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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 04.08.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 180/06
Rechtsgebiete: JVE


Vorschriften:

JVEG § 9 Abs. 3 Satz 1
JVEG § 11 Abs. 1 Satz 2
Die Festsetzung des Stundensatzes des Dolmetscherhonorars auf 55 Euro in § 9 Abs. 3 Satz 1JVEG stellt eine abschließende Regelung dar, die Zuschläge auch bei besonderer Schwierigkeit der Dolmetscherleistung ausschließt. Auf eine analoge Anwendung des für Übersetzer geltenden § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG kann eine Erhöhung des Dolmetscherhonorars nicht gestützt werden.
Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 180/06 611 KLs 17/05 3003 Js 285/05

In der Strafsache

hier: Beschwerde des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Hamburg Az.: 5/2006,

betreffend Anhebung der Dolmetschergebühr

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 4. August 2006 durch

den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner die Richterin am Oberlandesgericht Schlage den Richter am Oberlandesgericht Stephani

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Bezirksrevisiors bei dem Landgericht Hamburg wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 11, vom 23. Mai 2006 dahin geändert, dass das Honorar der Dolmetscherin C. für den Verhandlungstag vom 26. Januar 2006 auf 495,00 € zuzüglich 16 % Mehrwertsteuer festgesetzt wird.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Strafverfahren sind die Angeklagten durch Urteil des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 11, vom 6. März 2006 als Mittäter wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und sexueller Nötigung - zum Teil unter Einbeziehung von Strafen aus anderen Urteilen - zu Freiheitsstrafen von 4 Jahren und 3 Monaten, 5 Jahren und 4 Jahren und 6 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Die antragstellende Dolmetscherin C. war in den Hauptverhandlungsterminen wie folgt tätig:

 26. Januar 200630. Januar 2006
Abfahrt: 09.05 UhrAbfahrt: 09.05 Uhr
Termin: 09.45 Uhr bis 17.30 UhrTermin: 09.45 Uhr bis 11.25 Uhr
Rückkehr: 18.00 Uhr = 8.55 StundenRückkehr: 11.55 Uhr = 2.50 Stunden

 7. Februar 200621. Februar 2006
Abfahrt: 09.05 UhrAbfahrt: 09.05 Uhr
Termin: 09.45 Uhr bis 11.25 UhrTermin: 09.45 Uhr bis 12.45 Uhr
Rückkehr: 11.55 Uhr = 2.50 Stunden Rückkehr: 13.15 Uhr = 4.10 Stunden

 28. Februar 20066. März 2006
Abfahrt: 09.05 UhrAbfahrt: 09.05 Uhr
Termin: 09.45 Uhr bis 12.35 UhrTermin: 09.45 Uhr bis 15.30 Uhr
Rückkehr: 13.55 Uhr = 4.50 StundenRückkehr: 16.00 Uhr = 6.55 Stunden

Gesamt: 30 Stunden 30 Min.

Am 26. Januar 2006, dem ersten Verhandlungstag, stand ein Saal mit Dolmetschersprechanlage nicht zur Verfügung. Im Hinblick darauf, dass für insgesamt drei Angeklagte, die zum Teil getrennt voneinander gehalten werden mussten, zu dolmetschen war, war dieser Hauptverhandlungstermin nach Bewertung der Kammer eigentlich nicht durchführbar. Da es bereits bei der Terminierung zu besonderen Problemen wegen der angespannten Terminslage eines der drei Verteidiger gekommen war und es sich zudem um eine dem besonderen Beschleunigungsgebot unterliegende Haftsache handelte, erklärte die Dolmetscherin sich bereit zu versuchen, trotz dieser Bedingungen zu dolmetschen. Dabei trat erschwerend weiter hinzu, dass die Verteidiger ausnahmslos die polnische Sprache als Muttersprache beherrschten und während der Tätigkeit der Dolmetscherin lebhafte Wortwechsel mit ihren Mandanten führten, denen - wie die Kammer festgehalten hat - "durch energische Zurechtweisungen des Vorsitzenden jeweils nur mühsam und unzulänglich entgegengetreten werden konnte". Die Dolmetscherin stand infolgedessen nicht nur vor dem Problem, sich gegenüber den drei Angeklagten verständlich zu machen; sie hatte wegen der durch die Angeklagten und ihre Verteidiger verursachten ständigen Geräuschkulisse zudem erhebliche Schwierigkeiten, den jeweils zu dolmetschenden Text überhaupt aufzunehmen und zu verstehen.

