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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 02.08.2005
Aktenzeichen: 5 U 192/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 826
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I.

Die Beklagte ist ein Unternehmen aus dem Bereich Neue Technologien. Anlässlich ihres Börsengangs im November 1999 legte sie einen am 26.11.1999 publizierten Verkaufsprospekt/Unternehmensbericht vor, mit dem sie zum Handel ihrer Aktien in dem damaligen Börsensegment des neuen Marktes nach dem Regelwerk der Deutschen Börse AG zugelassen worden war. Der im Finanzteil des Verkaufsprospektes und Unternehmensberichtes für 1998 ausgewiesene Umsatz von DM 4.567.382,69 beruhte zu 63 % auf vorgetäuschten Umsätzen, die im Zwischenbericht für 1999 genannten Umsätze waren zu 98 % vorgetäuscht, weil der frühere Vorstandsvorsitzende und Großaktionär der Beklagten zu 1, der Beklagte zu 2, die zugrunde liegenden Umsätze frei erfunden hatte.

Der Beklagte zu 2 ist mittlerweile rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Kläger zu 1 bis 7 und die Rechtsvorgänger der aus abgetretenem Recht klagenden Klägerin zu 8 (im folgenden: die Kläger) hatten in der Zeit vom 1.02.2000 bis 22.02.2002 nach näherer Maßgabe der Ausführungen in der Klageschrift unter I. 7. (Blatt 58 bis 60 d. A.), auf die verwiesen wird, Aktien der Beklagten (Wertpapierkennnummer ...) erworben, die der Kläger zu 1 vollumfänglich, der Kläger zu 3 zum Teil wieder veräußerte und die heute weitgehend wertlos sind.

In der Folgezeit nach der Aktienplatzierung ließ der Vorstand der Beklagten zu 1 ständig Meldungen über steigende Umsätze und Gewinne veröffentlichen, die unzutreffend waren. Durch eine Sonderprüfung nach dem 20.02.02 stellte sich heraus, dass 98,6 % des Umsatzes in 2001 in Höhe von 93, 6 Millionen € über Luftbuchungen mit einer Firma in Hongkong vorgetäuscht und auch schon im Börsenprospekt diese behauptete Geschäftsbeziehung falsch dargestellt worden war.

Die Kläger nehmen die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch.

Sie haben dies damit begründet, die Beklagten hätten mit Hilfe des unrichtigen Verkaufsprospekts und der nachfolgenden sensationellen Erfolgsmeldungen einen Nachrichtenstrom erzeugt und hierdurch systematisch das Trugbild eines florierenden Unternehmens erzeugt, das in Wahrheit nie existiert habe. Nicht eine einzige, sondern die ständigen Meldungen seien für die Kaufentschlüsse der Kläger ursächlich gewesen. Sie hätten die Investitionen unterlassen, wäre ihnen bekannt gewesen, dass dieses Unternehmen in Wahrheit nicht existiere.

Die Kläger haben beantragt,

I.

die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt an den Kläger zu 1) € 90.573,14 zuzüglich 4 % Zinsen vom 03.02.2000 bis 30.04.2000 aus € 66.207,40, fünf Prozentpunkten über dem Basiszins vom 01.05.2000 bis 26.12.2000 aus € 66.207,40, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 27.12.2000 bis 11.03.2002 aus € 96.531,40 und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 12.03.2002 aus € 90.573,14 zu zahlen,

II.

die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 2) € 27.947,87 zuzüglich 4 % Zinsen vom 04.04.2000 bis 30.04.2000 aus € 5.639,66, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 01.05.2000 bis 22.02.2001 aus € 5.639,66, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 23.02.2001 bis 18.03.2001 aus € 10.841,37, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 19.03.2001 bis 07.05.2001 aus € 13.756,23, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 08.05.2001 bis 28.11.2001 aus € 15.793,22, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 29.11.2001 bis 02.12.2001 aus € 20.011,57, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 03.12.2001 bis 21.02.2002 aus € 23.829,60 und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 22.02.2002 aus € 27.947,87 Zug um Zug gegen Übereignung von 2360 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten hinsichtlich 2.360 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., im Annahmeverzug befinden.

