täglich 150,00 DM bei vollstationärer Krankenhausbehandlung vereinbart.

Am 7.10.1988 stürzte der Kläger als Mitglied einer Mount-Everest-Expedition 20 m tief ins Seil. Er war 12 Stunden bewußtlos und verblieb nach seiner Bergung bis zum 18.10.1988 in einem Basislager, wo er von einem Mannschaftsarzt der Rettungsmannschaft untersucht und konservativ behandelt wurde. Dabei zeigte sich beim Kläger ein wässriger Ausfluß aus dem rechten Ohr, nach dem der Verdacht auf eine Schädelbasisfraktur bestand. Vom 22.10. bis 8.11.1988 wurde der Kläger stationär im Bir-Krankenhaus in Kathmandou/Nepal behandelt. Anschließend kehrte er nach Europa zurück. Vom 21. bis 23.11.1988 befand er sich zur stationären Behandlung in der Universitätsklinik in Wien. Am 23.11.1988 wechselte er in die Neue Wiener Privatklinik über. Mit Schreiben vom 23.11.1988 meldete der Kläger den Unfall bei der Beklagten. Diese übersandte ihm mit Schreiben vom 6.12.1988 (Bl. 22 d.A.). ein Schadensanzeigeformular mit der Bitte, dieses sorgfältig auszufüllen. Der Kläger schickte das ausgefüllte Formular mit Datum vom 4.1.1989 an die Beklagte zurück. In der Rubrik 6. b) war bei der Frage, welche Ärzte in den letzten fünf Jahren vor dem Unfall zu Rate gezogen wurden, ein Strich eingetragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfallanzeige (Bl. 61, 62 d.A.) Bezug genommen.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde der Kläger bis 19.11.1990 wiederholt in verschiedenen Kliniken und Krankenhäusern vollstationär behandelt. Wegen der einzelnen Behandlungszeiträume und der aufgesuchten Kliniken und Krankenhäuser wird auf die Aufstellung Seite 4 des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Die Beklagte hat an den Kläger für vollstationäre Krankenhausaufenthalte in der Zeit vom 22.10.1988 bis 6.4.1989 Krankenhaustagegeld in Höhe von insgesamt 25.050,00 DM gezahlt. Mit Schreiben vom 21.4.1989 kündigte sie den Versicherungsvertrag unter Bezugnahme auf § 4 Abs. 2 Nr. 2 AUB 88 (Bl. 72 d.A.). Mit Schreiben vom 23.8.1989 berief sich die Beklagte wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung gemäß § 10 AUB 88 i.V.m. § 34 VVG auf Leistungsfreiheit und forderte den Kläger zur Rückzahlung des bereits gezahlten Krankenhaustagegeldes von insgesamt 25.050,00 DM auf. Zur Begründung führte sie an, der Kläger habe in der Schadensanzeige vom 4.1.1989 Vorerkrankungen verschwiegen, die Frage nach den behandelnden Ärzten in den letzten fünf Jahren falsch beantwortet und einen weiteren Unfallversicherungs-Vertrag bei der ELVIA München nicht angegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 23.8.1989 (Bl. 73 bis 75 d.A.) Bezug genommen.

Mit Beschluß des Amtsgerichts München vom 9.3.1990 ist der Kläger wegen Geschäftsunfähigkeit nach Schädel-Hirn-Trauma unter Pflegschaft gestellt worden (§ 1910 BGB a.F.). Wegen der Einzelheiten wird auf die Akte 122 VIll 472/90 des Amtsgerichts München Bezug genommen.

Mit seiner am 10.10.1989 eingegangenen und der Beklagten am 6.11.1989 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst beantragt, festzustellen, daß die Beklagte nicht von ihrer Leistungspflicht im Zusammenhang mit den Unfall vom 7.10.1988 frei geworden ist und er der Kläger, nicht verpflichtet ist, an die Beklagte 25.050 DM zurückzuerstatten. Mit Schriftsatz vom 21.2.1990 hat der Kläger einen Antrag auf Zah- lung weiteren Krankenhaustagegelds gestellt und schließlich mit Schriftsatz vom 23.12.1991 darüber hinaus lnvaliditätsentschädigung in Höhe von 1.200.000,00 DM verlangt.

Der Kläger hat vorgetragen, durch seinen Unfall am 7.10.1988 sei innerhalb der Jahresfrist des § 8 Abs. 2 AUB 88 eine dauernde Beeinträchtigung seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit von mindestens 70 % eingetreten. Zur Begründung hat er sich auf Gutachten der Prof. H. und P. ( Bl. 960 ff dA ) bezogen, wonach eine unfallbedingte Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit auf urologischem Gebiet zu 30 % und auf internistischem Gebiet zu 15 % bestehe. Ferner stehe aufgrund des von der Beklagten vorgelegten neurologischen Gutachtens von Prof. Dr. E. vom 16.8.1991 (Bl. 567 ff dA) fest, daß eine hundertprozentige Erwerbsminderung infolge des erlittenen Schädelhirntraums vorliege. Darüber hinaus hat er sich auf ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C. vom 17.12.1991 bezogen, welches dieser für das Oberlandesgericht München erstattet hat (Bl. 975 ff. d.A.). Der Kläger hat weiter vorgetragen, die aufgrund des Schädel-Hirn-Traumas bestehende dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sei organisch bedingt. Die Voraussetzungen für einen Versicherungsausschluß nach § 2 Abs. 4 AUB 88 lägen nicht vor. Die Krankenhausaufenthalte seien medizinisch notwendig und unfallbedingt gewesen. Das Schadensanzeigeformular vom 4.1.1989 habe er nach bestem Wissen ausgefüllt. Die Frage 6. a) sei zutreffend beantwortet worden, weil er im Zeitpunkt des Unfalles gesund gewesen sei. Die Frage 6. b) habe sich nach dem Zusammenhang ausschließlich auf die Frage 6. a) bezogen. Eine Abklärung seines Gehörs im August 1988 sei im übrigen keine krankheitsbedingte Behandlung gewesen, sondern sei zur Ausübung des Tauchsportes erfolgt. Eine Nierenbeckenentzündung aus dem Jahre 1984 und ein Keratom aus dem Jahre 1987 seien lange vor dem Unfall ausgeheilt gewesen. Ein Leiden oder Gebrechen aus der angegebenen, lange zurückliegenden Schulterverletzung sei nicht zurückgeblieben. Ein im Juni 1986 erlittener Unfall sei im Juli 1986 vollständig ausgeheilt gewesen und versehentlich nicht erwähnt worden. Die bei der ...- versicherung bestehende Unfallversicherung habe nicht angeführt werden müssen, weil sie im Zeitpunkt der Schadensanzeige bereits beendigt gewesen sei. Jedenfalls könne ihm eine Obliegenheitsverletzung im Zusammenhang mit der Ausfüllung des Schadensanzeigeformulars aber deshalb nicht angelastet werden, weil er bei der Ausfüllung des Formulars wegen der gesundheitlichen Unfallfolgen nicht verschuldensfähig gewesen sei.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 56.700,00 DM zuzüglich 9 % Zinsen aus 23.1 00,00 DM seit 5.10.1989, aus 22.200,00 DM seit 16.5.1990 und aus 11.400,00 DM seit 20.11.1990 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine lnvaliditätsentschädigung in Höhe von 1.200.000,00 DM zuzüglich 9 % Zinsen seit Zustellung des Klageerweiterungsschriftsatzes vom 23.12.1991 zu zahlen;

