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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 24.02.2009
Aktenzeichen: 8 U 103/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1
Eine medizinische Aufklärung ist nur dann rechtzeitig, wenn der Patient ohne vermeidbaren Druck in die Lage versetzt wird, seine Entscheidung für oder gegen den Eingriff frei zu treffen. Das ist nicht mehr der Fall, wenn die Eltern eines wenige Wochen alten Kindes erst am Vorabend einer lebenswichtigen, aber nicht akut indizierten Herzoperation über deren Risiken informiert werden, nachdem das Kind schon operationsvorbereitenden Maßnahmen (u.a. Ultraschalluntersuchungen, Herzkatheder, Monitorüberwachung) unterzogen worden ist.
Gründe:

I.

Das Landgericht hat dem Kläger (geboren am ....2003) ein Schmerzensgeld von 125.000 € zugesprochen und die Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Schäden festgestellt. Im Hinblick auf eine begehrte Schmerzensgeldrente hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Kläger am 10.6.2003 zur Korrektur eines Herzfehlers in einer Klinik des beklagten Klinikums der A (kurz: die Beklagte) am Herzen operiert wurde. Der Eingriff verursachte eine Hirnblutung und derartige Hirnschäden, dass dem Kläger ein Ableitungssystem für überschüssige Gehirnflüssigkeit ("VP-Shunt") in das Gehirn implantiert wurde. Der Kläger muss dieses Ableitungssystem dauerhaft tragen. Der Kläger leidet an Epilepsie und hat eine Entwicklungsverzögerung erlitten.

Das Landgericht geht davon aus, dass sich bei dem Kläger schicksalhaft ein Risiko verwirklicht hat, das der durchgeführten Herzoperation anhaftet und über das die Eltern des Klägers hätten aufgeklärt werden müssen, bevor sie eine Eingriffseinwilligung erteilten. Dass sie über dieses Risiko aufgeklärt worden sind, konnte das Landgericht nicht feststellen. Das Landgericht geht außerdem davon aus, dass die am Vorabend des Eingriffs erfolgte Aufklärung verspätet war. Es meint schließlich, die Aufklärung sei wegen mangelhafter Deutschkenntnisse des Vaters des Klägers unzureichend gewesen.

Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf die angefochtene Entscheidung verwiesen (Bl. 151 ff d.A.).

Die Berufung der Beklagten ist auf vollständige Klageabweisung gerichtet. Die den Eltern des Klägers erteilte Aufklärung sei weder inhaltlich unzureichend noch mangels erforderlicher Sprachkenntnisse oder wegen Verspätung unwirksam gewesen, wozu in der Berufungsbegründungsschrift jeweils näherer Vortrag gehalten wird.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

II.

Der Berufung ist der Erfolg zu versagen, weil das Landgericht zu Recht von einer unvollständigen Eingriffsaufklärung ausgegangen ist, der Eingriff deswegen rechtswidrig war und die Beklagte daher auch für die Beeinträchtigungen des Klägers im zuerkannten und von der Berufung insoweit nicht angegriffenen Umfang einzustehen hat.

Das Landgericht ist insbesondere zu Recht davon ausgegangen, dass die Eltern des Klägers nicht hinreichend aufgeklärt waren, als sie die Operationseinwilligung für den Kläger erteilten.

Es bestehen schon Zweifel, ob den Eltern des Klägers die für eine wirksame Eingriffsaufklärung erforderlichen Inhalte vermittelt worden sind. Dass die Operation mit dem Risiko einer Hirnblutung und daraus folgenden dauerhaften Hirnschäden verbunden und dieses Risiko aufklärungspflichtig war, hat das Landgericht aus dem unstreitigen Tatsachenvorbringen beider Parteien geschlossen. Der Senat teilt diese Auffassung. Soweit die Berufung vorbringt, es handele sich um eine extrem seltene Komplikation und damit offenbar erstmals meint, es habe sich nicht um ein aufklärungspflichtigen Umstand gehandelt, ist sie mit diesem auch sachlich wenig substantiierten Vorbringen nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen.

Dass die Eltern des Klägers über dieses Risiko und die damit verbundenen möglichen Folgen für seien Leben im Großen und Ganzen durch den Zeugen Z1 aufgeklärt worden seien, hat der Zeuge Z1 gegenüber dem Landgericht nicht bestätigt. Hinsichtlich der Blutungsrisiken hat er hat lediglich bestätigt, über mögliche Nachblutungen am Herzen (nicht also über Hirnblutungen) aufgeklärt zu haben.

Ob das von ihm ebenfalls genannte Risiko eines Schlaganfalls zugleich eine hinreichende Aufklärung über das Risiko einer cerebralen Blutung mit nachfolgender dauerhafter Hirnschädigung enthält, kann aber letztlich offen bleiben.

