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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 06.11.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 196/02
Rechtsgebiete: StGB, GVG


Vorschriften:

StGB § 57
StGB § 66 Abs. 1
StGB § 67 c Abs. 1
GVG § 78 b Abs. 1 Nr. 1
Zur Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe ist bei anschließend notierter Sicherungsverwahrung die "große" Strafvollstreckungskammer jedenfalls dann zuständig, wenn Strafe und Maßregel in derselben Sache angeordnet worden sind.
Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 196/02

In der Strafsache

hier betreffend Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 6. November 2002 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder

den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner

den Richter am Amtsgericht Dr. Steinmann

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 9, vom 29. August 2002 aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Schwerin vom 4. Februar 1994 wegen schwerer räuberischer Erpressung in vier Fällen sowie schweren Raubes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub, und schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden; außerdem ist in dem Urteil die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers angeordnet worden. Seit dem 13. August 2002 wird das letzte Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt. Im Anschluss ist für die Zeit vom 13. August 2006 bis 12. August 2016 die Sicherungsverwahrung notiert. Die Strafe wird verbüßt in der Justizvollzugsanstalt Am Hasenberge in Hamburg.

Die von dem Verurteilten begehrte Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB hat das Landgericht Hamburg in der Besetzung mit einem Richter nach § 78 b Abs. 1 Nr. 2 GVG in dem angefochtenen Beschluss vom 29. August 2002 abgelehnt. Gegen diesen am 3. September 2002 ihm zugestellten Beschluss hat der Verurteilte mit am 4. September 2002 bei dem Landgericht eingegangenem Schreiben sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die nach den §§ 454 Abs. 3 S. 1, 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache vorläufigen Erfolg.

1. Das Landgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung nach § 78 b Abs. 1 Nr. 2 GVG in der Besetzung mit einem Richter (dem Kammervorsitzenden) als "kleine" Strafvollstreckungskammer entschieden, obwohl funktionell zuständig nach § 78 b Abs. 1 Nr.1 GVG die "große" Stafvollstreckungskammer in der Besetzung mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden war.

Nach § 78 b Abs. 1 GVG (in der Fassung des Gesetzes zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung - SichVG - vom 16. Juni 1995) sind die Strafvollstreckungskammern besetzt:

(1.) in Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden,

(2.) in den sonstigen Fällen mit einem Richter.

Um ein Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 78 b Abs. 1 Nr. 1 GVG handelte es sich auch vorliegend, weil das Verfahren betreffend die von dem Verurteilten begehrte Aussetzung der zeitigen Restfreiheitsstrafe gleichzeitig ein Verfahren über die Aussetzung der (entsprechend § 67 Abs. 1 StGB anschließend notierten) Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung darstellte und im Verbund mit der Entscheidung über die Reststrafaussetzung zugleich über die Frage der Aussetzung der Sicherungsverwahrung zu befinden war.

2. Das Bestehen eines Entscheidungsverbundes folgt aus der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrer historischen sowie teleologischen Auslegung im strafprozessualen und materiell-strafrechtlichen Systemzusammenhang.

a) Die historische Auslegung anhand der Entstehungsgeschichte des § 78 b Abs. 1 GVG und der Gesetzesmaterialien ergibt, dass ebenso wie der vorstehend angeführte Wortlaut der Vorschrift auch der gesetzgeberische Wille einem Verbund der Aussetzungsentscheidungen über Reststrafe und Sicherungsverwahrung nicht entgegen steht.

Der mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 neu in das Gerichtsverfassungsgesetz eingefügte § 78 b hatte in seinem Absatz 1 ursprünglich folgenden Wortlaut:

Die Strafvollstreckungskammer ist besetzt mit einem Richter, wenn der zu treffenden Entscheidung eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zugrunde liegt, mit drei Richtern mit Einschluss des Vorsitzenden in den sonstigen Fällen (BGBl I 520; ebenso in der Fassung der Bekanntmachung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 9. Mai 1975, BGBl I 1090).

