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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 30.06.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 118/09
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 308 Abs. 2
StPO § 309 Abs. 2
StPO § 451 Abs. 1
StPO § 454 Abs. 1
StPO § 458 Abs. 1
StGB § 57
1. Eine Aussetzung der Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe scheidet aus, wenn es an der Vollstreckbarkeit der Strafe fehlt.

2. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der zu einem Urteil oder einem Gesamtstrafenbeschluss erteilten Vollstreckbarkeitsbescheinigung (Rechtskraftbescheinigung), so haben Vollstreckungsbehörde und Vollstreckungs(beschwerde)gericht ausnahmsweise die Richtigkeit der Bescheinigung aufzuklären.

3. Das Beschwerdegericht ermittelt und entscheidet über die zweifelhaften Voraussetzungen (hier: Wirksamkeit einer Zustellung) der Rechtskraft des vollstreckungsgegenständlichen Urteils oder Gesamtstrafenbeschluss jedenfalls dann nicht inzidenter im Verfahren über die Reststrafenaussetzung selbst, wenn der Verurteilte bereits diesbezügliche Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben hat. Das spezielle Verfahren zur Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung nach § 458 Abs. 1 StPO hat insoweit Vorrang und hindert eine Sachentscheidung im Aussetzungsprüf- und zugehörigen Beschwerdeverfahren nach § 454 Abs. 1 StPO.


Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 118/09

In der Strafsache

hier betreffend Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 30. Juni 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder die Richterin am Oberlandesgericht Schlage den Richter am Landgericht Hammann

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 9, vom 12. Mai 2009 aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die darin erwachsenen notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Gegen den Verurteilten wird seit 10. Januar 2009 die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sieben Monaten aus einem Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 6. Mai 2005, der der Rechtskraftbescheinigung zufolge am 18. Mai 2005 rechtskräftig geworden sein soll, vollstreckt; der so genannte Zweidrittel-Termin ist auf den 28. Januar 2009 und das Strafende in dieser Sache auf den 9. August 2009 notiert. In die gemäß §§ 460 StPO, 55 StGB gebildete Gesamtfreiheitsstrafe sind Einzelfreiheitsstrafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Gießen vom 9. Juli 2002 (acht Monate Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis), einem Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 21. August 2002 (zehn Monate Freiheitsstrafe wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis) und aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach/Main vom 7. September 2004 (je vier Monate Freiheitsstrafe wegen Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung), der der Rechtskraftbescheinigung zufolge am 30. September 2004 rechtskräftig geworden sein soll, einbezogen.

Am 28. April 2009 hat der Verurteilte bei dem Amtsgericht Aschaffenburg "Einspruch" (gemäß § 300 StPO als nach § 462 Abs. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde zu behandeln) gegen den Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Mai 2005 eingelegt und zur Begründung u.a. ausgeführt, dieser Beschluss sei ihm nicht zugestellt worden und in ihm seien Strafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach/Main vom 7. September 2004, der ihm gleichfalls nicht zugestellt worden sei, einbezogen worden. Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde steht aus.

Am 29. April 2009 hat der Verurteilte bei dem Landgericht Hamburg, Strafvollstreckungskammer, auf "Prüfung der Strafvollstreckung und die Richtigkeit" sowie auf "diesbezüglich(e) Haftunterbrechung bis zur Klärung" angetragen; zur Begründung hat er angeführt, die Gesamtstrafenbildung durch Beschluss vom 6. Mai 2005 sei u.a. deshalb fehlerhaft, weil der Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach/Main mangels Zustellung und Kenntniserlangung nicht rechtskräftig sei. Die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg hat diesen an sie weitergeleiteten Antrag als auf § 455 Abs. 4 StPO (Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit) gestützt behandelt und mit Verfügung vom 19. Mai 2009 abgelehnt. Der Verurteilte hat dagegen am 28. Mai 2009 bei der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg "Beschwerde" eingelegt, die zu nicht in den Akten dokumentierter Zeit zum StVK-Heft des Landgerichts Hamburg gelangt ist; zur Begründung hat der Verurteilte u.a. ausgeführt, er habe einen auf § 458 StPO bezogenen Antrag gestellt gehabt, weil der Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Mai 2005 ihm ebenso wenig wie der Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach/Main vom 7. September 2004 zugestellt worden sei, und er begehre bis zur Klärung die Unterbrechung der Haft. Eine Entscheidung über diese "Beschwerde" steht aus.

