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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 28.03.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 321/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 46
Nach § 46 I StPO entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen wäre. Ist dies das Amtsgericht, weil es zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der auf den Einspruch gegen den Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung (§§ 412, 329 II, 44 ff. StPO) zuständig war, darf die Kammer als Rechtsmittelgericht den vom Amtsgericht übergangenen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist nicht selbst erstmals entscheiden.
Gründe:

Am 2.12.2003 erging gegen den Angeklagten Strafbefehl wegen Beleidigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Hiergegen legte er form- und fristgerecht Einspruch ein. In der auf den Einspruch hin anberaumten Hauptverhandlung vom 4.8.2005 wurde sein Einspruch gem. § 412 I StPO durch Urteil des Amtsgerichts O1 verworfen. Das Urteil wurde dem Angeklagten ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde am 10.8.2005 unter seiner Wohnanschrift durch Einwurf in den zu der Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.

Mit Schreiben vom 4.9.2005, bei Amtsgericht eingegangen am 6.9.2005, suchte der Angeklagte um Wiedereinsetzung nach. Hierzu trug er im Wesentlichen vor: Er habe von dem Verwerfungsurteil erst am 4.9.2005 Kenntnis erlangt. Bereits mit Fax vom 20.7.2005 habe er mitgeteilt, dass er den Hauptverhandlungstermin vom 4.8.2005 nicht wahrnehmen könne. Er sei als Lehrer mit schulpflichtigen Kindern an die Schulferien gebunden und habe den Urlaub schon längerfristig geplant gehabt. Eine kurzfristige Verschiebung des Urlaubs sei nicht möglich gewesen.

Das Amtsgericht O1 verwarf mit Beschluss 25.10.2005 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Hauptverhandlungstermins vom 4.8.2005 als unzulässig, weil er entgegen §§ 412, 329 III StPO nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Verwerfungsurteils gestellt worden sei. Überdies sei der Wiedereinsetzungsantrag auch unbegründet, zumal die Urlaubsabwesenheit nicht glaubhaft gemacht sei.

Hiergegen legte der Angeklagte form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein. Das Landgericht verwarf mit Beschluss vom 3.2.2006, dem Angeklagten am 7.2.2006 zugestellt, die sofortige Beschwerde. Das Amtsgericht sei zu Recht von der Versäumung der Frist des § 329 III StPO ausgegangen. Ferner verwarf es im selben Beschluss den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags gem. §§ 412, 329 III StPO.

Gegen diesen Beschluss hat der Angeklagte mit am 13.2.2006 eingegangenen Schreiben sofortige Beschwerde eingelegt.

Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel richtet sich - wie seine Auslegung ergibt - nur gegen die Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags gem. §§ 412, 329 III StPO. Das Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz betrifft nämlich nur diesen Verfahrengegenstand. Gegen die Verwerfung der sofortigen Beschwerde durch das Landgericht wäre überdies ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 310 II StPO); der Angeklagte will aber im Zweifel nur zulässige Rechtsmittel - entsprechend der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung durch das Landgericht - einlegen.

Im Umfange der Anfechtung hat die sofortige Beschwerde auch in der Sache einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Die Kammer war zur Entscheidung über den - wie sie zutreffend erkannt hat, bereits im Schreiben vom 4.9.2005 gestellten - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der einwöchigen Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags gem. §§ 412, 329 III StPO nicht berufen.

Nach § 46 I StPO entscheidet über den Wiedereinsetzungsantrag das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen wäre. Das ist hier das Amtsgericht O1, da es zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der auf den Einspruch gegen den Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung (§§ 412, 329II, 44 ff. StPO) zuständig war. Den vom Amtsgericht übergangenen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist durfte die Kammer als Rechtsmittelgericht nicht selbst erstmals entscheiden (ganz h.M. vgl. BGHSt 22, 52, 55, 57 f, KG [4. Strafsenat], Beschl. v. 3.12.1996 - 4 Ws 190/96 - Juris; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 46 Rn 2; Maul, in: KK-StPO, 5. Aufl., § 46 Rn 1f.; Wendisch, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 46 Rn 5 ff.; Weßlau, in SK-StPO, § 46 Rn 2; Paulus, in: KMR-StPO, § 46 Rn 5). Dies ergibt der eindeutige, einer Auslegung nicht fähige Wortlaut des § 46 I StPO.