Durch das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung Strafvollzugsgesetz (StVollzG) - vom 16. März 1976 erhielt § 78 b Abs. 1 GVG folgenden Wortlaut:

Die Strafvollstreckungskammer ist besetzt

(1.) bei den Entscheidungen nach § 78 a Abs. 1 Nr. 1 mit einem Richter, wenn der zu treffenden Entscheidung eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zugrunde liegt; mit drei Richtern mit Einschluss des Vorsitzenden in den sonstigen Fällen,

(2.) ... (BGBl I 604).

Entscheidungen nach § 78 a Abs. 1 Nr. 1 GVG waren die Entscheidungen nach den §§ 462 a, 463 der StPO, soweit sich nicht aus der Strafprozessordnung etwas anderes ergibt (BGBl a.a.O.).

Durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 erhielt § 78 b Abs. 1 GVG folgende Fassung:

Die Strafvollstreckungskammern sind besetzt

(1.) in Verfahren über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus mit drei Richtern unter Einschluss des Vorsitzenden,

(2.) in den sonstigen Fällen mit einem Richter (BGBl I 52).

Durch das Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung (SichVG) vom 16. Juni 1995, welches die Wörter "im psychiatrischen Krankenhaus" durch die Wörter "in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung" ersetzte (BGBl I 818), erlangte § 78 b Abs. 1 GVG sodann die heute gültige Fassung.

Für die Bestimmung des gesetzgeberischen Willens zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von "großer" und "kleiner" Strafvollstreckungskammer maßgeblich sind danach die Intentionen des Rechtspflegeentlastungsgesetzes vom 11. Januar 1993. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich hierzu Folgendes:

Der zugrunde liegende Gesetzentwurf des Bundesrates vom 27. September 1991 (BT-Drs. 12/1217), dem die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zugestimmt (a.a.O. S.70) und der in das Rechtspflegeentlastungsgesetz vom 11. Januar 1993 unverändert Eingang gefunden hat, hatte wegen der Erweiterung der Bundesrepublik Deutschland um fünf neue Länder und der besonderen Belastung der Justiz im geeinten Deutschland alle Möglichkeiten zu einer Vereinfachung und Straffung der Gerichtsverfahren ausschöpfen wollen und dazu u.a. den verstärkten Einsatz des Einzelrichters in den Gerichtsbarkeiten vorgesehen. Auch die Strafvollstreckungskammern sollten deshalb in weiterem Umfang mit einem Richter besetzt sein (a.a.O. S. 19).

Weiter hieß es (a.a.O. S. 48 zu Art. 4, Nr. 6):

Der Entwurf schlägt in der Form eines Zeitgesetzes ... vor, dass die Strafvollstreckungskammern grundsätzlich durch einen Richter entscheiden ... Eine Ausnahme von der Besetzung mit einem Richter ist für die besonders schwierigen Fälle vorgesehen, in denen über die Aussetzung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder die Aussetzung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus zu befinden ist ...

Durch das Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung (SichVG) vom 16. Juni 1995 wurde sodann auch die Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung der mit drei Richtern besetzten Strafvollstreckungskammer vorbehalten, weil diese Entscheidung von ihrer Bedeutung und der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage her den Entscheidungen über die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus "durchaus gleichwertig", "oft sogar schwieriger als in den Fällen des § 63 StGB" sei (Begründung zu dem insoweit später unverändert Gesetz gewordenen Entwurf eines Gesetzes zur Rechtsvereinheitlichung bei der Sicherungsverwahrung - SichVG - des Bundesrates vom 21. Dezember 1994, BT-Drs. 13/116, S. 6 zu Art. 2; ebenso die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf, a.a.O. S. 7: Die vorgeschlagene Änderung erscheine im Hinblick auf die Parallele zu der dem mit drei Richtern besetzten Spruchkörper bereits zugewiesenen Entscheidung über die Aussetzung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus sachgerecht).

Eine ausdrückliche oder konkludente Behandlung und Erörterung der vorliegend in Rede stehenden Verbundproblematik findet sich nach allem in den Gesetzesmaterialien nicht; das Problem ist vielmehr nicht als solches gesehen worden.