3. festzustellen, daß sich der Klageantrag zu 2) in seinem Schriftsatz vom 21.2.1990 in der Hauptsache erledigt hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

widerklagend, den Kläger zu verurteilen, an sie 25.050,00 DM nebst 9 % Zinsen seit 27.10.1989 zu zahlen.

Die Beklagte hat vorgetragen, beim Kläger lägen krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vor, die nach § 2 Abs. 4 AUB 88 vom. Versicherungsschutz ausgeschlossen seien. Die Krankenhausaufenthalte des Klägers in der Zeit vom 6.4. bis 5.10.1989 und vom 22.10.1988 bis 6.4.1989 seien allenfalls wegen nicht unfallbedingter Krankheiten erforderlich geworden. Sie, die Beklagte, sei von ihrer Verpflichtung zur Versicherungsleistung aber schon gemäß §§ 9, 10 AUB 88 wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitspflichtverletzung des Klägers frei geworden. Der Kläger habe die im Schadensanzeigeformular vom 4.1.1989 gestellten Fragen bewußt falsch oder unvollständig beantwortet. Der Beklagte sei aufgrund seiner krankhaften Störungen nicht gehindert gewesen, seine versicherungsvertraglichen Angelegenheiten zu besorgen und das Schadensanzeigeformular zutreffend auszufallen. Der Kläger habe auch widersprüchliche und unklare Angaben zum Unfallgeschehen gemacht. Er habe seine Verpflichtung zur Minderung der Unfallfolgen verletzt, weil er nach dem Unfall noch bis zum 18.10.1988 im Basislager geblieben sei. Schließlich hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen ... sowie durch Einholung schriftlicher Aussagen der sachverständigen Zeugen ... und ... und durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen ... .

Wegen des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts Ettlingen (Bl. 387 ff. d. A.), das Gutachten des Sachverständigen Prof. ... vom 9.12.1992, dessen Ergänzungsgutachten vom 15.9. 1993 (Bl. 729 ff., 1067 ff. d. A.) sowie die schriftlichen Aussagen von Prof. ... und Dr. ... (Bl. 1138 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 25.11.1994 verurteilt, an den Kläger 1.245.300,00 DM nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Klage. und die Widerklage hat es abgewiesen.

Wegen der Begründung wird auf das erstinstanzliche Urteil (Bl. 1358 bis 1380 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 7.12.1994 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.12.1994 Berufung eingelegt und diese am 23.1.1995 unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages begründet. Die Beklagte trägt vor, sie sei bereits wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung des Klägers bei Abgabe der Schadensanzeige leistungsfrei. Der Kläger habe in der Schadensanzeige in erheblichem Umfang falsche und unvollständige Angaben gemacht, eine Reihe von Vorerkrankungen und mehrere frühere Unfälle verschwiegen, eine Vorinvalidität aus einer Schulterverletzung im Jahre 1993 nicht angegeben und eine weitere bestehende Unfallversicherung nicht gemeldet. Schließlich habe er falsche Angaben zum Unfallhergang und seinem Rücktransport gemacht. Der Kläger habe den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nicht erbracht. Ausschlaggebend sei allein, ob der Kläger konkret in der Lage gewesen sei, die gestellten Fragen richtig und vollständig zu beantworten. Der Zeuge ... habe nicht bestätigen können, daß der Kläger wegen der Unfallfolgen nicht in der Lage gewesen sei, die ihm gestellten Fragen vollständig und richtig zu beantworten. Er habe eingeräumt, daß er hierzu letztlich nichts sicheres sagen könne. Auch der hierzu vom Landgericht befragte Sachverständige Prof. ... habe Einschränkungen und Behinderungen bei der Korrektheit des Ausfüllenkönnens der Schadensmeldung nicht bestätigt. Von daher sei nicht verständlich, daß sich das Landgericht für die Annahme fehlenden Vorsatzes auf die Aussage des Zeugen ... und das Gutachten des Sachverständigen Prof. ... berufen habe. Das Landgericht habe offensichtlich die Beweislast verkannt.