III.

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 3) € 39.427,60 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 20.12.2000 bis 03.01.2001 aus € 26.555,48, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 04.01.2001 aus € 57.514,03, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 05.01.2001 bis 09.01.2001 aus € 28.218,43, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für den 10.01.2001 aus € 52.212,49, fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz vom 11.01.2001 bis 27.02.2001 aus € 26.424,00, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 28.02.2001 bis 29.03.2001 aus € 59.647,13, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 30.03.2001 bis 03.04.2001 aus € 79.857,13, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 04.04.2001 bis 10.04.2001 aus € 49.913,00, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für den 11.04.2001 aus € 30.925,00, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 12.04.2001 bis 16.04.2001 aus € 50.458,00 und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 17.04.2001 aus € 39.427,60 Zug um Zug gegen Übereignung von 950 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten hinsichtlich 950 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., im Annahmeverzug befinden.

IV.

die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 4) und die Klägerin zu 5) € 25.067,84 zuzüglich 4 % Zinsen vom 27.01.2000 bis 30.04.2000 aus € 10.108,00, fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 01.05.2000 bis 08.03.2001 aus € 10.108,00 und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 09.03.2001 aus € 25.067,84 Zug um Zug gegen Übereignung von 900 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten hinsichtlich 900 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., im Annahmeverzug befinden.

V.

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 6) € 1.540,42 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 06.12.2000 Zug um Zug gegen Übereignung von 37 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten hinsichtlich 37 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., im Annahmeverzug befinden.

VI.

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 7) € 65.378,79 zuzüglich 4 % Zinsen vom 07.03.2000 bis 09.04.2000 aus € 40.226,94, 4 % Zinsen vom 10.04.2000 bis 30.04.2000 aus € 65.378,79 und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 01.05.2000 aus € 65.378,79 Zug um Zug gegen Übereignung von 1.464 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten hinsichtlich 1.464 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., im Annahmeverzug befinden.

VII.

Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin zu 8) € 52.009,25 zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 10.04.2001 bis 23.04.2001 aus € 38.150,69 und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 24.04.2001 aus € 52.009,25 Zug um Zug gegen Übereignung von 3.000 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten hinsichtlich 3.000 Stück Inhaberaktien der A AG, O1, Wertpapierkennnummer ..., im Annahmeverzug befinden.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, die Kläger hätten ihre Investitionsentscheidungen aus reinem Spekulationsinteresse getroffen, die Informationen der Beklagten zu 1 seien ihnen nicht bekannt gewesen.

Die Beklagten haben gemeint, beim Kauf der Aktie hätten die Kläger keinen Schaden erlitten, sondern einem dem Kaufpreis entsprechenden Gegenwert erhalten.

Der Schaden der Anleger durch Kursverluste beruhe nicht auf der Täuschung über die Umsätze, weil es schon vorher erhebliche Kursverluste gegeben habe.

Der Beklagte zu 2 habe eine Vermögensschädigung der Anleger nicht billigend in Kauf genommen.

Den Klägern falle ein Mitverschulden zur Last, Ansprüche wegen Prospekthaftung seien verjährt.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage wegen der Zinsnebenforderungen teilweise und bezüglich des Klägers zu 2 in Höhe eines Teilbetrages von 4.118,27 €, soweit er Ersatz für den Erwerb von 1.000 Aktien am 22.02.2002 gefordert hat, abgewiesen und ihr im übrigen stattgegeben, auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird verwiesen.

Die Beklagten seien den Klägern nach § 826 BGB zum Ersatz der für den Aktienerwerb aufgewandten Beträge verpflichtet, die Beklagte zu 1 habe dabei für das Handeln des Beklagten zu 2, ihres früheren Vorstandes, einzustehen.

