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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 16.05.2003
Aktenzeichen: 1 U 137/02
Rechtsgebiete: SGB IV, BGB, StGB


Vorschriften:

SGB IV § 23 Abs. 1
SGB IV § 24
SGB IV § 28 h Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
StGB § 14
StGB § 14 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 266 a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 137/02

Verkündet am: 16. Mai 2003

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 1. Zivilsenat, durch die Richter

Timmermann, Dittmann, Dr. Kramer

nach der am 04. April 2003 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten zu 1) gegen das Schluss-Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 3, vom 04. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte zu 1) trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten zu 1) bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten in Anspruch wegen der Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen an den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.

Beide Beklagte waren alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der ..., Reg.-Bmstr. a.D. Bauunternehmung und Ingenieurbüro GmbH mit Sitz in Duisburg (im folgenden Schuldnerin). Die in der Klageschrift aufgeführten Arbeitnehmer der Schuldnerin waren bei der Klägerin krankenversichert.

Nachdem die Klägerin im März 2000 bei der Schuldnerin den Ausgleich von Beitragsrückständen in Höhe von 146.291,70 DM für die Zeit bis zum Februar 2000 angemahnt hatte, schickte die Schuldnerin der Klägerin mit Schreiben vom 03. April 2000 einen Verrechnungsscheck über 26.291,70 DM und bot für den Restbetrag von 120.000,-- DM einen Ausgleich durch vier Raten über jeweils 30.000,-- DM an, die sie in der 17., 22., 26. und 30. Kalenderwoche zahlen wollte. Mit diesem Angebot erklärte sich die Klägerin im Grundsatz einverstanden, wies aber darauf hin, dass nach § 24 SGB IV auf rückständige Beiträge ein Säumniszuschlag von monatlich 1 % zu erheben sei. Gerate die Schuldnerin mit einer Zahlung länger als 2 Wochen in Rückstand, gelte die Teilzahlungsgenehmigung als widerrufen. Die Klägerin werde dann Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen der gesamten Restforderung einleiten.

Zahlungen, die die Schuldnerin in der nachfolgenden Zeit leistete, verrechnete die Klägerin auf die Beitragsrückstände. Von den 30.000,-- DM, die ihrem Konto am 05. Juli 2000 gutgeschrieben wurden, rechnete sie einen Teil auf die Beitragsrückstände für die Monate Dezember 1999 und Januar 2000 an. Einen Teilbetrag von 20.921,70 DM schrieb sie der Schuldnerin hinsichtlich der Beitragsschuld für den Monat Februar 2000 (insgesamt 41.933,34 DM) gut.

Mit Beschluss vom 01. August 2000 hat das Amtsgericht Duisburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.

Mit ihrer Klage fordert die Klägerin von den Beklagten als den Geschäftsführern der Schuldnerin die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die bei ihr versicherten Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin für die Monate Februar 2000 (anteilig), März, April und Mai 2000 gemäß der Aufstellung in der Anlage K 1, insgesamt 53.359,42 DM = 27.282,24 €.

Während sich der Beklagte zu 2) im vorliegenden Rechtsstreit nicht verteidigt und das gegen ihn ergangene Versäumnis-Teil-Urteil vom 15. April 2002 (Bl. 32 d.A.) hingenommen hat, hat der Beklagte zu 1) in Abrede gestellt, für die ausstehenden Zahlungen der Schuldnerin an die Klägerin bezüglich der Monate Februar bis Mai 2000 verantwortlich zu sein.

Mit Schluss-Urteil vom 04. Oktober 2002 hat das Landgericht den Beklagten zu 1) verurteilt, als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 2) an die Klägerin 27.282,24 € nebst 4 % Zinsen seit dem 06. November 2002 zu zahlen.

Gegen das ihm am 14. Oktober 2002 zugestellte Urteil hat der Beklagte zu 1) am 31. Oktober 2002 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 14. Januar 2003 mit dem beim Berufungsgericht am 09. Januar 2003 eingegangenen Schriftsatz vom 06. Januar 2003 wie aus Blatt 125 bis 144 der Akte ersichtlich begründet.