Am 4. Mai 2009 hat der Verurteilte bei dem Amtsgericht Offenbach/Main Einspruch gegen den Strafbefehl vom "30." (gemeint: 7.) September 2004 eingelegt und u.a. angeführt, mangels Zustellung sei der Strafbefehl nicht in Rechtskraft erwachsen; zugleich hat er auf "Enthaftung" angetragen. Eine Entscheidung über den Einspruch steht aus.

Mit dem vorliegend angefochtenen Beschluss vom 12. Mai 2009 hat das Landgericht Hamburg, Strafvollstreckungskammer, den Antrag des Verurteilten vom 10. Februar 2009 auf Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 6. Mai 2005 gemäß § 57 Abs. 1 StGB abgelehnt. Gegen diesen der Verteidigerin am 14. Mai 2009 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte am 22. Mai 2009 (Tag nach Himmelfahrt) sofortige Beschwerde eingelegt und in der Begründung u.a. wiederum eine unterlassene Zustellung früherer Entscheidung geltend gemacht.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig (§ 454 Abs. 3 S. 1, 311 Abs. 2 StPO). Sie hat in der Sache vorläufigen Erfolg, weil die Vollstreckungsgrundlage ungeklärt ist und die diesbezügliche Klärung hier nicht im Beschwerdeverfahren über die Vollstreckungsaussetzung nachgeholt werden kann.

1. Die begehrte Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB setzt schon begrifflich voraus, dass die Freiheitsstrafe überhaupt vollstreckbar ist. Nach ihrer dogmatischen Stellung ist die Reststrafenaussetzung ein Akt der Strafvollstreckung (vgl. Hubrach in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 57 Rdn. 1) und unterliegt somit den allgemeinen Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen. Für diese bestimmt § 449 StPO, dass Strafurteile - und sie vertretende Gesamtstrafenbeschlüsse nach § 460 StPO (hierzu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 449 Rdn. 1) - nicht vollstreckbar sind, bevor sie rechtskräftig geworden sind.

Die Strafvollstreckung durch die Staatsanwaltschaft erfolgt auf Grund einer vom Urkundsbeamten der (gerichtlichen) Geschäftsstelle erteilten Vollstreckbarkeitsbescheinigung (§ 451 Abs. 1 StPO), die regelmäßig mit der Rechtskraftbescheinigung identisch ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 451 Rdn. 11). Zwar findet grundsätzlich eine Nachprüfung der Vollstreckbarkeitsbescheinigung durch die Vollstreckungsbehörde nicht statt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 451 Rdn. 18) und wird auch das Vollstreckungsgericht die Richtigkeit der Bescheinigung nicht zu überprüfen haben, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit vorliegen. Anders verhält es sich dann, wenn der Vollstreckungsbehörde oder dem Gericht gewichtige Anzeichen für den Nichteintritt der Rechtskraft vorliegen; die Vollstreckung darf erst betrieben werden, wenn diese Zweifel behoben sind (vgl. Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 8. Aufl., § 13 Rdn. 39; Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 451 Rdn. 41 m.w.N.).

2. Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist die Versagung der Aussetzung der Vollstreckung des Restes allein der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sieben Monaten aus dem Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 6. Mai 2005. Die Rechtskraft dieses Beschlusses ist nach Lage der dem Senat vorgelegten Akten zweifelhaft. Diese Zweifel zu klären ist hier dem nach § 458 Abs. 1 StPO vorgesehenen und durch den Verurteilten bereits beantragten Verfahren vorbehalten.

a) Der Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Mai 2005 ist auf Grund richterlicher Verfügung (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO) dem Verurteilten ausweislich der Postzustellungsurkunde am 10. Mai 2005 ersatzweise durch Einwurf in den zur Wohnung L... , gehörigen Briefkasten zugestellt worden.

aa) Die aus den Akten der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg, der Staatsanwaltschaft Offenbach/Main und der Strafvollstreckungskammer ersichtlichen bisherigen polizeilichen Ermittlungen sprechen eher dagegen, dass der Verurteilte am 10. Mai 2005 in L..... eine nach §§ 37 Abs. 1 StPO, 180 S. 1, 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO vorausgesetzte Wohnung bzw. Geschäftsräume innegehabt hat.