Durch Bilanzfälschungen und häufige falsche ad-hoc-Meldungen sei eine Kaufstimmung erzeugt worden, die die Kläger dazu gebracht habe, die Aktien zu erwerben. Hierfür spreche eine tatsächliche Vermutung. Die positive Stimmung sei auch nach zwischenzeitlichen Kursverlusten durch fortgesetzte Falschmeldungen beeinflusst worden. Der Schaden der Kläger sei vom Beklagten zu 2 vorsätzlich und sittenwidrig herbeigeführt worden.

Die aktienrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Erhaltung des Grundkapitals hinderten die Verurteilung nicht, weil die Kläger die Aktien durch ein gewöhnliches Umsatzgeschäft an der Börse und nicht durch Zeichnung oder Ausübung eines Bezugrechtes erworben hätten.

Das Feststellungsbegehren sei gemäß §§ 756, 765 ZPO gerechtfertigt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie weiter das Ziel der Klageabweisung verfolgen.

Sie rügen insbesondere, dass das Landgericht ohne Beweisaufnahme von einer durch den Verkaufsprospekt und durch den fehlerhaften Inhalt der ad-hoc-Mitteilungen erzeugten Verkaufsstimmung ausgegangen sei und insoweit auch die Kausalität zum Kaufentschluss bejaht, den Schadenseintritt bereits durch den Wertpapierkauf angenommen, das Mitverschulden nicht geprüft, Vorsatz des Beklagten zu 2 und Sittenwidrigkeit seines Handelns angenommen habe.

Die Beklagte zu 1 hat dem früheren Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. B den Streit verkündet.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 24.04.2003 (Az. 3-7 O 47/02) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Wegen des Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird ergänzend auf folgende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen: der Beklagten zu 1 vom 23. September 2003 (Bl. 644 bis 697 d. A), des Beklagten zu 2 vom 24. Oktober 2003 (Bl. 749 bis 788 d. A und Anlagen-Sonderband) und vom 1. Juli 2005 (Bl. 944 bis 954 d. A. und Anlagen-Sonderband) sowie der Kläger vom 30. Juli 2004 (Bl. 889 bis 930 d. A. und Anlagen-Sonderband).

Aus dem bei dem erkennenden Senat anhängigen Verfahren 5 U 146/04 war ein Leitzordner mit dem Verkaufsprospekt/Unternehmensbericht der Beklagten sowie weiteren ad-hoc-Mitteilungen beigezogen und ebenso wie die Beschuldigtenvernehmung des Beklagten zu 2 vom 15. April 2002 Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und gerechtfertigt worden.

Das gilt auch, soweit die Beklagte zu 1 in der Berufungsschrift im Betreff die Geschäftsnummer des Landgerichts Frankfurt noch richtig mitgeteilt, nachfolgend im Text das angefochtene Urteil hingegen zu Aktenzeichen, Verkündungs- und Zustelldatum falsch bezeichnet hat [Verkündungsdatum. 28.4.2003, Zustelldatum. 15. Mai 2003, Aktenzeichen 3-7 O 43/02].

Nachdem die Beklagte zu 1 in der Berufungsschrift jedoch sämtliche Parteien richtig bezeichnet und ihr das ("richtige") angefochtene Urteil beigefügt hat, liegt mit den unrichtigen Angaben kein relevanter Verstoß gegen § 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vor. Dieser ist vielmehr unschädlich, weil unbehebbare Identitätszweifel nicht auftreten konnten, denn aus der beigefügten Urteilsausfertigung ergaben sich das richtige, bereits im Betreff der Berufungsschrift genannte Aktenzeichen und die richtigen Verkündungs- und Zustellungsdaten.

Auf die Berufung der Beklagten ist jedoch lediglich die erstinstanzliche Kostenentscheidung teilweise zu korrigieren, während die Rechtsmittel im übrigen unbegründet sind. Das angefochtene Urteil beruht im Ergebnis weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 Abs.1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Die Klage ist gegen beide Beklagten aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet, die Beklagte zu 1 hat gemäß § 31 BGB für das Handeln ihres früheren Vorstandes, des Beklagten zu 2, einzustehen.

