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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 17.01.2008
Aktenzeichen: 3 VAs 48/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 489
1. § 489 II StPO setzt eine Einzelfallprüfung voraus, in der insbesondere der konkrete Tatvorwurf, die konkret geführten Ermittlungsmaßnahmen sowie die hieraus resultierende Rechtsbeeinträchtigung des (früheren) Beschuldigten eine Rolle spielen müssen.

2. Der Maßstab der Erforderlichkeit der weiteren Speicherung der personenbezogenen Daten im Sinne des § 489 II StPO muss dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung gerecht werden. Darüber hinaus darf auf Grund des sog. Zweckbindungsgrundsatzes die speichernde Stelle nur die Daten speichern, die für ihre Aufgabenerfüllung geeignet und erforderlich sind. Ferner sind mögliche mildere Rechtsbeeinträchtigungen in den Abwägungsprozess einzustellen.

3. Bei einer Speicherung von personenbezogenen Daten zum Zwecke der bloßen Vorgangsverwaltung im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister ist nicht erkennbar, wieso nach einer Einstellung gemäß § 170 II StPO der früher erhobene Vorwurf der Begehung einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung aufgenommen werden muss.


3 VAs 47/07 3 VAs 48/07

Gründe:

I.

Beide Antragsteller begehren die Löschung von personenbezogenen Daten aus der Strafverfahrensdatei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Hier wurden neben dem vollständigen Namen der Antragsteller, dem Aktenzeichen und der befassten Polizeibehörde die folgenden Daten gespeichert:

- Bzgl. des Ast. zu 1):

Delikt: StGB § 176; Tatanfang: ....2006; Entscheidung: Einst. § 170 II StPO Tatverdacht ausgeräumt; Datum: ....2006; Erfassungsdatum: ....2007; Aufbewahrdatum Akte: ....2017; Weglegedatum: ...2007; Sachgebiet: 15 - Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

- Bzgl. der Ast. zu 2):

Delikt: StGB § 323c; Tatanfang: ....2006; Entscheidung: Einst. § 170 II StPO Tatverdacht ausgeräumt; Datum: ....2007; Erfassungsdatum: ...2007; Aufbewahrdatum Akte: ....2017; Weglegedatum: ....2007; Sachgebiet: 15 - Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Grundlage für diese Eintragungen war ein in den Jahren 2006 und 2007 gegen beide Antragsteller geführtes Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main (Az.: 4711 Js 231290/06 Jug). Gegen den Antragsteller zu 1) bestand der Anfangsverdacht des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) im Hinblick auf die 2-jährige Tochter der Antragstellerin zu 2). Der Antragstellerin zu 2) wurde in diesem Zusammenhang eine Straftat nach § 323c StGB zur Last gelegt. Im Verlauf des aufwändig geführten Ermittlungsverfahrens stellte sich durch mehrere fachärztliche Untersuchungen heraus, dass gewisse Anomalien im Scham- und Analbereich der Tochter der Antragstellerin zu 2) auf andere Ursachen als einen eventuellen sexuellen Missbrauch zurückzuführen sind. Die Staatsanwaltschaft stellte deshalb das Verfahren gegen den Antragsteller zu 1) mit Verfügung vom 07.12.2006, gegen die Antragstellerin zu 2) mit Verfügung vom 19.03.2007 ein (§ 170 II StPO).

Beide Antragsteller ersuchten nach der Verfahrenseinstellung die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main schriftlich um Mitteilung darüber, welche personenbezogenen Daten über sie nach der Verfahrenseinstellung noch in der Strafverfahrensdatei gespeichert seien. Die Staatsanwaltschaft gab beiden Antragstellern mit Schreiben vom 06.08.2007 - gerichtet an den Antragsteller zu 1) - sowie mit Schreiben vom 24.05.2007 - gerichtet an die Antragstellerin zu 2) - schriftliche Mitteilung über den Inhalt der Strafverfahrensdatei und setzte die Antragsteller wunschgemäß auch über den Zweck der (weiteren) Speicherung in Kenntnis.

Der Antragsteller zu 1) beantragte sodann mit Schreiben vom 14.08.2007, die Antragstellerin zu 2) mit Schreiben vom 10.07.2007 und vom 13.08.2007 bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main die Löschung der gespeicherten personenbezogenen Daten zu dem besagten Ermittlungsverfahren aus der Strafverfolgungsdatei. Sämtliche Anträge wurden durch die Staatsanwaltschaft negativ beschieden, und zwar gegen den Antragsteller zu 1) mit Bescheid vom 21.08.2007 sowie gegen die Antragstellerin zu 2) mit den Bescheiden vom 23.07.2007 und vom 21.08.2007.