Das Landgericht habe auch die Risikoausschlußklausel des § 2 Abs. 4 AUB 88 rechtsfehlerhaft angewendet. Durch die Fassung der Risikoausschlußklausel des § 2 Abs. 4 AUB 88 würden psychische Unfallfolgen in weitergehendem Umfang ausgeschlossen, als dies nach der Klausel in § 10 Abs. 5 AUB 61 der Fall gewesen sei. Nach § 2 Abs. 4 AUB 88 bestehe bereits dann kein Versicherungsschutz, wenn eine Invalidität auf psychische Reaktionen infolge eines Unfalles zurückzuführen sei, die ihrerseits wiederum krankhafte Störungen zur Folge haben, welche Invalidität begründen. Sie, die Beklagte, bestreitet, daß überhaupt Invalidität des Klägers vorliege, jedenfalls gehe diese aber eindeutig auf Störungen durch psychische Reaktionen zurück. So habe der Sachverständige Prof. ... in seinem Ergänzungsgutachten vom 15.9.1993 ausgeführt, daß das Krankheitsbild des Klägers auf psychischen Reaktionen beruhe. Danach habe der Kläger eine Überlebensschuld entwickelt und weise psychisch relevante Persönlichkeitsstrukturen auf, die das Krankheitsbild verschärften. Auch spreche der Sachverständige von Aggravationstendenzen als psychischen Schutzmaßnahmen. Die genannten Einflußgrößen seien nach den Ausführungen des Sachverständigen funktionell eng miteinander verbunden. Die richtige Auslegung des Gutachtens ergebe mithin eindeutig, daß eine dauernde Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht auf organischen Unfallfolgen, sondern letztlich auf einer seelisch nicht gelungenen Verarbeitung des Unfallgeschehens beruhe. Diese psychischen Reaktionen hätten wiederum eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zur Folge. Derartiges sei aber durch § 2 Abs. 4 AUB 88 ausgeschlossen. Für den Risikoausschluß genüge es, wenn der ausgeschlossene Tatbestand für den Schaden auch nur mitursächlich geworden sei. Im übrigen bestreitet die Beklagte, daß der Kläger bei dem Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten habe. Ein solches habe der Gutachter Prof. ... nur unterstellt, obwohl hierfür jegliche objektiven Feststellungen fehlten. Der Sachverständige Prof. ... habe klargestellt, daß eine Schädel-Hirn-Verletzung objektiv nicht erwiesen sei.

§ 2 Abs. 4 AUB 88 stelle unzweideutig klar, daß es nicht darauf ankomme, ob psychische Störungen durch organische Unfallfolgen verursacht seien. Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne von einer Anwendung der Unklarheitenregelung des § 5 AGBG deshalb keine Rede sein. Für die Annahme, bei dem Kläger sei es unfallbedingt zu einer Invalidität von mindestens 70 % gekommen, habe sich das Landgericht nicht auf ein Gutachten des Prof. ... vom 23.3.1994 stützen können, weil dessen Verwertung unzulässig gewesen sei. Die Ärzte seien nämlich nicht zu Sachverständigen bestellt, sondern als sachverständige Zeugen gehört worden. Hinsichtlich der Frage, ob bei dem Kläger unfallbedingte Invalidität innerhalb eines Jahres ab dem Unfall eingetreten sei, hätten sie aber gar keine Zeugenaussage machen können, weil sich der Kläger erst ab 9.1.1990 in der Behandlung von befunden habe. Die Beklagte widerspricht daher - wie schon in erster Instanz - der Verwertung des Gutachtens. Sachlich sei es nicht haltbar, weil die Sachverständigen ohne objektive Befunde von einem unfallbedingten Schädel-Hirn-Trauma ausgingen.

Bei dem Kläger bestanden eine Reihe von Vorschäden und Folgen späterer Unfälle, die mit mehr als 25 % an einer etwaigen Invalidität mitwirkten und zu einer Kürzung eines etwaigen Entschädigungsanspruches führen müßten (§ 8 AUB 88). Weiter bestreitet die Beklagte den Anspruch auf Zahlung von Krankenhaustagegeld mit der Begründung, daß die vom Kläger angegebenen Krankenhausaufenthalte nicht unfallbedingt und vollstationär gewesen seien. Schließlich bezieht sich die Beklagte auf einen Verstoß des Klägers gegen die Schadensminderungspflicht und wiederholt ihre Verjährungseinrede.

Die Beklagte beantragt:

1. in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,

2. auf die Widerklage den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte

25.050,00 DM nebst 9 % Zinsen seit 27.10.1989 zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, eine Falschauskunft im Schadensformular vom 4.1.1989 liege schon objektiv nicht vor, jedenfalls habe der Kläger aber weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt. Das Landgericht habe die Risikoausschlußklausel gemäß § 2 Abs. 4 AUB 88 zutreffend ausgelegt. Die in § 2 Abs. 4 AUB 88 gewählte Formulierung erwecke bei einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer den Eindruck, daß nur die psychischen Reaktionen nicht versichert seien, welche ihren Grund überwiegend in anderen als organischen Beeinträchtigungen hätten. Bei der hier vorliegenden Abfolge Unfallereignis-Gesundheitsschädigung-Gesundheitsschaden-psychische Reaktion-Verschlimmerung des Gesundheitsschadens dürfe der verständige Versicherungsnehmer mit einer vollen Schadensregulierung rechnen. Nach dem Grundsatz der kundenfreundlichen Auslegung (§ 5 AGBG) habe eine bloße Mitwirkung psychischer Reaktionen außer Betracht zu bleiben. Der psychoreaktive Anteil der Invalidität des Klägers liege bei maximal 5 bis 10 %. Im übrigen sei der Kläger unfallbedingt auf urologischem Gebiet zu 30 % und auf internistischem Gebiet zu 15 % dauernd in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Das Landgericht habe die organisch bedingte Invalidität des Klägers fehlerfrei festgestellt. Das Gutachten von Prof. ... stehe nicht im Widerspruch und zu dem Gutachten von Prof. ... . Sämtliche vom Landgericht beauftragte Sachverständige hätten festgestellt, daß die Beeinträchtigung des Klägers ganz überwiegend organisch bedingt sei. Daß der Sachverständige Prof. .. die Frage nicht bestätigt habe, mindere in keiner Weise den Aussagewert der Gutachten von Prof. ... und ... . Im übrigen liege die Beweislast für eine nichtorganische Ursache bei der Beklagten. Vorschäden, die zu mehr als 25 % an der Invalidität mitwirkten, habe es nicht gegeben. Ein Unfall aus dem Jahre 1983 habe zu einer Gebrauchsminderung des rechten Armes um 1/5 geführt und wirke sich auf die streitgegenständliche Invalidität des Klägers nicht aus. Unfälle mit Körperschäden habe der Kläger seit 7.10.1988 nicht erlitten. Die Unfallbedingtheit der vollstationären Krankenhausaufenthalte ergebe sich aus den vorgelegten Arztberichten i.V.m. den eingeholten Gutachten. Gegen seine Schadensminderungspflicht habe der Kläger nicht verstoßen, weil ein früherer Abtransport mit einem Rettungshubschrauber nicht möglich gewesen sei. Die Verjährung sei spätestens durch die Klageerweiterung im Jahre 1991 rechtzeitig unterbrochen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch erneute Vernehmung des sachverständigen Zeugen ... gemäß Beschluß vom 2.5.1996 (Bl. 1465 d. A.). Gemäß Beschluß vom 21.11.1996 hat der Senat ergänzende Gutachten der Sachverständigen ... und ... zu der Frage eingeholt, ob die krankhaften Störungen des Klägers Folge psychischer Reaktionen seien (Bl. 1482 f. d. A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.10.1996 (Bl. 1476 ff. d. A.) auf das Gutachten des Sachverständigen ... vom 9.9.1997 (Bl. 1492 ff. d. A.) des Sachverständigen ... vom 7.7.1998 (Bl. 1582 ff. d. A.), auf dessen ergänzende Stellungnahme vom 28.12.1998 (BI. 1640 ff. d. A.) sowie die mündliche Erläuterung des Gutachtens im Senatstermin vom 22.4.1999 (Bl. 1668 ff. d. A.) Bezug genommen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird ergänzend auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst den darin erwähnten Anlagen deren Inhalt Gegenstand des mündlichen Parteivortrags war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger steht der Anspruch auf lnvaliditätsentschädigung und Krankenhaustagegeld in der vom Landgericht zuerkannten Höhe zu. Nach den dem zwischen den Parteien geschlossenen Unfall-Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bedingungen hat der Kläger Anspruch auf die vereinbarte Invaliditäts-Höchstentschädigung von 1.200.000,00 DM, sofern infolge eines Unfalles innerhalb eines Jahres danach eine dauernde Beeinträchtigung seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit von mindestens 70 % eingetreten ist.

