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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 31.08.2005
Aktenzeichen: 9 U 56/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 236
ZPO § 519
1. Zur Darlegungs- und Beweislast eines Berufungsklägers, der sich gegen die drohende Verwerfung seiner Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist wendet, indem er behauptet, der Datumsstempelabdruck neben der Unterschrift seines Prozessbevollmächtigten auf dem Empfangsbekenntnis, mit dem dieser den Erhalt des angefochtenen Urteils bestätigt, stamme nicht aus dessen Kanzlei; tatsächlich sei das Urteil erst später zugestellt worden

2. Zu den nach § 236 II ZPO erforderlichen Darlegungen in einem Wiedereinsetzungsantrag.


Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Darlehensvertrages, mit dem er einen Immobilienerwerb finanzierte.

Mit Urteil vom 19.5.05 hat das Landgericht der Klage abgewiesen. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses (EB) wurde das Urteil der Beklagtenvertreterin am Freitag, den 20.5.05, zugestellt (Bl. 216 d.A.). Von dem Klägervertreter liegt ein Empfangsbekenntnis vor, dass rechts neben seiner Unterschrift den Stempelabdruck "20. Mai 2005" trägt (Bl. 217 d.A.).

Gegen das Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigen vom 20.6.05 Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz ist bei Gericht am Dienstag, den 21.6.05, eingegangen.

Anlässlich der beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat das Berufungsgericht den Klägervertreter unter dem 15.7.05 darauf hingewiesen, dass die am 20.6.05 ablaufende Berufungsfrist nicht eingehalten sein dürfte.

Mit Schriftsatz vom 21.7.05 (Bl. 255 d.A.) hat der Klägervertreter daraufhin hilfsweise beantragt, dem Kläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes verwiesen.

Mit weiterem Schriftsatz vom 22.7.05 (Bl. 252 d.A.) hat der Klägervertreter versichert, dass das angefochten Urteil erst am 22.5.05 zugestellt worden sei.

Auf einen weiteren Hinweis des erkennenden Senats vom 8.8.05 (Bl. 259 R d.A.), dass das EB des Klägervertreters, mit dem die Zustellung des angefochtenen Urteils bestätigt werden, das Datum 20.5.05 ausweise, hat sich der Klägervertreter dahin eingelassen, dass der auf dem EB abgebildete Stempel nicht in seiner Kanzlei gesetzt worden sei. Ein Stempel mit diesem Schriftzug und in dieser Schriftart sei in seinem Büro nicht vorhanden. Er habe ausführlich alle Arbeitsplätze durchsucht und alle in seinem Büro befindlichen Datumsstempel ausprobiert; keiner der vorhandenen Datumsstempel stimme mit dem Stempel auf dem EB überein. Im Übrigen befinde sich auf der in seiner Akte enthaltenen Kopie des EB kein Stempelaufdruck. Dies sei ein Indiz dafür, dass das EB sein Büro ohne Datumsstempel verlassen haben.

II.

1. Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 522 I 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der hier am 20.6.05 ablaufenden Frist des § 517 ZPO begründet wurde.

Gemäß dem Stempelaufdruck auf dem EB des Klägervertreters ist davon auszugehen, dass ihm das Urteil bereits am 20.5.05 zugestellt wurde, denn grundsätzlich ist bei der Zustellung gegen EB von der Datierung durch den Anwalt auszugehen (Zöller-Gummer/Heßler ZPO, 25. Auflage, § 519 Rn 20). Die erst am 21.6.05 eingegangene Berufungsschrift war damit verfristet.

Soweit der Klägervertreter geltend macht, das Urteil sei ihm tatsächlich erst am 22.5.05 zugestellt worden und der Stempelaufdruck auf dem EB sei nicht in seiner Kanzlei gesetzt worden, vermag der Senat dem nicht zu folgen, denn der insoweit ihm obliegende Beweis für die Fristwahrung (Zöller-Gummer/Heßler, a.a.O.) ist dem Kläger nicht gelungen.

So hält es der Senat für ausgeschlossen, dass der fragliche Stempelaufdruck erst nachträglich auf der Post- oder Geschäftsstelle des Landgerichts aufgebracht wurde. Dies wäre jedoch die einzige Alternative, folgte man der Sachdarstellung des Klägervertreters. Nach Auskunft der zuständigen Geschäftsstelle der 23. Zivilkammer des Landgerichts werden von dort zurückkommende EB grundsätzlich nicht gestempelt, und zwar auch dann nicht, wenn der empfangende Rechtsanwalt selbst vergessen hat, ein Empfangsdatum einzutragen. Nach weiterer Auskunft der zuständigen Geschäftsstellenkräfte bringt die Poststelle des Landgerichts in Ausnahmefällen einen Eingangsstempel an. In diesem Fall wird jedoch ausschließlich im oberen Bereich des EB ein Eingangsstempel des Gerichts aufgebracht, der als solcher erkennbar ist. Einen solchen Stempel weist das fragliche EB indes nicht auf.

