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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 11.02.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 24/05
Rechtsgebiete: StGB, StPO, BtMG


Vorschriften:

StGB § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1
StGB § 64
StPO § 453 Abs. 1
StPO § 453 Abs. 2 S. 1
StPO § 453 Abs. 3
BtMG § 35 ff.
1. Setzt das Gericht die Entscheidung über einen durch die Staatsanwaltschaft beantragten Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung mit der Begründung aus, die Widerrufsvoraussetzungen lägen wegen noch offenen Eintritts künftiger Prognoseumstände nicht vor, ist die sofortige Beschwerde zulässig.

2. Liegen nach den voll aufgeklärten gegenwärtigen Prognoseumständen die Voraussetzungen eines Widerrufes der Strafaussetzung zur Bewährung wegen neuer Straffälligkeit vor, ist grundsätzlich alsbald über den Widerruf zu entscheiden. Eine Aussetzung der Entscheidung zwecks Abwartens, ob in Zukunft andere Prognoseumstände eintreten und eine günstigere Legalprognose zulassen werden, verbietet sich auch dann, wenn der Verurteilte die Widerrufsanlasstat auf Grund Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat und ihretwegen in dem neuen Verfahren die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.


Hanseatisches Oberlandesgericht Beschluss

2. Strafsenat

2 Ws 24/05

In der Strafsache

hier betreffend

a) Widerruf der Strafaussetzung

b) Aussetzung der Entscheidung

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 11. Februar 2005 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner den Richter am Landgericht Pesch

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 5, vom 13. Januar 2005 aufgehoben.

Die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf vom 28. August 2002 (Gesch.-Nr. 411a Ls 6004 Js 501/01 - 68/02) wird widerrufen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Verurteilte.

Gründe:

A.

Das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf hat in vorliegender Sache am 28. August 2002 (rechtskräftig seit 5. September 2002) gegen den Verurteilten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf eine Freiheitsstrafe von einem Jahr erkannt und diese auf die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Zugleich hat das Amtsgericht den Verurteilten "der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt", dessen "Bestellung im Einvernehmen mit der Bewährungshilfe für Erwachsene erfolgen" werde; eine solche Bestellung ist unterblieben. Wegen von Mitte Oktober 2003 bis 12. November 2003 begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat das Landgericht Würzburg mit rechtskräftigem Urteil vom 31. August 2004 auf eine Freiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten und auf die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt erkannt; wegen dieses Erkenntnisses sitzt der Verurteilte nach voraufgegangener Untersuchungshaft seit September 2004 in einer Hamburger Justizvollzugsanstalt ein. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg hat am 13. Januar 2005 beschlossen, die Entscheidung über den durch die Staatsanwaltschaft beantragten Widerruf der Strafaussetzung in vorliegender Sache bis zum Ende des Jahres 2005 auszusetzen, um den Verlauf des ab Mai/Juni 2005 erwarteten Maßregelvollzuges in der anderen Sache abzuwarten. Gegen diesen ihr am 14. Januar 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 19. Januar 2005 eingegangene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hamburg, mit der der sofortige Widerruf der Strafaussetzung weiter verfolgt wird.

B.

Die sofortige Beschwerde erweist sich als zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses und im Wege eigener Sachentscheidung des Beschwerdegerichtes zum Widerruf der Strafaussetzung.

I.

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig, insbesondere statthaft.