Zwar ging der Wille der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe dahin, im Rahmen eines Zeitgesetzes die Besetzung der Spruchkörper auch der Strafvollstreckungskammern grundsätzlich auf den Einzelrichter der "kleinen" Strafvollstreckungskammer zu reduzieren; die für "besonders schwierig" erachteten Fälle - zunächst nur jene der lebenslangen Freiheitsstrafe und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, später (nach dem SichVG vom 16. Juni 1995) auch die der Sicherungsverwahrung - hingegen sollten der Dreierbesetzung der "großen" Strafvollstreckungskammer vorbehalten bleiben; hinsichtlich der ausdrücklich so bezeichneten "besonders schwierigen Fälle" sollte eine Änderung des bis dahin geltenden Rechtszustandes - Zuständigkeit der "großen" Strafvollstreckungskammern - nicht eintreten.

Demgemäß ist unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (BTDrs. 12/1217 vom 27. September 1991, S. 48 zu Nr. 6) in der Rechtsprechung auch bisher schon entschieden worden, dass in allen Fällen, in denen - aus welchen Gründen auch immer - über die Frage des Fortbestandes oder des Wegfalls der - der Sicherungsverwahrung parallel gelagerten - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ausdrücklich oder incidenter zu entscheiden ist, die Strafvollstreckungskammer mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt sein muss (OLG Hamm, NStZ 1994, 207 und ähnlich bereits NStZ 1994, 146): Nach Sinn und Zweck des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 GVG unterliege es keinem Zweifel, dass zum "Verfahren über die Aussetzung" der Vollstreckung der Unterbringung auch alle weiteren mit der Aussetzung (d.h. der Frage, ob die Maßregel weiter vollstreckt wird oder nicht) im Zusammenhang stehenden Entscheidungen und somit insbesondere auch die über die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge oder die Erledigung der Unterbringung gehörten, denn durch diese Entscheidungen werde, wenn auch nicht unmittelbar, so doch - mit derselben Auswirkung - incidenter die Frage der Fortdauer des Vollzuges der Unterbringung berührt.

Dem hat sich die Kommentarliteratur fast ausnahmslos angeschlossen: Über den Wortlaut der Nr. 1 des § 78 b Abs. 1 GVG hinaus sei die "große" Strafvollstreckungskammer auch für die mit den dort genannten Verfahren verbundenen nachträglichen Entscheidungen zuständig; dazu gehörten der Widerruf der Aussetzung zur Bewährung nach § 453 StPO, die Aufhebung der Aussetzung nach § 454 a Abs. 2 StPO, die Unterbrechung nach § 454 b Abs. 2 StPO, die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 3 StGB sowie die Entscheidung über die Erledigung der Maßregel (Löwe-RosenbergSiolek, StPO, 25. Aufl., § 78 b GVG Rdn. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 78 b GVG Rdn. 5; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl., § 78 b GVG Rdn. 2, der überdies die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel nach § 67 a Abs. 2 StGB bei Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anführt; a.A. wohl Kissel, GVG, 3. Aufl., § 78 b Rdn. 4).

Sofern hierzu einschränkend angeführt wird, soweit neben lebenslanger Freiheitsstrafe oder der Unterbringung nach §§ 63, 66 StGB noch eine andere zeitige Freiheitsstrafe oder sonstige freiheitsentziehende Maßregel vollstreckt werde, sei für diesbezügliche Entscheidungen dagegen allein die "kleine" Strafvollstreckungskammer zuständig, denn die frühere Regelung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 3 a.F. ("Gesamtzuständigkeit" der "großen" Strafvollstreckungskammer) sei in die geltende Fassung nicht übernommen worden (so ausdrücklich Siolek und Kleinknecht/Meyer-Goßner, jeweils a.a.O.; ähnlich Kissel, a.a.O.), wird hierbei ohne weitere inhaltliche Erörterung allein auf formale äußerliche Gesichtspunkte des Gesetzgebungsverfahrens abgehoben. Dass es an der dabei zugrunde gelegten bindenden Entscheidung des historischen Gesetzgebers indes fehlt, ist vorstehend bereits ausgeführt worden. Eine dem gesetzgeberischen Willen zuwiderlaufende "Gesamtzuständigkeit" der "großen" Strafvollstreckungskammer wird durch die Miterfassung der in Rede stehenden Fälle des Entscheidungsverbundes nicht bewirkt; vielmehr sind unter letzteren lediglich - insofern in Übereinstimmung mit der Wertung des historischen Gesetzgebers - "besonders schwierige" Ausnahmefälle begriffen.

