Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 14.06.2005
Aktenzeichen: 2 StE 4/02 - 5
Rechtsgebiete: VN-Anti-Folter-Übk., StPO


Vorschriften:

VN-Anti-Folter-Übk. Art. 15
StPO § 136a
StPO § 69 Abs. 3
StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2
Die von der Regierung der USA im Wege der Rechtshilfe als Ersatz für eine Zeugenvernehmung übersandten Zusammenfassungen der Aussagen von an unbekannten Orten gefangen gehaltenen hochrangigen Al Qaida-Mitgliedern sind in der Hauptverhandlung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO zu Beweiszwecken verlesbar.

Art. 15 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984 (VN-Anti-Folter-Übk.) enthält ein innerstaatlich unmittelbar geltendes und in Strafverfahren zu beachtendes Verbot der gerichtlichen Verwertung von durch Folter herbeigeführten Aussagen, das sowohl bei Foltermaßnahmen inländischer Staatsorgane als auch bei im Ausland durch Organe anderer Staaten mittels Einsatzes von Folter herbeigeführten Aussagen eingreift.

Das Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot des § 136a StPO erfasst unmittelbar nur unzulässige Vernehmungsmethoden staatlicher Verfolgungsorgane der Bundesrepublik Deutschland, ist jedoch auf die Anwendung unzulässiger Vernehmungsmethoden durch Angehörige anderer Staaten entsprechend anwendbar, sofern die Erkenntnisse, um deren Verwertung es geht, unter besonderes krassem Verstoß gegen die Menschenwürde zustande gekommen sind.

Bei den übersandten Zusammenfassungen der Aussagen hochrangiger Al Qaida-Mitglieder steht weder Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk. noch § 136a StPO in entsprechender Anwendung einer Verlesung und Verwertung der Zusammenfassungen entgegen, weil eine Anwendung von Folter oder sonstige besonders gravierende Verstöße gegen die Menschenwürde nicht bewiesen sind.

An dem Erfordernis des - vollen - Nachweises der das Beweisverbot begründenden Umstände ist auch bei schwieriger Beweislage festzuhalten. Dieses Erfordernis, wonach vorliegende Beweismittel nur ausnahmsweise nicht verwertbar sind, dient der gerichtlichen Wahrheitserforschung und kann deshalb auch nicht deswegen aufgegeben werden, weil der betreffende ausländische Staat den Zugriff auf solche Quellen verwehrt, von denen weitergehende Informationen zu erwarten wären. Eine etwaige Beeinträchtigung der freien Willensentschließung von Zeugen ist bei nicht erwiesener Anwendung unzulässiger Vernehmungsmethoden auf der Ebene der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.


HansOLG Hamburg 4. Strafsenat

Az.: 2 StE 4/02 - 5 IV - 1/04

Beschluss vom 14. Juni 2005

Beschluss Tenor:

Die beglaubigten deutschen Übersetzungen der von den amerikanischen Behörden zur Verfügung gestellten nicht der Geheimhaltung unterliegenden Zusammenfassungen von Aussagen des Ramzi Binalshibh und des Khalid Sheikh Mohammed gemäß Anlage zum Telefaxschreiben des Justizministeriums der USA vom 9. August 2004 sowie der nicht der Geheimhaltung unterliegenden Zusammenfassungen von Aussagen Mohamad Ould Slahis und Ramzi Binalshibhs gemäß Anlage zum Telefaxschreiben des Justizministeriums der USA vom 9. Mai 2005 sollen in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken verlesen werden.

Tatbestand:

Dem Angeklagten E. M. wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in Verbindung mit den Attentaten vom 11. September 2001 vorgeworfen. Nach Aufhebung eines zunächst ergangenen Urteils, mit dem der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt worden war, findet vor dem Senat seit dem 10. August 2004 die erneute Hauptverhandlung statt. Der Senat hatte im Rahmen der Beweisaufnahme über die Verlesbarkeit der von Seiten der Regierung der USA übersandten Zusammenfassungen von Aussagen hochrangiger Al Qaida-Mitglieder, die als Zeugen in Betracht kamen, zu entscheiden.

