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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 10.02.2006
Aktenzeichen: 8 U 181/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 831
Es stellt einen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht dar, wenn mit schwerem Gerät Pflanzlöcher ausgehoben werden, ohne dass zuvor in geeigneter Weise überprüft wurde, dass Leitungsfreiheit besteht.
Gründe:

I.

Die Klägerin hat von dem Beklagten 27.397,29 € Schadensersatz verlangt, nachdem der Beklagte (bzw. sein Mitarbeiter A) am 28.3.2003 in O1 bei Aushebung von Pflanzlöchern mittels eines Baggers Stromkabel der Klägerin zertrennt hat. Die Aushebung der Pflanzlöcher hat der Beklagte im Auftrag der Streithelferin vorgenommen, die ihrerseits einen Auftrag der Stadt O1 zur Durchführung von Baumpflanzarbeiten hatte. Mitarbeiter der Stadt O1 hatten zuvor angegeben, wo die Pflanzlöcher gesetzt werden sollten.

Im Streit ist, ob der Beklagte (bzw. sein Mitarbeiter) vor dem Ausheben der Pflanzlöcher die gebotene Sorgfalt im Hinblick auf die Kabelfreiheit des Untergrunds beachtet hat.

Der Beklagte und die auf seiner Seite dem Rechtsstreit beigetretene Streithelferin haben diesen Standpunkt eingenommen und Klageabweisung beantragt.

Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme die Klage durch Grundurteil für gerechtfertigt erklärt. Der Beklagte (bzw. sein Mitarbeiter) habe sich nicht auf die Auskünfte der Mitarbeiter der Stadt O1 verlassen dürfen, die die Leitungspläne eingesehen hatten, und wonach an den daraufhin vor Ort für die Pflanzlöcher bestimmten Stellen Kabelfreiheit bestehe. Das gelte um so mehr, als bei Aushebung eines ersten Pflanzlochs bereits eine Leitung aufgefunden worden war, die auf den Leitungsplänen nicht verzeichnet war. Spätestens dann hätte der Beklagte (bzw. sein Mitarbeiter) nicht ohne verlässliche Überprüfung der Kabelfreiheit weitere Pflanzlöcher ausheben dürfen.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und wegen der vom Landgericht für seine Entscheidung herangezogenen Gründe wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen (Bl. 256 ff d.A.).

Der Beklagte und die Streithelferin haben gegen das Grundurteil zulässigerweise Berufung eingelegt.

Die Berufung des Beklagten wird auf folgende Erwägungen gestützt:

a) Die vom Landgericht unter Heranziehung von obergerichtlicher Rechtsprechung herangezogenen allgemeinen Erwägungen zur Sorgfaltspflicht bei solchen Erdaushubarbeiten seien zwar zutreffend, führten aber gerade nicht zu einer Haftung des Beklagten, weil er nicht Tiefbauunternehmer sei.

b) Die Leitungspläne seien vor Durchführung der Aushubarbeiten beigezogen gewesen und die Pflanzpunkte sodann bestimmt worden. Durch Beiziehung der Leitungspläne und deren Berücksichtigung durch zuverlässige Personen (nämlich die Zeugen C, B, D und E) sei allen Sorgfaltsanforderungen genügt worden. Die Unterlagen (Leitungspläne) seien zuverlässig gewesen. Der Beklagte habe auf die Prüfungen durch sach- und fachkundige Dritte, nämlich diese Zeugen) vertrauen dürfen. Insbesondere habe der Beklagte den Dritten nicht blindlings vertraut.

c) Das Auffinden einer Leitung beim Ausheben des ersten Pflanzlochs habe nicht zu einer weitergehenden Prüfungspflicht durch den Beklagten geführt. Denn dabei habe es sich um eine tote Wasserleitung gehandelt, die auf den Leitungsplänen, weil sie außer Gebrauch war, auch nicht als verzeichnet zu erwarten gewesen wäre.