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88 muß die innerhalb eines Jahres eingetretene lnvalidität innerhalb einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht worden sein.

Diese Voraussetzungen liegen vor.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 6.11.1989 Invaliditätsentschädigung verlangt (Bl. 827 d. A.) und hierzu ärztliche Atteste vorgelegt (Bl. 828 ff.), aus denen folgt, daß er aus neurologischer und urologischer Sicht nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Darüber hinaus ergibt sich die fristgerechte Feststellung einer Invalidität aus dem Entlassungsbericht der P.-Kliniken vom 6.11.1989. Daß die förmlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 AUB 88 gewahrt sind, hat die Beklagte auch nicht in Abrede gestellt.

Daß die Invalidität beim Kläger innerhalb eines Jahres nach dem Unfallereignis vom 7.10.1988 eingetreten ist, folgt aus den Angaben der Sachverständigen Zeugen Prof. ... in deren schriftlichen Aussagen vom 22./23.3.1994 (Bl. 1138 ff., 1158 ff.). Sie haben angegeben, bei dem Kläger sei innerhalb eines Jahres nach dem Unfall Invalidität von 100 % eingetreten. Prof. ... hat diese Einschätzung aufgrund eigener Anschauung des Klägers im April 1989 und ab Januar 1990, aufgrund eigener Anschauung und persönlicher Kenntnis des Krankheitsverlaufes ab Januar 1990 abgegeben.

Zu Unrecht meint die Beklagte, diese Aussagen könnten nicht verwertet werden, weil die Zeugen nicht zu Sachverständigen bestellt worden seien und aus eigener Anschauung keine Zeugenaussagen machen könnten, nachdem der Kläger erst ab Januar 1990 und damit nach Ablauf der Jahresfrist des § 8 AUB behandelt worden sei. Sachverständiger Zeuge ist, wer die zu bekundenden Wahrnehmungen aufgrund seiner besonderen Sachkunde gemacht hat. Insoweit konnten beide Zeugen aufgrund eigener Anschauung des Klägers ab Januar 1990, der Zeuge ... darüber hinaus aus eigener Kenntnis des Klägers im April 1989 als sachverständige Zeugen Angaben machen und dabei auf diejenigen Feststellungen zurückgreifen, die sie bereits anläßlich vorausgegangener gutachterlicher Tätigkeit zur Frage der Invalidität gemacht hatten, so insbesondere in dem für das Oberlandesgericht München erstatteten Gutachten vom 17.12.1991 (Bl. 1208 d. A.). Darüber hinaus konnten die Zeugen aus diesen von ihnen in eigener Anschauung gewonnenen Erkenntnissen in retrospektiver Betrachtung den Schluß ziehen, daß Invalidität beim Kläger innerhalb eines Jahres nach dem Unfall, also bis 7.10.1989 eingetreten war. Auch wenn es sich insoweit um Schlüsse aus d en anläßlich der eigenen Untersuchungen getroffenen Feststellungen handelt, führt dies nicht zur Unverwertbarkeit der Aussagen. Denn die Eigenschaft als sachverständiger Zeuge oder als Sachverständiger kann sich durch die Art der tatsächlichen Heranziehung ändern, so daß ein sachverständiger Zeuge zugleich Sachverständiger sein kann (Baumbach/Lauterbach/Albers/- Hartmann, ZPO, 56. Aufl., § 414 Rdn. 3). Diese Frage ist in erster Linie für die Entschädigung als sachverständiger Zeuge oder als Sachverständiger von Belang. Belange der Parteien werden durch die Verwertung von gutachterlichen Schlußfolgerungen eines sachverständigen Zeugen nicht berührt. Ablehnungsgründe, die nur gegenüber einem Sachverständigen geltend gemacht werden könnten, hat die Beklagte nicht angeführt. Nach allem hat sich das Landgericht bei der Annahme einer innerhalb von einem Jahr nach dem Unfallereignis eingetretenen Invalidität zu Recht auf die Aussagen der sachverständigen Zeugen ... gestützt.

