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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 11.05.2001
Aktenzeichen: 12 UF 114/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1585b Abs. 3
ZPO § 91
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr.10
ZPO § 711
ZPO § 621 d
ZPO § 546
An die Verwirkung titulierter Unterhaltsansprüche ist ein strengerer Maßstab anzulegen als bei nicht titulierten Unterhaltsansprüchen. In der Regel ist das sogenannte Zeitmoment vor Ablauf der kurzen Verjährung (4 Jahre nicht erfüllt.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

im schriftlichen Verfahren

12 UF 114/00 289 F 4/00

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 11. Mai 2001

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 12. Zivilsenat, durch die Richter Schultz, Huusmann, Koch nach der am 23. April 2001 geschlossenen mündlichen Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg - Familiengericht - vom 10.7.2000 wie folgt teilweise abgeändert:

Die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich des Amtsgerichts Hamburg vom 2.8.1990 zum Aktz.286 F 175/85 wird insoweit für unzulässig erklärt, als die Beklagte für die Zeit bis zum 30.6.1999 über die erstinstanzlich bereits anerkannten Beträge hinaus ( DM 6.784,56 abzüglich gezahlter DM 6026,88 = DM 757, 68 ) mehr als DM 20.742,06 vollstreckt.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten der 1. Instanz haben der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6 zu tragen. Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann eine Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung von DM 8000 abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. Die gleiche Befugnis hat die Beklagte gegen eine Sicherheitsleistung von DM 800.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien sind geschiedene Eheleute und streiten um die Nachzahlung von Unterhaltsrückständen aus einer Wertsicherungsklausel für die Zeit bis zum 30.6.1999.

Die Parteien schlossen am 2.8.1990 einen gerichtlichen Scheidungsfolgenvergleich. Darin verpflichtete sich der Kläger, der Beklagten ab 1.9.1990 einen laufenden monatlichen Unterhalt von DM 3200.- zu bezahlen. Dabei wurden auf Seiten des Klägers ein monatliches Nettoeinkommen von DM 13.000 und auf Seiten der Beklagten ein Einkommen von ca. DM 2200.- zugrundegelegt. Nach Ziff. 4 des Vergleichs sollte der Unterhalt jährlich an den Lebenshaltungskostenindex eines 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalts mit mittlerem Einkommen angepaßt werden. Die Anpassung sollte ohne Aufforderung bis spätestens zum 30.3. eines jeden Jahres erfolgen.

Zum 1. Anpassungsdatum, dem 30.3.1991, nahm der Kläger keine Anpassung vor. Im September 1991 wurde er von den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zur Zahlung eines erhöhten Unterhalts von DM 3273,60 aufgefordert. Tatsächlich zahlte der Kläger sodann in der Folgezeit monatlich DM 3256,96. Weitere Anpassungen nahm der Kläger nicht mehr vor. Die Beklagte forderte den Kläger erstmals im Jahre 1999 dazu auf, die sich aus den nicht durchgeführten Anpassungen ergebenden Unterhaltsrückstände auszugleichen. Unter dem 2.9.1999 erwirkte sie einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß über DM 31.073,28, der sich auf die rückständigen Anpassungen aus der Zeit vom 1.1.94- 30.6.99 bezieht.

Der Kläger überwies am 3.9.1999 DM 6026,88 an die Beklagte, und zwar als Unterhaltsnachzahlung für die Zeit von Juli 1998 bis Juni 1999 . Er meint, daß die Beklagte ihren Anspruch auf Unterhaltsanpassung für die davorliegende Zeit in entsprechender Anwendung des § 1585b Abs.3 BGB verwirkt habe.

Unter dem 29.9.1999 hat der Kläger gegen die Beklagte Zwangsvollstreckungsgegenklage erhoben mit dem Antrag,

die Zwangsvollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vor dem Amtsgericht Hamburg ( Aktz.286 F 175/85 ) für unzulässig zu erklären, soweit die Vollstreckung den Betrag von DM 6026,88 übersteige.

Die Beklagte hat

Klagabweisung beantragt.

Sie ist der Auffassung, daß § 1585b Abs.3 BGB nicht analog angewendet werden könne und es für eine Verwirkung insbesondere an dem sogenannten Umstandsmoment fehle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags wird auf den Tatbestand des familiengerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Familiengericht hat durch Urteil vom 10.7.2000 die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, insoweit für die Zeit bis zum 30.6.99 mehr als DM 6784,56 vollstreckt würden. Es ist der Auffassung des Klägers gefolgt, daß er entsprechend dem Rechtsgedanken des § 1585 b Abs.3 BGB nur Unterhalt für die Zeit von Juli 1998 bis Juni 1999 nachzahlen müsse und die Beklagte ihren Anspruch für die davorliegenden Zeiträume verwirkt habe. Dabei hat das Familiengericht den Nachzahlungsbetrag mit insgesamt DM 6748,56 errechnet und bezüglich der bereits gezahlten DM 6026,88 ausgeführt, daß dies habe im Tenor nicht berücksichtigt werden können, weil die Parteien trotz Zahlung nach Klagerhebung den Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt hätten.

