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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 08.12.2005
Aktenzeichen: WpÜG 1/05 (OWi)
Rechtsgebiete: WpÜG


Vorschriften:

WpÜG § 27 III
WpÜG § 60 I
WpÜG § 60 III
Für die Beurteilung der Unverzüglichkeit der Veröffentlichung der Stellungnahme des Vorstandes und des Aufsichtsrates einer Zielgesellschaft zu einem Angebot sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Im Regelfall darf eine Frist von zwei Wochen nicht überschritten werden. In Fällen, welche einfach gelagert oder besonders eilbedürftig sind, kommt auch eine kürzere Zeitspanne in Betracht. Die Veröffentlichung der Stellungnahme erst mehr als zwei Wochen nach Übermittlung der Angebotsunterlage ist in aller Regel nicht mehr unverzüglich und kann nur in seltenen Ausnahmefällen bei Vorliegen ganz besonderer Umstände und Erschwernisse in Betracht kommen.
Gründe:

Mit Bußgeldbescheiden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht - BaFin - vom 29. Juni 2004 wurde dem Betroffenen A als Alleinvorstand und dem Betroffenen B als Aufsichtsratsvorsitzenden der C AG zur Last gelegt, die Stellungnahme des Aufsichtsrates und des Vorstandes der C AG als Zielgesellschaft zum öffentlichen und bis zum 30. Juli 2002 befristeten Kaufangebot der D GmbH leichtfertig entgegen § 27 Abs. 3 Satz 1 WpÜG nicht rechtzeitig veröffentlicht zu haben.

Das Kaufangebot ging am 02. Juli 2002 per Post bei der C AG ein und wurde am darauffolgenden Tag an die übrigen Aufsichtsratsmitglieder weitergeleitet. Nach Erstellung eines Entwurfes fand am 09. Juli 2002 eine erste Besprechung von Aufsichtsrat und Vorstand zur Erörterung des Inhaltes der gemeinsamen Stellungnahme unter telefonischer Zuschaltung zweier ausländischer Aufsichtsratsmitglieder statt. Nach einer weiteren Besprechung am 10. Juli 2002 wurde schließlich in einer dritten Besprechung der Inhalt der gemeinsamen Stellungnahme von Aufsichtsrat und Vorstand festgelegt. Die vom 12. Juli 2002 datierende gemeinsame Stellungnahme wurde am 18. Juli 2002 zeitgleich in einem Börsenpflichtblatt und auf der Internetseite des Unternehmens veröffentlicht.

Angesichts der zwischen dem Eingang des öffentlichen Kaufangebotes und der Veröffentlichung der gemeinsamen Stellungnahme von Aufsichtsrat und Vorstand der Zielgesellschaft verstrichenen Zeitraumes von 16 Tagen ist die Veröffentlichung auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des hier vorliegenden Einzelfalles nicht rechtzeitig erfolgt.

Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft haben nach § 27 Abs. 1 WpÜG zu dem Angebot nach § 27 Abs. 1 WpÜG eine begründete Stellungnahme abzugeben, die gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 WpÜG unverzüglich nach Übermittlung der Angebotsunterlagen zu veröffentlichen ist. Unverzüglich bedeutet auch im gesetzlichen Zusammenhang des § 27 Abs. 3 WpÜG in Anlehnung an die allgemeine Definition des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB ohne schuldhaftes Zögern. Danach sind Vorstand und Aufsichtsrat verpflichtet, zu dem frühest möglichen Zeitpunkt, zu dem sie hierzu in der Lage sind, eine gemeinsame oder getrennte begründete Stellungnahme zu dem Angebot zu erarbeiten und zu veröffentlichen. Entsprechend dem in § 3 Abs. 2 WpÜG allgemein festgelegten Gesetzesziel, Transparenz für die Beteiligten eines Angebotsverfahrens zu schaffen, soll die Stellungnahme den Inhabern von Wertpapieren der Zielgesellschaft die erforderlichen Informationen über die Beurteilung des Angebotes durch die Organe der Zielgesellschaft verschaffen. Mit der Stellungnahme kommen die Gesellschaftsorgane zugleich ihren gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen zur sachgerechten Wahrnehmung der in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und des Gemeinwohls nach, die im Wege praktischer Konkordanz auszugleichen sind (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum WpÜG BT-Drucks. 14/7034 S. 52). Der Bericht muss den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft so rechtzeitig vorliegen, dass diesen eine angemessene Zeit zur Entscheidung über das Angebot verbleibt. Zur Bemessung der Frist ist es deshalb nötig einen Ausgleich zu finden zwischen dem Interesse der Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft an einer umgehenden Information und der Pflicht des Vorstandes und des Aufsichtsrates zur sorgfältigen Prüfung und Abfassung einer begründeten Stellungnahme.