Mit Rechnung vom 22. März 2006 berechnete die Dolmetscherin ihre Vergütung wie folgt:

 9 Stunden x € 68,75 (+ 25%)€ 618,75
21,5 Stunden x € 55,00€ 1.182,50
+ (6x15km) = 90 km x € 0,30€ 27,00
Zwischensumme€ 1.828,25
+ 16 % MwSt.€ 292,52
Gesamt€ 2.120,77.

Zur Begründung des bezüglich des neunstündigen ersten Verhandlungstages geltend gemachten um 25% erhöhten Honorarbetrages führte die Dolmetscherin dabei aus, in Anlehnung an § 11 JVEG beantrage sie für diesen Tag einen erhöhten Stundensatz wegen der außerordentlich hohen Schwierigkeiten und außergewöhnlich belastenden Anforderungen, die an sie gestellt worden seien.

Der Kostenbeamte des Landgerichts erstattete unter dem 2. Mai 2006 auf diese Rechnung einen Gesamtbetrag von 1.977,22 €, nämlich auch bezüglich der neun Stunden des ersten Hauptverhandlungstages einen Stundensatz von nur 55,00 € ohne Zuschlag, unter Hinweis auf den "festen Stundensatz" nach § 9 Abs. 3 Satz 1 JVEG; § 11 JVEG finde analoge Anwendung nicht. Im Übrigen ließ der Kostenbeamte die Kostenrechnung der Dolmetscherin unbeanstandet; der Erstattungsbetrag von 1.977,22 € wurde angewiesen.

Am 9. Mai 2006 beantragte die Dolmetscherin gerichtliche Festsetzung ihrer Vergütung nach § 4 JVEG unter "Widerspruch gegen die Kürzung" und Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens.

Der Kostenbeamte schrieb den Antrag den Kammervorsitzenden zur Entscheidung zu. Mit Beschluss vom 23. Mai 2006 entschied die Kammer, dass die Dolmetschervergütung für den Verhandlungstag vom 26. Januar 2006 wie von der Dolmetscherin begehrt auf 618,75 € zuzüglich Mehrwertsteuer festzusetzen sei. Außerdem ließ die Kammer wegen der von ihr angenommenen grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob § 9 Abs. 3 Satz 1 JVEG in besonders gelagerten Fällen eine Ausnahme zulässt, die Beschwerde zu.

Am 3. Juli 2006 hat der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Hamburg für die Staatskasse gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 23. Mai 2006 Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluss insoweit aufzuheben, als für den Verhandlungstag vom 26. Januar 2006 mehr als 495,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer festgesetzt worden sind.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die Zulässigkeit der Beschwerde ergibt sich angesichts der durch das Landgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage erklärten Zulassung, an die der Senat jedenfalls gebunden ist, aus § 4 Abs. 3 JVEG. Da die Kammer - auch wenn möglicherweise formfehlerhaft, da ohne

Übertragung durch den Einzelrichter - vollbesetzt nicht durch den Einzelrichter entschieden hat, entscheidet der Senat in voller Besetzung (§§ 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG, 122 Abs. 1 GVG).