Gegen diese Bescheide richten sich die Anträge beider Antragsteller auf gerichtlichen Rechtsschutz gem. § 23 ff. EGGVG. Der Antragsteller zu 1) begehrt zudem auch gegen die Mitteilung zum Inhalt der Strafverfahrensdatei vom 06.08.2007 gerichtlichen Rechtsschutz.

Beide Antragsteller machen geltend, durch die fortdauernde Speicherung über eine Verfahrenseinstellung hinaus in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt zu sein und weisen auf eine nicht nur unerhebliche Stigmatisierungswirkung der Eintragungen hin.

Die Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt hat in ihren Stellungnahmen vom 07.und 09.11.2007 beantragt, die Anträge auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen und begründet dies im wesentlichen - wie auch die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main - mit allgemeinen Grundsätzen der Vorgangsverwaltung.

II.

Der Antrag des Antragstellers zu 1) ist nur teilweise, der Antrag der Antragstellerin zu 2) hingegen voll umfänglich gem. §§ 23 I, 24 I und 26 I EGGVG zulässig.

Bei beiden der gegen die Antragstellerin zu 2) gerichteten Bescheide der Staatsanwaltschaft handelt es sich um Justizverwaltungsakte, so dass ein Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG statthaft ist.

Im Fall des Antragstellers zu 1) ist hingegen nur der gegen ihn ergangene Bescheid vom 21.08.2007 als Justizverwaltungsakt zu klassifizieren, nicht aber der ebenfalls von ihm angegriffene staatsanwaltschaftliche Bescheid vom 06.08.2007.

Ein Justizverwaltungsakt ist jedes hoheitliche Handeln einer Justizbehörde zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf einem der in § 23 I EGGVG genannten Gebiete, das geeignet ist, den Betroffenen in seinen Rechten zu verletzen (KK StPO - Kissel, 5. Aufl. 2003, § 23 EGGVG, Rn. 21 m.w.N.). Auf dieser Grundlage kann ein Justizverwaltungsakt immer nur dann vorliegen, wenn von einer behördlichen Maßnahme unmittelbare rechtliche Wirkungen ausgehen, Lebensverhältnisse bestimmend geordnet werden und so in die Lebens- und Rechtsverhältnisse des Betroffenen gestaltend eingegriffen wird (so z.B. OLG Hamm NJW 1972, 2145).

Daran fehlt es bei dem an den Antragsteller zu 1) gerichteten staatsanwaltschaftlichen Bescheid vom 06.08.2007.

In diesem Bescheid teilte die Staatsanwaltschaft dem Antragsteller zu 1) auf dessen Anfrage lediglich mit, dass personenbezogene Daten über ihn gespeichert wurden und zu welchem Zweck dies geschah. Ein Antrag auf Löschung stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Raum. Damit hat dieser Bescheid lediglich informatorischen, nicht hingegen einen regelnden und zugleich auch beschwerenden Charakter für den Antragsteller zu 1) (vgl. insofern auch die Hinweise bei KK StPO - Kissel, 5. Aufl. 2003, § 23 EGGVG, Rn. 23f., wonach behördliche Auskünfte, Hinweise auf das geltende Recht sowie bloße Stellungnahmen oder Erklärungen von Justizbehörden gerade nicht als Justizverwaltungsakt zu klassifizieren sind). Ein Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG ist insofern unstatthaft.

Beide Antragsteller machen darüber hinaus auch geltend, durch die Bescheide der Staatsanwaltschaft in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 24 I EGGVG).

Mit dem OLG Dresden (vgl. StV 2004, 68 mit Berichtigung StV 2004, 368) ist der Senat der Auffassung, dass § 489 II StPO ein solches subjektives Recht verleiht.

Soweit die Anträge zulässig sind, haben sie auch der Sache nach (vorläufigen) Erfolg, was zur Aufhebung der besagten staatsanwaltschaftlichen Bescheide und einer Zurückverweisung an die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main führt.

Ein Anspruch auf Löschung kann sich grundsätzlich aus der Regelung des § 489 II StPO ergeben. Nach dieser Vorschrift besteht ein Löschungsanspruch immer dann, wenn die Speicherung entweder unzulässig ist, oder aber die Daten für die in den §§ 483 bis 485 StPO niedergelegten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

Dass die grundsätzliche Speicherung der hier in Rede stehenden Daten unzulässig ist bzw. auf unzulässige Art und Weise erfolgte, ist nicht ersichtlich.

Zu klären bleibt deshalb, ob die Speicherung für die in den §§ 483 bis 485 StPO niedergelegten Zwecke (noch) erforderlich ist. Dies vermag der Senat zurzeit nicht zu beurteilen, weil insoweit keine Spruchreife eingetreten ist. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Staatsanwaltschaft eine Einzelfallprüfung vorgenommen hat, was vorliegend jedoch noch nicht geschehen ist.