Gegen das am 17.7.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17.8.2000 Berufung eingelegt, die sie - nach entsprechender Fristverlängerung - mit einem am 2.10.2000 eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Sie vertritt die Auffassung, daß sie jedenfalls noch die Unterhaltsanpassungen vom 1.1.1995 bis zum 30.6.1999 beanspruchen könne. Diese betrügen - vor Abzug der am 3.9.1999 unstreitig erfolgten Zahlung - insgesamt DM 27.526,62. Den in der Berufungsbegründung angekündigten Antrag, die Zwangsvollstreckung insoweit für unzulässig zu erklären, als der vollstreckte Betrag DM 27.526,62 übersteige, stellt sie mit der Maßgabe, daß die Zwangsvollstreckung insoweit für unzulässig erklärt wird, als für die Zeit bis zum 30.6.99 wegen eines Unterhaltsrückstandes vollstreckt wird, der DM 20.742,06 übersteigt.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beide Parteien haben in der Berufungsinstanz Rechtsausführungen zu der streitigen Frage der Verwirkung gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Mit dem Familiengericht ist der Senat der Auffassung, daß die Unterhaltsanpassung in dem Vergleich vom 2.8.1990 vollstreckbar tituliert worden ist, so daß die Zwangsvollstreckungsgegenklage die richtige Klageart darstellt. Denn die Anpassung kann aufgrund allgemein zugänglicher Daten durchgeführt werden; daß im Einzelfall anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen werden muß, wie es hier 1991 geschehen ist, schließt die Vollstreckbarkeit der Wertsicherungsklausel nicht aus (offengelassen in BGH FamRZ 89, 267).

Die Beklagte kann für die Zeit bis zum 30.6.1999 über die erstinstanzlich errechneten Beträge hinaus eine weitere Unterhaltsnachzahlung von DM 20.742,09 vollstrecken. Das Familiengericht hat zwar bereits eine Vollstreckung über DM 6784,56 für zulässig gehalten, tatsächlich hätte es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung aber nur DM 757,68 tenorieren dürfen, da DM 6026,88 nicht nach Klagerhebung, sondern nach dem unstreitigen Vortrag des Klägers schon vor Anhängigkeit der Klage gezahlt und gar nicht mehr Streitgegenstand waren (DM 6784,56 - DM 6026,88). Hierüber bestand in der mündlichen Berufungsverhandlung auch Einigkeit. Entsprechend ist der in der Verhandlung gestellte Antrag auf Anregung des Gerichts umformuliert worden, was aber insoweit etwas verunglückt ist, als der erstinstanzlich bereits anerkannte Betrag von DM 757,68, den die Beklagte als ihr günstig nicht angreift, nicht in die noch vollstreckbare Gesamtsumme mit aufgenommen worden ist, die dann DM 21.499,77 beträgt ( DM 20.742,09 + DM 757,68 ). Aus dem Zusammenhang des schriftsätzlich angekündigten Berufungsantrags, der dort zutreffend mit DM 20.742,06 angegebenen Berufungsbeschwer und dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.3.2001 ergibt sich aber, daß die Beklagte insgesamt wegen DM 21.499,77 vollstrecken will, nämlich DM 27.526,62 abzüglich gezahlter DM 6026,88.

Die Beklagte hat die Unterhaltsanpassungen von 1995 bis zum 30.6.99 zutreffend errechnet und die geleisteten Unterhaltszahlungen in Anrechnung gebracht. Der Senat geht davon aus, daß insoweit kein Streit mehr zwischen den Parteien besteht.

In der zweitinstanzlich noch streitigen Frage der Verwirkung vermag der Senat sich der Bewertung des Familiengerichts nicht anzuschließen. Daß Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch schon vor Ablauf der kurzen Verjährung von vier Jahren verwirkt werden können, ist zwar allgemein anerkannt. Inwieweit dies aber für bereits titulierte Unterhaltsansprüche gilt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.

Das OLG Karlsruhe ( FamRZ 93,1456 ) hat in einem Fall, in dem ein rechtskräftig verurteilter Unterhaltsschuldner mehr als 10 Jahre keinen Kindesunterhalt gezahlt hatte, die Auffassung vertreten, daß für die Verwirkung eines titulierten Unterhalts ein strengerer Maßstab angelegt werden müsse als bei nicht tituliertem Unterhalt, denn nur in einem besonderen Ausnahmefall könne dem Titelgläubiger die zwangsweise Durchsetzung seines rechtskräftig festgestellten Anspruchs verweigert werden. Das OLG Karlsruhe hat im konkreten Fall für mehr als vier Jahre zurückliegende Unterhaltszeiträume Verwirkung angenommen.

Demgegenüber meint das Kammergericht Berlin (FamRZ 94,771), daß auch bei titulierten Ansprüchen bereits nach einem Jahr der Untätigkeit das Zeitmoment der Verwirkung erfüllt sei, da es bei einem titulierten Unterhalt sogar näher läge, daß der Gläubiger die Forderung zeitnah durchsetze.