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil das Landgericht zu Unrecht eine Erhöhung des in § 9 Abs. 3 Satz 1 JVEG vorgesehenen Stundensatzes vorgenommen hat.

a) § 9 Abs. 3 Satz 1 JVEG lautet: " Das Honorar des Dolmetschers beträgt für jede Stunde 55,00 €." Nach diesem eindeutigen Gesetzeswortlaut findet eine Anhebung des Stundensatzes unabhängig von der Schwierigkeit der Dolmetscherleistung nicht statt. Auch im Übrigen ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmungen des JVEG nichts Abweichendes (s. dazu Meyer/Höver/Bach, JVEG, 23. Aufl., § 9 Rn. 9.9).

b) Die von der Kammer vorgenommene analoge Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG scheidet aus.

aa) Bereits die Rechtsfolgen des § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG tragen eine Analogie nicht. § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG lautet: " Ist die Übersetzung, insbesondere wegen der Verwendung von Fachausdrücken oder wegen schwerer Lesbarkeit des Textes, erheblich erschwert, erhöht sich das Honorar auf 1,85 €, bei außergewöhnlich schwierigen Texten auf 4,-- €." Auch § 11 Abs. 1 Satz 2 JVEG legt somit für den Übersetzer jeweils feste Honorarsätze fest und sieht prozentuale Zuschläge nicht vor. § 11 Abs. 3 JVEG verdeutlicht, dass der Sonderregelung für Übersetzer (zu dieser Hartmann, Kostengesetze, 36. Auflage, § 9 Rn. 29) Verallgemeinerungsfähigkeit insoweit nicht zukommt. Soweit die Leistung des Übersetzers in der Überprüfung von Schriftstücken oder Aufzeichnungen der Telekommunikation auf bestimmte Inhalte besteht, ohne dass er insoweit eine schriftliche Übersetzung anfertigen muss, erhält er nach dieser Bestimmung gerade ein (zumeist höheres) Honorar wie ein Dolmetscher (dazu Hartmann a.a.O.).

bb) Voraussetzung einer Analogie wäre im Übrigen das Bestehen einer gesetzlichen Regelungslücke, die nach der aus der gesetzlichen Regelung zu entnehmenden Wertentscheidung in gleicher Weise Regelung erheischt wie der gesetzlich geregelte Sachverhalt. Die teleologische Auslegung ergibt hier weder objektiv noch nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers eine Regelungslücke. Die Auslegung zumal vor dem Hintergrund der Ziel- und Zweckvorstellungen des historischen Gesetzgebers, denen bei einem "neuen" Gesetz angesichts der richterlichen Bindung an Gesetz und Recht nach Artikel 20 Abs. 3 GG ohnedies ausschlaggebende Bedeutung zukommt, weist auf, dass der durch das JVEG getroffenen Neuregelung ein Strukturmodell zugrunde liegt, das sich seiner Konzeption nach trennscharf und systematisch geschlossen von dem früheren Rechtszustand abhebt. Dies ergibt die Auswertung der Gesetzesmaterialien:

In dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP (BT-Drs. 15/1971), der als Entwurf auch das JVEG vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718) enthielt, heißt es einführend auf Seite 2: "Das den heutigen Verhältnissen nicht mehr entsprechende Entschädigungsprinzip bei Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern soll durch ein neues leistungsgerechtes Vergütungsmodell ersetzt werden, das an dem Bild der selbständig und hauptberuflich Tätigen orientiert ist. Die Leistungen, die von Sachverständigen erbracht werden, sollen Honorargruppen mit festen Stundensätzen zugeordnet werden. Damit wäre ein Wegfall der häufig komplexen und daher konfliktanfälligen Ermittlung des Stundensatzes innerhalb des durch das geltende Recht vorgegebenen Entschädigungsrahmens und ein Wegfall der Prüfung der nach geltendem Recht zu erfüllenden Voraussetzungen für die Gewährung eines Zuschlags verbunden."