Auch die von der Beklagten in sachlicher Hinsicht gegen die Aussagen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Die Aussagen sind nicht deshalb unbrauchbar, weil die Sachverständigen - wie die Beklagte meint - " kurzerhand" ein schweres Schädel-Hirn-Trauma unterstellt hätten, ohne daß hierfür objektive Befunde vorlägen. Denn abgesehen davon, daß die schriftlichen Aussagen Bezug auf das bereits zuvor erstellte Gutachten von Prof. ... nehmen, in welchem Gründe für die Annahme eines Schädel-Hirn-Traumas ausführlich dargelegt werden, kommt es für die Frage, ob bei dem Kläger eine Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfallereignis eingetreten ist, nicht darauf an, worauf die Invalidität beruht, insbesondere ob sie organisch oder psychisch-reakativ bedingt ist. Letzteres ist allein im Zusammenhang mit der Risikoausschlußklausel gemäß § 2 Abs. 4 AUB 88 von Bedeutung.

Konkrete Umstände, die dafür sprechen könnten, daß bei dem Kläger Invalidität erst nach Ablauf der Jahresfrist eingetreten sein könnte, sind von der Beklagten nicht aufgezeigt worden. Die Feststellungen der Sachverständigen Prof. ... werden überdies durch den Abschlußbericht der P.-Klinik vom 6.11.1989 unterstützt, der auf einem Behandlungszeitraum vom 29.8. bis 25.9.1989 beruht und in dem bereits eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestätigt wird (Bl. 338 d. A.)

2. Der Senat sieht es aufgrund der eingeholten und vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen als erwiesen an, daß der Kläger bei dem Unfall vom 7.10.1988 eine hirnorganische Verletzung erlitten hat, die für die bei ihm eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen kausal ist.

Dem steht nicht entgegen, daß sich eine organische Verletzung mit bildgebenden Verfahren objektiv nicht nachweisen läßt. a) Der Sachverständige Prof. ... hat in seinem ersten Gutachten vom 9.12.1992 ausgeführt, der Kläger habe am 4.1.1989 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an den Folgen eines Schädelhirntraumas gelitten. Diese seien als organische Persönlichkeitsveränderungen diagnostisch zu beschreiben. Dabei könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, daß die Störungen ausschließlich infolge psychischer Reaktionen verursacht seien, wenngleich letztere sozusagen sekundär in der konkreten Begegnung mit dem zu Begutachtenden von Bedeutung seien.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.9.19893 hat der Sachverständige ausgeführt, nach den vorliegenden Informationen müsse davon ausgegangen werden, daß der Kläger bei dem Unfall am 7.10.1988 eine Hirntraumatisierung erlitten habe, deren Schwere über das Ausmaß einer commotio cerebri hinausgegangen sei. Es gebe keine Zweifel an der dann einsetzenden organischen Persönlichkeitsveränderung. Bei allen vergleichbaren Ereignissen stelle sich immer die Frage, welche anderen Einflußgrößen die Resultante der geistig-seelischen Befindlichkeit nach einer solchen Traumatisierung bestimmten. Hier sei insbesondere die Primärpersönlichkeit zu nennen. Die genannten Einflußgrößen seien funktionell eng miteinander verbunden. Jedoch sei in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß der Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an den Folgen eines Schädelhirntrauma leide und seit dem Unfall gelitten habe. Es seien zwar psychische Faktoren bzw. psychische Reaktionen beteiligt, eine beim Kläger bestehende Invalidität sei durch diese Faktoren jedoch nicht entscheidend verursacht. Nach wie vor bleibe die hirnorganische Persönlichkeitsveränderung wesentliche Hauptursache etwaiger Invalidität. Bei der eindeutigen Hauptgewichtung der hirnorganischen Komponente sei ein rechnerischer Abzug von höchstens 5 bis 10 % wegen der psychischen Faktoren anzunehmen, sofern dies überhaupt in Frage komme (Bl. 1070 bis 1074 d. A.).

An dieser Beurteilung hat der Sachverständige in seinem für den Senat unter dem 7.7.1998 (Bl. 1582 ff. d. A.) erstatteten nervenfachärztlichen Gutachten festgehalten. Dort heißt es u.a. in Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Sachverständigen ... und dem Vortrag der Beklagten, in beiden Vorgutachten sei unmißverständlich von einem hirnorganischen Psychosyndrom die Rede gewesen. Es sei nachzuvollziehen, daß auf eine schwere Traumatisierung sowohl körperlich wie psychisch reagiert werde, ohne daß die psychische Reaktion unnormal wäre oder eine Verschlimmerung des organischen Gesundheitsschadens bedeuten müßte. Eine mehr als 12stündige Bewußtlosigkeit mit Austritt von zunächst blutiger, dann wässriger Flüssigkeit aus einem Gehörgang spreche für ein schweres Schädelhirntrauma mit Schädelbasisfraktur, daß die Vorgänge so waren, lasse sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus den medizinischen Befunden belegen. Die organische Traumatisierung führe in der Folge zu dem beschriebenen hirnorganischen Psychosyndrom, was sich klinisch-psychiatrisch wie neuropsychologisch eindeutig verifizieren lasse. Der hirnorganische Anteil entspreche einem lnvaliditätsgrad von 70 % in der Gesamtgewichtung. Die normal menschlichen psychischen Reaktionen hätten beim Kläger nicht zur Auslösung oder Verschlimmerung des Gesundhe.itsschadens beigetragen. Das Unfallereignis werde von einer psychischen Reaktion begleitet, die sich in der normalen Bandbreite menschlichen Reagierens abspiele und nicht zu einer Verschlimmerung des Gesundheitsschadens beitragen

