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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 09.01.2007
Aktenzeichen: 3 UF 124/06
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 1600
GG Art. 6
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die frühere Regelung des § 1600 BGB als verfassungswidrig angesehen, soweit diese dem biologischen Vater auch dann kein Recht zur Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft eingeräumt hat, wenn zwischen dem rechtlichen Elternteil und dem Kind keine familiäre Bindung besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat aber klargestellt, dass die leibliche und die rechtliche Vaterschaft durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt würden. Ist beides nicht in Einklang zu bringen, kann das Interesse an der Wahrung einer sozial-familiären Bindung so gewichtig sein, dass der Wunsch des biologischen Vaters, rechtlich als solcher anerkannt zu werden, dahinter zurücktreten muss.
Gründe:

Die Streitgehilfin und Mutter des am 05.02.1997 in O1 geborenen Beklagten zu 2) war mit dem Beklagten zu 1) verheiratet. Sie lernte während der Empfängniszeit den Kläger kennen und hatte auch mit ihm Geschlechtsverkehr. Im Mai 1996 versöhnte sie sich mit ihrem Ehemann und reiste mit ihm nach O1, ihrem Heimatland. Einige Monate nach der Geburt des Beklagten zu 2) kehrte sie im Mai 1997 mit beiden Beklagten zurück in die O2 und lebte dort mit ihnen zusammen bis zum Januar 1999. Danach reiste sie mit dem Beklagten zu 2) wieder in ihre Heimat und blieb dort bis zum August 1999. Dann flog sie zurück in die O2 und lebte bis zum Februar 2000 wieder zusammen mit beiden Beklagten in der Ehewohnung. Danach kam es zur Trennung der Eheleute. Die beiderseitigen Wohnorte wurden jedoch so gewählt, dass die Beklagten regelmäßig miteinander Kontakt haben konnten, teilweise jede Woche, zumindest aber an jedem zweiten Wochenende.

Im Februar 2002 ergab ein mit Zustimmung der Streitgehilfin eingeholter Vaterschaftstest mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit die biologische Vaterschaft des Klägers.

Die Beklagten tragen übereinstimmend vor, zwischen ihnen bestehe eine enge, durch regelmäßigen Kontakt gepflegte Beziehung.

Der Kläger will mit seiner Klage erreichen, dass festgestellt wird, dass der Beklagte zu 1) nicht der Vater des Beklagten zu 2) sei.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und die Klage auf den Beklagten zu 2) erweitert. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt er den erstinstanzlich gestellten Antrag weiter. Die Kindesmutter ist im Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO).

In der Sache hat sie jedoch aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine wirksame Anfechtung gemäß § 1600 Abs. 2 und 3 BGB liegen nicht vor. Zwischen den Beklagten besteht eine sozial familiäre Beziehung, die ein Anfechtungsrecht des Klägers ausschließt. Der Beklagte zu 1) war mit der Streitgehilfin und Kindesmutter zur Zeit der Geburt von A verheiratet und lebte auch mit ihr zusammen. Die eheliche Gemeinschaft bestand bis Februar 2000 und wurde nur für einen ca. halbjährigen Aufenthalt von Mutter und Kind in O1 unterbrochen. Auch in der Folgezeit fand nach der übereinstimmenden Schilderung des Beklagten zu 1) und der Streitgehilfin ein intensiver Kontakt zwischen den Beklagten statt. Die Richtigkeit dieses Vortrags ist als zugestanden anzusehen. Der Beklagte zu 1) und die Streitgehilfin haben die Besuche und deren Häufigkeit im einzelnen beschrieben und vom Kläger sind diese Darlegungen nicht substanziiert bestritten worden. Das Bestehen einer engen Bindung wird noch bestätigt durch den Schriftsatz vom 01.02.2006, in dem die Ergänzungspflegerin ihr Gespräch mit dem Beklagten zu 2) darstellt. A hat dabei unter anderem geäußert, dass er wünsche, dass Papa (der Beklagte zu 1)), Mama und er wieder zusammen wohnen könnten. Insgesamt belegen seine unstreitigen Erklärungen gegenüber der Ergänzungspflegerin, dass er stark am Beklagten zu 1) hängt, diesen als seinen Vater ansieht und dass er mit diesem wieder zusammen leben möchte. Es bestehen deswegen keine Zweifel daran, dass zwischen ihm und seinem rechtlichen Vater eine sozial-familiäre Beziehung gegeben ist.