b) Die sonach bestehende "Lücke" im realen Willen des historischen Gesetzgebers schließt sich aus dem Gesamtsystem des formellen und materiellen Strafrechts. Die im Zusammenhang stehenden Vorschriften des Strafprozessrechts (§§ 462 a Abs. 1 i.V.m. 463 Abs. 1, Abs. 6 und 454 b Abs. 3 i.V.m. 463 Abs. 1 StPO; dazu nachstehend lit. aa)) ebenso wie die maßgeblichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (§§ 57, 67 c Abs. 1 StGB; dazu nachstehend lit. bb)) erheischen nach ihrem Sinnzusammenhang in Fällen der vorliegenden Art eine Verbundentscheidung im Sinne der Gleichzeitigkeit und inhaltlichen Einheitlichkeit der Entscheidung sowie der Einheitlichkeit des Entscheidungsträgers. Da materiellrechtlich nicht allein über die Aussetzung der Freiheitsstrafe, sondern zugleich über die Aussetzung der (in derselben Sache angeordneten) Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, muss die Entscheidung in derselben Besetzung der Strafvollstreckungskammer ergehen.

aa) Der Gedanke der Entscheidungskonzentration beherrscht bereits an sich das strafprozessuale Vollstreckungsrecht im Bereich der Freiheitsstrafen und Maßregeln. Die Konzentrationsmaxime findet insbesondere Ausdruck in den §§ 462 a Abs. 1, 463 Abs. 1, Abs. 6 StPO, die im Falle der Vollstreckung von Freiheitsstrafen oder Maßregeln der Besserung und Sicherung die sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für grundsätzlich alle einen Verurteilten betreffenden nachträglichen und Vollstreckungsentscheidungen vorsehen (siehe dazu die §§ 453, 454, 454 a, 462 StPO). Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, sämtliche in den genannten Vorschriften in Rede stehenden Entscheidungen bei besonders erfahrenen entscheidungsnahen Gerichten zu konzentrieren und in eine Hand zu legen (vgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 462 a StPO Rdn. 1). Der danach im Verhältnis verschiedener Gerichte untereinander maßgebliche Konzentrationsgedanke strahlt, wenngleich abgeschwächt, seinem Sinngehalt nach aus auch auf die funktionelle Zuständigkeit innerhalb der Strafvollstreckungskammer selbst; er widerstrebt der Aufsplitterung einheitlicher Sachentscheidungen auf verschiedene Spruchkörper mit insbesondere der Folge, dass über die Frage der Entlassung aus dem Vollzug nebeneinander sowohl die "kleine" als auch die "große" Strafvollstreckungskammer zu entscheiden hätten.

Die Einheitlichkeit der Entscheidung - als Handlungsvorgabe in Gestalt der Gleichzeitigkeit (in der Hand desselben Entscheidungsträgers) - beherrscht als Grundgedanke das strafprozessuale Vollstreckungsverfahren insbesondere weiter im hier in Rede stehenden Bereich der Aussetzung der Vollstreckung. § 454 b Abs. 3 StPO, der über § 463 Abs. 1 StPO sinngemäß auch für die Maßregelvollstreckung gilt, ordnet deshalb an, dass bei unterbrochener Vollstreckung und darauf folgender Anschlussvollstreckung sämtliche Aussetzungsentscheidungen erst dann ergehen, wenn über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste aller Strafen bzw. der Maßregeln gleichzeitig entschieden werden kann (bzw. die Maßregel vollzogen ist; siehe im Einzelnen §§ 67 ff. StGB).

bb) Aus den §§ 57 Abs. 1, 67 c Abs. 1 StGB als materiell-rechtlicher Entscheidungsgrundlage folgt maßgebend, dass bei Entscheidungen über die Reststrafaussetzung im Falle zeitiger Freiheitsstrafe einheitlich und gleichzeitig auch über die Aussetzung der Vollstreckung der zudem notierten Maßregel der Sicherungsverwahrung zur Bewährung entschieden werden muss.