Die Unrichtigkeit des Verkaufsprospektes, in dem der Beklagte zu 2 für 1998 Umsätze in Höhe von 4.567.382,67 DM, obwohl 63 % dieses Umsatzes nicht stattgefunden haben, und für 1999 im Zwischenbericht zu mehr als 98 % vorgetäuschte Umsätze hat veröffentlichen lassen, ist, was der Tatbestand des angefochtenen Urteils mit Tatbestandswirkung (§ 314 ZPO) verlautbart, unstreitig.

Die Kausalität der unrichtigen Prospektangabe für den Aktienerwerb der Kläger ist, soweit in der Berufungsinstanz noch von Interesse, nicht zweifelhaft, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Prospekt den Klägern bekannt war und sie ihre Kaufentscheidung (auch) auf die in ihm enthaltenen Angaben gestützt haben. Insoweit liegt der Fall anders, als wenn es (nur) um die Unrichtigkeit von Ad-hoc-Mitteilungen ginge.

Die unrichtige Prospektangabe kann, wie der Senat bereits mehrfach ausgeführt hat, nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Aktienerwerb der Kläger entfiele. Ohne die Angabe des Umsatzes von 1998 hätte dem Prospekt eine unerlässliche Mitteilung gefehlt, so dass es nicht zu einem Börsengang gekommen wäre. Zur Zulassung in diesem Marktsegment mussten nach dem Regelwerk der Deutschen Börse AG als Marktveranstalterin nämlich u.a. die Zulassungsvoraussetzungen zum geregelten Markt erfüllt werden. Dazu gehörte in einem Unternehmensbericht gemäß § 73 Abs. 1 Nr. 2 Börsengesetz a.F. i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 Verkaufsprospektverordnung die Mitteilung des Gesamtumsatzes des letzten Geschäftsjahres (vgl. Senat, Beschluss vom 7.11.2003 - 5 W 31/03, AG 2004, 453, Juris-Rz. 9; Urteil vom 15.10.2004 - 5 U 262/03, unveröffentlicht).

Die unrichtige Angabe war auch adäquat ursächlich, denn die Zulassung der Aktien und der spätere Erwerb durch einen Anleger sowie dessen Schädigung lagen nahe.

Dass diese Ursachenkette durch die Angabe der richtigen Umsatzzahlen ebenfalls stattgefunden hätte, liegt hingegen fern.

Es trifft zwar zu, dass für den Börsengang ein bestimmter Mindestumsatz nicht Voraussetzung war und auch bei Angabe korrekter Umsatzzahlen möglich gewesen wäre.

Diese Möglichkeit bestand jedoch nur theoretisch.

Es ist von den Beklagten, die insoweit nach den allgemeinen Regeln die Darlegungslast haben, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich bei Angabe der zutreffenden, deutlich geringeren Umsatzzahlen, an denen dann möglicherweise eine Steigerung ablesbar gewesen wäre, aber keine solche um 756 %, wie in der "Erläuterung zum Zwischenbericht zum 31. August 1999 und Ausblick" (S. 89 des Verkaufsprospekts/Unternehmensbericht) unrichtig verlautbart, eine Bank bereitgefunden hätte, die Emission, die in diesem Fall nicht erfolgversprechend gewesen wäre, zu begleiten. Dies hat der Beklagte zu 2 im übrigen auch bei seiner Beschuldigtenvernehmung eingeräumt und ausgesagt, der tatsächliche Umsatz des Jahres 1998 hätte für den geplanten Börsengang nicht gereicht, gleiches habe für die Umsatzzahlen aus dem Jahr 1999 , die im Herbst 1999 absehbar gewesen seien, gegolten (Seite 8/9 der Vernehmungsniederschrift).

