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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 31.08.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 811/06
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57
StPO § 454 I 3
Die mündliche Anhörung des Verurteilten im Verfahren über die Aussetzung des Strafrests kann in der Form der Videokonferenz jedenfalls dann stattfinden, wenn sich der Verurteilte mit dieser Verfahrensweise ausdrücklich einverstanden erklärt hat und auch die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit keine weitergehende Aufklärung der prognoserelevanten Faktoren gebieten.
Gründe:

Das Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer, namentlich die Anhörung des Verurteilten in Form der Videokonferenz ist nicht zu beanstanden.

§ 453 I 3 StPO soll gewährleisten, dass sich der Gefangene uneingeschränkt und möglichst unbefangen gegenüber dem Gericht artikulieren und der Spruchkörper sich einen unmittelbaren persönlichen Eindruck und damit ein möglichst umfassendes Bild von seiner Persönlichkeit verschaffen kann . Die mündliche Anhörung bewirkt also eine Erweiterung der Tatsachengrundlage für die zu treffende Prognoseentscheidung nach § 57 StGB und erhöht deren Treffsicherheit. Die Regelung des § 454 I 3 StPO dient deshalb einerseits dem in § 57 I Nr. 2 StGB hervorgehobenen Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, nämlich dem Schutz vor fehlerhaften bedingten Entlassungen . Andererseits stellt sie einen Ausfluss des Freiheitsrechts des Gefangenen (Art. 2 II GG) und seines Anspruches auf ein faires Verfahren (Art. 2 I, 20 III GG) dar : Es wird die Pflicht des Gerichts zur umfassenden Sachverhaltsermittlung bei der Anordnung der Fortdauer des Freiheitsentzugs konkretisiert. Das Gericht soll zur vollständigen Aufklärung möglichst aller für die Prognose relevanten Tatsachen, wozu auch ein umfassendes Bild von der zu beurteilenden Person gehört, angehalten werden. Ferner wird gewährleistet, dass der Gefangene bestmöglich auf das Ergebnis dieser Aufklärung Einfluss nehmen kann .

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu verkennen, dass eine Videokonferenz dem Gericht nicht in gleicher Weise den für die für die Prognose wichtigen, auch durch Erscheinungsbild, Verhalten, Auftreten, Mimik und Körpersprache pp während der Unterredung vermittelten unmittelbaren Eindruck von der Persönlichkeit zu geben vermag wie eine Anhörung "face to face" . Eine Videokonferenz ist auch geeignet, den Gefangenen in seinen Ausdrucksmöglichkeiten einzuengen sowie Ängste, Hemmungen und Nervosität hervorzurufen und ihn damit in der Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte einzuschränken . Hierfür ist kein rechtfertigendes - etwa dem Zeugenschutz, der den Regelungen der § 255a, 247a StPO im Erkenntnisverfahren zu Grunde liegt, vergleichbares - übergeordnetes Interesse erkennbar. Vielmehr dient die von der Kammer gewählte Modalität der Anhörung ausschließlich arbeitsökonomischen und fiskalischen Gründen bzw. der Bequemlichkeit .

Dennoch liegt im vorliegenden Fall kein Fehler bei der Ausübung des der Kammer bei der Durchführung der Anhörung zustehenden Ermessens vor. Denn es ist allgemein anerkannt, dass eine mündliche Anhörung unterbleiben kann, wenn der Gefangene ausdrücklich auf sie verzichtet . Sie steht nämlich zu seiner Disposition, das Gericht kann die mündliche Anhörung nicht erzwingen. Erst Recht (argumentum a maiore ad minus) muss der das Recht auf mündliche Anhörung lediglich einschränkende Verzicht auf die gleichzeitige persönliche Anwesenheit von Richter und Gefangenen durch dessen ausdrückliche Erklärung möglich und wirksam sein . Ein solcher Verzicht liegt hier vor. Der Verurteilte hat nämlich ausdrücklich sein Einverständnis mit Anhörung per Videokonferenz erklärt (vgl. Bl. 597 d.A.).

Bei Vorliegen einer wirksamen Einwilligung des Gefangenen in seine Anhörung per Videokonferenz kann die Durchführung der Anhörung "face to face" verfahrensrechtlich nur noch vom Gebot der umfassenden Aufklärung der prognoserelevanten Gesichtspunkte im Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit geboten sein. Letztgenanntes ist vorliegend indes nicht tangiert, weil die Kammer den Verurteilten nicht bedingt entlassen hat.

Auch in der Sache ist die Entscheidung der Kammer nicht zu beanstanden. Zu Recht hat sie nicht einmal erwogen, den Verurteilten bedingt zu entlassen und konnte deshalb auch von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen (§ 454 II StPO). Zwar ist bei einem Erstverbüßer in der Regel die Annahme gerechtfertigt, dass er durch den erstmaligen Vollzug der Freiheitsstrafe nachhaltig beeindruckt ist. Indes sind bei einem Täter, der wegen eines gemeingefährlichen Delikts - hier des unerlaubten Handeltreibens mit Kokain in nicht geringerer Menge - verurteilt worden ist, erhöhte Anforderungen an das Vorliegen einer günstigen Sozialprognose zu stellen . Das gilt auch bei einem Erstverbüßer . Die bei ihm grundsätzlich bestehende Vermutung, er werde bereits durch die Einwirkung des Vollzugs von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten, muss durch weitere Umstände gestützt werden . Hieran fehlt es mit Blick darauf, dass der bindungs- und wohnungs- und beruflich perspektivlose Verurteilte, der zudem von Abschiebung bedroht ist, im Falle seiner bedingten Entlassung exakt in das unstrukturierte soziale Umfeld zurückkehren würde, aus dem heraus er die der Verurteilung zu Grunde liegende Tat begangen hat.

Ende der Entscheidung

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