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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 10.07.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 656/01
Rechtsgebiete: StPO, GG, EMRK


Vorschriften:

StPO § 305 S. 1
StPO n.F. § 147 VII
GG Art. 103 I
EMRK Art. 6 I
EMRK Art. 6 III
Die Ablehnung der Akteneinsicht unterliegt ohne selbständige Beschwerdemöglichkeit lediglich der eigenen prozessgerichtlichen oder u.U. der revisionsgerichtlichen Überprüfung.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

BESCHLUSS

In der Strafvollstreckungssache

gegen ...

wegen Verdachts der Steuerhinterziehung

hier: Überlassung von Kopien der Ermittlungsakten an den Angeklagten persönlich

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die einfache Beschwerde des Angeklagten gegen die in dem Beschluß der 9. Großen Strafkammer des Landgerichts Darmstadt vom 1. Juni 2001 enthaltene Verweigerung der Überlassung der Ermittlungsakte in Kopie an den Angeklagten, am 10. Juli 2001 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 I StPO) verworfen.

Gründe:

Die Beschwerde ist bereits nicht zulässig (§ 305 S. 1 StPO).

Bei der angefochten Entscheidung handelt es sich um eine solche des erkennenden Gerichts. Denn sie ist -unschädlich (vgl. Boujong, in: KK-StpO, 4. Aufl., § 126, Rdnr. 12)- anstelle des funktionell allein zuständigen Kammervorsitzenden (§ 147 V 1 StPO) vom Kollegialgericht des Hauptverfahrens zwischen dem Eröffnungsbeschluß und der Urteilsfällung erlassen worden (vgl. KK-Engelhardt, StPO, 4. Aufl. 305 Rdnr. 2; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 305 Rdnr. 2). Nicht beschwerdefähig i.S. des § 305 S. 1 StPO sind solche Entscheidungen, wenn sie der Urteilsvorbereitung dienen, bei der Urteilsfällung der nochmaligen Überprüfung unterliegen (Senat, Beschl. v. 3.2.1993 -3Ws 42/93; Löwe/Rosenberg-Gollwitzer, StPO, 24. Aufl., §, 305 Rdnr. 1) und vom Revisionsgericht unter bestimmten Voraussetzungen überprüft werden können (vgl. BGH, NStZ 1985, 87 f ; Senat a.a.O.). Dies ist für die Verweigerung von Akteneinsicht zu bejahen (vgl. Senat, Beschl. v. 21.1.2000 -3 Ws 73/00; Senat, NStZ-RR 1996, 238 <für Ablehnungen während laufender Hauptverhandlung mit umfassender Darstellung des Meinungsstandes). Die hier in Rede stehende Verweigerung von Abschriften oder Ablichtungen aus den Akten stellt nur einen Unterfall der Verweigerung von Akteneinsicht dar (vgl. OLG Hamm, NJW 1985, 2040; OLG Köln, NJW 1985, 336, 337).