d) Insbesondere die seitens des Stadt O1 eingesetzten Zeugen (vor allem die Zeugen E und D) seien ausreichend geeignet und berufserfahren gewesen, Leitungspläne zutreffend auszuwerten und Pflanzpunkte zu bestimmen, unter denen Kabelfreiheit besteht. Damit, dass mehrere Fachkundige sich bei Auswertung der Leitungspläne täuschen würden, habe der Beklagte nicht rechnen müssen. Er habe sich daher darauf verlassen können, dass ihm Pflanzpunkte aufgegeben würden, unter denen Leitungsfreiheit besteht.

e) Schließlich habe das Landgericht außer Acht gelassen, dass die Klägerin als Versorgungswerk städtische Aufgaben wahrnehme. Aus Überlegungen zum Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter folge, dass das Verschulden der Stadt O1 (durch deren Mitarbeiter) der Klägerin zuzurechnen sei.

Die Berufung der Streithelferin des Beklagten wird auf folgende Erwägungen gestützt:

a) Der Zeuge E habe ausdrücklich bekundet, dass am Freitag, 18.3.2003 (BerufungsBl. 323 d.A., gemeint ist das Datum 28.3.2003) er, die Zeugen D und B und der Beklagte gemeinsam überprüft hätten, ob an den vorgesehenen Stellen Kabelleitungen verliefen und sich dabei der Leitungspläne der Klägerin bedient. Die Pflanzstellen seien gemeinschaftlich für gut befunden worden.

b) Das Landgericht hätte prüfen müssen, wem ein mögliches Vermessen zuzurechnen sei. Verantwortlich für die Pflanzaktion sei die Stadt O1 (federführend dort das Grünflächenamt und der Zeuge E, dieser als "Bauleiter") gewesen, nicht die Beklagtenseite, diese seien "nahezu" lediglich Verrichtungsgehilfen gewesen.

c) Die Streithelferin bestreitet, dass die verwendeten Leitungspläne korrekt gewesen seien. Dies hätten zwar die Zeugen bekundet, aber: deaktivierte Leitungen seien in der Regel als solche gekennzeichnet, dies aber sei im Hinblick auf die zuerst aufgefundene tote Leitung nicht der Fall gewesen.

Der Beklagte teilt die zuletzt genannte Auffassung (c) der Streithelferin nicht.

Der Beklagte und die Streithelferin beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

II.

Die zulässigen Berufungen sind als unbegründet zurückzuweisen. Das Landgericht hat zu Recht erkannt, dass der Beklagte der Klägerin dem Grunde nach für Schäden haftet, die ihr dadurch entstanden sind, dass der Mitarbeiter des Beklagten am 23.3.2003 beim Ausheben eines Baumpflanzlochs Stromkabel beschädigt hat.

Unmittelbare vertragliche Ansprüche zwischen den Parteien entfallen, weil zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bestand. Gesichtspunkte eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte entfalten keine Wirkung, weil die Klägerin nicht bestimmungsgemäß mit den Leistungen der Streithelferin oder des Beklagten in Berührung kommen sollte.

In Betracht kommt daher in erster Linie ein deliktischer Anspruch (§§ 823 Abs. 1, 831 BGB), nämlich eine Eigentumsverletzung zum Nachteil der Klägerin als Folge eines Verstoßes gegen eine Verkehrssicherungspflicht.

Dass die beschädigten Stromkabel im Eigentum der Klägerin standen, hat das Landgericht zutreffend angenommen, die Berufungen kritisieren dies nicht.

Das Landgericht hat ebenfalls zutreffend angenommen, dass der Beklagte denjenigen Sorgfaltspflichten zu entsprechen hatte, die die Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen Tiefbauunternehmern zugewiesen hat, auch wenn der Beklagte kein Tiefbauunternehmen betreibt, sondern einen Baumverpflanzungsbetrieb. Denn auch er setzt zur Erfüllung seiner Aufträge schweres Gerät zur Erdaufgrabung ein. Die Gefahrenlage, die dadurch entsteht, unterscheidet sich nicht von derjenigen, die im Tiefbau bei entsprechenden Erdarbeiten entsteht.