Das OLG Hamm (FamRZ 98,1189) geht grundsätzlich ebenso wie das OLG Karlsruhe davon aus, daß an die Verwirkung titulierter Unterhaltsansprüche erhöhte Anforderungen gestellt werden müßten. Ein Zeitraum von 2 1/2 Jahren der Untätigkeit - so war es in dem entschiedenen Fall- reiche nur dann aus, wenn besondere Umstände hinzuträten ( die das OLG bejaht hat ).

Das OLG Stuttgart (FamRZ 99, 859) hat sich gleichfalls der Meinung des OLG Karlsruhe angeschlossen. Es hat ausgesprochen, daß das Zeitmoment der Verwirkung vor Ablauf von vier Jahren regelmäßig nicht erfüllt sei.

Der BGH (FamRZ 99, 1422) hatte sich im Rahmen einer Prozeßkostenhilfeentscheidung mit der Frage zu befassen. Er hat auf seine Rechtsprechung zur Verwirkung nicht titulierter Ansprüche verwiesen und ausgesprochen, daß die dortigen Grundsätze auch für titulierte Ansprüche - deren Durchsetzung mit Hilfe des Titels sogar näher liegen dürfe als bei nicht titulierten Forderungen - keine Einschränkung erführen. Der BGH zitiert die obengenannten Urteile des Kammergerichts und des OLG Karlsruhe, die allerdings in gegensätzliche Richtungen weisen.

Der erkennende Senat schließt sich vom Grundsatz her den Entscheidungen des OLG Karlsruhe, Hamm und Stuttgart an, daß für titulierte Ansprüche erhöhte Anforderungen an die Verwirkung zu stellen seien. Dem Argument des Kammergerichts, von dem Titelgläubiger sei erhöhte Aktivität zu erwarten, kann mit gleichem Recht entgegengehalten werden, gerade ein Titelgläubiger müsse nicht sofort zwangsweise und möglicherweise kostenträchtig sein Recht durchsetzen, sondern könne eher länger abwarten, ob der Schuldner - im Bewußtsein seiner bereits rechtskräftig feststehenden Schuld - freiwillig erfüllen werde.

Entscheidend ist nach Meinung des Senats, daß der Schuldner eines titulierten Anspruchs in erheblich geringerem Maße schutzwürdig ist als bei einem nicht titulierten Anspruch. Darum hält der Senat auch eine analoge Anwendung des § 1585b Abs.3 BGB im Gegensatz zum Familiengericht nicht für angebracht. Die kurze Zeitspanne von einem Jahr paßt nur für das erstmalige Einklagen eines Unterhaltsanspruchs, nicht für einen feststehenden Titel, auf den sich der Schuldner einstellen kann. Grundsätzlich geht der Senat daher mit dem OLG Stuttgart davon aus, daß das Zeitmoment vor Ablauf von vier Jahren - der kurzen Verjährungsfrist - nicht erfüllt ist. Da die Beklagte nur wegen der Rückstände der unverjährten Zeiträume vollstreckt, scheitert der Einwand der Verwirkung schon am Zeitmoment.

Besondere Umstände, die eine kürzere Verwirkungszeit rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich, im Gegenteil. Der Kläger hatte es nach dem Vergleich übernommen, die Anpassung von sich aus vorzunehmen, das heißt ggf. auch die Kosten einer hierfür notwendigen anwaltlichen Beratung zu tragen. Die Beklagte hat die erste und einzige Anpassung mit anwaltlicher Hilfe durchsetzen müssen. Wenn der Kläger seiner Verpflichtung nicht nachkam und es der Beklagten überließ, sich um die Anpassung zu bemühen, ist er nicht über die Verjährungsfristen hinaus schutzwürdig .

Darüber hinaus ist aber auch das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment vorliegend nicht erfüllt. Zwar mag es bei niedrigeren Einkommmensverhältnissen nicht erforderlich sein, daß der Schuldner konkrete Vertrauensinvestitionen in seine Nichtinanspruchnahme darlegt (BGH FamRZ 88,370,373; ferner die vom FamG zitierte Entscheidung OLG Hamm FamRZ 96,1239). Hier lagen jedoch gehobene Einkommensverhältnisse vor; die Parteien hatten ein Nettoeinkommen des Klägers von DM 13.000 monatlich zugrundegelegt, das er zumindest bis 1997 auch nach seinem eigenen Vortrag tatsächlich erzielt hat. Außerdem geht es nur um die Beträge aus der Anpassung , also eine Unterhaltsspitze. Bei dieser Sachlage kann nicht ohne nähere Darlegung davon ausgegangen werden, daß der Kläger sich in seiner Lebensführung darauf eingerichtet habe, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden und nunmehr unerwartet in Bedrängnis geraten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91,92 Abs.1 ZPO. Die Beklagte hat das erstinstanzliche Urteil nicht angegriffen, soweit es um die Vollstreckung wegen der - verjährten - Rückstände aus 1994 geht; deswegen hat sie trotz Obsiegens in der Berufungsinstanz einen Teil der Kosten der ersten Instanz zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und dieses Urteil möglicherweise von der Entscheidung BGH FamRZ 99, 1422 abweicht (§§ 621 d, 546 ZPO).

Ende der Entscheidung

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