Gründe:

I. Mit an das Justizministerium der USA gerichtetem Rechtshilfeersuchen vom 4. Mai 2004 hat der Senat hinsichtlich der Zeugen Ramzi Binalshibh, Khalid Sheikh Mohammed und Mohamad Ould Slahi um Überstellung der Zeugen zur Vernehmung vor dem erkennenden Senat oder um kommissarische Vernehmung in den USA oder Ermöglichung einer Videosimultanvernehmung gebeten. Für den Fall, dass eine Vernehmung der Zeugen nicht in der ersuchten Weise möglich sein sollte, hat der Senat darum gebeten, ihm die Protokolle bisheriger Vernehmungen der Zeugen zur Verfügung zu stellen oder dem in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommenen FBI-Beamten W. eine Aussagegenehmigung zum Inhalt dieser Vernehmungen zu erteilen oder die Sperrung der der deutschen Regierung übermittelten Protokolle über Befragungen der Zeugen aufzuheben. In den nachfolgenden Ergänzungen und Nachfragen vom 2. Juni 2004 sowie vom 8. September 2004 und 29. März 2005 hat der Senat auf die Bedeutung des Zustandekommens der Aussagen für ihre Verwertbarkeit in dem vorliegenden Strafverfahren hingewiesen und insoweit für die Aussagen Ramzi Binalshibhs und Khalid Sheikh Mohammeds ausdrücklich um ergänzende Informationen gebeten. Dem Senat sind auf sein Rechtshilfeersuchen vom 4. Mai 2004 mit Telefaxschreiben vom 9. August 2004 sowie weiterem Telefaxschreiben vom 9. Mai 2005 von Seiten des Justizministeriums der USA nicht der Geheimhaltung unterliegende Zusammenfassungen von Aussagen des Ramzi Binalshibh, des Khalid Sheikh Mohammed und des Mohamad Ould Slahi übersandt worden. Mit dem Schreiben vom 9. August 2004 ist zugleich erklärt worden, dass es den Vereinigten Staaten nicht möglich sei zu bestätigen, ob sich eine der - in dem Rechtshilfeersuchen - genannten Personen im Gewahrsam der USA befinde oder nicht. Mit dem Schreiben vom 9. Mai 2005 hat das Justizministerium der USA zugleich erklärt, dass es nicht in der Lage sei, der Bitte um Beschreibung der Umstände, unter denen die Aussagen von Ramzi Binalshibh und Khalid Sheikh Mohammed zustande gekommen sind, nachzukommen.

II. Die dem Senat mit Telefaxschreiben des Justizministeriums der USA übersandten Zusammenfassungen von Aussagen Ramzi Binalshibhs, Khalid Sheikh Mohammeds und Mohamad Ould Slahis sind gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken zu verlesen (1.). Der Verlesung steht ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot nicht entgegen (2.). Ein Beweiserhebungs- oder -ver-wertungsverbot ergibt sich insbesondere weder aus Art. 15 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (VN-Anti-Folter Übk.) (a)) noch aus einer entsprechenden Anwendung des § 136a StPO (b)). 1. Der Senat stützt die beabsichtigte Verlesung der durch das Justizministerium der USA übersandten Zusammenfassungen von Aussagen Ramzi Binalshibhs, Khalid Sheikh Mohammeds und Mohamad Ould Slahis auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Bei den laut Schreiben des Justizministeriums der USA vom 9. August 2004 von U.S.-Beamten erstellten Zusammenfassungen handelt es sich nicht um Niederschriften über einzelne Vernehmungen der Zeugen Binalshibh, Sheikh Mohammed sowie Ould Slahi und auch nicht um von ihnen stammende schriftliche Erklärungen im Sinne des § 251 Abs. 1 StPO. Die Zusammenfassungen sind jedoch den in der Vorschrift genannten Urkunden gleichzusetzen. Sie können nicht ohne weiteres nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen werden, weil ihr Inhalt sich auf Tatsachenwahrnehmungen von Personen im Sinne des § 250 S. 1 StPO bezieht, so dass das Verbot des § 250 S. 2 StPO eingreift. Sie sind jedoch den von § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO erfassten Vernehmungsniederschriften oder schriftlichen Erklärungen von Zeugen, die - wie etwa V-Leute der Polizei - aus anzuerkennenden Gründen nicht einmal für eine kommissarische Vernehmung zur Verfügung stehen, gleichzusetzen. Insoweit ist eine großzügige Auslegung des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO geboten. Eine restriktive Anwendung würde die Möglichkeiten von Angeklagten beschränken, durch schriftliche Erklärungen von Beweispersonen oder durch schriftliche Erklärungen über die Aussagen von Beweispersonen Entlastungstatsachen zu beweisen. An die Überführung eines Angeklagten auf Grund solcher schriftlichen Erklärungen müssten ohnehin strengere Anforderungen dahingehend gestellt werden, dass eine Überführung allein auf der Grundlage solcher schriftlichen Erklärungen nicht in Betracht kommt (vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 48. Auflage 2005, Rdnr. 17 zu § 251).