Der Beklagte zu 1) beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 04 Oktober 2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig, sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht den Beklagten zu 1) verurteilt, gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 14, 266 a Abs. 1 StGB als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 2) 27.282,24 € an die Klägerin zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe des Landgerichts nimmt der Berufungssenat Bezug. Im Hinblick auf das Vorbringen des Beklagten zu 1) in der Berufungsinstanz ist zusammenfassend ergänzend auszuführen.

Als Geschäftsführer der ... Reg-Bmstr a. D. Bauunternehmung und Ingenieurbüro GmbH und damit als deren vertretungsberechtigtes Organ im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB hat der Beklagte zu 1) die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in dieser Höhe für die Monate Februar bis Mai 2000 der Klägerin als Einzugsstelle im Sinne von § 28 h Abs. 1 SGB IV vorenthalten. Vorenthalten hat er die Beträge gemäß § 266 a Abs. 1 StGB bereits dann, wenn er sie nicht als Geschäftsführer der Arbeitgeberin fristgerecht an die Einzugsstelle abgeführt hat, obwohl er daran weder rechtlich noch tatsächlich gehindert war. Der objektive Tatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB ist nicht erst dann erfüllt, wenn der Beklagte Mittel der GmbH eigennutzig verwandt hat.

Als Geschäftsführer der Arbeitgeberin war der Beklagte verpflichtet, Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 23 Abs. 1 SGB IV spätestens zum 15. des Monats zu zahlen, der dem Monat folgt, in dem die Arbeitnehmer ihr Arbeitsentgelt erzielt haben. Da er dieser Pflicht für den Monat Februar nur unvollständig und für die Monate März bis Mai 2000 gar nicht nachgekommen ist, haftet er auf Schadensersatz. Zu den öffentlich-rechtlichen Pflichten der GmbH als Arbeitgeberin gehört die Abführung der Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen, und die Erfüllung dieser Verpflichtung obliegt den Geschäftsführern der Gesellschaft. Dieser Pflicht können sich die Geschäftsführer weder durch Zuständigkeitsverteilungen innerhalb der Geschäftsleitung noch durch Delegation auf Personen außerhalb der Geschäftsleitung entledigen. Soweit der Geschäftsführer diese Aufgabe nicht in eigener Person erledigt, muss er sicherstellen, dass die der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch die damit beauftragten Arbeitnehmer tatsächlich erfüllt werden. Insoweit treffen ihn gerade in einer finanziellen Krisensituation Überwachungspflichten (BGH, Urteil v. 15.10.1996, BGHZ Bd. 133 Seite 370, 376 f.).

Der Beklagte zu 1) war weder rechtlich noch tatsächlich gehindert, die Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur Sozialversicherung für die Monate Februar bis Mai 2000 am 15. des jeweils nachfolgenden Monats an die Klägerin abzuführen. Die von ihm vertretene Gesellschaft befand sich zwar in finanziellen Schwierigkeiten. Sie war aber nicht zahlungsunfähig. Vielmehr hat die Schuldnerin ihren Arbeitnehmern die in den Monaten Februar bis Mai 2000 erzielten Löhne gezahlt und auch andere finanzielle Verpflichtungen erfüllt. In der Berufungsinstanz beruft der Beklagte zu 1) sich darauf, sich mit den Zeugen ... und ... beraten zu haben, wie alle Gläubiger der Gesellschaft befriedigt werden könnten, insbesondere die Arbeitnehmer, das Finanzamt, die Krankenkassen, Banken und Lieferanten. Die öffentlich-rechtliche Pflicht der Arbeitgeberin zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge ist gegenüber sonstigen schuldrechtlichen Verbindlichkeiten aber deutlich herausgehoben (BGH, Urteil v. 21.01.1997, BGHZ Bd. 134 Seite 304, 311). Notfalls hat der Arbeitgeber seine Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen auch durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne zu erfüllen, und die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung können sogar dann im Sinne von § 266 a Abs. 1 StGB vorenthalten sein, wenn den Arbeitnehmern für den betreffenden Zeitraum kein Lohn ausgezahlt worden ist (BGH, Urteil v. 21.01.1997, BGHZ Bd. 134 Seite 304, 309; Urteil v. 16.05.2000, BGHZ Bd. 144 Seite 311, 314).

