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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 29.10.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 986/01
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 78 b IV
StPO § 203
Die Staatsanwaltschaft kann gegen die Unterlassung der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens Untätigkeitsbeschwerde erheben, wenn z. B. wegen des drohenden Verjährungseintritts der Unterlassung die Bedeutung einer Sachentscheidung i.S. einer endgültigen Ablehnung der zu treffenden Entscheidung zukommt.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 Ws 986/01

22 Js 2483/96 StA Darmstadt

Verkündet am 29.10.2001

In der Strafsache

wegen Betruges

hier: Unterlassen einer Entscheidung

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt gegen das Unterlassen der 13. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - bei dem Landgericht Darmstadt eine Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen, am 29.10.01 beschlossen:

Tenor:

Die 13. Strafkammer -Wirtschaftsstrafkammer- beim Landgericht Darmstadt wird verpflichtet, unverzüglich in die sachliche Prüfung einzutreten, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist.

Gründe:

Am 9.4.99 hatte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt - Wirtschaftskammer - Anklage erhoben, mit der dem Angeschuldigten zur Last gelegt wird, sich in der Zeit vom 15 .12.1991 bis 19.1.1996 durch 84 rechtlich selbständige Taten der Untreue schuldig gemacht zu haben.

Nach Zustellung der Anklage im Mai 1999 hatte der Angeschuldigte über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 2.Juni 1999 die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens unter dezidierter Stellungnahme zu den einzelnen Anklagepunkten beantragt.

Nachdem die Akten daraufhin der Staatsanwaltschaft am 7.6.99 zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt worden waren, sandte diese die Akten am 16.7.99 mit ihrer Stellungnahme zurück, wonach die Ausführungen des Angeschuldigten keinen Anlass geben, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, da die vom Angeschuldigten vorgebrachten Einwände - wie etwa, er habe von den Geschädigten kein Geld erhalten bzw. er erinnere sich daran nicht mehr - durch die gegenteiligen Zeugenaussagen, aber auch durch entsprechende Lastschriften in der Hauptverhandlung widerlegt würden.

Eine Förderung des Verfahrens ist seitens der Strafkammer seither nicht mehr erfolgt. Die Akten wurden auf Anforderung zur Einsicht an eine Zivilkammer versandt und dem Verteidiger sowie einem Geschädigtenvertreter zur Verfügung gestellt. Auch wurde am 8.5.00 der seit dem 23.12.96 außer Vollzug gesetzte Haftbefehl aufgehoben. Im übrigen aber finden sich in der Akte immer wieder vom Vorsitzenden kommentarlos verfügte WV- Termine zwischen zwei und vier Monaten. Ein Berichterstatter wurde ersichtlich nicht bestimmt. Mit einem offensichtlich standardisierten Schreiben vom 5. 10. 00 stellte der Vorsitzende unter Hinweis und unter Beifügung einer an den Präsidenten des Landgerichts Darmstadt gerichteten Überlastungsanzeige vom 24.7.2000 fest, dass die Sache in absehbarer Zeit nicht bearbeitet werden kann" und verfügte eine Wiedervorlage von drei Monaten.

Mit Schreiben vom 27.7.01 bat die Staatsanwaltschaft unter Hinweis darauf, dass die Geschäftsbelastung der Kammer bekannt sei, um Mitteilung, wann mit einer Terminierung in der vorliegenden Sache gerechnet werden könne. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.

Die Staatsanwaltschaft beantragte nunmehr unter dem 17.8.2001 in Hinblick auf § 78 b IV StGB das Hauptverfahren zu eröffnen und kündigte für den Fall, dass nicht bis zum 7.9.01 entschieden würde, an, Untätigkeitsbeschwerde zu erheben.

Auch hierauf erfolgte keine Reaktion.

Am 13.9.2001, eingegangen bei Gericht am 17.9.01, erhob die Staatsanwaltschaft daher Beschwerde gegen die Nichtbescheidung des Eröffnungsantrages und beantragte außerdem, das Verfahren zu eröffnen.

Mit Verfügung vom 18.9.01 verfügte der "Stellvertreter im Vorsitz"-, Richter am LG S.,die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft zur Vorlage an das Oberlandesgericht. Unter Ziffer 1 dieser Verfügung heißt es Vermerk nach Beratung: Der Beschwerde wird nicht abgeholfen". Zur Begründung heißt es weiter: Die Beantwortung der Frage, ob der, nach § 203 StPO erforderliche Tatverdacht besteht, setzt zwangsläufig voraus, dass der Tatrichter im Zwischenverfahren die Akte durcharbeitet, bevor über die Frage der Eröffnung des Verfahrens entschieden werden kann.." Unter Hinweis auf die exemplarisch an einem anderen Fall aus Sicht der Kammer aufgezeigte Überlastung heißt es weiter, sei die Kammer hierzu nicht in der Lage.

Die Beschwerde, der die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht beigetreten ist, ist zulässig. Zwar ist der Strafprozessordnung eine reine Untätigkeitsbeschwerde fremd, weil in der bloßen Untätigkeit keine sachliche Entscheidung liegt, nur eine solche aber Gegenstand der Überprüfung durch dasBeschwerdegericht sein kann (vgl. RGst 19, 333, 337; Plöd, KMR, Stand April 2001, Rdnr. 3 vor § 304 StPO; LG Stuttgart, Beschluss vom 12.10.90, 14 Qs 122/90, NStZ 1991, 204).