Selbst wenn man jedoch der Vermutung des Klägervertreters folgen wollte und annähme, der Stempel sei von einem Mitarbeiter des Gerichts aufgebracht worden, hätte dies allenfalls ein aktueller Eingangsstempel sein können, wenn man nicht irgendein arglistiges Vorgehen vermuten will, für das aber keinerlei Anhaltspunkte bestehen. Dann aber wäre das EB schon am 20.5.05 zur Geschäftsstelle gelangt und es wäre davon auszugehen, dass es noch früher vom Klägervertreter abgesandt worden wäre, was wiederum heißen würde, dass er das Urteil noch vor dem 20.5.05 erhalten hätte.

Der Senat hält es darüber hinaus für unwahrscheinlich, dass der Klägervertreter das EB unterschrieben hat, ohne dass zuvor oder zumindest gleichzeitig ein Eingangsdatum angebracht wurde. Der Zweck eines Empfangsbekenntnisses liegt gerade in der Bestätigung, ein Schriftstück zu einem bestimmten Datum erhalten zu haben. Die Absendung eines EB ohne Datum macht keinen Sinn. Der Klägervertreter hat auch nicht vorgebracht, dass es in seinem Büro üblich ist, ein EB "blanko" zu unterzeichnen und die anwaltlichen Hilfskräfte damit zu beauftragen, nach der Unterschrift ein Datum anzubringen. Dies würde auch nicht einer ordnungsgemäßen Abgabe eines EB entsprechen (vgl. Zöller-Gummer/Heßler, a.a.O.).

Soweit der Klägervertreter versichert, es gäbe in seinem Büro keinen Stempel, mit dem der fragliche Abdruck auf dem EB hergestellt werden könne, ist denkbar, dass der entsprechende Stempel in der Zwischenzeit verloren gegangen ist oder ausgesondert wurde. Immerhin sind seit der angeblichen Abgabe des EB und der Nachforschungen des Klägervertreters rund zwei Monate vergangen.

Als weiteres Indiz kommt hinzu, dass das Urteil der Beklagtenseite unstreitig ebenfalls schon am 20.5.05 zugestellt wurde, wie sich aus dem von den Beklagtenvertretern abgegebenen EB ergibt. Da das Urteil nach der Verfügung des Landgerichts zur selben Zeit an beide Parteivertreter abgesandt wurde, ist es nach den üblichen Postlaufzeiten sehr wahrscheinlich, dass es beide auch am selben Tag erreichte.

Schließlich ist die Behauptung des Klägervertreters nicht nachvollziehbar, er habe von dem Urteil erst am 22.5.05, einem Sonntag, Kenntnis erlangt. Zum einen legt der Klägervertreter nicht dar, wie er zu dieser Zeitangabe kommt - noch in der Berufungsschrift hat er gar kein Zustellungsdatum angegeben. Zum anderen wäre die Zustellung des Urteils an einem Sonntag mehr als ungewöhnlich.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO gegen die Versäumung der Berufungsfrist konnte dem Kläger (hilfsweise) nicht gewährt werden, weil aus seinen Darlegungen in der Antragsschrift nicht darauf geschlossen werden kann, dass er bzw. sein Prozessvertreter, dessen Verschulden sich der Kläger nach § 85 II ZPO zurechnen lassen muss, ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert waren.

Die Schilderungen des Klägervertreters hinsichtlich eines hypothetischen Urteilseingangs schon am 20.5.05 reichen nicht aus. So bleibt völlig im Dunkeln, warum es die Anwaltsgehilfin A am 20.5.05 entgegen dem streng vorgegebenen Kanzleiablauf unterlassen habe soll, das Urteil mitsamt dem fraglichen EB dem Klägervertreter vorzulegen. Zwar hindert das Verschulden des Büropersonals eines Rechtsanwalts die Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Rechtsanwalt den Fehler seines Personals nicht durch eigene Auswahl-, Organisations-, Belehrungs- oder Überwachungsfehler ermöglicht hat und auch nicht sonst erkennen oder verhindern konnte (Münchener-Kommentar-Feiber, a.a.O., § 233 Rn 25). Im Hinblick auf die umfangreiche Rechtsprechung zu den diesbezüglichen Anforderungen an den Rechtsanwalt (vgl. den Überblick bei Zöller-Greger ZPO, 24. Auflage, § 233 Rn 23) wäre es deshalb erforderlich gewesen, dass der Klägervertreter insbesondere vorträgt, welche allgemeinen und speziellen Weisungen er seinem Büropersonal im Hinblick auf Posteingang und Fristenkontrolle gegeben hat. Er hätte weiter darlegen müssen, wie die Fristnotierung in seiner Kanzlei ausgestaltet war, welche Vorkehrungen er getroffen hat, um mögliche Fehlerrisiken auszuschließen, und inwieweit die Anwaltsgehilfin A aufgrund ihrer Ausbildung, Berufserfahrung und Zuverlässigkeit überhaupt in der Lage war, die an sie delegierte Aufgabe zu erfüllen.

Gleichwohl hat der Kläger hierzu nichts oder nur pauschal vorgetragen, obwohl er auch hierauf durch den erkennenden Senat mit Schreiben vom 8.8.05 hingewiesen wurde. Danach ist nicht ausgeschlossen, dass ein eigenes Versehen des Klägervertreters an dem Fristversäumnis mitgewirkt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I, 238 IV ZPO.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes erfolgte in Anlehnung an die Streitwertfestsetzung des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil.

Ende der Entscheidung

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