Eine gerichtliche Vernehmung der Zeugen Binalshibh, Sheikh Mohammed und Ould Slahi, sei es auch nur in Form einer kommissarischen Vernehmung oder einer Videosimultanvernehmung, ist für einen nicht absehbaren Zeitraum unmöglich. Aus der Übersendung von Zusammenfassungen ihrer Aussagen durch das Justizministerium der USA ergibt sich zwar, dass die Zeugen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest im Zugriffsbereich der Administration der USA befinden. Der Aufenthalt der Zeugen Binalshibh und Sheikh Mohammed wird jedoch bereits seit mehreren Jahren geheim gehalten, im Falle Binalshibhs seit seiner im September 2002 erfolgten Ergreifung und bei Sheikh Mohammed seit seiner Festnahme im März 2003. Für den Zeugen Ould Slahi ist das Datum seiner Ergreifung nicht bekannt. Die zuständigen Behörden der USA haben nähere Auskünfte über die Zeugen zuletzt mit Schreiben vom 9. Mai 2005 gegenüber dem Senat verweigert. Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Haltung in absehbarer Zeit ändern könnte, gibt es nicht, so dass im Ergebnis von ihrer Unerreichbarkeit im Sinne des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO auszugehen ist.

2. Der danach auf die Vorschrift des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO zu stützenden Verlesung der mit den Schreiben vom 9. August 2004 und 9. Mai 2005 an den Senat übersandten Zusammenfassungen von Aussagen der Zeugen Binalshibh, Sheikh Mohammed und Ould Slahi steht ein Beweiserhebungs- beziehungsweise Beweisverwertungsverbot nicht entgegen.

a) Ein Beweiserhebungs- oder -verwertungsverbot ergibt sich für die dem Senat übersandten Zusammenfassungen von Aussagen der Zeugen Binalshibh, Sheikh Mohammed und Ould Slahi insbesondere nicht aus Art. 15 des VN-Anti-Folter-Übk. von 1984.

Art. 15 dieses für die Bundesrepublik Deutschland am 31. Oktober 1990 in Kraft getretenen Übereinkommens bestimmt, dass jeder Vertragsstaat dafür Sorge trägt, dass Aussagen, die nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person als Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde. Unter Folter im Sinne dieser Vorschrift ist dabei nach Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens jede Handlung zu verstehen, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck der Folter umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.

Nach Auffassung des Senates stellt das Beweisverbot des Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk. innerstaatlich unmittelbar geltendes Recht dar und ist deshalb bei der vorliegenden Entscheidung zu beachten und anzuwenden. Anhaltspunkte dafür, dass mit Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk. nur eine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Schaffung entsprechender gesetzlicher Verwertungsverbote begründet und kein innerstaatlich unmittelbar anwendbares Recht geschaffen werden sollte, sind nicht ersichtlich, zumal die Beachtung des Verwertungsverbotes ureigene Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt ist, an die sich das Übereinkommen auch in anderen Bestimmungen - wie insbesondere Art. 6 Abs. 1 - unmittelbar wendet. Art. 15 ist in Tatbestand und Rechtsfolge hinreichend bestimmt und damit seinem Inhalt nach geeignet, ebenso wie eine innerstaatliche Norm Rechtswirkungen auszulösen (vgl. BVerfG NStZ 1994, 492 f).

Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk. setzt voraus, dass die betreffenden Aussagen nachweislich durch Folter herbeigeführt worden sind. Dieser Nachweis hat sich jedoch in dem vorliegenden Fall mit den dem Senat zur Verfügung stehenden und im Freibeweisverfahren eingeführten Informationen nicht führen lassen.

Die zuständigen Behörden der USA haben auch auf mehrfache diesbezügliche Nachfragen des Senates keine Informationen über die Aufenthaltsorte der Zeugen Binalshibh, Sheikh Mohammed sowie Ould Slahi gemacht und zu den Umständen der Vernehmungen dieser Personen mit Schreiben vom 9. Mai 2005 abschließend mitgeteilt, nicht in der Lage zu sein, Angaben dazu zu machen. Dem in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommenen amerikanischen FBI-Beamten W. ist von Seiten seiner Behörde mit der von ihm vorgelegten und in der Hauptverhandlung freibeweislich verlesenen und in die deutsche Sprache übersetzten Aussagegenehmigung vom 21. Januar 2005 eine Erlaubnis, hierüber auszusagen, nicht erteilt worden. Auf Nachfragen hierzu hat er sich auf die Beschränkung seiner Aussagegenehmigung berufen und zu den Aufenthaltsorten der genannten Zeugen sowie den Umständen ihrer Vernehmungen keine Angaben gemacht. Der ebenfalls in der Hauptverhandlung vernommene Zeuge S., ein leitender Sachbearbeiter der unabhängigen amerikanischen Kommission zur Untersuchung der Anschläge vom 9. September 2001, konnte zu den Aufenthaltsorten der Zeugen Binalshibh, Sheikh Mohammed und Ould Slahi sowie den Umständen ihrer Vernehmungen keine Angaben machen, da, wie er angegeben hat, dieser so genannten 9/11-Kommission von Seiten der amerikanischen Behörden ebenfalls nur Zusammenfassungen der Aussagen verschiedener mutmaßlicher Al Qaida-Mitglieder überlassen worden sind und den Kommssionsmitgliedern - wie auch dem erkennenden Senat - ebenfalls kein Zugang zu den mutmaßlichen Al Qaida-Mitgliedern selbst, ihren Vernehmern oder zu Protokollen der Vernehmungen gewährt worden ist.

Die von Seiten des Senates um Informationen ersuchten Behörden der Bundesrepublik Deutschland, nämlich das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium des Inneren und das Bundesministerium der Justiz, haben auf die Ersuchen des Senates so genannte Sperrerklärungen abgegeben, in denen darauf verwiesen worden ist, dass ihnen von Seiten der zuständigen Behörden der USA nicht gestattet worden ist, die ihnen allein zu geheimdienstlichen Zwecken überlassenen Informationen in dem vorliegenden Gerichtsverfahren zur Verfügung zu stellen. Ein Verstoß gegen diese Verwendungsbeschränkungen würde zur Störung der diplomatischen und geheimdienstlichen internationalen Beziehungen führen und deshalb die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Der in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommene Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz F. und der ebenfalls als Zeuge vernommene Präsident des hamburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz V. konnten zu den Aufenthalten und Vernehmungsbedingungen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis ebenfalls keine Angaben machen. Zu der gezielt an das Bundesministerium der Justiz, das Bundesministerium des Innern und den Bundesnachrichtendienst gestellten Frage, ob dort bekannt sei, unter welchen Umständen die Aussagen der Zeugen Binalshibh und Sheikh Mohammed zustande gekommen seien, haben die genannten Behörden erklärt, darüber keine Informationen zu haben (Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 25. April 2005, Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 5. April 2005 und Schreiben des Bundesnachrichtendienstes vom 27. April 2005).

Der Senat hat die ihm zur Frage der Anwendung von Foltermaßnahmen im Sinne des Art. 1 VN-Anti-Folter-Übk. bei der Vernehmung der genannten Zeugen danach allein zur Verfügung stehenden öffentlich zugänglichen Quellen ausgewertet und zahlreiche Publikationen freibeweislich in die Hauptverhandlung eingeführt. Dabei handelt es sich um in Presseorganen verschiedenster Richtungen erschienene Artikel, so etwa Artikel der World Socialist Web Site, der Washington Post, der New York Times, des Observer sowie der Schweizer Weltwoche. Außerdem hat der Senat Berichte verschiedner Organisationen eingeführt, und zwar insbesondere Auszüge aus einem Report von Amnesty International sowie Auszüge aus einem Bericht der Organisation Human Rights Watch.