Die freiwilligen Regelungen des Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen vom 01. Oktober 1995 in der Fassung vom 1. Januar 1998 (AG 1995, 572ff und 1998, 133ff) sahen in Artikel 18 vor, dass die Zielgesellschaft unverzüglich - spätestens jedoch zwei Wochen nach Veröffentlichung des Angebotes - eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot zu veröffentlichen hatte. In Anlehnung hieran wird in der Literatur teilweise zu § 27 WpÜG die Auffassung vertreten, mit der Veröffentlichung der Stellungnahme dürfe jedenfalls im Regelfall eine Frist von zwei Wochen nicht überschritten werden (vgl. Baums/Harbarth, WpÜG § 27 Rn. 21; Geibel/Süßmann/Schwennicke, WpÜG, § 27 Rn. 40; Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 27 Rn. 38 Zschocke/Schuster, Bad Homburger Handbuch vom Übernahmerecht Rn. 25, Hirte/Köln Komm WpÜG § 27 Rn. 67; Krause NJW 2002, 705/711). Vereinzelt wird auch angenommen, eine Veröffentlichung der Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen sei als ausreichend anzusehen (vgl. Seibt, DB 2002, 529/530 u. 534; Haarmann/Riehmer/Schüppen, Öffentliche Übernahmeangebote, § 27 Rn. 44; Schwark, Kapitalmarktrechtskommentar, 3. Aufl., § 27 WpÜG Rn. 27).

Da der Gesetzgeber in § 27 Abs. 3 WpÜG weder eine Höchst- noch eine Mindestfrist festgelegt hat, geht der Senat davon aus, dass die jeweiligen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden müssen. Angesichts des für das gesamte Übernahmeverfahren geltenden Beschleunigungsgebotes des § 3 Abs. 4 WpÜG sollte jedenfalls im Regelfall eine Frist von zwei Wochen nicht überschritten werden. In Fällen, welche einfach gelagert oder besonders eilbedürftig sind, kommt auch eine kürzere Zeitspanne in Betracht. Die Veröffentlichung der Stellungnahme erst mehr als zwei Wochen nach Übermittlung der Angebotsunterlage wird angesichts des gebotenen Interessenausgleichs und der notwendigen Beschleunigung in aller Regel nicht mehr unverzüglich sein und kann nur in seltenen Ausnahmefällen bei Vorliegen ganz besonderer Umstände und Erschwernisse in Betracht kommen.

Nach den konkreten Umständen des hier gegebenen Einzelfalles erachtet der Senat die bis zur Erarbeitung der Stellungnahme vom 12. Juli 2002 verstrichene Zeitspanne von 10 Tagen angesichts des Unverzüglichkeitsgebotes als gerade noch vertretbar. Dabei wurde berücksichtigt, dass sich die Information auswärtiger Mitglieder des Aufsichtsrates im Hinblick auf deren urlaubsbedingte Abwesenheit und notwendige Übersetzungen schwierig gestaltete, unterschiedliche Auffassungen über die Einschätzung des Übernahmeangebotes bestanden und ein zusätzlicher Erörterungsbedarf im Hinblick auf den Anstieg des Aktienkurses unmittelbar nach der Veröffentlichung des Kaufangebotes bestand. Weitere Erschwernisse ergaben sich durch eine zeitlich parallel unerwartet auftretende Insolvenzkrise in einer im Konzern verbundenen Gesellschaft, deren Auswirkungen für die Übernahme zu berücksichtigen waren und in deren Gremien die beiden Betroffenen ebenfalls vertreten und deshalb zeitlich stark in Anspruch genommen waren.

