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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 03.05.2005
Aktenzeichen: 9 U 22/05
Rechtsgebiete: GVG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 119 I Nr. 1 b
ZPO § 233
Zur Frage, der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist, wenn der Rechtsanwalt die Berufung in Verkennung des § 119 Nr. 1 b GVG nicht bei dem zuständigen Oberlandesgericht, sondern beim Landgericht einlegt
Gründe:

I.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Beklagten zu 1) mit Urteil vom 2.9.04 (Bl. 142 ff. d.A.) zur Zahlung von 3.579,04 € verurteilt. Gleichzeitig sind mit dem Urteil weitere Klageansprüche abgewiesen worden, die auch gegen die in der Berufung nicht beteiligte Beklagte zu 2) erhoben wurden. Schon in der Klageschrift ist als Wohnort der Kläger eine Adresse in Frankreich angegeben. Das Urteil ist der Beklagtenvertreterin unter dem 13.9.04 (Bl. 151 d.A.) zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 20.9.04 an das Amtsgericht (Bl. 152 d.A.) haben die Beklagten gegen die Streitwertfestsetzung Beschwerde eingelegt. Dieser Beschwerde hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 19.11.04 teilweise abgeholfen und im Übrigen die Vorlage der Akten an das Landgericht angekündigt.

Mit Schriftsatz vom 7.10.04 (Bl. 162 ff. d.A.), eingegangen am 8.10.04, haben die Beklagtenvertreter für den Beklagten zu 1) bei dem Landgericht Frankfurt am Main Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die durch die Geschäftsstelle am 26.10.04 (Bl. 165 d.A.) angeforderten Akten sind - verzögert durch die Abhilfeentscheidung des Amtsgerichts auf die Streitwertbeschwerde - Ende November bis Mitte Dezember 2004 bei dem Landgericht eingegangen - der genaue Zeitpunkt lässt sich den Akten nicht entnehmen.

Unter dem 22.12.04 (Bl. 170 R d.A.) hat der Vorsitzende der Berufungskammer verfügt, die Beklagtenvertreter darauf hinzuweisen, dass die Berufung im Hinblick auf § 119 I Nr. 1 b) GVG unzulässig ist, da wegen des Wohnsitzes der Kläger im Ausland das Oberlandesgericht zuständig sei.

Unter dem 31.1.05 (Bl. 173 d.A.) haben die Beklagtenvertreter mitgeteilt, das Schreiben des Kammervorsitzenden nicht erhalten zu haben. Mit Schriftsatz vom 22.2.05 (Bl. 177 d.A.) haben sie bei dem Landgericht erneut nach dem Sachstand nachgefragt. Daraufhin ist die Verfügung des Kammervorsitzenden vom 22.12.04 mit aktuellem Datum (7.3.05) versehen und erneut an die Beklagtenvertreter übersandt worden. Laut Empfangsbekenntnis (Bl. 178 a) haben diese das Schreiben am 10.3.05 erhalten.

Mit Schriftsatz vom 23.3.05 (Bl. 181 d.A. ff.), eingegangen am 24.3.05, haben die Beklagtenvertreter (erneut) beim Oberlandesgericht Berufung eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Wegen der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs wird auf die schriftlichen Ausführungen der Beklagtenvertreter (Bl. 183 f. d.A.) verwiesen.

II.

Die beim Oberlandesgericht eingelegte Berufung des Beklagten zu 1) ist gemäß § 522 I ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 517 ZPO eingelegt wurde.

Die Berufungsschrift vom 23.3.05 ist bei dem gemäß § 119 I Nr. 1 b GVG für die Berufung zuständigen Oberlandesgericht erst am 24.3.05 eingegangen ist. Die Berufungsfrist lief jedoch nach § 517 ZPO schon am 13.10.04 ab, da das angefochtene Urteil den Beklagten am 13.9.04 zugestellt wurde.

Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist kann dem Beklagten zu 1) nicht gewährt werden, da er nicht - wie dies § 233 ZPO verlangt - ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Die Fristversäumnis kam dadurch zustande, dass die Beklagtenvertreter die Berufung zunächst bei dem Landgericht eingelegt haben, obwohl dies nach der seit 1.1.02 geltenden ZPO-Reform für die Berufung funktionell nicht zuständig war, weil eine der Parteien ihren Wohnsitz bei Rechtshängigkeit im Ausland hatte (§ 119 I Nr. 1 b) GVG). Das hierin zu sehende Verschulden der Beklagtenvertreter muss sich der Beklagte zu 1) gemäß § 85 II ZPO zurechnen lassen. Den Beklagtenvertretern hätte die Gesetzesänderung bekannt sein müssen (BayVerfGH NJW 94, 1857), zumal diese zum relevanten Zeitpunkt bereits über zwei Jahre in Kraft war.

Soweit der Beklagte zu 1) geltend macht, das Landgericht sei verpflichtet gewesen, die Berufungsschrift parallel dem Oberlandesgericht zuzuleiten, weil es den Fehler der Beklagtenvertreter hätte erkennen müssen, geht dies fehl.

Zwar könnte das Landgericht aus dem Gebot des fairen Verfahrens eine Fürsorgepflicht treffen, die dahin geht, Schriftsätze an das zuständige Gericht weiterzuleiten, was auch für fehlerhaft eingereichte Rechtsmittelschriften gelten kann (BVerfGE 93, 99). Diese Fürsorgepflicht kann jedoch nur von einem Gericht verlangt werden, bei dem das Verfahren anhängig war, weil ihm in diesem Fall die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt ist und die Ermittlung des "richtigen" Adressaten keinen besonderen Aufwand verursacht (BVerfGE, a.a.O.).

Eine Vorbefassung des Landgerichts Frankfurt am Main in diesem Sinne ist hier indes nicht festzustellen. Daran ändert auch die der Berufung vorausgegangene Streitwertbeschwerde nichts, da das Landgericht die Akten erstmals im Zusammenhang mit der Berufung erhalten hat.

Zudem darf die Fürsorgepflicht der Gerichte nicht überspannt werden. Die Parteien können nicht verlangen, dass jedes Gericht bei ihm eingegangene Rechtsmittelschriften umgehend darauf überprüft, ob möglicherweise die Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist (so auch: OLG Düsseldorf vom 7.2.03, Aktenzeichen 14 U 216/02 - mit weiteren Nachweisen).

Es kommt hinzu, dass das Landgericht - als die Berufungsschrift bei ihm einging - keinen Zugriff auf die Akten hatte, weil sich diese noch beim Amtsgericht befanden. Dem Kammervorsitzenden ist die Sache offenbar erstmals am 22.12.04 vorgelegt worden - zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist längst abgelaufen.

Selbst wenn die Berufungsschrift günstigstenfalls gleich nach dem Eingang am 8.10.04 dem Kammervorsitzenden vorgelegt worden wäre - was jedoch dem üblichen Geschäftsgang nicht entspricht - hätte dieser allein aus der Berufungsschrift (ohne Akten) nicht sicher erkennen können, dass es sich um eine Sache handelt, für die das Oberlandesgericht in der Berufung zuständig ist. Zwar sind die Kläger auch in der Berufungsschrift mit ausländischem Wohnort angegeben; hieraus ließ sich jedoch nicht ersehen, dass dies auch schon zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Fall war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I, 238 IV ZPO.

Ende der Entscheidung

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