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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 02.08.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 699/06
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 35 V 1
StPO § 306
1. Beschwerde kann auch durch nicht unterschriebenes Telefax formwirksam eingelegt werden, wenn der Urheber daraus in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise und dessen Wille hervorgeht, Beschwerde einzulegen.

2. Hat ein Verurteilter nach Abbruch einer Therapie sich ständig um die Fortsetzung der Behandlung oder die Aufnahme in eine vergleichbare Einrichtung bemüht und dadurch seinen fortbestehenden Willen dokumentiert, so stellt dies auch dann noch einen "alsbaldigen" Beginn der Behandlung derselben Art im Sinne des § 35 V 1 BtMG dar, wenn zwischen dem Abbruch der Behandlung und deren Fortsetzung mehrere Monate liegen, sofern entsprechende Bemühungen der Vollstreckungsbehörde bekannt und nachgewiesen sind.


Gründe:

I.

Das Landgericht Darmstadt verhängte gegen den Verurteilten am 30.10.2002 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt vom 19.12.2005 wurde die weitere Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe gemäß § 35 Abs. 1 und 3 BtMG zugunsten einer stationären Therapie in der A-Klinik in O2 ab dem 28.12.2005 zurückgestellt. Nachdem die Aufnahme in die Therapieeinrichtung daran scheiterte, daß der Verurteilte nicht drogenfrei zur Aufnahme erschienen war, befand sich der Verurteilte ab dem 17.01.2006 in der Therapeutische Einrichtung "C" in O3. Dies teilte er der Staatsanwaltschaft mit, die wiederum die Zurückstellung der Strafvollstreckung auch für diese Einrichtung gewährte.

Am 21.02.2006 wurde der Verurteilte aus der Therapieeinrichtung disziplinarisch entlassen, nachdem er diese am 16.02.2006 unabgesprochen verlassen, dabei "Crack" konsumiert und einer Mitpatientin ebenfalls "Crack" angeboten hatte und die Einrichtung eine weitere Behandlung aufgrund der mangelnden Kooperation des Verurteilten als wenig sinnvoll ansah. Daraufhin widerrief die Staatsanwaltschaft am 19.04.2006 gemäß § 35 Abs. 5 BtMG die gewährte Zurückstellung der Strafvollstreckung.

Den hiergegen gerichteten "Antrag auf Aussetzung zur Bewährung" der noch zu verbüßenden Strafe hat die Strafkammer als Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 35 Abs. 7 Satz 2 BtMG) gewertet und mit dem angefochtenen Beschluß aufgrund mangelnder Therapiewilligkeit des Verurteilten zurückgewiesen.

II.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seinem fristgerecht per Telefax - ohne Unterschrift - eingelegten "Widerspruch", der als - statthafte (§§ 35 Abs. 7 Satz 4 BtMG, 462 Abs. 3 Satz 1 StPO) - sofortige Beschwerde zu werten ist.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere frist- und - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht - formgerecht, nämlich schriftlich (§ 306 Abs. 1 2. Alt. StPO), eingelegt. Daran ändert auch nichts, daß das per Telefax übersandte Schreiben keine Unterschrift enthält.

Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum setzt die Einhaltung der Schriftform im Sinne des § 306 StPO nicht voraus, daß der Rechtsmittelführer die Erklärung eigenhändig unterschrieben hat; vielmehr genügt es, wenn aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise der Urheber und dessen Wille hervorgeht, Beschwerde einzulegen (BGHSt 2, 77, 78; 12, 317; KK-Engelhardt, StPO, 5. A., § 306 RN 8; Meyer-Goßner, StPO, 49. A., § 306 RN 3; Einl. RN 128; vgl. KK-Ruß, StPO, 5. A., § 314 RN 10). Nichts anderes kann gelten, wenn das Rechtsmittel nicht im Original, sondern - was ebenfalls der Schriftform genügt (KK-Ruß, StPO, 5. A., § 314 RN 13; Meyer-Goßner, StPO, 49. A., Einl. RN 139a) - per Telefax übermittelt wird.

Die von der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht zitierte Entscheidung des Senats vom 31.07.2001 - 3 Ws 741/01 - (NStZ-RR 2001, 375) steht dem nicht entgegen. Der Senat hat insoweit entschieden, daß die Einlegung eines Rechtsmittels per Telefax mit einer mitfotokopierten Unterschrift zulässig ist, ohne daß es des zusätzlichen Eingangs des Originalschriftsatzes bedarf, da es für die Beurteilung der Wirksamkeit eines elektronisch übermittelten Schriftsatzes nicht auf eine beim Absender vorhandene Kopiervorlage, sondern allein auf die auf seine Veranlassung bei dem Empfangsort (Gericht) erstellte körperliche Urkunde ankommt (Senat, NStZ-RR 2001, 375, 376; vgl. GmS-OGB, NJW 2000, 2340, 2341). Ausgangspunkt ist insoweit, daß Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck sind; auch sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozeßbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern. Das Schriftlichkeitserfordernis soll insoweit allein gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können; außerdem muß feststehen, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern daß es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (GmS-OGB, Beschluß vom 30.04.1979 - GmS-OGB 1/78 = NJW 1980, 172 ff., zit. nach juris). Fehlt daher auf einem fristgerecht eingegangenen Faxschreiben die Unterschrift des Rechtsmittelführers, ist es zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, 103 Abs. 1 GG) geboten, nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob das Rechtsmittel von dem Rechtsmittelführer herrührt und dieser es mit Wissen und Wollen in den Verkehr gebracht hat (BVerfG, NJW 2002, 3534, 3535). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist für die Einlegung einer sofortigen Beschwerde durch Telefax die bildliche Übermittlung der Unterschrift daher nicht erforderlich (OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1999, 49; vgl. OLG München, NJW 2003, 3429).