Danach ist davon auszugehen, dass das Weiße Haus und das Pentagon die Anwendung oder Duldung von Folter einerseits dementieren, das Weiße Haus andererseits jedoch zumindest eingeräumt hat, Al Qaida-Gefangene nicht als dem Schutz internationaler Menschenrechtsabkommen wie etwa der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen unterfallend anzusehen.

Aus den in die Hauptverhandlung eingeführten Presseartikeln und sonstigen Berichten ergeben sich demgegenüber zwar Anhaltspunkte dafür, dass mutmaßliche Al Qaida-Mitglieder Foltermaßnahmen im Sinne des Art. 1 VN-Anti-Folter-Übk. unterworfen worden sind. So wird insbesondere mit Bezug auf Khalid Sheikh Mohammed angegeben, dass dieser einem so genannten "water boarding" unterzogen worden sei, worunter ein Drücken eines Menschen unter Wasser zu verstehen ist, so dass dieser Angst um sein Leben bekommen muss. Außerdem wird angeführt, dass man sich der Ehefrau und zweier minderjähriger Söhne des Sheikh Mohammed bemächtigt habe, um dadurch Druck auf ihn auszuüben. Für Binalshibh und Ould Slahi finden sich demgegenüber in den in die Hauptverhandlung eingeführten Presse- und anderen Berichten keine Hinweise auf deren individuelle Behandlung. Außer Angaben zu den genannten drei Personen, hinsichtlich derer der Senat Zusammenfassungen ihrer Aussagen erhalten hat, finden sich jedoch in den Berichten zahlreiche Hinweise auf die Behandlung bestimmter weiterer in US-Gewahrsam vermuteter mutmaßlicher Al Qaida-Mitglieder wie etwa Abu Zubaida und Haydar Zammar. Des Weiteren gibt es zahlreiche allgemeine Informationen über die Behandlung mutmaßlicher Al Qaida-Mitglieder, ohne dass insoweit ein Bezug zu konkreten Gefangenen hergestellt wird. Zahlreiche dieser Informationen beinhalten die Behauptung, dass Al Qaida-Gefangene in andere Länder teilweise im arabischen Bereich verbracht worden seien, wo man bei Vernehmungen den US-Befragern nicht zur Verfügung stehende Mittel verwenden könne.

Allen diesen Informationen ist jedoch gemeinsam, dass überprüfbare Quellen nicht genannt werden. Die Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch beziehen sich als Quellen im Wesentlichen auf dieselben Presseartikel, die dem Senat ebenfalls zur Verfügung standen und in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. In den Presseartikeln werden als Quellen durchgehend lediglich anonyme Beamte allgemein oder anonyme Beamte bestimmter Dienste genannt. Eine Überprüfung dahin, ob es sich bei den Informanten tatsächlich um Beamte beziehungsweise Angehörige des betreffenden Dienstes handelt, ob die Informanten nach ihrer Stellung und ihren Kontakten die der Presse mitgeteilten Informationen überhaupt tatsächlich haben konnten sowie eine Überprüfung möglicher Motive zur Verbreitung falscher oder zumindest übertriebener Informationen kann deshalb nicht stattfinden, so dass schon aus diesem Grunde Bedenken bestehen, von einer Anwendung von Foltermaßnahmen im Sinne des Art. 1 VN-Anti-Folter-Übk. bei den den übersandten Zusammenfassungen zu Grunde liegenden Vernehmungen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis als erwiesen auszugehen.