Hiernach kommt es auf die Erwägung im angefochtenen Urteil, durch den Prospekt und spätere Mitteilungen unrichtiger, weil gefälschter Umsatzzahlen sei eine den Erwerb der Aktien der Beklagten zu 1 fördernde Kaufstimmung erzeugt worden, ebenso wenig an, wie darauf, ob die Kläger den Prospekt und nachfolgende Mitteilungen zur Kenntnis genommen und zur Grundlage ihrer Kaufentscheidungen gemacht haben.

Durch den Erwerb der Aktien haben die Kläger entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht einen Nichtvermögensschaden, sondern einen Vermögensschaden in Höhe des Erwerbspreises erlitten, der ohne den Börsengang der Beklagten zu 1 nicht eingetreten wäre.

Insoweit schulden die Beklagten, da auch die weiteren Voraussetzungen der Haftungsnorm vorliegen, Naturalrestitution (§ 249 BGB) in Form der Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Aktien bzw. Anrechnung der erzielten Veräußerungserlöse bei den Klägern zu 1 und 3. Denn der Anleger ist im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die für den Prospekt Verantwortlichen ihrer Pflicht zur wahrheitsgemäßen Mitteilung nachgekommen wären. Da die Kläger in diesem Fall mangels Börsengangs der Beklagten die Aktien nicht erworben hätten, können sie nach § 249 Abs. 1 BGB Geldersatz in Höhe des für den Aktienerwerb aufgewendeten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Rechtspositionen bzw. unter Anrechnung der erzielten Veräußerungserlöse im Fall der Kläger zu 1 und 3 auf die - an dem Erwerbsgeschäft nicht beteiligten - Schädiger verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149 [Infomatec], Juris-Rz. 40), die Beträge sind jeweils rechnerisch unstreitig.

Die Schadenshöhe ergibt sich aus dem für den Erwerb aufgewendeten Betrag, ohne dass wegen der Investition in ein Papier des hoch spekulativen neuen Marktes eine Einschränkung gerechtfertigt wäre (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02 [Infomatec], a. a. O., Juris-Rz. 42).

Der Schaden ist nicht mit der Begründung zu verneinen, der Wert der gekauften Aktie entspreche immer dem Börsenkurs, weil der Wert der durch die Aktie verkörperten Mitgliedschaft sich nicht nach dem jeweiligen Börsenkurs, der spekulativ oder von sonstigen, nicht wertbezogenen Faktoren beeinflusst sein kann, bestimmt, sondern nach dem wirklichen Wert des Unternehmens (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1982 - II ZR 172/81, NJW 1982, 2827, Juris-Rz. 16 m. w. N.).

Hypothetische Verluste wegen anzunehmender Anlagen der Kläger in andere am neuen Markt gehandelte Papiere schließen den Schaden nicht aus.

Es gibt keine Erfahrungssätze zu typischem Anlegerverhalten, die den Schluss auf entsprechende Anlageentscheidungen des Klägers zuließen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 17. März 2005 - 1 U 149/04, AG 2005, 401, Juris-Rz. 16). Denn die Anlageentscheidung eines potentiellen Aktienkäufers stellt einen durch vielfältige rationale und irrationale Faktoren, insbesondere teils spekulative Elemente beeinflussten, sinnlich nicht wahrnehmbaren individuellen Willensentschluss dar, bei derartigen individuell geprägten Willensentschlüssen gibt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich keinen Anscheinsbeweis für sicher bestimmbare Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 218/03, BGHZ 160, 134 [Infomatec], Juris-Rz. 41).

Konkreten Vortrag zu einer bestimmten anderen Anlageentscheidung der Kläger haben die hierfür darlegungsbelasteten Beklagten hingegen nicht gehalten.

Der Schutzzweck der Norm steht einer vollumfänglichen Haftung der Beklagten ebenfalls nicht entgegen.

Da die Kläger bei redlichem Verhalten des Beklagten zu 2 Aktien der Beklagten zu 1 nicht erworben hätten, ist die Einbuße, die auf einem durch etwaige andere Gründe verursachten Kursverlust der Aktien beruht, Folge des Erwerbs und daher als adäquat verursachter Schaden gleichfalls zu ersetzen. Infolgedessen kommt eine Beschränkung der Haftung auf einen etwaig geringeren Kursverlust, der bei isolierter Berücksichtigung der Prospektunrichtigkeit zu ermitteln wäre, nicht in Betracht.