Vorliegend kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß der als sofortige Beschwerde zu wertende "Widerspruch" von dem Verurteilten herrührt und es sich auch nicht nur um einen Entwurf, sondern um eine ernstlich gemeinte Erklärung handelt. Das Schriftstück enthält neben dem Namen und dem Geburtsdatum des Verurteilten auch das vollständige Aktenzeichen des hiesigen Verfahrens sowie als Betreff die Bezugnahme auf seinen Antrag vom 05.04.2006, über den die Kammer mit dem angefochtenen Beschluß entschieden hat. Es handelt sich hierbei um Daten, die in der Regel allein dem Betroffenen bekannt sind (vgl. BVerfG, NJW 2002, 3534, 3535). Der Umstand, daß das Schreiben nicht von einem Telefaxanschluß des Verurteilten selbst, sondern der Firma "B" aus versandt wurde, spricht vorliegend nicht gegen, sondern gerade für den Verurteilten als Urheber des Schreibens. Es handelt sich hierbei ersichtlich um den Telefaxanschluß der Firma der Eltern des Verurteilten, von dem aus er bereits in der Vergangenheit Mitteilungen an die Strafvollstreckungsbehörden im Hinblick auf seine Therapiebemühungen versandt hat, etwa das Schreiben vom 29.12.2005 (Bl. 189 d. A.). Auch aus dem Hinweis darauf, daß eine Begründung folgt, läßt sich nicht herleiten, daß es sich bei dem Schreiben lediglich um einen Entwurf handelte, sondern im Gegenteil, daß unter Berücksichtigung des drohenden Fristablaufs die uneingeschränkte Anfechtung der angefochtenen Entscheidung gewollt und lediglich eine Begründung vorbehalten werden sollte. Es sind auch im übrigen nach dem Gang des Verfahrens und dem Inhalt der Beschwerdeschrift keine ernsthaften Zweifel dahingehend begründet, daß das Telefax nicht vom Verurteilten herrührt oder lediglich als Entwurf gedacht war. Schon von der Interessenlage her kommt nur der Verurteilte als Urheber der inhaltlich und substantiell auf den Verfahrensgegenstand ausgerichteten und fristgebundenen Erklärung in Betracht (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1999, 49, 50).

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht hat den Antrag des Verurteilten auf "Aussetzung zur Bewährung" vom 05.04.2006, bei den Justizbehörden in Darmstadt zusammen mit dem Bericht seiner Bewährungshelferin vom 19.04.2006 am 24.04.2006 eingegangen, zu Recht als Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 35 Abs. 7 Satz 2 BtMG) gegen den bereits am 19.04.2006 erfolgten Widerruf der gewährten Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35 Abs. 5 Satz 1 BtMG) gewertet, da der dem Wortlaut des Antrags nach begehrten Strafaussetzung zur Bewährung (§ 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG) durch den erfolgten Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung die Grundlage entzogen worden war.

Nach § 35 Abs. 5 Satz 1 BtMG wird die Zurückstellung der Vollstreckung widerrufen, wenn die Behandlung im Sinne des § 35 Abs. 1 oder 2 BtMG nicht begonnen oder -wie hier - nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist dabei an dem Maßstab zu messen, der bereits bei der Zurückstellung anzulegen war; denn es kann grundsätzlich nicht dem Verurteilten überlassen werden, sich nach Gutdünken irgendeine andere Behandlung auszusuchen (OLG Koblenz, NStZ 1995, 294, 295; Körner, BtMG, 5. A., § 35 RN 260). Andererseits hat der Gesetzgeber mit dieser Regelung gerade dem Umstand Rechnung tragen wollen, daß die Überwindung der Sucht oftmals nicht beim ersten Versuch gelingt, sondern hierfür regelmäßig mehrere Therapieversuche notwendig sind; einem Rückfall kommt daher wie einem eigenmächtigen Behandlungsabbruch nicht die Bedeutung eines endgültigen Fehlschlages der bisherigen Therapiebemühungen zu, vielmehr hängt eine solche Einschätzung unter anderem auch davon ab, ob der Verurteilte seine Bemühungen zur Überwindung der Sucht fortsetzt (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2003, 311, 312; Körner, BtMG, 5. A., § 35 RN 255). Hat ein Verurteilter nach Abbruch einer Therapie sich daher ständig um die Fortsetzung der Behandlung oder die Aufnahme in eine vergleichbare Einrichtung bemüht und dadurch seinen fortbestehenden Willen dokumentiert, so stellt dies auch dann noch einen "alsbaldigen" Beginn einer Behandlung derselben Art im Sinne des § 35 Abs. 5 Satz 1 BtMG dar, wenn zwischen dem Abbruch der Behandlung und deren Fortsetzung mehrere Monate liegen, sofern entsprechende Bemühungen der Vollstreckungsbehörde bekannt und nachgewiesen sind (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2003, 311, 312). Dies ist hier der Fall.