Hinzu kommt des Weiteren, dass sich in den in die Hauptverhandlung eingeführten Presseartikeln und Berichten auch einige Informationen befinden, die gegen eine Anwendung von Folter bei den Vernehmungen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis sprechen. In mehreren Presseartikeln wird darauf hingewiesen, dass nach Angaben namentlich nicht benannter Beamter auch bei mutmaßlichen Al Qaida-Mitgliedern versucht werde, durch Gewährung von Vorteilen eine Kooperationsbereitschaft zu bewirken, so beispielsweise durch freundliche und respektvolle Behandlung sowie durch Gewährung von Geldzuwendungen. Teilweise wird auch von Versuchen einer Umerziehung berichtet, wie beispielsweise für nach Saudi Arabien überstellte Gefangene. Nicht zuletzt spricht gegen die Annahme der Anwendung von Folter auch, dass nach den in die Hauptverhandlung eingeführten Presseberichten davon auszugehen ist, dass das FBI sich in den USA im Interesse der Erhaltung einer gerichtlichen Verwertbarkeit von Aussagen gegen die Anwendung von Folter einsetzt. Das Gewicht dieser Information wird allerdings durch die weiteren Informationen erheblich relativiert, wonach Vernehmungen von Al Qaida-Gefangenen, soweit amerikanische Dienste daran beteiligt sind, von Beamten des CIA durchgeführt werden und nicht von Beamten des FBI.

Im Ergebnis sieht danach der Senat die Anwendung von Foltermaßnahmen im Sinne des Art. 1 VN-Anti-Folter-Übk. bei den Vernehmungen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis nicht als gemäß Art. 15 dieser Konvention nachgewiesen an. Dabei wird nicht verkannt, dass es staatliche Organe der in der Presse der Anwendung von Folter bezichtigten USA selbst sind, welche dem Senat den Zugriff auf solche Quellen verwehren, von welchen gegenüber den allein zur Verfügung stehenden Presseartikeln und Berichten humanitärer Organisationen vergleichsweise zuverlässigere und insbesondere überprüfbare Informationen zu erwarten wären.

In dem vorliegenden Fall kommt zu dieser schlechten Beweismittellage jedoch als weiterer wesentlicher Umstand hinzu, dass den übersandten Zusammenfassungen von Vernehmungen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis die Einseitigkeit einer durchgehenden Belastung der in Freiheit befindlichen Personen fehlt, wie sie bei der Anwendung von Foltermaßnahmen zur Erpressung von bestimmte verdächtige Personen belastenden Angaben zu erwarten wäre. In den dem Senat überlassenen Zusammenfassungen sind demgegenüber von allen drei Befragten zu verschiedenen anderen Personen und insbesondere auch über den Angeklagten E. M. sowohl belastende als auch entlastende Angaben enthalten.

Binalshibh hat laut der übersandten Zusammenfassung seiner Aussagen den Angeklagten E. M. zwar als Teilnehmer an "Dschihad-Treffen" bezeichnet, andererseits aber angegeben, dass er nicht zu der so genannten "Hamburger Zelle" gehört habe, welche an den Anschlägen vom 11. September 2001 beteiligt war. Außerdem hat Binalshibh den belastenden Umstand bestätigt, dass der Angeklagte in einem Ausbildungslager der Al Qaida in Afghanistan war, ihn insoweit jedoch zugleich auch wieder entlastet, indem er angegeben hat, dass der Angeklagte dort keine spezifischen Instruktionen erhalten habe und auch in der Folgezeit nicht in die Aktivitäten der "Hamburger Zelle" eingeweiht worden sei. Dem Angeklagten sei - zur Zeit der von ihm veranlassten Überweisung - weder der Aufenthaltsort Al Shehhis noch der Grund für Al Shehhis Geldbedarf bekannt gewesen. Damit sind von Binalshibh in für das vorliegende Strafverfahren wesentlichen Details den Angeklagten entlastende Angaben gemacht worden.

Ähnlich verhält es sich mit den Angaben Sheikh Mohammeds, der nach der Zusammenfassung seiner Aussagen den Angeklagten zwar einerseits mit der Schilderung eines Zusammentreffens in Karatschi Mitte 2000 erheblich belastet, sodann aber auch mit der Angabe, danach bis zur Festnahme des Angeklagten im November 2001 von diesem nichts mehr gehört zu haben, wieder entlastet hat. Slahi hat laut der für seine Aussagen übersandten Zusammenfassung die Personen, zu denen er befragt worden ist, sämtlich nur sehr zurückhaltend belastet und zu dem Angeklagten angeben, nicht zu wissen, ob er ihn überhaupt kennen gelernt habe.