Die Unterlassung einer von Amtswegen oder auf Antrag zu treffenden Entscheidung ist jedoch dann anfechtbar, wenn die unterlassene Entscheidung selbst bzw. deren Ablehnung anfechtbar ist, und der Unterlassung die Bedeutung einer Sachentscheidung i. S. einer endgültigen Ablehnung und nicht einer bloßen Verzögerung der zu treffenden Entscheidung zukommt ( vgl. BGH NJW 1993, 1279 ff, Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 304 Rdnr. 3; Plöd in KMR, Stand April 2001, § 304 Rdnr. 2; Senatsbeschluss vom 17.9.01 - 3 Ws 905/01

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Gegen die Ablehnung bzw. gegen eine von der Anklage abweichende Eröffnung des Hauptverfahrens steht der Staatsanwaltschaft gem. §210 IIStPO das RechtsmitteI der sofortigen Beschwerde zu.

Das Hinausschieben einer Entscheidung über die Eröffnung durch die Kammer steht hier einer Ablehnung der Eröffnungsentscheidung gleich, weil es zwangsläufig einen endgültigen Verfahrensabschluss nach sich zieht ( BGH, a.a.O. ). Denn bei weiterer Untätigkeit der Kammer droht Verjährung einzutreten: Der Anklageschrift liegen Straftaten zugrunde, die in der Zeit vom 15.12.91 bis 19.1.96 begangen worden sein sollen. Die doppelte Verjährungsfrist der §§ 78 c Abs. 3 S. 2 i.V.m. 78 Abs. 3 Ziffer 4 StGB wird demnach hinsichtlich der Tat zu Nummer 1 der Anklage im Dezember diesen Jahres ablaufen.

Die weitere Zurückstellung der Entscheidung mit der Verjährungsfolge hat damit die Wirkung, dass das Hauptverfahren nicht mehr eröffnet werden kann. In dieser Folge zugleich eine der Ablehnung der Eröffnung gleichzustellende Sachentscheidung zu sehen, erscheint dem Senat auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Denn die weitere Untätigkeit würde zur endgültigen Vereitelung des staatlichen Strafanspruches führen. Dessen unbedingte Durchsetzung obliegt indes den Verfolgungsorganen und Gerichten als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips von Verfassungswegen ( siehe auch BVerfGE 51, 324, 343; 80, 367, 375; 77, 65,76; Senatsbeschluss vom 24.4.92 - 3 VAs 11 /92, StV 1993, 292,294).

Die von der Strafkammer geltend gemachte Überlastung rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil § 78 b Abs. 4 StGB verhindern soll, dass große Strafverfahren, denen Taten von erheblichem Unrechtsgehalt zugrunde liegen, wegen Eintritts der absoluten Grenze nach § 78 c Abs. 3 S. 2 StGB,und wegen der abstrakten Betrachtungsweise der §§ 78 Abs. 4 StGB nicht mit einer Sachentscheidung enden können.

Ob die Kammer wegen Überlastung des Spruchkörpers - auch unter Berücksichtigung des Gebots der besonders zügigen Bearbeitung in Haftsachen ( BGH, Urteil vom 4.9.2001, 5 StR 92/01 nicht in der Lage ist, unverzüglich in die gebotene sachliche Prüfung des Hauptverfahrens einzutreten, hat bei der Entscheidungsfindung des Senates unberücksichtigt zu bleiben. Der Senat ist mit Blick auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung des staatlichen Strafanspruches lediglich gehalten, diesem durch die getroffene Entscheidung Geltung zu verschaffen.

Die Kammer hat hingegen selbst über die Reihenfolge der Bearbeitung der ihr zugewiesenen Verfahren zu befinden. Die Frage des Zuständigkeitsszuschnittes und der ausreichenden personellen Ausstattung des Spruchkörpers ist allein Sache des Präsidiums des Landgerichts (§ 21 e Abs. 3 GVG). Im übrigen obliegt es der Landesjustizverwaltung, die zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches erforderlichen sachlichen und personellen Mittel zur Verfügung zu stellen.

An einer eigenen Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist der Senat gehindert, er hat die Kammer lediglich anzuweisen, nunmehr in die Sachprüfung einzutreten In Rechtsprediung und Literatur ist anerkannt, dass von einer Entscheidung nach 309 11 StPO abzusehen ist, wenn die erste Instanz in die Sachprüfung nicht eingetreten ist (wenn sie z.B. von einem unzulässigen Antrag ausgegangen ist) oder ein Verfahren gewählt hat, das mit einer ordnungsgemäßen Justizgewährung unvereinbar ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, Rdnr. 8 zu § 309; Karlsruher Kommentar, StPO 4. Auflage, Rdnr. 11 zu § 309).

Beide Fälle sind hier gegeben.

Die Kammer hat sich mit der Frage der Eröffnung bisher sachlich nicht befasst. Bei einer Entscheidung durch den Senat würde dem hiervon beschwerten Beteiligten (Angeklagtem oder Staatsanwaltschaft) zudem der Verlust einer Instanz drohen. Da, als Folge weiterer Untätigkeit die Vereitelung des staatlichen Strafanspruches droht, ist das eingeschlagene Verfahren ferner mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang zu bringen.

Ende der Entscheidung

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