Soweit erkennbar wird nur noch vom 3. Strafsenat des Kammergerichts (OLGSt StPO § 46 Nr.7) eine abweichende Auffassung vertreten: Jedenfalls dann, wenn der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist erstmals zusammen mit der sofortigen Beschwerde gestellt werde, müsse aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Prozesswirtschaftlichkeit das Beschwerdegericht befugt sein, über die Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist selbst zu befinden. Diese Fallkonstellation ist vorliegend indes schon deswegen nicht gegeben, weil die Kammer zu Recht davon ausgegangen ist, dass bereits der Antrag vom 4.9.2005 zugleich auf Wiedereinsetzung gegen die versäumte Hauptverhandlung als auch in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist gerichtet war, letztgenanntes Begehren vom Amtsgericht jedoch übergangen wurde.

Überdies waren in dem vom Kammergericht entschiedenen Fall, in welchem das Oberlandesgericht anlässlich einer Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung erstmals über die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist befunden hat, nur Richter mit der Wiedereinsetzungsfrage befasst, die vom Gesetzgeber - wenn auch an sich nur als Beschwerdeinstanz - hierfür vorgesehen waren. Denn eine Beschwerde gegen diese Erstentscheidung des Oberlandesgericht war nach § 304 IV 2 StPO ausgeschlossen. In dem hier gegebenen Fall, in welchem das nach § 46 I StPO zuständiges Erstgericht das Amtsgericht und Beschwerdegericht das Landgericht ist, würde die Meinung des Kammergerichts hingegen zu einem Verstoß gegen den gesetzlichen Richter führen.

Entscheidet nämlich die Kammer erstmals über die Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, so ist diese Entscheidung nicht auf eine Beschwerde hin ergangen (es fehlen sowohl die beschwerdefähige Entscheidung als auch die Einlegung eines Rechtsmittel), so dass § 310 StPO nicht einschlägig, mithin gegen die Entscheidung die sofortige Beschwerde eröffnet ist (vgl. Meyer-Goßner, § 310 Rn 2 f.). Dann müsste aber , wenn die Kammer als zuständiges Gericht entschieden hätte (wie das KG meint), das Oberlandesgericht auf ein solches Rechtsmittel in der Sache (§ 309 II StPO) entscheiden, obwohl bei ordnungsgemäßem Verfahrensgang - Entscheidung durch das Amts- und Landgericht - eine solche Sachentscheidung gem. § 310 II StPO ausgeschlossen wäre, das Oberlandesgericht mit der Wiedereinsetzung nach §§ 412, 329 III StPO nach dem Willen des Gesetzgebers also gerade nicht befasst werden sollte. Jedenfalls für die vorliegende Fallkonstellation vermag der Senat dem Kammergericht mithin nicht zu folgen.

Der angefochtene Beschluss war daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange aufzuheben. Das Amtsgericht wird nunmehr über den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die versäumte Wiedereinsetzungsfrist zu entscheiden haben. Im Falle einer Stattgabe des Gesuches werden sowohl der Beschluss des Amtsgerichts vom 25.10.2005, soweit er die Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig wegen Fristversäumung betrifft, als auch der die sofortige Beschwerde verwerfende Beschluss des Landgerichts vom 3.2.2006 gegenstandslos. Dies hätte zur Folge, dass das Landgericht nunmehr in der Sache über die Beschwerde auch insoweit zu entscheiden hätte, als das Amtsgericht in seiner Hilfsbegründung den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Hauptverhandlung als "unbegründet" verworfen hat. Im Falle der Verwerfung des Begehrens auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist ist hiergegen die sofortige Beschwerde zum Landgericht eröffnet. Die jeweilige Entscheidung des Landgerichts ist, da sie weder Haft noch einstweilige Unterbringung betrifft (§ 310 I StPO), nicht mehr anfechtbar (§ 310 II StPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 I StPO und analoger Anwendung der §§ 467 I, 473 III StPO.

Ende der Entscheidung

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