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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 26.04.2006
Aktenzeichen: 4 W 10/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 45 I
ZPO § 348 I 1
Für die Entscheidung über im Ablehnungsgesuch, das gegen den Einzelrichter beim Landgericht gerichtet ist, ist der geschäftsplanmäßige Vertreter als Einzelrichter zuständig.
Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten mit der Klage auf Resthonorar aus einem Architektenvertrag für das Bauvorhaben Einfamilienwohnhaus ...weg ... in O1 in Anspruch. Mit der Widerklage machen die Beklagten gegen den Kläger Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter Planung und Bauüberwachung geltend. Nach Erstattung des mit Beweisbeschluss vom 17.08.2004 angeordneten Sachverständigengutachtens vom 18.08.2005 fand am 07.02.2006 ein Fortsetzungstermin zur mündlichen Verhandlung statt. Zu diesem Termin war das persönliche Erscheinen der Beklagten angeordnet worden.

Die Beklagten erschienen zum Termin. Während der informatorischen Anhörung des Beklagten bat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten den Einzelrichter, Richter am Landgericht Richter A, die Verhandlung in einer leiseren Tonlage zu führen, da er bei dieser Lautstärke Kopfschmerzen bekomme. Darauf erwiderte der Richter: "Das ist mir egal". Die Beklagten lehnten den Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab.

Die Beklagten begründen das Ablehnungsgesuch mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21.02.2006 im Einzelnen. Danach entnehmen sie der Erwiderung des Richters eine Gleichgültigkeit gegenüber ihrer ordnungsgemäßen Interessenwahrnehmung und befürchten deshalb keine unvoreingenommene Behandlung bzw. Bewertung ihrer Behauptungen und Rechtsansichten. Nach Auffassung der Beklagten gilt dies um so mehr, als aus den Äußerungen des Richters zum Ablehnungsgesuch und der Nachhaltigkeit mit der er sich zunächst geweigert habe, dieses zu protokollieren, zu entnehmen sei, dass er die Ablehnung als persönlichen Angriff empfinde.

Der Richter am Landgericht A hat sich am 15.02.2006 wie folgt dienstlich geäußert:

"...

Im Rahmen der informatorischen Anhörung der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung äußerte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dahingehend, der Richter spreche etwas zu laut, er bekomme Kopfschmerzen und man möge daher leiser sprechen. Darauf hin wurde durch den Richter geäußert, dies sei ihm egal.

..."

Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss des Einzelrichters vom 01.03.2006 im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, es sei nicht erkennbar, dass sich die Spannungen zwischen dem Beklagtenvertreter und dem abgelehnten Richter auf das Verhältnis des Richters zur Partei ausgewirkt hätten.

Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer am 06.03.2006 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Der Beschluss vom 01.03.2006 leide schon an einem Verfahrensmangel, als über das Ablehnungsgesuch der Einzelrichter des Landgerichts und nicht die Kammer in voller Besetzung entschieden habe. In der Sache wiederholen die Beklagten im wesentlichen ihre Begründung zum Ablehnungsgesuch vom 21.02.2006. Sie führen weiter aus, die Erwiderung offenbare das Fehlen jedweden Respekts in Bezug auf die Interessen und Bedürfnisse des Gegenübers. Eine diesen als Person betreffende Ablehnung des Erklärenden mache es unwahrscheinlich, dass der Erklärende gleichwohl dessen Sachargumente ohne inneren Vorbehalt zur Kenntnis nehmen könnte. Dies wirke sich damit auch unmittelbar auf die Prozessaussichten der Beklagten aus. Die Bewertung des Ablehnungsantrages als wörtlich "Quatsch" mache deutlich, dass sich der abgelehnte Richter im Verhältnis zur Beklagtenpartei nicht mehr nach sachlichen Maßstäben orientiere, sondern sein Denken emotional bestimmt sei. Letztlich komme in der zunächst abgelehnten Protokollierung eine Ablehnung der prozessualen Rechte der Beklagten zum Ausdruck.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist auch begründet.

