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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 11.04.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 243/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO, GG


Vorschriften:

StGB § 67 d Abs. 5
StGB § 64
StGB § 57 Abs. 1
StGB § 67 b Abs. 5
StPO § 454 Abs. 1 S. 3
StPO § 454 Abs. 1 S. 3
StPO § 453 Abs. 1 S. 3
StPO § 454 a
StPO § 33 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Nach dem Grundsatz der fairen Verfahrensgestaltung es erforderlich, einen Verteidigers, der sich für das Vollstreckungsverfahren zu den Akten gemeldet hat, vor einer mündlichen Anhörung vor einer Entscheidung über die Aussetzung einer Reststrafe zu Bewährung zu benachrichtigen
3 Ws 243/01 StVK 170/00 LG Limburg/Lahn Zweigstelle Hadamar 13 Js 7904.0/94 StA Limburg/Lahn

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

In der Strafvollstreckungssache

gegen

A. D., geb. am in , z.Zt. in dieser Sache untergebracht im Maßregelvollzug der Klinik für forensische Psychiatrie , ,

- Verteidiger:

wegen Geiselnahme,

hier: Entscheidung gem. § 67 d Abs. 5 StGB,

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Limburg/Lahn vom 11. Dezember 2000 am 11. April 2001 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

Durch Urteil des Landgerichts Limburg/Lahn vom 11.8.1993 wurde der Untergebrachte wegen Mordes und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Ferner wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB angeordnet. Am 4.2.1994 wurde er in den Maßregelvollzug aufgenommen. Mit Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 1.8.1994 wurde angeordnet, daß ­ wegen einer Straftat vom 29.7.94, die zu der sogleich näher dargelegten Nachverurteilung des Untergebrachten führte ­ 5 Jahre der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen seien. Aufgrund dessen befand sich der Verurteilte bis zum 7.7.1999 in Strafhaft; 5 Jahre der Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 9 Monaten wären am 12.7.1999 verbüßt gewesen.

Am 16.3.1999 wurde der Verurteilte im vorliegenden Verfahren durch das Landgericht Limburg/Lahn wegen einer am 29.7.1994 im Maßregelvollzug anläßlich eines Fluchtversuches nach Alkoholmißbrauch begangenen Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Es wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet, wodurch sich die Maßregelanordnung in der Verurteilung vom 11.8.1993 erledigte (§ 67 f StGB). Seit dem 8.7.1999 befindet sich der Verurteilte aufgrund der neuerlichen Anordnung des Urteils vom 16.3.1999 im Maßregelvollzug.

Mit Beschluß vom 11.12.2000 hat die Strafvollstreckungskammer gem. § 67 d Abs. 5 StGB angeordnet, daß die mit Urteil des Landgerichts Limburg/Lahn vom 16. März 1999 ausgeurteilte Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht weiter zu vollziehen sei und die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe aus dem vorerwähnten Urteil abgelehnt werde (§ 57 Abs. 1 StGB). Ferner hat die Kammer ausgesprochen, es sei Ws 243/01 3 kraft Gesetzes (§ 67 d Abs. 5 S. 2 StGB) Führungsaufsicht eingetreten, die sie näher ausgestaltet hat.

Der erkennende Richter hatte den Verurteilten vor dieser Entscheidung - und zwar am selben Tage (11.12.2000) - im Maßregelvollzug zum Zweck der mündlichen Anhörung aufgesucht. Wegen deren Ergebnis wird auf den Vermerk vom 11.12.2000 (Bl. 101 VH) Bezug genommen. Bereits mit Schriftsatz vom 18.11.1999 (Bl. 48 VH) hatte sich Rechtsanwalt Götz als Wahlverteidiger für das Vollstreckungsverfahren" gemeldet und eine entsprechende Vollmacht des Verurteilten (Bl. 49 VH) vorgelegt.

Gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 11.12.2000 richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten, die sein Verteidiger im Laufe des Beschwerdeverfahrens näher begründet hat. Das Rechtsmittel hat aus verfahrensrechtlichen Gründen einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung den Anspruch des Verurteilten auf eine faire Verfahrensgestaltung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG-Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Dieser schwerwiegende, vom Beschwerdegericht nicht behebbare Verfahrensmangel nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer (vgl. hierzu Senat, Beschl. v. 29.9.1995 ­ 3 Ws 645/95). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ 1993, 355 ff., StV 1994, 552 f.), welcher der Senat sich angeschlossen hat (Beschl. v. 29.9.1995 ­ 3 Ws 645/95), verlangt es die einem fairen Verfahren immanente Forderung nach verfahrensmäßiger Selbständigkeit es in einem justizmäßigen Verfahren beteiligten Strafgefangenen, ihm das Recht zuzubilligen, zur Wahrnehmung der ihm eingeräumten prozessualen Rechte zur mündlichen Anhörung in Entlassungsverfahren nach § 454 Abs. 1 S. 3 StPO einen Verteidiger seines Vertrauens hinzuzuziehen. Einen solchen Termin zur mündlichen Anhörung hat die Kammer vorliegend am 11.12.2000 durchgeführt. Denn sie hat nicht nur eine Entscheidung gem. § 67 d Abs. 5 StGB getroffen, bei der die mündliche Anhörung des Verurteilten nicht obligatorisch, sondern fakultativ ist (§§ 463 Abs. 5, 462 Abs. 2 S. 1 StPO). Vielmehr hat sie zugleich auch eine die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes verneinende Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB erlassen, bei der § 454 Abs. 1 S. 3 StPO die mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt.