Diese entfällt nicht dadurch, dass der Beklagte zu 1) und die Streitgehilfin inzwischen geschieden sind. Der gesetzliche Wortlaut stellt gerade nicht darauf ab, dass die rechtlichen Eltern noch miteinander verheiratet sind oder noch zusammen wohnen. Vielmehr ist ausschlaggebend, dass der rechtliche Vater für das Kind Verantwortung trägt und längere Zeit mit diesem zusammengelebt hat. Hier ist beides zu bejahen. Zweck der neuen gesetzlichen Regelung ist - auch im Interesse der Rechtssicherheit - dass ein Anfechtungsrecht, welches in der Vergangenheit nicht bestanden hat, nicht wieder aufleben kann (vgl. Palandt, BGB, 66. Auflage § 1600 Randnummer 7 mit weiteren Nachweisen).

Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass er nicht mehr das Bestehen einer engen Bindung zwischen den beiden Beklagten bestreiten will. Er ist jedoch der Auffassung, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen das Anfechtungsrecht nicht davon abhängig gemacht werden dürfe, dass zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine sozial-familiäre Beziehung bestehe. Er meint, auch § 1600 Abs. 2, 3 BGB n.F. verstoße gegen Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 09.04.2003 (FamRZ 2003, 816ff) zwar die frühere Regelung des § 1600 BGB als verfassungswidrig angesehen, soweit diese dem biologischen Vater auch dann kein Recht zur Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft eingeräumt hat, wenn zwischen dem rechtlichen Elternteil und dem Kind keine familiäre Bindung besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat aber weiter in der Entscheidung klargestellt, dass die leibliche und die rechtliche Vaterschaft durch Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt würden. Sowohl die Abstammung wie auch die sozial-familiäre Verantwortungsgemeinschaft machen danach gleichermaßen den Gehalt des grundrechtlich geschützten Elternrechts aus. Ist beides nicht in Einklang zu bringen, gibt die Grundrechtsnorm keine starre Gewichtung dafür vor, welchem der beiden Merkmale Vorrang einzuräumen ist (vgl. Blatt 196 der Akten). Der Gesetzgeber hat hierbei eine eigene Abwägung vorzunehmen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn er das Interesse an der Wahrung einer sozial-familiären Bindung als so gewichtig ansieht, dass der Wunsch des biologischen Vaters, rechtlich als solcher anerkannt zu werden, dahinter zurücktreten muss.

Als verfassungsrechtlich bedenklich ist gleichfalls nicht zu erachten, dass der Gesetzgeber zur Abgrenzung den unbestimmten Rechtsbegriff der sozial-familiären Beziehung verwandt und nicht etwa darauf abgestellt hat, dass die rechtlichen Eltern miteinander hätten verheiratet gewesen oder eine Mindestzeit hätten zusammenleben müssen bzw. das sie immer noch zusammenleben müssten. Zum Wohle des Kindes und auch im Interesse der Kindesmutter, deren beider Rechte gleichrangig mit denen des rechtlichen Vaters zu wahren sind, muss hier auf den Einzelfall und darauf abgestellt werden, in wieweit das Kind eine enge schützenswerte Beziehung zu seinem rechtlichen Vater aufgebaut hat, die durch dessen Verdrängung als Vater auf Grund einer erfolgreichen Anfechtungsklage erheblich gefährdet werden könnte. Auf andere Weise können die im Interesse des Kindeswohls zu beachtenden Grundsätze der Kontinuität und der Erhaltung vorhandener Bindungen nicht angemessen gewahrt werden.

Aus denselben Gründen verstößt § 1600 Abs. 2 und 3 BGB auch nicht gegen § 8 EMRK. Der Schutz des Familienlebens gebietet nicht, dass die Rechte des leiblichen Vaters als vorrangig gegenüber denjenigen des rechtlichen Vaters zu werten sind, der eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind hat. Soweit der Kläger Bezug auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nimmt, die sich mit dem Umgangsrecht des biologischen Vaters befasst, ist diese hier nicht einschlägig, da mit der Entscheidung über das Anfechtungsrecht des biologischen Vaters nicht gleichzeitig darüber befunden wird, ob ihm ein Umgangsrecht eingeräumt werden sollte oder nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichtes. Der Bundesgerichtshof hat bisher nicht über die Frage entschieden, ob die neue Regelung des § 1600 Abs. 2 und 3 BGB verfassungsgemäß ist und die Rechte des biologischen Vaters, die sich aus Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG ergeben, in ausreichendem Maße gewahrt werden.

Der Berufungswert folgt aus § 48 Abs. 3 Satz 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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