Nur weil hier zu den allerdings schwachen Beweisen für die Annahme der Anwendung von Foltermaßnahmen noch hinzu kommt, dass der Inhalt der Zusammenfassungen der Aussagen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis eher gegen die Anwendung von Folter spricht, ist der Senat hier zu dem Ergebnis gelangt, einen ein Beweismittelverwertungsverbot begründenden Verstoß nach Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk., welcher auch eine Beweiserhebung durch zu Beweiszwecken erfolgende Verlesung hindern würde, als nicht erwiesen anzusehen. b) Ein Beweiserhebungs- und/oder -verwertungsverbot ergibt sich hinsichtlich der dem Senat aus den USA zur Verfügung gestellten Zusammenfassungen von Aussagen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis, aus den bereits zu Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk. angeführten Gründen, auch nicht aus § 136a StPO in Verbindung mit §§ 69 Abs. 3, 163a Abs. 1, 2 und 4 StPO. § 136a verbietet eine Verwertung solcher Aussagen, die unter Einsatz der in Abs. 1 und 2 im Einzelnen aufgezählten unzulässigen Mittel zustande gekommen sind, und zwar nach seinem Abs. 3 selbst bei Zustimmung des Beschuldigten zu einer Verwertung. Das Verbot gilt im Falle seines Eingreifens nach zutreffender Auffassung unterschiedslos für belastende wie für entlastende Angaben.

Die Vorschrift des § 136a StPO richtet sich jedoch in erster Hinsicht an mit der Strafverfolgung beauftragte Staatsorgane und erfasst nur Maßnahmen staatlicher Verfolgungsorgane der Bundesrepublik Deutschland. Eine Drittwirkung für nicht zu diesem Kreis gehörende Personen hat die Vorschrift des § 136a StPO grundsätzlich nicht. Eine entsprechende Anwendung des § 136a StPO kommt nach zutreffender herrschender Auffassung für von der Norm nicht direkt erfasste Dritte, wie insbesondere Privatpersonen, nur dann in Betracht, wenn solche Personen die betreffenden Erkenntnisse, um deren Verwertbarkeit es geht, unter besonders krassem Verstoß gegen die Menschenwürde zutage gefördert haben. Dazu zählen insbesondere die auch dem Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk. unterfallenden Foltermaßnahmen (vgl. für viele Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 48. Auflage 2005, Rz. 3 zu § 136a).

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu einer in Ausnahmefällen gebotenen entsprechenden Anwendung des § 136a StPO, wenn Privatpersonen unzulässige Vernehmungsmethoden anwenden (vgl. für viele BGH NStZ 1999, 147ff), sind nach Auffassung des Senates auch dann anwendbar, wenn Angehörige fremder Staaten sich solcher Vernehmungsmethoden bedienen. Eine entsprechende Anwendung des Beweisverwertungsverbotes des § 136a StPO auf die vorliegenden Zusammenfassungen von Aussagen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis käme deshalb hier in Betracht, sofern die übrigen Voraussetzungen einer Anwendung des § 136a StPO erfüllt wären. Dieses ist jedoch im Ergebnis nicht der Fall.