Gemäß § 453 Abs. 2 S. 1 StPO ist gegen Nachtragsentscheidungen betreffend eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich die (einfache) Beschwerde gemäß § 304 StPO eröffnet; nur gegen den Widerruf einer Strafaussetzung, den Straferlass oder dessen Widerruf findet gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO die sofortige Beschwerde statt. Vorliegend hat die Strafvollstreckungskammer dem Wortlaut ihrer Beschlussformel nach nur über eine Aussetzung der Entscheidung befunden, nicht jedoch über den Widerruf der Strafaussetzung selbst. Gleichwohl ist die sofortige Beschwerde statthaft. Diese ist auch dann eröffnet, wenn der Widerruf der Strafaussetzung abgelehnt wird, sei es ersatzlos (h.M., vgl. HansOLG Hamburg in MDR 1990, 564; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 453 Rdn. 13 m.w.N.) oder sei es, dass statt des bean-tragten Widerrufes der Strafaussetzung eine mildere Maßnahme im Sinne des § 56 f Abs. 2 StGB angeordnet wird (h.M., vgl. OLG Düsseldorf in NStZ-RR 2002, 28; Meyer-Goßner, a.a.O., m.w.N.), weil darin zugleich eine Ablehnung des Widerrufes liegt. Vergleichbar verhält es sich hier. Die Aussetzung der Widerrufsentscheidung ist keine bloße Verfahrensentscheidung, sondern enthält ausweislich der Beschlussgründe zugleich die Entscheidung in der Sache selbst, die Widerrufsaussetzungen lägen zurzeit nicht vor und deshalb habe der Widerruf zu unterbleiben.

2. Folge des auch materiellen Charakters des angefochtenen Beschlusses ist, dass das Beschwerdegericht bei Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen nicht allein die Verfahrensaussetzung aufhebt und den diesbezüglichen Aussetzungsantrag des Verurteilten zurückweist, sondern die eigene Sachentscheidung im Sinne des § 309 Abs. 2 StPO auf die materielle Frage des Widerrufes selbst erstreckt.

II.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet. Alle Voraussetzungen eines Widerrufes der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB sind erfüllt. Weder verfahrens- noch materiell-rechtlich ist ein Zuwarten mit dem Widerruf veranlasst.

1. Einer Sachentscheidung steht nicht entgegen, dass ein Bewährungshelfer nicht gemäß § 453 Abs. 1 S. 4 StPO gehört worden ist (zur Frage der Aufhebung eines ohne erforderliche vorherige Unterrichtung des Bewährungshelfers erfolgten Aussetzungswiderrufes vgl. OLG Düsseldorf in NStZ 1996, 616). Es fehlt nämlich an einem Bewährungshelfer im Sinne der §§ 56 d Abs. 1 StGB, 453 Abs. 1 S. 4 StPO. Die Bestellung eines namentlich bestimmten Bewährungshelfers (§ 56 d Abs. 4 StGB) ist das unselbständige notwendige Folgeerfordernis der Weisung einer Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers nach § 56 d Abs. 1 StGB (vgl. OLG Köln in JR 1991, 473; Senatsbeschluss vom 22. Mai 1997, Az.: 2 Ws 113-114/97). Eine solche Bestellung hat das Amtsgericht unterlassen.

2. Es besteht der Widerrufsgrund neuer Straffälligkeit (§ 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB).

a) Der Verurteilte hat in der vom 5. September 2002 bis 4. September 2005 reichenden Bewährungszeit eine neue Straftat begangen, nämlich ab Mitte Oktober 2003 mit einem Auftraggeber über den Transport einer größeren Menge Marihuana von Hamburg in die Nähe von München mittels eines durch ihn zu beschaffenden Personenkraftwagens verhandelt und dabei seine wegen der ihm bewussten offenen Bewährung bestehenden Bedenken überwunden sowie in Erwartung eines Lohnes von Euro 800,-- und von Vorteilen bei künftiger Betäubungsmittelbeschaffung einen Personenkraftwagen entliehen und am 12. November 2003 dieses Fahrzeug mit 15.895,4 g Marihuana (THC-Anteil 2.403,2 g) beladen und von Hamburg bis nahe der Autobahnanschlussstelle Geiselwind geführt, wo das Betäubungsmittel bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle durch die Polizei sichergestellt wurde. Deshalb hat ihn das Landgericht Würzburg wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtskräftig verurteilt. Die schuldhafte Tatbegehung steht insbesondere auf Grund des glaubhaften Geständnisses des Verurteilten zur Überzeugung auch des Senats fest.