Die Akteneinsicht gewährleistet den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, speziell auf Waffengleichheit (vgl. hierzu EGMR, StV 2001, 201ff.; 203 ff.; 205ff; StV 1998,429;BVerfG,NJW1983,1044;BGH,NJW 1990, 585), dient sie doch vornehmlich der Vorbereitung und/oder Begründung von Beweisanträgen bzw. Beweisanregungen in der laufenden oder -wie hier- ab dem 16.10.2001 anstehenden Hauptverhandlung. Wird sie vom Vorsitzenden bzw. an seiner Stelle vom Kollegialgericht nach der Eröffnung oder gar in laufender Hauptverhandlung (zu Unrecht) versagt, steht diese Entscheidung bereits aus diesem Grunde in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung. Da die Gewährleistung von Prozeßgrundrechten vornehmste Aufgabe der Fachgerichte ist (vgl. die Nachw. der Rspr. des BVerfG in Senat, NStZ-RR 1996, 238), muß diese Entscheidung vor der Urteilsfällung erneut und vom gesamten Gericht auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden (Senat a.a.O.). Schließlich unterliegt die Entscheidung jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen der revisionsgerichtlichen Überprüfung, insbesondere auch darauf, ob ihre Versagung eine Verletzung der Prozeßgrundrechte aus Art. 103 I GG und auf ein faires Verfahren darstellt (ganz h.M. vgl. OLG Frankfurt; NJW 1960, 131; Bay0bLG St 1993,162; Laufhütte, in: KK-StPO, 4. Aufl. § 147 Rdnr. 22, Lüderssen, in:Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl. § 147 Rdnr. 171 jew. m.w.Nachw.; einschränkend <nur bei Wiederholung des Akteneinsichtsantrags verbunden mit einem Unterbrechungs- bzw. Aussetzungsantrag und deren neuerliche Ablehnung in der Hauptverhandlung> Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 147 Rdnr. 42 m.w.Nachw.). Aus diesen Gründen geht die Gegenauffassung, die zusätzliche Beschwerdemöglichkeit für geboten erachtet (vgl. OLG Brandenburg, NJW 1996, 67; OLG Stuttgart, NJW 1996, 1908; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 147 Rdnr. 42, OLG Köln, StV 1995, 12) fehl (vgl. hierzu im einzelnen Senat, Beschl. v. 21.1. 2000 -3 Ws 73/00 und Senat, NStZ-RR 1996, 238; s. auch Krack, StrFo 1996, 21).

Überdies kann die Beschwerde auch in der Sache keinen Erfolg haben.

Die Akteneinsicht für einen anwaltlich verteidigten Angeklagten wird ausschließlich durch seinen Verteidiger wahrgenommen, dem Angeklagten selbst steht kein Recht auf Akteneinsicht zu; der Verteidiger nimmt es für ihn wahr (vgl. BVerfG 53, 207, 212, 215; OLG Düsseldorf, JZ 1986, 508; OLG Stuttgart, NStZ 1986,45,46; Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 147 Rdnr. 3; Laufhütte, § 147 Rdnr. 2 m.H.a. BGH, Beschl. v. 21.3.1979 - 2 StR 453/78; Lüderssen, 147 Rdnr. 6; Pfeiffer, StPO, 3. Aufl. § 147 Rdnr. 1). Nur einem Angeklagten, d er keinen Verteidiger gewählt hat und dem auch kein Verteidiger beigeordnet werden muß, ist die Akteneinsicht selbst zu gewähren, sofern der Untersuchungszweck nicht gefährdet oder überwiegende (vor allem datenschutzrechtliche) Interessen Dritter nicht entgegenstehen. Aus Art. 6 I, III EMRK und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR ergibt sich kein weitergehender Anspruch (vgl. EGMR, NStZ 1998, 429 m. dahingehender Anm. Deumeland; Pfeiffer, § 147 Rdnr. 1; Julius, in: Heidelberger Kom. StPO, 2. Aufl., Rdnr. 2; s. auch Haass, NStZ 1999, 442 ff., die oben zit. übrigen Entscheidungen des EGMR betreffen die Verweigerung der Akteneinsicht für den Verteidiger). Nur in diesem Umfange hat der Gesetzgeber den Anspruch nunmehr auch in § 147 VII StPO n.F. festgeschrieben. Vorliegend ist aber ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben (§ 140 I Nr. 1 StPO), und es wurde dem Angeklagten Rechtsanwalt ... als Pflichtverteidiger beigeordnet. Der Hinweis des Angeklagten auf den von ihm gestellten Entpflichtungsantrag verfängt ebenfalls nicht. Bei Erfolg des Begehrens ist das Akteneinsichtsrecht von dem dann not- wendig zu bestellenden neuen Pflichtverteidiger auszuüben. Wird ein Wahlverteidiger beauftragt, so ist das Einsichtsrecht von diesem wahrzunehmen.



Ende der Entscheidung

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