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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 08.09.2003
Aktenzeichen: 2 Ws 217/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 137
StPO § 464 Abs. 3 S. 1
StPO § 467 Abs. 3 S. 2
1. Die Verteidigervollmacht erlischt mit dem Tod des Angeklagten.

2. Stirbt der Angeklagte vor rechtskräftigem Verfahrensabschluss, so fehlt mangels fortwirkender voll macht des ehemaligen Verteidigers die Beschwerdebefugnis bezüglich noch ergangener Auslagenentscheidungen.


Hanseatisches Oberlandesgericht 2. Strafsenat Beschluss

2 Ws 217/03

In der Strafsache

hier betreffend Kostenbeschwerde

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 8. September 2003 durch

den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner

den Richter am Oberlandesgericht Huland

den Richter am Landgericht Dr. Steinmetz

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des ehemaligen Verteidigers Rechtsanwalt gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 18, vom 23. Juli 2003 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Die Große Strafkammer hat den vormaligen Angeklagten F. mit Urteil vom 17. Juli 2003 wegen Untreue unter Einbeziehung der mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom 1. Juli 2002 verhängten Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer war Wahlverteidiger des Angeklagten. Am 21. Juli 2003 ist der Angeklagte verstorben. Mit Beschluss vom 23. Juli 2003 hat die Strafkammer wegen Versterbens des Angeklagten das Verfahren gemäß § 206 a Abs. 1 StPO eingestellt und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt; von der Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse hat die Große Strafkammer unter Bezugnahme auf § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO abgesehen.

Gegen diesen am 25. Juli 2003 zugestellten Beschluss wendet sich der ehemalige Verteidiger mit der am 31. Juli 2003 eingegangenen sofortigen Beschwerde, soweit davon abgesehen worden ist, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.

II.

Die sofortige Beschwerde (§§ 464 Abs. 3 S. 1, 206 a Abs. 2 StPO) ist unzulässig, weil bereits die Beschwerdebefugnis fehlt.

Die sofortige Beschwerde ist, wie auch die dort angeführten Belegstellen (OLG Frankfurt/Main, NStZ-RR 2002, 246 f; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., gemeint: Vor § 137, Rdn. 7) ausweisen, weiterhin namens des Verstorbenen selbst auf der Grundlage einer angenommenen Fortwirkung der zu Lebzeiten erteilten Prozessvollmacht eingelegt worden.

Durch die Ablehnung der Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO beschwert und damit beschwerdebefugt könnte aber allenfalls der Angeklagte selbst sein. Die in § 467 Abs. 2, Abs. 3 StPO getroffenen Regelungen knüpfen nämlich ausdrücklich an die prozessrechtliche Stellung als Angeschuldigter (bzw. als Angeklagter) an. Diese prozessrechtliche Stellung des früheren Angeklagten ist jedoch mit dessen Tod entfallen. Im Namen des früheren Angeklagten können nach dessen Tod Prozesshandlungen nicht mehr vorgenommen werden; insbesondere können in seinem Namen auch Rechtsmittel nicht mehr eingelegt werden, weil der Angeklagte als Prozesssubjekt und Träger der den Prozesshandlungen zugrunde liegenden Rechte nicht mehr existiert. Mit dem Versterben des Angeklagten hat mithin auch die von ihm zu Lebzeiten erteilte Prozessvollmacht geendet und damit der für ihn bis dahin als Verteidiger handelnde Rechtsanwalt die Befugnis verloren, für seinen früheren Mandanten Prozesshandlungen vorzunehmen (OLG München, NJW 2003, 1133; ähnlich BayObLG, JR 1962, 226; KG, JR 1968, 432 f; OLG Celle, NJW 1971, 2182; OLG München, NJW 1973, 1515 f; OLG München, NJW 1976, 1548; OLG Schleswig, NJW 1978, 1016; OLG Koblenz, GA 1979, 192 f; OLG Düsseldorf, NJW 1993, 546; Lüderssen in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 138 Rdn. 18; Hiebl in KMR-StPO, Stand August 2000, Vor § 137 Rdn. 102: "Da es in dieser Situation nichts mehr zu verteidigen gibt, endet automatisch auch das Verteidigerverhältnis").

Der Gegenmeinung, wonach die zu Lebzeiten erteilte Verteidigervollmacht über den Tod des Angeklagten hinaus fortwirke und den Verteidiger jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen hierzu ermächtige (HansOLG Hamburg, NJW 1971, 2183 f; HansOLG Hamburg, NJW 1983, 464 f; OLG Hamm, NJW 1978, 177; OLG Frankfurt/Main, NStZ-RR 2002, 246; OLG Celle, NJW 2002, 3720 f; Laufhütte in Karlsruher Kommentar-StPO, 5. Aufl., § 138 Rdn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., Vor § 137 Rdn. 7; Kühl, NJW 1978, 977, 980 f; wohl auch Julius in Heidelberger Kommentar-StPO, 3. Aufl., § 137 Rdn. 8) kann nicht gefolgt werden.