1. Allerdings leidet die angefochtene Entscheidung nicht schon an einem Verfahrensmangel.

Zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gegen einen Einzelrichter ist gemäß § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 45 Abs. 1 ZPO ebenfalls der Einzelrichter berufen. Von dieser Zuständigkeitszuweisung geht der Senat in Übereinstimmung mit der in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte als herrschend zu bezeichnenden Ansicht aus ( OLG Karlsruhe OLGR 2003,523; 2004,490; KG MDR 2004, 1377; OLG Naumburg MDR 2005, 1246; OLG Oldenburg -15.ZS- MDR 2005, 1129 - 1130, zitiert nach JURIS; OLG Zweibrücken vom 18.11.2005 - 3 W 220/05-; Vossler, MDR 2006,304 m. w. N.; a. A. OLG Frankfurt am Main OLGR 2004, 271; OLG Schleswig OLGR 2005, 10, OLG Oldenburg-14. ZS- MDR 2006,169; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 45 Rz. 4; Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 45 Rz. 2; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22 Aufl., § 45 Rz. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 45 Rz. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 45 Rz. 1; zweifelnd Feiber in MünchKomm/Aktualisierungsband ZPO - Reform, 2. Aufl., § 45 Rz. 17).

Soweit in der Kommentarliteratur nach wie vor die Ansicht vertreten wird, dass über das gegen einen Einzelrichter angebrachte Ablehnungsgesuch nach § 45 Abs. 1 ZPO der gesamte Spruchkörper ohne dessen Mitwirkung zu entscheiden hat, vermag dies mit Blick auf die gesetzgeberische Entscheidung des Reformgesetzgebers in dem Zivilprozessreformgesetz vom 27.06.2001 für den originären Einzelrichter (§ 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO) keine Stütze im Gesetz mehr zu finden. Gemäß § 75 GVG sind, soweit nicht nach den Vorschriften der Prozessordnung an Stelle der Kammer der Einzelrichter zu entscheiden hat, die Zivilkammern des Landgerichts mit drei Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden besetzt. Nach § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO entscheidet die Zivilkammer durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter, sofern nicht eine der in § 348 Abs. 1 Satz 2 ZPO abschließend aufgeführten Ausnahmen vorliegt. Der Senat vermag weder dem Wortlaut des § 45 ZPO noch dem in den Gesetzmaterialien niedergelegten Willen des Gesetzgebers, der systematischen Stellung der Vorschrift oder dem Sinn und Zweck des Ablehnungsrechts eine Sonderregelung zu entnehmen, die eine Abweichung von der in § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO normierten allgemeinen Regelung über die Zuständigkeit des Einzelrichters rechtfertigt ( vgl. auch Vossler a. a. O.).

Mit der Neufassung des § 348 ZPO durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.06.2001 ist der Einzelrichter vollständig und vorbehaltlos an die Stelle des Kollegiums getreten (Zöller/Greger, a. a. O., § 348 Rz. 2; Deubner in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 348 Rz. 6). Er stellt das erkennende Gericht dar und ist der (alleinige) gesetzliche Richter. Dabei erfasst die Regelung des § 348 Abs. 1 ZPO nicht nur das eigentliche Erkenntnisverfahren, sondern sie erstreckt sich grundsätzlich auch auf alle Nebenentscheidungen. Dies ergibt sich aus der systematischen Einordnung in den Abschnitt 1 des Buches 2 der ZPO unter der amtlichen Überschrift "Verfahren vor dem Landgericht". "Verfahren vor dem Landgericht" sind nämlich auch die in anderen Büchern der ZPO geregelten Nebenverfahren. Selbst wenn man mit einer vereinzelt in der Kommentarliteratur vertretenen Ansicht (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 45 Rz. 1) annehmen wollte, dass sich das Ablehnungsverfahren als ein vom Erkenntnisverfahren losgelöstes, selbständiges Zwischenverfahren darstellt, rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Der Regelungssystematik des § 348 Abs. 1 ZPO lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber für verschiedene Verfahrensarten, nämlich das Hauptsacheverfahren einerseits und ein hiermit im Zusammenhang stehendes Neben- oder Zwischenverfahren anderseits unterschiedliche Regelungen über die jeweilige Besetzung des Gerichts selbstständig nebeneinander stellen wollte. Stattdessen hat er in § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO als Grundsatz normiert, dass die Kammer durch den originären Einzelrichter entscheidet. Die Fälle, in denen abweichend von diesem Grundsatz ausnahmsweise die Kammer in der Besetzung mit drei Kammermitgliedern als erkennendes Prozessgericht zuständig sein soll, hat er kraft gesetzlichen Vorbehalts in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO abschließend geregelt (Zöller/Greger, a. a. O., § 348 Rz. 1).

