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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 21.07.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 685/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f III
Schweigt die Widerrufsentscheidung zu einer Anrechnung der auf eine Bewährungsauflage erbrachten Leistung auf die anerkannte Strafe, so ist damit deren Versagung ausgesprochen. Mit Eintritt der Rechtskraft dieser Widerrufsentscheidung ist eine "Nachholung" der Anrechnung ausgeschlossen.
Gründe:

Der Beschwerdeführer wurde am 30.9.2002 durch das Amtsgericht Ludwighafen wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung mit einer Bewährungszeit von 3 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Bewährungsbeschluss wurde ihm u. a. die Auflage erteilt, 500 € in monatlichen Raten á 50 € an eine gemeinnützige Organisation zu zahlen. Die Auflage wurde in der Folgezeit erfüllt. Mit Beschluss vom 27.3.2006 widerrief die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Darmstadt, welche die Bewährungsaufsicht nach erfolgter Inhaftierung des Beschwerdeführers in der JVA ... zu Recht (§ 462a I 1 StPO; vgl. BGHSt 26, 118, 120; 30, 189, 192) übernommen hatte, die Bewährung, weil der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit eine neue Straftat begangen hatte und dieserhalb vom Landgericht Kleve am 10.10.2005 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden war. Eine Entscheidung, dass die auflagengemäß erbrachte Leistung auf die Strafe anzurechnen ist (§ 56f III StGB), enthielt die Entscheidung nicht. Ausweislich der bei den Akten befindlichen, ordnungsgemäß erstellten Zustellungsurkunde wurde der Beschluss dem Verurteilten durch persönliche Übergabe am 29.3.2006 in der JVA zugestellt.

Der Verteidiger legte mit Schriftsatz vom "14.3.2006" (richtig: 20.4.2006), eingegangen am 20.4.2006, namens und in Vollmacht des Verurteilen sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein und suchte um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach. Mit Beschluss vom 23.5.2006 verwarf der Senat die sofortige Beschwerde als unzulässig, weil sie verfristet war und Wiedereinsetzung nicht gewährt werden konnte.

Zwischenzeitlich hatte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 3.5.2006 ausgesprochen, der Tenor des Beschlusses vom 27.3.2006 werde "aufgrund eines offensichtlichen Schreibfehlers" dahingehend "berichtigt" und "ergänzt", dass hinsichtlich der gezahlten Geldbuße für je 50 € ein Tag Haft angerechnet werde. Gegen diesen dem Verteidiger am 8.5.2006, dem Verurteilten am 9.5.2006 zugestellten Beschluss richtet sich das am 10.5.2006 eingegangene Rechtsmittel des Verurteilten, mit dem er unter Darlegung seiner finanziellen Verhältnisses eine für ihn günstigere Anrechnung der Auflageleistung auf die Strafe erstrebt.

Das Rechtsmittel ist zulässig.

Der Sache nach enthält die angefochtene Entscheidung die Nachholung der im Beschluss vom 27.3.2006 unterlassenen Anrechnungsentscheidung gem. § 56 f III StGB. Gegen diese Anrechnungsentscheidung ist die sofortigen Beschwerde eröffnet (h.M. OLG Hamburg, MDR 1983, 953; OLG Düsseldorf, MDR 1985, 784; NStZ 2001, 278; LG Stuttgart, MDR 1981, 335; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 453 Rn 13; Fischer, in: KK-StPO, 5. Aufl., § 453 Rn 17; Paulus, in: KMR § 453 Rn 40; Horn, in: SK-StGB, § 56f Rn 39; vgl. auch OLG Celle, NsRpfl 1988, 142; BayOblG VRS 67, 426; a.A. OLG Stuttgart, MDR 1980, 1037; MDR 1989, 666; Wendisch, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 453 Rn 17; Gribbohm, in: LK-StGB, 11. Aufl. § 56f Rn 63). Denn sie legt die Dauer der zu vollstreckenden Strafe fest. Ihr kommt - wie der eigentlichen Widerrufsentscheidung - ein urteilsähnlicher Charakter zu. Gegen derartige Entscheidungen sieht die Strafprozessordnung regelmäßig die sofortige Beschwerde vor, weil Vollstreckbarkeit und Dauer der Strafe vor Beginn der Vollstreckung feststehen müssen (Fischer aaO). Dies ist nur gewährleistet, wenn Widerruf und Anrechnungsentscheidung rechtskräftig werden können.

Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet. Der Strafvollstreckungskammer war es aus Rechtsgründen verwehrt, die im Beschluss vom 27.3.2006 unterbliebene Anrechnungsentscheidung nach - durch Verstreichen der Rechtsmittelfrist mit Ablauf des 5.4.2006 eingetretenen - Rechtskraft dieses Beschlusses "nachzuholen".