Ein schuldhafter, hier der Sache nach fahrlässiger Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflichten liegt vor. Dabei gilt im Rahmen des § 823 I ein objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab (§ 276 BGB). Der Beklagte (bzw. sein Mitarbeiter A) mussten sich daher versichern, dass Leitungsfreiheit bestand, bevor sie mit schwerem Gerät die Pflanzlöcher aushoben. Diese Gewissheit mussten sie sich entweder anhand von Leitungsplänen, durch Probegrabungen mit der Hand oder anders geartete Sondierungen verschaffen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 13.9.2001 - 5 U 1377/00 - BauR 2002, 1412 ff; OLG München, Urteil vom 30.1.2001 - 18 U 2172/00 - zit. nach JURIS-Datenbank; OLG Celle, Urteil vom 4.10.2000 - 9 U 90/00 - OLGR 2001, 108 f; OLG Schleswig, Urteil vom 25.3.1999 - 16 U 104/98 - zit. nach JURIS-Datenbank; OLG Hamm, Urteil vom 22.5.1996 - 3 U 167/95 - VersorgW 1997, 83 f; OLG Nürnberg, Urteil vom 30.4.1996 - 1 U 358/96 - NJW-RR 1997, 19 f). Das haben sie nicht getan. Hätten sie es getan, so hätten sie bemerkt (bzw. bei gehöriger Sorgfalt bemerken müssen), dass Leitungsfreiheit nicht bestand.

Dabei hätte eine Überprüfung anhand der Leitungspläne genügt. Die Leitungspläne, die zur Bestimmung der Pflanzorte herangezogen waren, haben die später beschädigten Leitungen dort ausgewiesen, wo es zu dem Schaden gekommen ist. Der Beklagte hat dies schon in erster Instanz nicht in Abrede gestellt. Der Zeuge E hat gegenüber dem Landgericht (Sitzungsniederschrift vom 17.9.2004. S. 4, Bl. 158 d.A.), die Pläne seien "richtig" gewesen und er nehme an, dass man sich bei der Übertragung des Maßstabs geirrt habe. Demgegenüber kann die Streithelferin nicht damit gehört werden, dass die Leitungspläne den Verlauf der beschädigten Leitungen nicht richtig wiedergegeben hätten. Dieses Vorbringen ist und war schon in erster Instanz nicht hinreichend substantiiert. Die Leitungspläne sind und waren bereits erstinstanzlich Aktenbestandteil. Ihre Inaugenscheinnahme in Verbindung mit den ebenfalls schon erstinstanzlich bei den Akten befindlichen Lichtbildern von der Schadensstelle (Bl. 43 ff d.A.) lässt durchaus eine Einschätzung zu, wie sich die Schadensstelle zu den im Leitungsplan verzeichneten Leitungen verhält. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung eine solche Einschätzung vorgenommen. Sie führte zu dem Eindruck, dass die Schadensstelle auf den Lichtbildern und der Verlauf der Leitungen im Leitungsplan ohne weiteres in Deckung zu bringen sind. Die Streithelferin hätte bei dieser Sachlage - schon in erster Instanz - konkreter vorbringen können und ggf. müssen, inwiefern die Leitungspläne angesichts der tatsächlichen Schadensstelle einen Fehler aufweisen. Auch in der Berufungsinstanz ist solcher Vortrag, der im übrigen dann unter dem Blickwinkel einer Verspätung zu prüfen gewesen wäre, nicht erfolgt.

Bei dieser Sachlage hätte der Beklagte durch einen einfachen, allerdings von der von ihm zu verlangenden Sachkunde geprägten Blick in den Leitungsplan feststellen können, dass man sich im Bereich der ihm angewiesenen Pflanzstellen Stromleitungen der Klägerin befanden. Das hat er nicht getan.