Es kann auch nicht angenommen werden, dass den Eltern des Klägers die bestehenden Risiken des Eingriffs auf Grund der Anästhesieaufklärung bewusst waren. Der Umstand, dass bei der Anästhesieaufklärung andere und teilweise erheblichere Gefahren verdeutlicht wurden, als sie sich am Kläger verwirklicht haben, begründet nicht den Schluss, dass der Kläger dadurch auch über die spezifischen Eingriffsgefahren hinreichend aufgeklärt war. Eine Anästhesieaufklärung betrifft in aller Regel Risiken, denen sich eine Vielzahl von Narkosepatienten regelmäßig ausgesetzt sieht. Eine rechtfertigende Einwilligung setzt aber voraus, dass der Patient auch um diejenigen Risiken im Großen und Ganzen weiß, die über die Anästhesie hinaus mit dem speziellen bevorstehenden Eingriff einhergehen.

Soweit der nichtanwaltliche Interessenvertreter der Beklagten in der mündlichen Senatsverhandlung darauf abstellte, dass aus der stattgehabten Anästhesieaufklärung letztlich ein Todesrisiko abzuleiten sei, was augenfällig schwerer wiege als die eingetretenen Beeinträchtigungen des Klägers, verkennt er die Bedeutung einer Eingriffsaufklärung. Hierbei geht es um die Nennung der spezifischen Risiken des Eingriffs und dessen Rechtfertigung durch eine selbstbestimmte Einwilligungserklärung des Patienten. Mit dem letztlich nie auszuschließenden Todesrisiko eines operativen Eingriffs unter Vollnarkose können diese Risiken keinesfalls ausreichend benannt sein, eben weil ein solcher Hinweis dem Patienten keinerlei Möglichkeit gibt, die Bedeutung des konkret bevorstehenden Eingriff für seine zukünftige Lebensführung vernünftig einzuschätzen.

Soweit sich aus der dokumentierten Anästhesieaufklärung (Bl. 96 ff d.A.) Anhalte dafür entnehmen lassen, dass dabei auch über die Gefahr eines Hirnschadens aufgeklärt worden ist, stand diese Aufklärung im Zusammenhang mit "sehr seltenen schweren allergischen Reaktionen" (Bl. 98 d.A.). Soweit sonst im Rahmen der Anästhesieaufklärung dauerhafte Nerven- oder Hirnschäden angesprochen worden sein sollten, wären diese Zusammenhänge "äußerst seltene Infektionen der Nervenstämme" oder "sehr seltene Krampfanfälle, Atem-, Herz- und Kreislaufversagen" gewesen (Bl. 99), was alles mit dem tatsächlich verwirklichten Risiko nichts zu tun hat.

Der Eingriff war jedenfalls deswegen rechtswidrig, weil die Eingriffsaufklärung verspätet vorgenommen wurde. Ein Patient muss vor einem Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann. Zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts erfordert dies grundsätzlich, dass ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt, ihm schon vor diesem Zeitpunkt auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind. Allerdings ist eine erst später erfolgte Aufklärung nicht in jedem Fall verspätet. Vielmehr hängt die Wirksamkeit einer hierauf erfolgten Einwilligung davon ab, ob unter den jeweils gegebenen Umständen der Patient noch ausreichend Gelegenheit hatte, sich innerlich frei zu entscheiden (vgl. dazu m.z.w.N. BGH, Urteil vom 25.3.2003 - VI ZR 131/02 - NJW 2003, 2012 ff, 2013). Diesen Anforderungen genügte die hier erfolgte Aufklärung nicht.

Die an dem Kläger durchzuführende Operation war lebenswichtig, musste aber nicht sofort vorgenommen werden. Als die behandelnden Ärzte (offenbar nicht später als am 2.6.2003) den Operationstermin auf den 10.6.2003 festsetzten, wurden die Eltern des Klägers darüber telefonisch informiert (vgl. den Arztbrief der Beklagten vom 2.6.2006 Bl. 7 d.A.), aber nicht über die Eingriffsrisiken aufgeklärt. Der Kläger wurde am Morgen des 9.6.2003 bei der Beklagten stationär aufgenommen. Der Kläger wurde seitdem operationsvorbereitenden Maßnahmen unterzogen, so fanden Blutabnahmen und Ultraschalluntersuchungen statt, ein Herzkatheter wurde gelegt, der Kläger wurde durch Monitore überwacht. Die Operation des Klägers wurde auf diese Weise intensiv vorbereitet, er war in die dazu erforderlichen Abläufe eingebunden. Das Aufklärungsgespräch der Eltern des Klägers mit dem Zeugen Z1 fand am Vorabend des Operationstags etwa zwischen 17 und 18 Uhr statt, wofür seine Eltern den Kläger zurücklassen und sich in ein anderes Gebäude der Beklagten begeben mussten, um den aufklärungsbereiten Arzt überhaupt anzutreffen. Dies alles hat die informatorische Befragung der Eltern des Klägers in der Senatsverhandlung ergeben, die Beklagte ist dem nicht entgegengetreten. In dieser Situation waren die Eltern - was sie in der Senatsverhandlung ebenfalls bestätigt haben und ohne weiteres nachvollziehbar ist - nicht mehr ohne vermeidbaren Druck in der Lage, ihre Entscheidung für oder gegen den Eingriff frei zu treffen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 10 ZPO), die Einräumung einer Abwendungsbefugnis folgt aus § 711 ZPO.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Bei der Streitwertbemessung hat der Senat das Feststellungsinteresse mit 10.000 EUR berücksichtigt.

Ende der Entscheidung

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