Wohnung ist diejenige Räumlichkeit, die der Zustellungsadressat zur Zeit der Zustellung tatsächlich für eine gewisse Dauer zum Wohnen benutzt. Die tatsächliche Benutzung ist nach verbreiteter Auffassung entbehrlich, wenn der Adressat unter dieser Anschrift seinen Schriftwechsel führt und seine Post dort abholt (vgl. zu allem Meyer-Goßner, a.a.O., § 37 Rdn. 8 m.w.N.). Der amtlichen Anmeldung oder dem Umstand, dass der Postzusteller die Räumlichkeiten als Wohnung des Adressaten bewertet hat, kommt - nur - Indizwirkung zu.

Das sich aus den Ermittlungen ergebende Aufenthaltsprofil erschüttert die Wohnungseigenschaft der Anschrift in L...... in Bezug auf den Verurteilten. Wohnhaft waren dort zweifelsfrei Mutter und ein Bruder des Verurteilten; wegen der Übereinstimmung des Familiennamens ist damit die Indizwirkung der vom Postzusteller vorgenommenen Bewertung als Wohnung auch des Verurteilten abgeschwächt. Für den Verurteilten selbst gilt nach Entlassung aus einer Hamburger Justizvollzugsanstalt am 11. Februar 2004 folgendes:

- Nach Auskunft seines damaligen Verteidigers vom 26. April 2004 war der Verurteilte nach der vorgenannten Haftentlassung nach G....... verzogen, ohne dort geladen werden zu können; der Kontakt zum Verurteilten war abgebrochen.

- Nach Auskunft des Magistrats der Stadt G...... vom 10. Mai 2004 war der Verurteilte in G..... nicht zu ermitteln.

- Einer Auskunft der Meldestelle beim Ortsamt Veddel-Rothenburgsort des Bezirksamts Hamburg-Mitte vom 4. Mai 2004 zufolge war der Verurteilte - zu nicht mitgeteilter Zeit - nach L.........., ............. verzogen.

- Nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes L...... vom 13. Juli 2004 war der Verurteilte dort mit Einzugsdatum 13. Februar 2004 für die U... L. gemeldet.

- Im Juli 2004 war dem damaligen Verteidiger dessen Auskunft zufolge der Aufenthaltsort des Verurteilten nicht bekannt.

- Einem Ermittlungsvermerk der Polizeiinspektion S................ vom 30. August 2004 zufolge war der Verurteilte unter der gelegentlich angegebenen Anschrift U.............., ..........., bei seinem Vater weder gemeldet noch tatsächlich aufhältlich, wie Observationen und weitere Überprüfungen ergeben hatten.

- Nach Ermittlungen der Polizeistation Gr.......... vom 16. September 2004 war der Verurteilte unter der Anschrift L........, U...... . .........., zwar gemeldet, hielt sich dort jedoch nicht auf; die dort wohnhaften Angehörigen - Mutter und ein Bruder - erteilten der Polizei keine Auskunft über den Aufenthaltsort des Verurteilten.

- Einem Ermittlungsbericht der Polizeistation Gr........ vom 24. November 2004 zufolge war die Meldeanschrift in L......... bis zum 15. September 2004 mehrfach aufgesucht und teilweise observiert worden, ohne dass der Verurteilte beobachtet worden wäre; einer Auskunft des Einwohnermeldeamtes zufolge war der Verurteilte nunmehr nach Unbekannt verzogen.

- Einem Ermittlungsvermerk der Polizeistation G....... Süd vom 6. Dezember 2004 zufolge wohnte der Verurteilte seit Jahren nicht unter einer gelegentlich angegebenen Anschrift in L..........-C..........., ................, war aber inzwischen unter der Anschrift O................, ..............., gemeldet.

- Ermittlungen des Polizeipräsidiums Sü.......... vom 20. Dezember 2004 ergaben, dass unter der Anschrift O..........., ............... .., ein Bruder des Verurteilten mit Lebensgefährtin und Kindern wohnhaft war, der Verurteilte dort aber zu keiner Zeit gewohnt hatte; die polizeiliche Überprüfung der räumlichen Verhältnisse ergab, dass Platz zur Aufnahme einer weiteren Person nicht vorhanden war. Der angetroffene Bruder hatte angegeben, der Verurteilte baue "sein Leben zurzeit neu auf".