Der Schadenseintritt war in Folge dessen auch vorhersehbar. Dabei gilt, dass sich die Vorhersehbarkeit lediglich auf den schädigenden Erfolg bezieht, der konkrete Ablauf muss nicht vorhersehbar sein. Objektiv vorhersehbar ist es, dass sich andere an der Pflanzungsmaßnahme Beteiligte (etwa der Zeuge E) - zu deren eigener Verkehrssicherungspflicht die Kabelfreiheit nicht ohne weiteres zählt - sich bei der Auswertung von Plänen täuschen und ein Schaden eintritt, wenn - wie hier - der Schutzpflichtige selbst die ihm ohne weiteres mögliche und von ihm auf Grund seiner Sicherungspflichten zu verlangende Überprüfung nicht durchführt. Dass er sich auf Dritte verlassen hat, entlastet den Beklagten im Verhältnis zur Klägerin nicht.

Der Schadenseintritt war ohne weiteres vermeidbar. Bei korrekter Überprüfung der Leitungspläne hätten der Beklagte oder sein Mitarbeiter A die Gefahr erkannt und auf die Pflanzlochsetzung im Bereich der Leitungen verzichtet.

Soweit die Streithelferin durch Bezugnahme auf die Aussage des Zeugen E andeuten will, dass der Beklagte entgegen seinem eigenen Vortrag die Leitungspläne doch geprüft habe, kann dahinstehen, ob es sich um eine Fehlwertung der Aussagen des Zeugen E handelt. Wenn der Beklagte, der dies selbst stets in Abrede gestellt hat, die in Frage kommenden Pflanzorte tatsächlich anhand der Leitungspläne auf Kabelfreiheit überprüft hätte, wäre seine Haftung dadurch begründet, dass er die Leitungspläne fehlinterpretiert und nicht erkannt hat, dass Havariegefahr bestand. Diese Sicht würde also zu keinem anderen Ergebnis führen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ein Mitverschulden trifft, bestehen nicht. Die Kabel waren in dem Leitungsplan zutreffend nachgewiesen. Für Fehler der Zeugen bei der Übertragung des Maßstabs (insbesondere des Zeuge E) hat die Klägerin nicht einzustehen. Dass die Klägerin Versorgungsleistungen erbringt, die früher von der Stadt O1 erbracht wurden, spielt für die rechtliche Bewertung ihrer Ansprüche im Verhältnis zu dem Beklagten keine Rolle. Genauso wenig spielt es eine Rolle, dass sich der Beklagte lediglich in der Rolle eines Verrichtungsgehilfen der Stadt O1 oder der Streithelferin fühlen mag. Er hat im Rahmen des ihm übertragenen Auftrags die streitgegenständlichen Schäden herbeigeführt und dafür einzustehen. Ob neben ihm möglicherweise auch andere Haftungsschuldner in Betracht kommen, ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin zu tragen, weil sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97 Abs. 1 ZPO; zur Notwendigkeit einer Kostenentscheidung im Falle der Berufungszurückweisung nach Grundurteil vgl. Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 25. Auflage 2005, § 97 Rdnr. 2 m.w.N.). Das trifft ihn als prozessführende Partei auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass neben ihm auch die Streithelferin Berufung eingelegt hat (vgl. Herget a.a.O. § 101 Rdnr. 4). Die Kosten der Streithelferin trägt diese selbst (§ 101 Abs. 1 ZPO).

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 10 ZPO). Die Anordnung einer Abwendungsbefugnis folgt aus § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung beruht auf einer Bewertung des Einzelfalles vor dem Hintergrund gefestigter Rechtsprechung zur Frage der Sorgfaltsanforderungen bei Erdarbeiten im Bereich von Leitungsführungen.

Ende der Entscheidung

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