Grundsätzlich obliegt es zwar dem Strafgefangenen, selbst Vorsorge dafür zu treffen, daß sein Rechtsbeistand zur mündlichen Anhörung gem. § 453 Abs. 1 S. 3 StPO erscheint und seine Interessen vertritt. Erfolgt die Anhörung jedoch kurzfristig, so hat das Gericht den Verteidiger zu benachrichtigen, da anders der Anspruch auf eine faire Verfahrensgestaltung nicht durchsetzbar ist (vgl. BVerfG, NJW 1993, 2301, 2303; StV 1954, 552, 553). So liegt die Sache hier.

Eine vorgängige Bestimmung des Anhörungstermins vom 11.12.2000 mit entsprechender Terminsbenachrichtigung des Verurteilten läßt sich den Akten nicht entnehmen. Der Vermerk des erkennenden Richters vom 11.12.2000 (Bl. 101 d.A.), demgemäß der Verurteilte in der Anstalt aufgesucht und ihm der Zweck der Anhörung mitgeteilt worden ist, kann nur dahin verstanden werden, daß eine solche Benachrichtigung nicht erfolgte. Sie kann jedenfalls frühestens am 6.12. verfügt worden sein. Denn erst an diesem Tage gingen die Akten mit der Stellungnahme der Anstalt und dem Antrag der Staatsanwaltschaft, gem. § 67 d Abs. 5 StPO zu verfahren, ein (Bl. 93 VH). Mithin kann allenfalls der Verurteilte am 7.12.2000 von dem Anhörungstermin Kenntnis erhalten haben. Die Zeitspanne zwischen Ankündigung der mündlichen Anhörung und deren Durchführung ­ allenfalls 5 Tage ­ ist jedenfalls so knapp bemessen, daß die Strafvollstreckungskammer gehalten war, den Wahlverteidiger zu diesem Termin zu laden (vgl. Senatsbeschl. v. 29.5.1995 ­ 3 Ws 645/95). Rechtsanwalt Götz war zu diesem Termin auch bereits ordnungsgemäß bestellt, da seine bereits mit Schriftsatz vom 18.11.1999 vorgelegte Vollmacht für das gesamte Vollstreckungsverfahren und nicht etwa nur für einzelne Verfahrensabschnitte galt (vgl. hierzu OLG Schleswig, SchlHA 1992, 12 m.w.N.; Laufhütte in KK-StPO, § 137 Rn. 1).

Allerdings ist nicht zu verkennen, daß die von der Kammer getroffene Entscheidung gem. § 57 Abs. 1 StGB ihrerseits verfahrensfehlerhaft erfolgte.

Beim Zusammentreffen des Vollzugs mehrerer Freiheitsstrafen ist eine Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB immer erst dann zu treffen, wenn über die Aussetzung der Reste aller Strafen gleichzeitig entschieden werden kann (§ 454 d Abs. 3 StPO); vorweggenommene Einzelentscheidungen sieht das Gesetz nicht vor; sie sind unzulässig (vgl. Senatsbeschlüsse v. 15.9.1992 ­ 3 Ws 602/92, vom 19.11.1993 ­ 3 Ws 680/93 und v. 9.1.1995 ­ 3 Ws 41-43/95; OLG Hamm, MDR 1985, 248; OLG Düsseldorf, NStZ 1983, 286; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 454 b Rn. 6). Da der Zeitpunkt für die gebotene Gesamtentscheidung gem. § 57 Abs. 1 noch nicht erreicht ist ­ die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Limburg/Lahn vom 11.8.1993 ist noch nicht einmal zur Hälfte, geschweige denn zu 2/3 verbüßt und es besteht auch kein Anlaß, gem. § 454 a StPO vorab zu entscheiden -, hätte eine Entscheidung der Kammer über die Frage der Aussetzung des Strafrestes gänzlich unterbleiben müssen.

Mithin wäre die Kammer ansich auch nicht gesetzlich gezwungen gewesen, eine mündliche Anhörung des Verurteilten durchzuführen, sondern war lediglich gehalten, ihr verfahrensrechtliches Ermessen auszuüben, ob die mündliche Anhörung des Verurteilten zweckmäßig erscheint (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 462 Rn. 3).