Aus dem wesentlichen Zweck der bedingten Entlassung nach § 57 StGB folgt, dass diese grundsätzlich dem Verurteilten die Freiheit verschaffen soll. Schließen sich an die Strafvollstreckung freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und (hier:) Sicherung an, so kommt die Aussetzung des Strafrestes nicht in Frage, es sei denn, dass zugleich gemäß § 67 c Abs. 1 StGB die Aussetzung des Maßregelvollzugs angeordnet wird (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 26. Aufl., § 57 Rdn. 19; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 57 Rdn. 11, § 67 c Rdn. 3 a; OLG Stuttgart MDR 1975, 241 ausdrücklich für die Sicherungsverwahrung, OLG Frankfurt, NJW 1980, 2535, 2536; jedenfalls für die Sicherungsverwahrung auch Leipziger Kommentar-Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 57 Rdn. 22; ferner Mrozynski, JR 1983, 183, 138 f).

Allerdings wird die zu stellende Prognose regelmäßig negativ ausfallen; dies muss aber nicht stets und ausnahmslos der Fall sein. Ist ausnahmsweise eine günstige Prognose gegeben, so ist zugleich mit der Reststrafaussetzung nach § 67 c Abs. 1 StGB die Aussetzung der Unterbringung (auch in der Sicherungsverwahrung) anzuordnen, denn es ist mit den Zwecken des Rechtsfolgensystems im Ganzen unvereinbar, zwar die umfassenderen - Voraussetzungen der Aussetzung des Strafrestes zu bejahen, dessen ungeachtet aber gleichwohl eine weitere Unterbringung - obwohl diese engere Voraussetzungen (nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB u.a. den Hang zu erheblichen Straftaten) aufweist - für erforderlich zu halten (siehe dazu Lackner-Kühl, StGB, 24. Aufl., § 57 Rdn. 21). Mit einer günstigen Täterprognose ist die Annahme, dass der Zweck der Maßregel die Unterbringung erfordert, schlechterdings unvereinbar (OLG Frankfurt, a.a.O.; Mrozynski, a.a.O.). Gleichermaßen wäre es widersinnig, den bewährungswürdigen Verurteilten aus der Strafhaft vorzeitig in die (wie hier) auf derselben Verurteilung beruhende Sicherungsverwahrung zu entlassen. "Kann die Bewährungsprobe nach § 26 Abs. 1 StGB (jetzt: § 57 Abs. 1 StGB) verantwortet werden, so erfordert auch der Zweck der Sicherungsverwahrung, die Allgemeinheit (vor dem Verurteilten) zu schützen, seine Unterbringung nicht mehr. Mit der positiven Entscheidung nach § 26 Abs. 1 (57 Abs. 1) StGB ist daher zugleich entschieden, dass die Sicherungsverwahrung nicht vollstreckt werden darf. Divergierende Entscheidungen sind hier nicht möglich" (OLG Stuttgart, a.a.O.).

Die danach zur Vermeidung divergierender Entscheidungen gleichzeitig erforderliche Prüfung vorzunehmen, ob der Zweck einer angeordneten freiheitsentziehenden Maßregel die Unterbringung noch weiterhin erfordert, ist das Gericht im Fall des Vorwegvollzugs einer mit der Maßregel zugleich verhängten Freiheitsstrafe - was bei Sicherungsverwahrung notwendigerweise immer der Fall ist deshalb nach § 67 c Abs. 1 StGB stets auch verpflichtet (siehe dazu Stree, a.a.O., § 67 c Rdn. 2; SK-Horn, StGB, § 67 c Rdn. 2).