Eine an sich gem. § 489 II StPO notwendige Einzelfallprüfung durch die Staatsanwaltschaft vermag der Senat weder dem Bescheid vom 21.08.2007, noch den beiden Bescheiden vom 23.07.2007 und vom 21.08.2007 zu entnehmen. Die besagten Bescheide erschöpfen sich lediglich in der Wiedergabe allgemeiner Grundsätze zur Dauer einer Aktenarchivierung und der entsprechenden Notwendigkeit der Strafverfahrensdatei zur möglichen Auffindung von Akten im Archiv.

Eine individuelle Prüfung der Angelegenheit, in der insbesondere der konkrete Tatvorwurf, die konkret geführten Ermittlungsmaßnahmen sowie die hieraus resultierende Rechtsbeeinträchtigung der Antragsteller eine Rolle spielen müssten, wurde gerade nicht vorgenommen (vgl. zum Prüfungsmaßstab OLG Dresden, a.a.O.). Auch die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft geht über die Wiedergabe allgemeiner Grundsätze zur hiesigen Aktenverwaltung nicht hinaus und lässt eine Auseinandersetzung und Bewertung der oben beispielhaft aufgeführten individuell zu beachtenden Kriterien ebenfalls nicht erkennen.

Die Staatsanwaltschaft wird bei der noch durchzuführenden Einzelfallbeurteilung nach Auffassung des Senats die folgenden rechtlichen Gesichtspunkte zu beachten haben:

Der Maßstab der Erforderlichkeit einer (weiteren) Datenspeicherung muss grundsätzlich dem aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG herzuleitenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Antragsteller gerecht werden, das nur aufgrund von überwiegendem Allgemeininteresse eingeschränkt werden darf (so BVerfGE 65, 1, 44 - sog. "Volkszählungsurteil"). Darüber hinaus ist - wie sich u.a. aus § 20 BDSG ergibt - der Grundsatz der Zweckbindung im Datenschutzrecht dahingehend zu beachten, dass nur solche Daten gespeichert werden dürfen, die für die Aufgabenerfüllung der speichernden Stelle geeignet und erforderlich sind (OLG Dresden StV 2004, 68, 69 m.w.N.)

Dass die Datenspeicherung im vorliegenden Fall - wie die Staatsanwaltschaft selbst darlegt - zum Zweck der ordentlichen Archivierung und einer daran anknüpfenden späteren möglichen Aktenauffindung geeignet ist, erscheint offensichtlich.

Besonderes Augenmerk wird die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Einzelfallprüfung indes auf das Merkmal der Erforderlichkeit legen müssen, wonach unter anderem mögliche mildere Rechtsbeeinträchtigungen in den Abwägungsprozess einzustellen sind.

Hiernach und auf Grundlage des verfassungsrechtlichen Gebotes der informationellen Selbstbestimmung ist für den Senat nicht ersichtlich, warum zur bloßen Archivierung und einer daran anknüpfenden möglichen Fristenkontrolle und späteren Auffindung der Akte, im System auch der Zusatz "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" nebst den einschlägigen Tatbeständen des Strafgesetzbuches, aufgrund denen die Ermittlungen geführt wurden, enthalten sein muss. Die Erforderlichkeit dieser Eintragungen, denen - worauf die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin zu 2) zu Recht hinweist - eine nicht nur unerhebliche Stigmatisierungswirkung auch trotz des Umstandes, dass es zu einer Verfahreneinstellung kam, nicht abgesprochen werden kann, vermag der Senat im Hinblick auf eine bloße Vorgangsverwaltung nicht zu erkennen. Denn zur Erfüllung dieser Aufgabe wäre beispielsweise nur eine Speicherung der Namen der (ehemaligen) Beschuldigten mit dem entsprechenden Aktenzeichen gleich geeignet. Insofern wird darzulegen sein, inwiefern die einzelnen Posten der Eintragungen die Arbeit der Behörde zum derzeitigen Verfahrensstand noch fördern können.

Von der Anordnung einer (teilweisen) Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragsteller gem. § 30 II Satz 1 EGGVG war abzusehen, da für einen solchen Ausspruch begründete Erfolgsaussichten in der Sache nicht genügen. Erforderlich wäre vielmehr ein offensichtlich fehlerhaftes oder gar willkürliches Verhalten der Justizbehörde (vgl. KK StPO - Kissel, 5. Aufl. 2003, § 31 EGGVG, Rn. 5.), was der Senat im vorliegenden Fall jedoch nicht zu erkennen vermag.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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