Zwar lagen weder zum Zeitpunkt des Widerrufs der gewährten Zurückstellung durch die Staatsanwaltschaft am 19.04.2006 noch des angefochtenen Beschlusses vom 01.06.2006 die Zusage eines Kostenträgers und die Bestätigung der Aufnahme in einer Therapieeinrichtung vor, obwohl diese Nachweise grundsätzlich die Grundlage für eine weitere Fortdauer der Zurückstellung trotz Therapieabbruchs darstellen und die bloß erklärte Bereitschaft des Verurteilten zur Aufnahme einer Behandlung hierfür regelmäßig nicht ausreicht (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2003, 311, 312; OLG Koblenz, NStZ 1995, 294, 295). Unter Berücksichtigung der nunmehr vorgelegten Unterlagen ist der Widerruf der Zurückstellung aber nicht mehr gerechtfertigt.

Nach seiner disziplinarischen Entlassung aus der Therapieeinrichtung "C" am 21.02.2006 hat sich der Verurteilte am 23.02.2006 mit dem "D" in O4 in Verbindung gesetzt und dies am 28.02.2006 der Staatsanwaltschaft per Telefax mitgeteilt. Bereits am 24.02.2006 hatte er der Staatsanwaltschaft telefonisch mitgeteilt, "daß er aus der C rausgeschmissen wurde" und sich bis zum 28.02.2006 melden wolle, "ob er eine neue Einrichtung hat". Mit Schreiben vom 08.03.2006 teilte das D der Staatsanwaltschaft mit, daß der Verurteilte Kontakt aufgenommen hat, der betreuende Sozialarbeiter krankheitsbedingt aber erst am 14.03.2006 erreichbar sei. Am 27.03.2006 teilte der Verurteilte der Staatsanwaltschaft mit, daß er noch keine Kostenzusage "von der LVA" habe, weil diese noch Unterlagen brauche; weiterhin teilte er telefonisch mit, daß er wieder bei seinen Eltern wohne. Am 04.04.2006 nahm der Verurteilte sodann Kontakt zu seiner Bewährungshelferin auf, der er seine "Odysseen durch die diversen therapeutischen Einrichtungen" schilderte. Nach Mitteilung der Bewährungshelferin seien seine Bemühungen um einen neuen Therapieplatz von der Therapieeinrichtung C "boykottiert" worden, weil diese die "Abschlußbescheinigung" noch nicht versandt habe (der Abschlußbericht der Therapieeinrichtung vom 07.04.2006 ging bei der Staatsanwaltschaft am 18.04.2006 ein). Am 11.04.2006 unterzog sich der Verurteilte einem Drogensscreening mit "negativem" Befund. Aus den nunmehr übersandten Unterlagen des Verurteilten ergibt sich ferner, daß dieser am 09.05.2006 bei der Deutschen Rentenversicherung einen (weiteren) Antrag auf eine stationäre Langzeitbehandlung stellte, am 27.06.2006 die entsprechende Kostenzusage und am 03.07.2006 eine Aufnahmebestätigung der Fachklinik "E" in O1 mit dem 20.07.2006 als voraussichtlichem Aufnahmedatum erhielt und dies bereits am 06.07.2006 der Staatsanwaltschaft mitteilte. Aus Gründen, die nicht im Verschulden des Verurteilten liegen, wurde der Aufnahmetermin seitens der Klinik auf den 01.08.2006 verschoben. Die entsprechend abgeänderte Aufnahmeerklärung vom 18.07.2006 wurde der Staatsanwaltschaft spätestens am 24.07.2006 übersandt. Inzwischen liegt eine Bestätigung der Fachklinik "E" dafür vor, daß der Verurteilte sich seit dem 01.08.2006 in der Therapieeinrichtung befindet und voraussichtlich bis zu acht Monate bleiben wird.

Unter diesen Umständen sind die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zurückstellung der Vollstreckung gemäß § 35 Abs. 5 Satz 1 nicht (mehr) erfüllt, so daß der angefochtene Beschluß und die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 19.04.2006 aufzuheben waren.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO. Der Senat hat jedoch gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO davon abgesehen, auch die notwendigen Auslagen des Verurteilten der Staatskasse aufzuerlegen, weil der Verurteilte erst im Beschwerdeverfahren die den Erfolg seines Rechtsmittels begründeten Unterlagen vorgelegt hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluß vom 26.05.2003 - 1 Ws 133/03 - , zit. nach juris [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2003, 311]; Meyer-Goßner, StPO, 49. A., § 473 RN 2).

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