Als "Berichtigung" war die Tenorergänzung schon nicht zulässig, weil es sich nicht um eine offensichtliche Auslassung handelt. Die maßgeblichen Beschlussgründe geben hierfür nämlich keinerlei Anhalt. Überdies stellt diese Entscheidung eine inhaltliche Korrektur der Widerrufsentscheidung dar, die bei urteilsähnlichen Beschlussentscheidungen per se ausgeschlossen ist. Schweigt - wie hier der Beschluss vom 27.3.2006 - die Widerrufsentscheidung zu einer Anrechnung, so ist vom Regelfall des § 56f III 1 StGB auszugehen, nämlich dass die zur Erfüllung von Auflagen erbrachten Leistungen nicht erstattet und auch nicht angerechnet werden (Neumann, NJW 1977, 1185; LG Saarbrücken, Beschl. v. 13.2.1989 - 5 Qs 13/89, insoweit nicht abgedr. in MDR 1989, 763; i.E. ebenso BayObLG, VRS 67, 426, 427; OLG Celle, NdsRpfl 1988, 142; Eser, in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 56f Rn 19; Fischer, § 453 Rn 17), d.h. vorliegend wurde im Beschluss vom 27.3.2006 die Versagung der Anrechnung ausgesprochen.

Daraus folgt zugleich, dass nach fruchtlosen Ablauf der Rechtsmittelfrist und Eintritt der Rechtskraft der Widerrufsentscheidung die Befugnis der Strafvollstreckungskammer zur "Nachholung" der Anrechnungsentscheidung endete. Denn nach Eintritt der Rechtskraft der die Anrechnung ablehnenden Entscheidung ist für deren "Nachholung" kein Raum mehr. Zu einer Abänderung der Anrechnungsablehnung ist die Kammer - jedenfalls solange kein Verstoß gegen Art 103 I GG vorliegt - ebenfalls nicht befugt. Dies ergibt sich aus einem Erst-Recht-Schluß aus § 311 III 1 StPO.

Zum gleichen Ergebnis kommen diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur (BayObLG, VRS 67, 426, 427; OLG Celle, NdsRpfl 1988, 142; LG Saarbrücken, MDR 1989, 763; Eser, in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 56f Rn 19; Fischer, § 453 Rn 17; Neumann, NJW 1977, 1185), die auf den Gesetzeswortlaut und den Gesichtspunkt der Rechtssicherheit verweisen. In der Tat deutet § 56f III 2 StGB, nach welchem die Anrechnung erfolgen kann, "wenn es (das Gericht) die Strafaussetzung widerruft", darauf hin, dass Widerrufs- und Anrechnungsentscheidung gleichzeitig erfolgen müssen. Ebenso richtig ist, dass das Ziel, möglichst rasch Klarheit darüber zu erreichen, ob die zunächst ausgesetzte Strafe zu verbüßen ist und für welche Dauer die Vollstreckung zu erfolgen hat, nur dadurch erreicht werden kann, dass für beide Entscheidungen dieselbe Rechtsmittelfrist läuft, was bei Zulässigkeit einer "gestaffelten Entscheidung" über Widerruf und Anrechnung nicht der Fall wäre.

Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob die Kammer berechtigt ist, im Falle einer am 27.3.2006 versehentlich unterlassenen Anrechnungsentscheidung nach § 33a StPO zu verfahren. § 311 III 1 StPO stünde dem jedenfalls nicht entgegen (vgl. zum Fall der versehentlich unterlassenen Entscheidung über die Auslagen des Nebenklägers Meyer-Goßner, § 464 Rn 17 f mwN; OLG Zweibrücken, SchlHA 2001, 132 jew. mwN; zur Anwendbarkeit des § 33a StPO trotz Versäumung der Rechtsmittelfrist s. Maul, in KK-StPO, 5. Aufl., § 33a Rn 6 mwN). Offen bleiben kann auch, ob in dem angefochtenen Beschluss vom 3.5.2006 bereits eine derartige Entscheidung liegt. Denn als solche wäre sie für den Verurteilten nicht anfechtbar (Senat, NStZ-RR 2003, 79).

Auf der anderen Seite scheidet auch eine Aufhebung der Entscheidung vom 3.5.2005 und Wiederherstellung der eine Anrechnung gänzlich versagenden Entscheidung vom 27.3.2006 aus. Denn die Staatsanwaltschaft hat gegen die ihr förmlich zugestellte Entscheidung vom 3.5.2006 keine sofortige Beschwerde eingelegt, so dass das Verbot der reformatio in peius, das bei urteilsähnlichen Beschlussentscheidung gilt (vgl. Meyer-Goßner, vor § 304 Rn 5 mwN), eingreift.

Ende der Entscheidung

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