Der Sachverständige ... hat bei der mündlichen Erläuterung von einer mitschwingenden psychischen Reaktion gesprochen, bei der die Persönlichkeitsstruktur des Verletzten zu berücksichtigen sei. Eine Quantifizierung der psychischen Reaktion im Sinne eines prozentualen Anteils hat er nicht für möglich gehalten. Solange ein Gehirn noch normal funktioniere, gebe es eigentlich auf jedes Unfallereignis eine psychische Reaktion. Die beim Kläger 1992 festgestellten mitwirkenden psychischen Reaktionen hätten jedenfalls in diesem Zeitpunkt nach Einschätzung des Sachverständigen keinen Einfluß mehr auf seine Arbeitsfähigkeit gehabt und seien auch nicht als Krankheitswert zu qualifizieren.

b) Diese Ausführungen der Sachverständigen Prof. ... und ..., die von einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine hirnorganische Verletzung des Klägers als Unfallfolge ausgehen, werden insbesondere durch die fachkundigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. ... gestützt. In dessen Gutachten vom 17.12.1991 für das Oberlandesgericht München (Bl. 847 ff. d. A.) wird u.a. ausführlich, nachvollziehbar und überzeugend zur Frage eines SchädeIhirntraumas und einer Schädelbasisfraktur Stellung genommen (vgl. dort S. 48 bis 55 = Bl. 894 bis 901 d.A.). Dabei legt der Sachverständige einerseits dar, daß die sogenannten modernen bildgebenden Verfahren nicht immer in der Lage sind, einen objektiven Nachweis über eine organische Hirnschädigung zu erbringen, daß sich durch den Nachweis reproduzierbarer Hirnleistungsstörungen aber zumeist ein hinreichender Verdacht auf eine zugrundeliegende Hirnschädigung ergeben könne. Im Fall des Klägers lasse sich unter Berücksichtigung der vorliegenden bildgebenden Verfahren zwar die klinische Diagnose einer Hirnkontusion nicht verifizieren, jedoch könne mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß eine Sauerstoffmangelversorgung eingetreten sei und zu einer hypoxischen Hirnschädigung geführt habe. Aufgrund der Befundlage könne auch eine Schädelbasisfraktur unterstellt werden. Insgesamt müsse es als hochwahrscheinlich angenommen werden, daß der Unfall zu einer organischen Hirnschädigung durch Sauerstoffmangel geführt habe, die sich zwar in den bildgebenden Verfahren nicht beweisen lasse, die aber aufgrund der testpsychologischen Untersuchungen, der Beobachtungen des Begutachteten über einen langen Zeitraum und der fremdanamnestisch gewonnenen Informationen bejaht wird.

Neben den organischen Faktoren seien auch psychoreaktive Momente und eine gewisse Aggravation zu vermuten. Dennoch ist der Sachverständige davon überzeugt, daß der organische Faktor von ausschlaggebender Bedeutung sei und die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 % rechtfertige. Insgesamt sei der Kläger zu 100 % berufsunfähig. Dabei stützt sich der Sachverständige auf eine gleichlautende Beurteilung des Sachverständigen ... für die Landesärztekammer (Bl. 921, 922 d. A.).

Aufgrund dieser übereinstimmenden Überzeugung der Sachverständigen Prof. ... und ..., die ausführlich, nachvollziehbar und widerspruchsfrei begründet ist, geht der Senat vom Vorliegen einer hirnorganischen Verletzung des Klägers aus, die für dessen Gesundheitsbeeinträchtigungen zumindest in erster Linie kausal ist. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den sachverständigerseits festgestellten Verletzungsfolgen in der Zusammenschau mit den Umständen des schweren Bergunfalls vom 7.10.1988, insbesondere dem 20 Meter tiefen Sturz und der nachfolgenden langen Bewußtlosigkeit.

c) Dem stehen die Ausführungen des Sachverständigen Prof. ... in seinem von der Beklagten vorgelegten Gutachten vom 16.8.1991 (Bl. 567 d.A.) und seiner vom Senat eingeholten Stellungnahme vom 9.9.1997 nicht entgegen. Festzuhalten ist zunächst, daß auch der Sachverständige Prof. ... von einem Dauerschaden mit 100-%iger Arbeitsbeeinträchtigung ausgeht. Auch er nimmt an, daß es aufgrund eines SchädeIhirntraumas mit Wahrscheinlichkeit zu einer mäßig-gradigen organischen Schädigung des zentralen Nervensystems gekommen ist. In seinem ersten Gutachten hat er unter Berücksichtigung der Entwicklung des Klägers von einer sekundären psychischen Erkrankung im Sinne einer psychoreaktiven Entwicklung gesprochen, wobei eine Differenzierung zwischen hirnorganischer Schädigung und psychischer Schädigung nicht möglich sei. Hierzu hat der Sachverständige auf eine psychiatrische Begutachtung verwiesen (Bl. 636 d. A.).

In dem für den Senat erstatteten Gutachten kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, daß prinzipiell ein überwiegender Anteil organischer Schäden als Erklärung für das Beschwerdebild des Patienten möglich, aus seiner Sicht jedoch unwahrscheinlich sei. Eine Differenzierung, wie sie der Sachverständige Prof. ... in seinem Gutachten vom 15.9.1993 dahin vorgenommen hat, daß der hirnorganische Anteil in seiner Bedeutung mit Abstand die Hauptrolle spiele, sei nach seiner Auffassung nicht möglich.

d) Der Senat folgt der Einschätzung der Sachverständigen Prof. ... und Prof. ..., wonach die Gesundheitsschäden beim Kläger primär auf eine organische Verletzung zurückzuführen sind. Denn letztlich hat der Sachverständige Prof. ... sich selbst nicht in der Lage gesehen, eine genaue Gewichtung der organisch und psychisch bedingten Anteile vorzunehmen. Der Senat vermag seiner Beurteilung daher auch kei- ne größere Überzeugungskraft als der Beurteilung der anderen Sachverständigen bei zumessen.

Selbst wenn aber Zweifel bestanden, ob der Kläger durch den Unfall eine hirnorganische Schädigung erlitten hat und zu welchem Anteil psychische Reaktionen an der Gesundheitsbeeinträchtigung mitwirken, müßten diese zu Lasten der Beklagten gehen. Denn der Versicherer, der sich auf den Ausschlußtatbestand des § 2 Abs.,4 AUB 88 beruft, hat den vollen Beweis dafür zu erbringen, daß die krankhaften Störungen Folge psychischer Reaktion und nicht physischer Genese sind (Wussow/Pürckhauer, AUB, 6. Aufl., § 2 Rd. 108; BGH r + s 1995, 477 - zu AUB 61; Grimm, AUB, § 2 Rdn. 108).