Auch für die Entscheidung über Ablehnungsgesuche gegen den Einzelrichter wäre daher nur dann die Kammer als Kollegium zuständig, wenn dies durch eine der allgemeinen Regelung des § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorangehende Sonderregelung normiert würde. Dies ist aber nicht der Fall. Die Entscheidungszuständigkeit nach § 45 Abs. 1 ZPO ist nicht als ein Ausnahmefall in dem Katalog des § 348 Abs. 1 Satz 2 ZPO aufgeführt und stellt sich - entgegen der in Kommentarliteratur vertretenen Ansicht und der älteren Rechtsprechung -auch im Übrigen nicht als eine Sonderregelung zu der durch § 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO n. F. angeordneten Regelzuständigkeit des Einzelrichters dar.

Dieses Ergebnis wird letztlich auch durch eine rechtspolitische bzw. rechtssystematische Kontrollüberlegung bestätigt. Ein zentrales Anliegen der Zivilprozessreform war es, die vorhandenen, knappen Binnenressourcen der Justiz durch den vermehrten Einzelrichtereinsatz effizienter zu nutzen (vgl. dazu die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, 87, 156). Ausgehend von dieser Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers wäre es schlicht unverständlich, wenn über eine einzelne prozessuale Nebenfrage wie die Ablehnung eines Richters nach § 42 ZPO ein Kollegialspruchkörper zu entscheiden hätte, während die Sachentscheidung dem Einzelrichter vorbehalten bliebe. Etwas anderes lässt sich auch nicht mit Hinweis auf die Bedeutung des gesetzlichen Richters, das Ansehen der Rechtsprechung oder die - vermeintlich oder tatsächlich - höhere Richtigkeitsgewähr von Kollegialentscheidungen rechtfertigen (so aber dezidiert OLG Schleswig a.a.O.). Denn so wichtig die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag auch erscheinen mag, für die Parteien ist sie jedenfalls nicht von größerer Bedeutung als die Entscheidung in der Hauptsache, für die der Einzelrichter in jedem Fall zuständig bliebe (OLG Naumburg a.a.O.; OLG Zweibrücken a.a.O.).

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist aber ein Grund gegeben, der die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters rechtfertigt.

Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit dann statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei genügen Gründe, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters ihr gegenüber rechtfertigen.

Ein solcher Grund ergibt sich schon aus der unstreitigen Erwiderung des Richters auf die Bitte des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, die Verhandlung in einer leiseren Tonlage zu führen, da er bei dieser Lautstärke Kopfschmerzen bekomme. Die Erklärung, das sei ihm egal, ist nicht nur "unwirsch" und unpassend, durch sie offenbart der Richter auch seine Gleichgültigkeit gegenüber der ordnungsgemäßen Interessenwahrnehmung der Partei. Damit lässt er vom Standpunkt einer vernünftigen Partei Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit ihr gegenüber aufkommen. Dem Richter muss daran gelegen sein, dass die Partei von einem nicht beeinträchtigten und damit voll leistungsfähigen Prozessbevollmächtigten vertreten wird. Der Richter muss eine für alle Prozessbeteiligten "angenehme" Verhandlungsatmosphäre schaffen. Nimmt er aber insoweit auf die berechtigten Belange einer Partei keine Rücksicht, so lässt dies auch keine unvoreingenommene Behandlung bzw. Bewertung ihrer Behauptungen und Rechtsansichten befürchten. Die vom Landgericht angeführten "Spannungen" zwischen dem Richter und dem anwaltlichen Beklagtenvertreter wirken sich vielmehr gerade im Verhältnis zu den Beklagten aus. Ist dem Beklagtenvertreter aufgrund der Verhandlungsführung des Richters eine ordnungsgemäße Interessenwahrnehmung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, so "leiden" darunter gerade die Beklagten.

Damit hat der Richter aber die nötige Distanz verloren und lässt Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit aufkommen. Allein dies läßt auf eine persönliche Betroffenheit des Richters schließen, so dass es nicht weiter darauf ankommt, ob er sich zunächst weigerte, das Ablehnungsgesuch und dessen Grund zu protokollieren, und ob der Richter in diesem Zusammenhang das Ablehnungsgesuch als "Quatsch" und unsinnig bezeichnet hat.

Eine Kostenentscheidung war nicht angezeigt, da die Beschwerde erfolgreich war.

Ende der Entscheidung

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