Es sprechen aber gewichtige Gründe dafür, daß der Anspruch auf ein faires Verfahren es nicht nur gebietet, den Verurteilten bei der im Aussetzungsverfahren (§§ 57, 67 d Abs. 2 StGB) gesetzlich vorgeschriebenen (§ 454 Abs. 1 S. 3 StPO) mündlichen Anhörung, sondern auch bei der zwar freigestellten (fakultativen), aber im konkreten Fall angeordneten mündlichen Anhörung im Verfahren nach § 67 d Abs. 5 StGB (§§ 463 Abs. 5, 462 Abs. 2 S. 1 StPO) es dem Verurteilten zu ermöglichen, sich des Beistandes seines Wahlverteidigers zu bedienen. Die mündliche Anhörung im Verfahren nach § 67 d Abs. 5 bietet sich deshalb an, weil ­ von klaren Fällen abgesehen ­ die Therapiefähigkeit, vor allem aber die Therapiewilligkeit des Verurteilten von der Kammer nur nach dessen persönlicher Einvernahme beurteilt werden kann. Die Anhörung dient von daher einem ähnlichen Zweck wie die Anhörung im Aussetzungsverfahren nach § 454 Abs. 1 S. 3 StPO. Dort ist der persönliche Eindruck des Verurteilten für die sachgerechte Entscheidung über seine künftige Legalbewährung unentbehrlich. In beiden Fällen bietet von daher nur die mündliche Anhörung des Verurteilten hinreichende Gewähr dafür, daß alle für eine ihm günstige Entscheidung wesentlichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände vorgetragen und die ihm ungünstigen Beurteilungskriterien ­ wie sie sich etwa aus der Stellungnahme der Anstalten oder der Staatsanwaltschaft ergeben können ­ so weit wie möglich rechtlich und tatsächlich richtig zu stellen, zu entkräften oder zu widerlegen. Von daher liegt es nah, daß auch bei einer fakultativ angeordneten mündlichen Verhandlung im Rahmen des Verfahrens nach § 67 b Abs. 5 ohne die Teilnahme- und Mitwirkungsbefugnis des gewählten Verteidigers der Verurteilte in Gefahr gerät, zum bloßen Objekt des strafvollstreckungsrechtlichen Verfahrens gemacht zu werden. Denn dem im allgemeinen rechtsunkundigen und wenig handlungskompetenten Verurteilten ermöglicht erst ein unabhängiger, von ihm selbst gewählter und zur Hilfe verpflichteter Beistand auf den Gang und das Ergebnis des Nachverfahrens Einfluß zu nehmen, in denen die tatsächlich und rechtlich bedeutsamen Umstände vorgetragen und so die prozessualen Rechte des Verurteilten sachgerecht und in einer seinen Interessen entsprechender Weise ausgeübt und gewahrt werden (vgl. BVerfG, NJW 1993 a.a.O.).

Jedenfalls muß dem Verurteilten ­ wenn schon die Ladung seines Verteidigers zum Anhörungstermin trotz dessen kurzfristiger Anberaumung unterbleibt ­ die Möglichkeit eingeräumt werden, durch diesen schriftlich zur Stellungnahme der Anstalt und der Staatsanwaltschaft schriftlich Stellung zu nehmen. Dies ist nicht nur gem. § 33 Abs. 3 StPO zwingend vorgeschrieben. Die Anhörung des Beteiligten ersetzt nicht diejenige seines Verteidigers (BGHSt 25, 252, 254; OLG Karlsruhe, NJW 1968, 1438; Fischer, in: KK-StPO, 4. Aufl., § 454 Rn. 19; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 33 Rn. 12). Vielmehr hat vorliegend der Verurteilte in seiner Anhörung ausdrücklich darauf verwiesen, daß er nur über seinen Verteidiger zum Bericht der Anstalt und zum Antrag der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen wolle. Diese Möglichkeit hat ihm die Strafvollstreckungskammer dadurch genommen, daß sie unmittelbar nach der erfolgten Anhörung die angefochtene Entscheidung getroffen hat. Von daher liegt nicht nur ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor, der durch die Möglichkeit des Verteidigers, im Beschwerdeverfahren Stellung zu nehmen, hätte geheilt werden können. Vielmehr hat die Strafvollstreckungskammer durch das von ihr gewählte Verfahren den Verurteilten ihm die durch Anspruch auf ein faires Verfahren garantierte Möglichkeit gänzlich genommen, über seinen Wahlverteidiger die ihm gewährten prozessualen Rechte des Verurteilten sachgerecht und in einer seinen Interessen entsprechenden Weise auszuüben. Dieser Verstoß ist im Beschwerdeverfahren durch die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme nicht zu heilen (vgl. BVerfG, StV 1994, 552, 553).

Auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruht die angefochtene Entscheidung. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die in der Beschwerdebegründung gegen die Beurteilung der Klinik erhobenen Einwände die Kammer zu einer für den Verurteilten günstigeren Entscheidung veranlaßt hätte. Jedenfalls ist die Strafvollstreckungskammer gehalten, vor der erneuten Entscheidung eine neuerliche Stellungnahme der Klinik über den neuesten Entwicklungsstand des Verurteilten im Maßregelvollzug und die Einwände seines Verteidigers gegen die bisherige Einschätzung einzuholen.

Nach alledem war der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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