§ 136a StPO selbst regelt anders als Art. 15 des VN-Anti-Folter-Übk. nicht ausdrücklich die für die Feststellung eines Verbotsverstoßes anzuwendenden Beweisgrundsätze und -maßstäbe. Diese ergeben sich jedoch aus der Stellung der Norm in dem für inländische Strafprozesse geltenden Normengefüge sowie aus Sinn und Zweck des § 136a StPO. Wesentlich ist insoweit der Umstand, dass es in § 136a StPO um die Regelung von Verfahrensverstößen geht, die, wie grundsätzlich sämtliche Verfahrensvoraussetzungen und -hindernisse, zu ihrer Berücksichtigung erwiesen sein müssen. Ist ein Verstoß gegen ein Verwertungsverbot nicht erwiesen, ist die betreffende Aussage deshalb verwertbar (vgl. für viele BGHSt 16, 165, 167). Diese zutreffende Ansicht findet ihre Begründung vor allem darin, dass auf der Grundlage der gerichtlichen Verpflichtung zur Wahrheitserforschung die Nichtverwertbarkeit gegebener Beweismittel die Ausnahme sein muss und nicht zum Regelfall erhoben werden darf. Anders als bei den die Schuld bestimmenden Tatsachen gilt deshalb für die Feststellung des Vorliegens eines Beweisverbotes der Zweifelsgrundsatz "in dubio pro reo" nicht (BGH a.a.0., S. 167). Die das Beweisverbot begründenden Tatsachen müssen nach Durchführung der gebotenen freibeweislichen Aufklärung zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Bleiben erhebliche Zweifel, ist ein möglicher Verstoß nicht erwiesen und die betreffende Aussage verwertbar (vgl. Kleinknecht NJW 1966, 1537, 1544 ff).

So liegt es hier hinsichtlich eines auch von § 136a StPO erfassten etwaigen Einsatzes von Foltermaßnahmen gegen Binalshibh, Sheikh Mohammed und Ould Slahi. Wie bereits vorstehend zu Art. 15 VN-Anti-Folter-Übk. ausgeführt, gibt es zwar Anhaltspunkte für die Anwendung solcher Maßnahmen, jedoch andererseits auch dagegen sprechende Gesichtspunkte von erheblichem Gewicht, so dass der Senat den Einsatz solcher Maßnahmen im Ergebnis nicht als hinreichend eindeutig erwiesen ansieht. Soweit für die Personen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis über den Einsatz von Foltermaßnahmen hinausgehend als einen Verstoß gegen § 136a StPO begründend auch die Tatsache ihrer lang andauernden Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren und ohne Zugang zu einem Verteidiger sowie zu sonstigen externen Personen in Betracht kommt, liegt es gegenüber den möglichen Foltermaßnahmen zwar näher, diese Umstände als erwiesen anzusehen. Ob dies im Ergebnis anzunehmen wäre, kann jedoch dahin gestellt bleiben, da die oben bejahte entsprechende Anwendung des in § 136a StPO normierten Beweisverwertungsverbotes nach zutreffender Auffassung nur in Fällen besonders gewichtiger Menschenrechtsverletzungen in Betracht kommt. Dazu zählt die bloße Nichtgewährung von Freiheit und Außenkontakten sowie die Versagung eines geordneten Gerichtsverfahrens nach Auffassung des Senates jedenfalls nach dem hier anzunehmenden bisherigen Zeitraum von höchstens noch unter drei Jahren wie im Falle des im September 2002 festgenommenen Binalshibh noch nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die amerikanische Rechtsordnung diese Behandlung der Al Qaida-Mitglieder offenbar zulässt.

III. Die Verlesung und Verwertung der dem Senat von Seiten des amerikanischen Justizministeriums zugeleiteten Zusammenfassungen von Aussagen Ramzi Binalshibhs, Khalid Sheikh Mohammeds und Mohamad Ould Slahis ist nach allem hinsichtlich des gesamten Inhaltes der Zusammenfassungen zulässig. Nach Auffassung des Senates ist in dem vorliegenden Fall eine Verwertung der Zusammenfassungen der Aussagen Binalshibhs, Sheikh Mohammeds und Ould Slahis im Interesse einer bestmöglichen Sachverhaltsaufklärung sogar geboten, da es zumindest bei den Zusammenfassungen der Aussagen Binalshibhs und Sheikh Mohammeds um die Aussagen von Personen geht, die nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme an zentraler Stelle an den Planungen der Anschläge vom 11. September 2001 beteiligt waren. Der Senat ist sich dabei der Problematik des möglichen Einsatzes von Foltermaßnahmen bewusst und wird dieses bei der Würdigung der in den Zusammenfassungen enthaltenen Angaben berücksichtigen. Eine Legitimierung des Einsatzes von Foltermaßnahmen ist damit selbst unter Berücksichtigung des ungeheuren Ausmaßes der Attentate des 11. September 2001 nicht verbunden.

Ende der Entscheidung

Zurück