Im übrigen unterliegt der Anspruch aus vorsätzlich unerlaubter Handlung nach der Rechtssprechung des Senats nicht den Beschränkungen der §§ 44, 45 BörsG (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2003 - 5 W 34/02, OLGReport Frankfurt 2003, 193), so dass unter dem Blickwinkel des Rechtswidrigkeitszusammenhangs/Schutzzwecks der Haftungsnorm für eine unrichtige Prospektangabe, die auch die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung i.S. des § 826 BGB erfüllt, eine Beschränkung der Rechtsfolgen zugunsten des Schädigers nicht veranlasst ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 402/02 [Infomatec], a. a. O, Juris-Rz. 43. für fehlerhafte ad-hoc-Mitteilungen)

Der subjektive Tatbestand des § 826 BGB ist erfüllt.

Der Beklagte zu 2 wusste, dass die Umsatzangaben im Verkaufsprospekt/ Unternehmensbericht für die Jahre 1998 und 1999 weitgehend unrichtig waren, weil er die zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle vorgetäuscht hatte, um den Börsengang zu ermöglichen.

Er handelte mit direktem Vorsatz, wobei es im Rahmen des § 826 BGB genügt, dass der Täter die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgend welcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens voraussieht und mindestens billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - IIZR 402/02 [Infomatec] a.a.O. Rdz. 47).

Der Beklagte zu 2 wusste, dass nur infolge seines Täuschungsmanövers der Börsengang und der Handel mit Aktien der Beklagten zu 1 ermöglicht wurde und unterblieben wäre, hätte er die richtigen Umsatzzahlen genannt. Dass dadurch die Anleger am Sekundärmarkt in der dargestellten Weise geschädigt werden würden, nahm er hierbei billigend in Kauf

Diese vorsätzliche Falschangabe ist sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB, d.h. als "gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" verstoßend, anzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 19. Juli 2004 - II ZR 402/02 [Infomatec], a. a. O., Juris-Rz. 49).

Dafür genügt zwar nicht die bloße Tatsache eines Verstoßes gegen eine gesetzliche Vorschrift und der Vermögensschädigung Dritter. Die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens muss sich vielmehr aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben. Das ist hier aber deshalb der Fall, weil der Beklagte zu 2 die Schädigung eines großen Anlegerkreises aus Eigennutz billigend in Kauf nahm. Die Vorspiegelung von Umsätzen, die in Wahrheit in wesentlich geringerem Umfang angefallen waren, hatte das Ziel, das Unternehmen an die Börse zu bringen, weil die Beklagte zu 1 nach der Einlassung des Beklagten zu 2 sonst über kurz oder lang am Ende ihrer Mittel gewesen und zur Betriebsaufgabe gezwungen gewesen wäre (Seite 11 der Vernehmung). Diese Manipulation der Zahlen zeigt, dass der Beklagte zu 2 bedenkenlos bereit war, sich über grundlegende Anforderungen des Kapitalmarkts hinwegzusetzen, um den Börsengang zu ermöglichen.

Der Einwand der Beklagten, dem Beklagten zu 2 sei es um einen Kursanstieg und damit um eine Bereicherung der Anleger gegangen, entlastet sie nicht.

Das Verhalten des Beklagten zu 2 ist gleichwohl als objektiv unlauter zu qualifizieren, im Rahmen des § 826 BGB muss die Verfolgung eigener Zwecke weder vorrangiges noch Endziel der ungesetzlichen Handlungsweise sein (vgl. BGH, Urt. v. 19. Juli 2004 - II ZR 402/02 [Infomatec], a. a. O., Juris-Rz. 50).