Demgemäß ist die obergerichtliche Rechtsprechung schon immer davon ausgegangen, dass über die Aussetzung von Maßregel und Strafrest einheitlich zu entscheiden ist und die Entscheidung über die Aussetzung von Reststrafe und Maßregel nur einheitlich ausfallen kann (OLG Neustadt, NJW 1956, 70; OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; KG NStE Nr. 3 zu § 67 c StGB = NStZ 1990, 54; HansOLG Hamburg, MDR 1975, 70 und JR 1977, 515, 516; siehe dazu ferner LK-Horstkotte, StGB, 10. Aufl., § 67 c Rdn. 41; Mittelbach JR 1956, 165, 169).

Unentschieden bleiben kann dabei, ob dies auch dann gilt, wenn Freiheitsstrafe und Maßregel nicht (wie vorliegend) durch dasselbe Erkenntnis verhängt worden sind, sondern auf verschiedenen Vollstreckungsgrundlagen beruhen (siehe dazu nur - bejahend - HansOLG Hamburg, MDR 1975, 70; a.A. Stree, a.a.O., § 67 c Rdn. 3 m.w.N.).

Ebenso kann vorliegend dahinstehen, ob die Frage der Aussetzung von Reststrafe und Unterbringung (Sicherungsverwahrung) der Sache und der Gesetzessystematik nach stets in einer Entscheidung - einem Beschluss - zu erfolgen hat (so OLG Hamm, MDR 1977, 334).

In jedem Fall bannt allein die gleichzeitige inhaltlich einheitliche Entscheidung durch denselben Spruchkörper die Gefahr sich gegenseitig widersprechender Erkenntnisse, nämlich einer erfolgenden Reststrafaussetzung durch den Einzelrichter, aber die Vollstreckung nicht aussetzenden Unterbringungsentscheidung durch die gesamte Kammer bzw. der Aussetzung der Unterbringung durch die gesamte Kammer, aber weiteren Strafvollstreckung aufgrund Entscheidung des Einzelrichters; besonders Ersteres wäre im Hinblick auf die engeren Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sachlich unerträglich.

3. Als einheitlich zuständiger Spruchkörper für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung in der Sicherungsverwahrung kommt aber nur die "große" Strafvollstreckungskammer in der Besetzung mit drei Richtern in Betracht. Die von der "kleinen" Strafvollstreckungskammer erlassene angefochtene Entscheidung ist daher durch einen nach § 78 b Abs.1 Nr. 1 GVG unzuständigen Richter ergangen.

III.

Der Verfahrensfehler des Landgerichts führt zur Zurückverweisung. Allerdings erlässt das Beschwerdegericht bei fehlerhaftem Beschluss der Vorinstanz grundsätzlich die in der Sache erforderliche Entscheidung selbst (§ 309 Abs. 2 StPO). Eine Zurückverweisung an die Vorinstanz erfolgt jedoch ausnahmsweise dann, wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, den das Beschwerdegericht nicht beheben kann bzw. der so schwer wiegt, dass von einer ordnungsgemäßen Justizgewährung nicht mehr gesprochen werden kann, z.B. bei funktioneller Unzuständigkeit wegen Entscheidung eines Spruchkörpers in zahlenmäßig zu geringer Besetzung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 309 StPO Rdn. 6 - 8, § 78 b GVG Rdn. 8; BGHSt 38, 312 ff.).

Um einen derart schweren Verfahrensfehler handelt es sich auch bei dem hier vorliegenden Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Besteht die fehlerhafte Besetzung nämlich in der zahlenmäßigen Zusammensetzung des entscheidenden Gerichts, kommt angesichts des erörterten Geltungsgrundes der unterschiedlichen Besetzung nach § 78 b GVG dem Verfahrensmangel wegen der abstrakt möglichen Auswirkung auf die Mehrheitsverhältnisse im Spruchkörper und damit letztlich auf den sachlichen Inhalt der Entscheidung besonderes Gewicht zu. Dem Beschwerdeführer würde danach bei eigener Entscheidung des Senats in der Sache eine Instanz genommen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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