3. Beruhen die erlittenen Gesundheitsschäden des Klägers in erster Linie und kausal auf einer hirnorganischen Schädigung, so kann sich die Beklagte nicht auf die Ausschlußklausel des § 2 Abs. 4 AUB 88 berufen. Der Senat folgt insoweit der Auslegung des Landgerichts in vollem Umfang.

Ausgeschlossen sind nach § 2 Abs. 4 AUB 88 krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind. Daraus folgt, daß psychische Reaktionen auch ausgeschlossen sind, wenn sie auf ein Unfallereigniszurückgehen. Nicht ausgeschlossen sind nach dem Wortlaut der Bestimmung indes Gesundheitsschäden, die auf einer infolge eines erlittenen Unfalles eingetretenen organischen Schädigung beruhen, soweit die psychische Reaktionen eine praktisch nicht vermeidbare Begleiterscheinung ist.

Im Schrifttum besteht Einigkeit darüber, daß der Ausschluß des § 2 Abs. 4 AUB 88 über den in § 10 Abs. 5 AUB 61 enthaltenen hinausgeht, weil damit auch solche unfallbedingten Gesundheitsschäden ausgeschlossen sind, die auf einer psychischen (Fehl)Verarbeitung beruhen oder hierdurch verschlimmert werden (Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 2 AUB 81, Anm. 40). Ausgeschlossen werden damit solche Gesundheitsschäden, bei denen ein adäquater Kausalzusammenhang mit körperlichen Traumata nicht nachweisbar ist,. sondern die krankhaften Stö- rungen allein mit ihrer psychogenen Natur erklärbar sind (Grimm, AUB, § 2 Rdn. 108). § 2 Abs. 4 AUB 88 erfaßt zugleich die Fälle, bei denen das erste Ereignis kein Unfall ist wie diejenigen Fälle, in denen psychische Reaktionen auf einen Unfall zurückgehen. Damit werden alle Störungen , die durch psychische Reaktionen auf das Unfallereignis hervorgerufen werden und den Organismus betreffen, ausgeschlossen (Wussow/Pürckhauer a.a.O.; Grimm a.a.0.).

Demgegenüber vermag sich der Senat der weitergehenden Auffassung nicht anzuschließen, der Ausschluß greife uneingeschränkt auch dann ein, wenn psychische Störungen auf eine durch den Unfall verursachte organische, Erkrankung zurückzuführen sind. Zwar enthält § 2 Abs. 4 AUB 88 keine dem § 10 Abs. 5 AUB 61 entsprechende Einschränkung. Deren Fehlen reicht jedoch nicht aus, um der Klausel eine so weitreichende Einschränkung des Versicherungschutzes zu entnehmen.

Nach allgemeiner Auffassung gehört zum Unfallbegriff die Gesundheitsbeschädigung und ist zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeschädigung adäquate Kausalität erforderlich. Bei der Unfallneurose, bei der ein objektiv harmloses Ereignis wegen der subjektiven Fehlverarbeitung durch den Versicherungsnehmer und wegen dessen Einbildung zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung führt, fehlt die Adäquanz (Knappmann a.a.0. § 1 AUB 88 Rdn. 21). Beruht der Gesundheitsschaden dagegen auf einer organischen Verletzung und treten infolgedessen psychische Störungen auf, so ist die Adäquanz grundsätzlich noch gegeben, es sei denn, die Beschwerden gingen ausschließlich auf eine psychische Fehlverarbeitung zurück.

Während im Haftpflichtrecht der Schädiger auch für die Folgen einer psychischen Fehlverarbeitung einzustehen haben kann (BGH NJW-RR 99, 819 m.w.N.), schließt § 2 Abs. 4 AUB 88 die Entschädigungspflicht insoweit aus. Daß die Entschädigungspflicht dagegen schon bei dem bloßen Mitwirken psychischer Reaktionen bei einer organisch bedingten Gesundheitsbeeinträchtigung ausgeschlossen sein soll, läßt sich dem Wortlaut der Klausel nicht entnehmen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind im Grundsatz so auszulegen, wie sie der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung verstehen muß (BGH VR 96, 622). Der Versicherungsnehmer muß die Bedingungen aufmerksam durchlesen und auf den erkennbaren Sinnzusammenhang überprüfen. § 5 AGBG ist jedoch anwendbar, wenn nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel bleibt und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten verbleiben (BGH a.a.0.). Das ist hier jedoch der Fall. Neben dem Wortlaut sprechen auch die Entstehungsgeschichte und der Sinn und Zweck der Bestimmung gegen die von der Beklagten vertretene weite Auslegung. Schon § 10 Abs. 5 AUB 61 wie dessen Vorgängerbestimmungen stellten die sogenannte "Neuroseklausel" dar, die überwiegend bedeutsam für traumatische Neurosen war. Hierunter wurden Vorstellungen des durch einen Unfall Betroffenen verstanden, die zwar durch den Unfall ausgelöst wurden, jedoch nicht als dessen typische und regelmäßge Folge anzusehen sind, insbesondere nicht im Sinne medizinischer Wertung als Folge dieses Unfallereignisses angesehen werden (Bruck/Müller/Wagner, VVG, 8. Aufl., G 259 ff.).

Über die Einflüsse psychischer Faktoren auf das Krankheitsgeschehen und die Heilungstendenzen besteht auch in der medizinischen Fachwelt noch keine einheitliche Auffassung. Sie sind in ihren Auswirkungen weitgehend unbekannt und nicht meßbar. Trotz modernster Untersuchungsmethoden wird sich häufig nicht eindeutig klären lassen, ob und inwieweit Gesundheitsschäden durch psychische Faktoren ausgelöst oder beeinflußt sind (Wussow/Pürckhauer a.a.0. Rdn. 108).