Der Beklagte zu 1) haftet der Klägerin für den bei ihr entstandenen Schaden aber nur dann, wenn er das rechtzeitige Abführen der Beiträge vorsätzlich unterlassen hat, wobei bedingter Vorsatz genügt (BGH, Urteil v. 01.10.1991, VersR 1991 Seite 1378, 1379 f.; Urteil v. 15.10.1996, BGHZ Bd. 133 Seite 370, 381). Hier hat der Beklagte zu 1) der Klägerin die Beiträge für die Monate Februar bis Mai 2000 in dem Bewusstsein vorenthalten, dass diese zwar geschuldet waren, aber nicht abgeführt wurden. Die Absicht, die Beiträge der Klägerin auf Dauer vorzuenthalten, ist nicht erforderlich; es genügt vielmehr der Wille, sie am Fälligkeitstage nicht abzuführen (BGH, Urteil v. 15.10.1996, a.a.O. Seite 382).

Der Beklagte zu 1) kann sich gegenüber der Forderung der Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass diese sich im April 2002 mit Ratenzahlungen einverstanden erklärt habe. Die im April 2000 getroffene Vereinbarung über die Tilgung der bereits aufgelaufenen Rückstände durch Ratenzahlung lässt nicht erkennen, dass damit der Beklagte zu 1) aus der Sicht der Klägerin berechtigt sein sollte, auch die laufend fällig werdenden Zahlungen als gestundet anzusehen. Ein Irrtum des Beklagten zu 1) in diesem Punkt wurde auch nicht zu einem tatbestandsausschließenden Tatbestandsirrtum, sondern zu einem Verbots- bzw. Gebotsirrtum führen, der ihn nur bei Unverschuldbarkeit entschuldigen wurde (BGH, Urteil v. 15.10.1996, aaO Seite 381, Urteil v. 09.01.2001, NJW 2001 Seite 969, 971 = VersR 2001 Seite 902, 903).

Ohne Erfolg beruft der Beklagte zu 1) sich in der Berufungsinstanz gegenüber den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung auch darauf, dass ein Verrechnungsscheck über den Betrag von 59.290,46 DM auf die Beitragsforderungen der Klägerin für die Monate April und Mai 2000 zu verrechnen gewesen sei. Diesen Scheck soll nach dem Vorbringen des Beklagten zu 1) in der Berufungsinstanz ein Mitarbeiter des Hauptzollamtes Duisburg am 28. April 2000 bei der Schuldnerin entgegengenommen haben, nachdem der Zeuge ... mit dem Sachbearbeiter der Klägerin in Hamburg telefoniert und mit ihm abgeklärt habe, dass dieser Betrag auf die Raten für die Arbeitnehmeranteile zu beziehen sei, die für April und Mai 2000 fällig werden würden.

Sollte dieses Vorbringen zutreffen, würde es die Schuldnerin und den Beklagten zu 1) als deren Geschäftsführer nicht von der Verpflichtung entbinden, die offenen Beträge nach der Aufstellung K 1 der Klägerin auszugleichen. Nach dem Schreiben vom 03. April 2000, das der Zeuge ... an die Klägerin gerichtet hat, ebenso wie nach dem Antwortschreiben der Klägerin vom 18. April 2000 waren Zahlungen vom 28. April 2000 auf die bis dahin aufgelaufenen Rückstände zu verrechnen. Hingegen waren Beiträge zur Sozialversicherung für die Monate April und Mai 2000 am 28. April 2000 noch gar nicht fällig. Dann durfte die Klägerin die Gutschrift in Höhe von knapp 60.000,-- DM entsprechend der im April 2000 getroffenen Vereinbarung auf die bis dahin aufgelaufenen Rückstände anrechnen. Die Schuldnerin und der Beklagte zu 1) als deren Geschäftsführer haben weitere Zahlungen Ende April 2000 auch nicht an die Klägerin geleistet, wozu sie im Hinblick auf die schon erheblichen Rückstände nach der im April 2000 getroffenen Vereinbarung aber verpflichtet gewesen wären.

II.

Da die Berufung ohne Erfolg bleibt, hat der Beklagte zu 1) gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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