Nicht hinnehmbar und mit dem Unverzüglichkeitsgebot des § 27 Abs. 3 WpÜG nicht vereinbar ist jedoch, dass nach der inhaltlichen Festlegung der Stellungnahme vom 12. Juli 2002 nochmals sechs Tage verstrichen, bis diese schließlich in einem Börsenpflichtblatt und auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht wurde. Diese unnötige Verzögerung kann auch nicht mit dem Hinweis auf eine unvorhergesehen aufgetretene Erkrankung eines Mitarbeiters sowie ungünstige Anzeigenaufnahmeschlusszeiten des zur Veröffentlichung vorgesehenen Börsenpflichtblattes gerechtfertigt werden. § 27 Abs. 1 und 3 WpÜG legen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat der Zielgesellschaft persönlich die Verpflichtung zur unverzüglichen Veröffentlichung einer gemeinsamen oder getrennter Stellungnahmen auf. Die besondere Bedeutung, die der Gesetzgeber der Erfüllung dieser Pflichten durch die Gesellschaftsorgane beimisst, wird dadurch unterstrichen, dass zur Ahndung der Verletzung dieser Pflichten in § 60 Abs. 1 Nr. 1 b und Abs. 3 die Verhängung einer Geldbuße von bis zu 500.000,-- EUR vorgesehen ist. Dabei erschöpft sich die Aufgabe des Vorstandes und des Aufsichtsrates nicht in der inhaltlichen Erarbeitung und redaktionellen Fertigstellung der abzugebenden Stellungnahme. Vielmehr sind nach der gesetzlichen Regelung die Gesellschaftsorgane selbst und nicht die Mitarbeiter des Unternehmens auch dafür verantwortlich, dass die Stellungnahme nach näherer Maßgabe des § 14 Abs. 3 WpÜG unverzüglich veröffentlicht und der BaFin hierüber ein Beleg übersandt wird. Zur Erfüllung dieser Pflichten ist es nicht ausreichend, einen Mitarbeiter des Unternehmens mit der praktischen Durchführung der Veröffentlichung zu beauftragen. Angesichts der persönlichen Verantwortlichkeit des Vorstandes und des Aufsichtsrates für die Rechtzeitigkeit der Veröffentlichung müssen vielmehr im Falle einer Delegation konkrete Anweisungen und zeitliche Vorgaben gemacht und deren ordnungsgemäße Erfüllung auch zeitnah kontrolliert werden. Gerade wenn - wie im vorliegenden Falle - bei der inhaltlichen Ausarbeitung der Stellungnahme unerwartete Erschwernisse zu Verzögerungen geführt haben, müssen Vorstand und Aufsichtsrat durch entsprechende organisatorische Maßnahmen dafür sorgen, dass es nicht zu weiteren unnötigen Zeitverlusten aufgrund organisatorischer Mängel bei der Veranlassung der Veröffentlichung kommt. Die Versendung des Textes einer Stellungnahme an ein Börsenpflichtblatt zur Veröffentlichung und die Einstellung dieses Textes in das Internet erfordern nur einen geringen Arbeitsaufwand und sind mit den heute für eilige Übermittlungen gebräuchlichen Kommunikationsmitteln innerhalb kürzester Zeit zu bewerkstelligen. Des Weiteren war es im vorliegenden Falle möglich und zum Ausgleich der bereits bei der Abfassung der Stellungnahme aufgetretenen Verzögerungen zumutbar, die für die Veröffentlichung erforderlichen organisatorischen Vorbereitungen bereits vor der endgültigen inhaltlichen Fertigstellung der Stellungnahme oder jedenfalls zeitlich parallel hierzu zu treffen. Wäre dies mit der gebotenen Sorgfalt geschehen, so hätte die Veröffentlichung der Stellungnahme auch unter Berücksichtigung des dazwischen liegenden Wochenendes jedenfalls innerhalb von zwei Wochen erfolgen können.

Trotz der diesbezüglichen erheblichen organisatorischen Versäumnisse der beiden Betroffenen in ihrer Funktion als Alleinvorstand und Aufsichtsratsvorsitzendem der Zielgesellschaft hat der Senat im vorliegenden Falle ausnahmsweise eine Ahndung durch die Verhängung von Bußgeldern nicht für zwingend geboten erachtet und das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der Betroffenen gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Hierfür war maßgeblich, dass gerade in den ersten Monaten der praktischen Umsetzung des zum 01. Januar 2002 in Kraft getretenen WpÜG noch erhebliche Unsicherheiten in Bezug auf die zeitlichen Anforderungen des § 27 Abs. 3 WpÜG bestanden. Diese Unsicherheiten haben sich offenbar auch auf die von den beiden Betroffenen für das Übernahmeverfahren in Anspruch genommene externe juristischen Beratung ausgewirkt. Des weiteren waren die gleichzeitig aufgetretenen erheblichen Probleme im Zusammenhang mit der Insolvenz und der Erkrankung des Mitarbeiters zu berücksichtigen. Außerdem konnte beiden Betroffenen zu Gute gehalten werden, dass sie zumindest rückblickend eine gewisse Einsicht bezüglich der zu Tage getretenen organisatorischen Mängel entwickelt haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 OWiG, 467 Abs. 4 StPO.

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