Zum JVEG wird dort ausgeführt: "Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung sieht § 9 Abs. 1 JVEG-E in Verbindung mit der Anlage 1 als Kernstück der Reform die Zuordnung der Leistungen, die von Sachverständigen erbracht werden, zu verschiedenen Honorargruppen mit festen Stundensätzen vor. Dieses Honorargruppensystem soll an die Stelle des bislang in § 3 ZuSEG festgeschriebenen Systems einer Rahmenentschädigung mit Zuschlagsmöglichkeiten treten, das den heutigen Anforderungen nicht mehr genügt und Anlass für die allseits beklagten Unwägbarkeiten und Streitigkeiten im Bereich der Entschädigung von Sachverständigen und Dolmetschern ist. § 9 JVEG-E ordnet die am häufigsten nachgefragten Sachgebiete der Tätigkeit von Sachverständigen den einzelnen Honorargruppen zu und schlägt zugleich für die Vergütung von Dolmetschern - aus Gründen der besseren Anwendbarkeit ohne Differenzierung nach Sprachen oder dem Schwierigkeitsgrad der Sprachmittlung im konkreten Einzelfall - einen zukünftig maßgeblichen Stundensatz von 55,-- € vor. .. Die Einführung des Gruppenmodells mit festen Stundensätzen soll nicht nur die nach bisherigem Recht komplexe Ermittlung des Stundensatzes innerhalb des Entschädigungsrahmens nach § 3 Abs. 2 ZuSEG ersetzen, dessen Höhe nach den häufig für den Kostenbeamten, aber auch für den Richter im Festsetzungsverfahren nur sehr schwierig zu beurteilenden Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu bemessen ist. Als weitere wesentliche strukturelle Änderung soll sie vielmehr auch den Wegfall der gesonderten Zuschläge mit sich bringen, die das geltende Recht ... im Einzelfall ... vorsieht. Die Auslegung dieser unscharfen Tatbestandsvoraussetzungen, der Nachweis der für ihre Annahme maßgeblichen Umstände sowie die Bandbreite des Zuschlags (bis zu 50%) haben in der Vergangenheit häufig zu Auseinandersetzungen zwischen den Sachverständigen und Dolmetschern einerseits und den Festsetzungsstellen andererseits sowie zu einer in vielen bedeutsamen Einzelfragen sehr unterschiedlichen Festsetzungspraxis der Gerichte, damit zu Rechtszersplitterung, Rechtsunsicherheit und individuell empfundenen Ungerechtigkeiten geführt" (a.a.O., S. 142 f.; ähnlich a.a.O., S. 182).

"Mit den vorgeschlagenen festen Stundensätzen könnte das Honorar für die Leistung eines Sachverständigen oder Dolmetschers zukünftig - anders als auf der Grundlage des gegenwärtig anzuwendenden Entschädigungsrahmens gemäß § 3 Abs. 2 ZuSEG - verhältnismäßig leicht und schnell ermittelt werden. Aufwendige gerichtliche Festsetzungsverfahren und Streitigkeiten mit Sachverständigen und Dolmetschern über die Höhe des Honorars, wie sie leider heute die kostenrechtliche Praxis in nicht unerheblichem Umfang prägen, würden somit künftig weitgehend vermieden werden" (a.a.O., S. 182). Auch zu § 11 JVEG heißt es: "Die Vorschläge würden zu einer Umstellung von den bisher in § 17 Abs. 3 ZuSEG bestimmten Rahmenentschädigungen auf Vergütungsfestbeträge führen" (a.a.O., S. 183).

Aus allem erhellt, dass der Kernpunkt der gesetzgeberischen Neuregelung des Gebührenssystems insoweit gerade darin bestand, bei der Honorarberechnung Differenzierungen nach Schwierigkeitsgrad des Dolmetschens und Rahmenentschädigungen mit Zuschlagsmöglichkeiten auszuschließen und stattdessen - für Dolmetscher - einen abschließenden Festbetragssatz festzulegen. Dieses Strukturmodell entspricht konsequent dem gesetzgeberisch zugrunde gelegten Bild des selbständig und hauptberuflich tätigen Dolmetschers, bei welchem nach dem Umfang seiner professionellen Tätigkeit Belastungsschwankungen im zeitlichen Verlauf per Saldo zu einem Ausgleich gelangen werden. Die unsystematischen verkürzt am Einzelfall orientierten Billigkeitserwägungen des Landgerichts berechtigen als den gesetzgeberischen Wert- und Grundsatzentscheidungen diametral zuwiderlaufend nicht dazu, die durchdachte gesetzgeberische Sachentscheidung im Wege der Analogie hinfällig zu machen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Ende der Entscheidung

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