Diese Auffassung stellt darauf ab, nach § 168 BGB bestimme sich das Erlöschen der Vollmacht nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis, im Falle der strafverfahrensrechtlichen Prozessvollmacht also nach dem zwischen Verteidiger und Mandant bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB), auf den u.a. auch § 672 BGB anzuwenden sei: Nach dieser Vorschrift erlösche der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftraggebers. Weil nach dem Tod des Angeklagten vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens gegebenenfalls noch die Tragung der notwendigen Auslagen zu regeln sei, erscheine es angebracht, entsprechend § 672 BGB jedenfalls im Zusammenhang mit Anträgen auf Erstattung notwendiger Auslagen den Fortbestand des Auftragsverhältnisses über den Tod des Auftraggebers hinaus anzunehmen mit der Folge des Fortbestehens der Vollmacht in diesem Umfange gemäß § 168 BGB. Bei noch ausstehender Auslagenentscheidung könne es die Interessenlage erforderlich machen, dass der Verteidiger die Interessen des Verstorbenen und damit "indirekt" die der Erben vertrete (so z.B Kühl, a.a.O., 981). Zum Teil wird anscheinend auch eine unmittelbare rechtsgeschäftliche Vertretung der Erben durch den Verteidiger angenommen (so z.B. HansOLG Hamburg, NJW 1971, 2184).

Diese rein vermögensrechtliche Sichtweise lässt indes die prozessrechtlichen Besonderheiten des Strafverfahrens außer Betracht. Soweit der Geschäftsbesorgungsvertrag des Angeklagten mit dem Verteidiger im Wege der Erbfolge mit den Erben fortgesetzt wird (§ 1922 Abs. 1 BGB), folgt bereits hieraus nicht zwangsläufig, dass die zu Lebzeiten des Angeklagten erteilte Prozessvollmacht automatisch auf dessen Erben übergeht und der bevollmächtigte Verteidiger einen laufenden Prozess ohne Weiteres namens der Erben fortsetzen könnte; vielmehr wird zivilprozessual das Verfahren nach § 239 Abs. 1 ZPO durch den Tod einer Partei unterbrochen und erst durch ausdrückliche Aufnahme seitens der Rechtsnachfolger fortgesetzt, wozu es im Falle des Anwaltsprozesses einer erneuten Vollmachtserteilung seitens der Erben bedarf. Für eine Vollmachtserteilung gegenüber dem ehemaligen Verteidiger seitens der Erben ist vorliegend ohnedies nichts ersichtlich; der ehemalige Verteidiger selbst behauptet eine solche nicht.

Der wesentliche Kern des Verteidigerauftrags, nämlich den Mandanten gegen den erhobenen Tatvorwurf zu verteidigen, wird im Übrigen durch eine zivilrechtliche Betrachtungsweise bereits im Ansatz von vornherein nicht erfasst. Einer Fortwirkung des Auftragsverhältnisses über den Tod des Auftraggebers hinaus steht der höchstpersönliche Charakter des Prozessrechtsverhältnisses entgegen, in dem sich der Mandant als Angeklagter befindet. Anders als im Zivilprozess beruht die prozessrechtliche Stellung des Angeklagten im Strafverfahren nicht auf der eigenen Entscheidung, eine Klage zu erheben oder sich gegen eine solche zu verteidigen, sondern allein auf hoheitlicher Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte kann sich dem Strafverfahren nicht nach freier Entscheidung entziehen; seine Anwesenheit kann regelmäßig sogar erzwungen werden. Wer so die Stellung eines Angeklagten einnimmt und damit in ein Prozessrechtsverhältnis gelangt, wird ausschließlich durch die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage bestimmt. Diese Stellung ist höchstpersönlich und kann nicht auf andere übertragen, insbesondere nicht vererbt werden.

Da der wesentliche Teil des Verteidigermandats (im laufenden Strafverfahren) unlösbar an die prozessrechtliche Stellung des Mandanten als Angeklagter gebunden ist, verbietet sich die Annahme einer Fortwirkung des Mandatsverhältnisses über den Tod des Auftraggebers hinaus. Auch die Verteidigervollmacht wirkt daher nicht nach § 168 BGB über den Tod des Angeklagten hinaus fort, sondern erlischt mit dessen Versterben (OLG München, NJW 2003, 1134).

Soweit dementgegen ein Fortwirken der Verteidigervollmacht daraus hergeleitet wird, die Strafprozessvollmacht ermächtige den Verteidiger ausdrücklich auch zur Entgegennahme von Geld, Wertsachen und Urkunden, insbesondere auch der den Streitgegenstand und der von dem Gegner, von der Justizkasse oder von sonstigen Stellen zu erstattenden Beträge - so vorliegend die Verteidigervollmacht vom 20. November 2002 -(vgl. OLG Hamm, NJW 1978, 177; OLG Celle, NJW 2002, 3720), liegt dem eine "petitio principii" zugrunde, die zu einem Zirkelschluss führt. Ob die erteilte Prozessvollmacht mit dem vorbezeichneten Inhalt nur zu Lebzeiten gilt oder auch postmortal über den Tod hinaus fortwirkt, ist gerade die Frage, die sich aus dem Wortlaut der Vollmacht heraus nicht beantwortet. Dass der höchstpersönliche Charakter der Strafverteidigervollmacht deren postmortales Fortwirken ausschließt, ist aber vorstehend bereits ausgeführt worden.

III.

Die Kostentragungspflicht des Beschwerdeführers folgt aus § 473 Abs. 1 StPO (siehe dazu OLG Koblenz, GA 1979, 192; vgl. auch OLG Celle, NJW 2002, 3720).

IV.

Eine Gegenvorstellung gegen den landgerichtlichen Beschluss vom 23. Juli 2003 ist mit dem Beschwerdeschriftsatz nicht erhoben worden; eine Auslegung in diesem Sinne entsprechend § 300 StPO verbietet sich bereits nach dem Wortlaut des ersichtlich zielgerichtet und bewusst als sofortige Beschwerde eingelegten Rechtsmittels des rechtskundigen ehemaligen Verteidigers.

Ende der Entscheidung

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