- Die Staatsanwaltschaft T........... teilte unter dem 4. März 2005 mit, der Verurteilte sei wohnhaft in H....... (Österreich), straße 3, und in B (Österreich), , Gasthaus. Grundlage dieser Auskunft waren Ermittlungen des Gendarmeriepostens N anlässlich des Verdachts der Trunkenheit im Straßenverkehr und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 25. Dezember 2004, deren Ergebnis durch die österreichischen Behörden der Polizeiinspektion T im Januar 2005 übermittelt worden waren.

- Die für die Zeit vor der fraglichen Zustellung des Gesamtstrafenbeschlusses im Mai 2005 gegen eine Wohnung des Verurteilten in L sprechenden Indizien finden ihre Entsprechung für die Folgezeit. Nach Mitteilung des Bundeskriminalamtes vom 30. Januar 2006 hatte der Verurteilte anlässlich einer Polizeikontrolle in Österreich als Wohnanschrift S , , angegeben. Einer durch die Polizei S errichteten Urkunde vom 19. Mai 2006 zufolge war dem Verurteilten an diesem Tage eine Ladung in S , zugestellt worden. Einer Mitteilung des Bundeskriminalamtes vom 26. September 2006 zufolge war der Verurteilte erneut in Österreich durch Polizei angetroffen worden und hatte als Anschrift S , , angegeben. Entsprechendes gilt für eine Mitteilung des Bundeskriminalamtes vom Dezember 2006; zusätzlich ergab sich auf Grund der Ermittlungen österreichischer Behörden, dass der Verurteilte eine Gaststätte in S , betreibe. Nach Mitteilung des Bundeskriminalamtes vom Februar 2008 hatte die österreichische Polizei ermittelt, dass der Verurteilte ungemeldet in Sch , Straße 2, wohnte, wo er das Gasthaus " " betreibe. Die Polizei Si /ermittelte im April 2008, dass der Verurteilte seit 25. Februar 2008 in Le (Österreich), straße 2, gemeldet war. Verhaftet wurde der Verurteilte am 10. Januar 2009 bei Einreise auf dem Schienenweg von Österreich nach Deutschland.

bb) Ob der Verurteilte für den fraglichen Zeitraum vom Frühjahr 2005 sich in Schriftwechsel der Anschrift in L bediente, ist bisher ungeklärt. Anzeichen für eine Vorspiegelung solcher Wohnung ist die Absenderangabe, mit der der Verurteilte seinen mit dem 26. September 2004 datierten Einspruch gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach vom 7. September 2004 (von dem er somit entgegen seiner jetzigen wahrheitswidrigen Behauptung Kenntnis erlangt hatte) versehen hat.

Auch die Zustellung jenes Strafbefehls war am 15. September 2004 ausweislich der Postzustellungsurkunde ersatzweise durch Einwurf in den zur Wohnung L , gasse 13, gehörigen Briefkasten erfolgt. Die aus dem Einspruch ersichtliche Kenntniserlangung des Verurteilten von dem Strafbefehl kann Anzeichen dafür sein, dass auch in weiteren Zustellungsfällen der Verurteilte die unter der Anschrift der Mutter und des Bruders zugestellten Sendungen später tatsächlich erlangt hat; damit kommt eine Heilung eines möglichen Mangels der Zustellung vom 10. Mai 2005 gemäß §§ 37 Abs. 1 StPO, 189 ZPO in Betracht.

cc) Zutreffend hat bereits die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg am 30. Juni 2005 Zweifel an der Wirksamkeit der Zustellung des Gesamtstrafenbeschlusses vom 6. Mai 2005 geäußert, auf die der Richter des Amtsgerichts Aschaffenburg am 4. Juli 2005 allein mit der unbehelflichen Floskel "Ich gehe von einer wirksamen Zustellung und damit von einem rechtskräftigen Beschluss aus" erwidert hat.

Die Zweifel sind auch im Folgenden nicht ausgeräumt worden. Eine Entscheidung über die vom Verurteilten wiederholt erhobenen Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung aus dem Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Mai 2005 wegen auf fehlender Zustellung beruhenden Nichteintritts der Rechtskraft (§ 458 Abs. 1 StPO) ist bisher nicht ergangen.

b) Entgegen der Auffassung des Verurteilten ist für die Frage der Vollstreckung aus dem Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Mai 2005 bedeutungslos, ob der Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach/Main mangels wirksamer Zustellung nicht in Rechtskraft erwachsen ist.