Für den Einwand des Mitverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB) der Kläger bei der Entstehung des Schadens, weil sie in ein hochspekulatives Papier investiert hätten, ist rechtlich kein Raum (Schwark, § 45 BörsG, Rz. 56).

Für die vorsätzliche Falschinformation ihres Organs, des Beklagten zu 2, gegenüber dem Anlegerpublikum des Sekundärmarktes hat die Beklagte zu 1, nach § 31 BGB einzustehen, sofern - wie hier - § 826 BGB verletzt ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2005 - II ZR 287/02, Juris-Rz. 15; Senatsbeschluss vom 14. Februar 2003 - 5 W 34/02 OLG-Report Frankfurt 2003, 193).

Der Schadensersatzanspruch der Kläger scheitert nicht am Verbot der Einlagenrückgewähr im Sinne von § 57 Abs. 1 AktG oder des Verbots des Erwerbs eigener Aktien (§§ 71 ff AktG). Das Integritätsinteresse der durch ein vorsätzlich sittenwidriges, der Gesellschaft zurechenbares Handeln des Vorstands geschädigten Anleger, die wie hier die Aktien durch derivative Umsatzgeschäfte auf dem Sekundärmarkt erworben haben, hat Vorrang vor dem in den Vorschriften der §§ 57, 71 Abs. 2 Satz 2 AktG zum Ausdruck kommenden Gedanken der Kapitalerhaltung und Vermögensbindung, zumal der Umstand, dass es im Rahmen der Schadensabwicklung zu einer Übernahme eigener Aktien kommen kann, lediglich Folge der kapitalmarktrechtlichen Naturalrestitution unter Wahrung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Mai 2005 - II ZR 287/02, Juris-Rz 16 ff).

Das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 53 a AktG) ist nicht tangiert, weil die beklagte Aktiengesellschaft den Schadensersatz begehrenden Aktionären unabhängig von deren Aktionärsstellung als Schuldnerin gegenüber steht. Dass es bei einer Vielzahl von Gläubigern unter diesen zu einem "Wettlauf" kommen mag, ist keine Besonderheit des vorliegenden Falles.

Der von den Beklagten erhobene Einwand der Verjährung greift gegenüber dem deliktischen Anspruch, nachdem bei Eintritt der Rechtshängigkeit, durch die die dreijährige Verjährungsfrist gehemmt worden ist (§§ 195, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB; Art. 229 § 6 Abs. 1 EGBGB), der erste Aktienerwerb der Kläger noch keine drei Jahre zurücklag, nicht durch.

Die zuerkannten Zinsen sind unter Verzugsgesichtspunkten geschuldet und von der Berufung nicht angegriffen.

Die von den Klägern zu 2 bis 8 weiter erhobene Klage auf Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten hinsichtlich der klägerseits geschuldeten Übertragung der noch vorhandenen Aktien ist zulässig, insbesondere kann wegen der vollstreckungsrechtlichen Besonderheiten bei Zug-um-Zug Verurteilungen (§§ 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO) aus Gründen der Prozessökonomie das Rechtsschutzinteresse nicht verneint werden (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2000 - XII ZR 332/97, NJW 2000, 1267, Rz. 10 ff).

Sie ist auch begründet, weil die Beklagten die Rücknahme der Aktien ablehnen (§§ 293 ff BGB).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz war bezüglich der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 abzuändern, sein Unterliegen betreffend seine eigenen außergerichtlichen Kosten war nicht relativ geringfügig und seine Zuvielforderung hat insoweit Mehrkosten verursacht (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), während die Kosten im übrigen von den Beklagten als Gesamtschuldnern zu tragen sind (§§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 100 Abs. 4 Satz ZPO).

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 Satz 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Frage, ob der aktienrechtliche Kapitalerhaltungsgrundsatz und das Verbot des Erwerbs eigener Aktien einen Anspruch gegen die Gesellschaft aus § 826 BGB ausschließen, ist zwischenzeitlich durch das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 9. Mai 2005 - II ZR 287/02 geklärt.

Ende der Entscheidung

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