Wie insbesondere der Sachverständige Prof. ... und der Sachverständige ... anschaulich dargelegt haben, sind psychische Reaktionen im Sinne von Begleiterscheinungen hirnorganischer Verletzungen praktisch nicht auszuschließen, sondern normale Folge innerhalb der Bandbreite menschlicher Reaktion. Daß § 2 Abs. 4 AUB 88 einen Risikoausschluß auch für psychische Reaktionen innerhalb dieser Bandbreite menschlicher Reaktionen vorsieht, folgt aus der Bestimmung zumindest nicht eindeutig. Insoweit bestehenden Zweifeln kann auch nicht dadurch Rechnung getragen werden, daß der Versicherer u.U. eine großzügigere Regulierung vornimmt, wenn die psychische Reaktion auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung zurückzuführen ist (so Wussow/Pürckhauer a.a.0. Rdn. 107). Wegen des andernfalls weitgehend entwerteten Versicherungsschutzes bei allen Fällen hirntraumatischer Unfallgeschehen wäre es vielmehr Sache der Versicherer, die Reichweite der Ausschlußklausel in deren Wortlaut eindeutig festzulegen.

Jedenfalls ist ein Ausschluß aufgrund des § 2 Abs. 4 AUB 88 dann nicht gerechtfertigt, wenn - wie hier aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen Prof. ... - davon ausgegangen werden muß, daß die gesundheitlichen Schäden ganz überwiegend auf organische Verletzungen zurückzuführen sind. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann aufgrund des Wortlautes der Klausel dieser nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, daß sein Versicherungsschutz auch schon dann entfällt, wenn er - zwangsläufig - schwere Unfallverletzungen auch psychisch verarbeitet, ohne daß insoweit medizinisch von einer Reaktion mit Krankheitswert ausgegangen werden kann.

4. Die Berufung kann auch mit ihren weiteren Einwendungen keinen Erfolg haben.

a) Die Beklagte ist nicht wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzungen des Klägers bei Abgabe der Schadensanzeige leistungsfrei.

Der Senat folgt insoweit der Auffassung des Landgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen weitgehend Bezug genommen werden kann (§ 543 Abs. 1 BGB).

Nach der neuerlichen Vernehmung des Zeugen ... geht der Senat davon aus, daß dem Kläger aufgrund der erlittenen Hirnleistungsdefizite im Zeitpunkt der Antragstellung ein erhebliches Verschulden bei der unvollständigen Ausfüllung der Schadensanzeige nicht vorgeworfen werden kann (vgl. Römer/Langheid, VVG, § 6 Rdn. 62).

Dabei ist in objektiver Hinsicht davon auszugehen, daß sich die Frage 6. a) nur auf Leiden und Gebrechen zur Zeit des Unfalls bezog. Solche lagen nach dem nicht substantiiert bestrittenen Vortrag des Klägers aber nicht vor. Zwar hätte der Kläger in Ziff. 6 b diejenigen Ärzte angeben müssen, die er in den letzten fünf Jahren konsultiert hatte und liegt jedenfalls insoweit eine objektive Obliegenheitsverletzung vor. Indes hat der Zeuge ... bei seiner Aussage vor dem Senat bestätigt, daß das intellektuelle Leistungsvermögen des Klägers im fraglichen Zeitraum eingeschränkt gewesen und der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, die gestellten Fragen ordnungsgemäß zu beantworten.

b) Soweit die Beklagte Vorschäden geltend macht, die zu mehr als 25 % an einer Invalidität des Klägers mitwirkten, ist der Vortrag pauschal und unsubstantiiert, so daß dem angebotenen Beweis auf Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens mangels entsprechender Anknüpfungstatsachen nicht nachzugehen war.

c) Gleiches gilt, soweit die Beklagte die Notwendigkeit der vollstationären Heilbehandlungen bestritten hat, für die der Kläger Krankenhaus-Tagegeld verlangt.

Hierzu hat das Landgericht ausgeführt, die Unfallbedingheit werde durch die vorgelegten Gutachten und die mit Schriftsatz vom 30.7.1990 vorgelegten Arztberichte belegt. Damit hat sich die Beklagte in der Berufungsbegründung nicht im einzelnen auseinandergesetzt. Auch insoweit ist der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens deshalb nicht hinreichend substantiiert. Auf den Ausschluß gemäß 2 Abs. 4 AUB 88 kann sich die Beklagte - wie dargelegt - nicht berufen.

d) Soweit sich die Beklagte auf Leistungsfreiheit wegen Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht beruft, weil der Kläger zunächst im Basislager verblieben ist, wird auf die Ausführungen in dem von der Beklagten selbst vorgelegten Gutachten des Sachverständigen Prof. ... verwiesen, wonach nicht davon auszugehen ist, daß die eingetretenen Gesundheitsbeschädigungen durch einen frühzeitigen Abtransport des Klägers hätten vermieden werden können (Gutachten vom 16.8.1991, S. 70 = Bl. 636 d.A.). Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß und weshalb die Einschätzung des Sachverständigen insoweit unzutreffend sein soll. Zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bestand deshalb kein Anlaß.

e) Die Forderung ist auch nicht verjährt.

Der Kläger konnte den Invaliditätsanspruch nicht schon 1988 geltend machen, weil in diesem Zeitraum Invalidität noch nicht festgestellt war. Selbst wenn dies aber der Fall gewesen wäre, hätte der Beklagten eine angemessene Prüfungsfrist für die nötigen Erhebungen zugestanden und wäre ein Leistungsanspruch des Klägers erst nach deren Abschluß fällig geworden (§ 11 Abs. 1 VVG). Daß die Beklagte die nötigen Erhebungen ebenfalls bereits 1988 hätte durchfuhren und abschließen können, hat sie weder dargelegt, noch sprechen die gesamten Umstände des Falles dafür.

Die 2-jährige Verjährungsfrist wurde daher durch den Schriftsatz vom 23.12.1991 rechtzeitig unterbrochen.

5. Nach allem war die Berufung der beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 710 ZPO.



Ende der Entscheidung

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