Die Behauptung des Verurteilten, der Strafbefehl sei ihm nicht zugestellt worden und nicht zu seiner Kenntnis gelangt, ist - wie vorstehend aufgezeigt - wahrheitswidrig. Infrage steht allein, ob der den Einspruch als unzulässig verwerfende Beschluss des Amtsgerichts Offenbach/Main vom 16. Dezember 2004 in Rechtskraft erwachsen ist. Dessen Zustellung an den Verurteilten ist ausweislich der Postzustellungsurkunde am 18. Dezember 2004 wiederum ersatzweise durch Einwurf in den zur Wohnung L , gasse 13, gehörigen Briefkasten erfolgt. Allerdings ist parallel die Zustellung an den mit Vollmachtsurkunde zu den Akten legitimierten Verteidiger Rechtsanwalt Emmerich verfügt worden, wegen dessen Tod ein anderer Rechtsanwalt - dessen Funktion bisher unbekannt ist - am 21. Dezember 2004 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat.

Eine etwaig fehlende Rechtskraft der einbezogenen Einzelfreiheitsstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach/Main würde den Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg fehlerhaft machen, aber dessen Rechtskraft und damit dessen Eignung als Vollstreckungsgrundlage nicht beseitigen, solange die Anfechtung des Gesamtstrafenbeschlusses nicht zum Erfolg geführt hat.

c) Gemäß § 308 Abs. 2 StPO kann das Beschwerdegericht Ermittlungen anordnen oder selbst vornehmen. Gemäß § 309 Abs. 2 StPO trifft es bei Fehlerhaftigkeit des vorinstanziellen Beschlusses selbst die in der Sache erforderliche Entscheidung. Dieser Grundsatz erfährt eine Durchbrechung u.a., wenn ein unterbliebener Ermittlungsakt durch Gesetz einer anderen Instanz zugewiesen ist, z.B. eine zwingende mündliche Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer unterblieben ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 309 Rdn. 7 ff. m.w.N.).

Entsprechend verhält es sich, wenn zur Klärung einer Frage gesetzlich ein anderes Verfahren bestimmt ist. § 458 Abs. 1 StPO normiert ein eigenständiges Verfahren zur gerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit der Strafvollstreckung. Jedenfalls dann, wenn - wie hier der Beschwerdeführer unter Geltendmachung fehlender Rechtskraft wegen unterbliebener Zustellung des Gesamtstrafenbeschlusses - ein Verurteilter solche Einwendungen bereits erhoben hat, gebührt dem hierfür vorgesehenen Verfahren Vorrang vor einer nur inzident erfolgenden Prüfung der Zulässigkeit der Vollstreckung im Aussetzungsbeschwerdeverfahren. Das gilt schon deshalb, um widersprüchliche Entscheidungen der verschiedenen Gerichte zu vermeiden.

3. Die Rechtskraft der Vollstreckungsgrundlage ist schon objektiv zweifelhaft. Zudem hat der Verurteilte außerhalb des Aussetzungsprüf- und -beschwerdeverfahrens Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung aus dem Gesamtstrafenbeschluss u.a. bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Aschaffenburg und dem zuständigen Landgericht Hamburg erhoben. Über diese Einwendungen ist bisher nicht entschieden. Folglich ist wegen ungeklärter Vollstreckbarkeit des Gesamtstrafenbeschlusses kein Raum für eine Entscheidung über die Frage der Vollstreckungsaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB. Der gleichwohl die Aussetzung versagende Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist aufzuheben und die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

III.

1. Die Kostenentscheidung folgt § 467 Abs. 1 StPO.

2. Für das weitere Verfahren erteilt der Senat folgende Hinweise:

Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 458 Abs. 1 StPO wird die Strafvollstreckungskammer gegebenenfalls erneut in eine Prüfung der Aussetzungsfrage einzutreten haben, falls der Verurteilte seinen Aussetzungsantrag nicht wegen einer fehlenden materiellen Erfolgsaussicht - zumal der Verdacht einer während des gegenwärtigen Strafvollzuges am 2. April 2009 begangenen neuen Straftat (Verfahren 2411 Js 364/09 der Staatsanwaltschaft Hamburg; nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Hamburg St.Georg vom 15. Juni 2009) hinzugetreten ist - zurücknimmt.

Mit Hinblick auf das der Strafzeitnotierung zufolge alsbald am 9. August 2009 anstehende Strafende in dieser Sache wird das Verfahren über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung mit besonderer Beschleunigung zu betreiben sein.

Ende der Entscheidung

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