b) Dadurch hat der Verurteilte gezeigt, dass die der Strafaussetzung zu Grunde gelegte Erwartung sich nicht erfüllt hat.

aa) Das neue Verbrechen ist im Vergleich zu der vollstreckungsgegenständlichen Tat einschlägig und gewichtig. Es ist mehraktig über mehrere Wochen hinweg vorbereitet und durchgeführt worden. Sowohl die umgesetzte Menge des - allerdings wiederum sogenannten weichen - Betäubungsmittels (2.403,2 g nach 72,71 g THC) als auch der erstrebte Gewinn (Euro 800,-- zuzüglich künftiger Rauschgiftversorgungsvorteile nach rund Euro 150,-- bis 200,--) weisen Steigerungstendenzen auf. Der rund ein Jahr zwei Monate nach Beginn der Bewährungszeit begangenen Tat lag keine abgegrenzte besondere Lebenssituation zu Grunde.

bb) Nach dem 12. November 2003 sind keine neuen Umstände entstanden, auf Grund derer sich eine trotz des Bewährungsversagens ausnahmsweise günstige Legalprognose ergäbe.

Mit seiner Verlobten lebt der Verurteilte seit Anfang 2003 zusammen, ohne dass sie ihn von der neuen Straftat abgehalten hätte oder er mit Rücksicht auf diese Beziehung von der Tatbegehung abgelassen hätte. Seine berufliche und wirtschaftliche Lage ist unverändert.

Ebenso besteht die Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten fort. Das sachverständig beratene Landgericht Würzburg, dem insoweit wegen zeitnah im August 2004 durchgeführter Hauptverhandlung überlegene Erkenntnismittel verfügbar waren, hat festgestellt, der Verurteilte habe - außer wenn er sich zur Vorbereitung auf z.B. eine medizinisch-psychologische Eignungsuntersuchung zwecks Wiedererlangung der Fahrerlaubnis oder auf den Betäubungsmitteltransport am 12. November 2003 gezielt abstinent verhalten habe - in der Regel täglich 5 g bis 10 g Cannabis konsumiert und bei ihm liege - wie bei nur wenigen Prozent der Cannabiskonsumenten - eine echte Cannabisabhängigkeit mit Antriebsreduzierung, Gleichgültigkeit, Problemnivellierung, eingeengter innerer Ausrichtung auf den Cannabiskonsum und Nachlassen der sozialen Leistungsparameter vor, ohne dass zur Tatzeit die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen seien; er sei therapiemotiviert. Diese Abhängigkeit ist bisher unbehandelt geblieben; die Behandlung im Maßregelvollzug hat noch nicht begonnen. Allein die gegenwärtige Therapiebereitschaft reicht nicht aus, um eine günstige Legalprognose zu stellen. Jedenfalls bei einer derart eingeschliffenen Abhängigkeit wie vorliegend bedarf es eines hinreichenden Beobachtungszeitraumes während der Therapie, um einen trotz Bewährungsversagens die Wahrscheinlichkeit noch weiterer Straftatbegehungen ausräumenden Behandlungsverlauf und -teilerfolg feststellen zu können (siehe auch OLG Karlsruhe in NJW 2003, 1263, 1265; KG bei Kotz/Rahlf in NStZ-RR 2002, 135). Abweichendes folgt auch nicht daraus, dass die Behandlung des Verurteilten im Maßregelvollzug deshalb noch nicht begonnen hat, weil bisher kein Platz in einer Maßregelvollzugseinrichtung hat gefunden werden können. Selbst wenn man bei rechtswidriger, aber unangefochten gebliebener Unterlassung einer Vollzugsgestaltung, die möglicherweise günstige Prognoseumstände hätte zutage treten lassen können, die Vollstreckungsgerichte rechtlich gehindert sehen wollte, eine günstige Prognose zu verneinen (so BVerfG in NJW 1998, 2202, 2204 und NStZ 2000, 109, 111; a.A. OLG Frankfurt/Main in NStZ-RR 2001, 311), wäre eine solche - zumal in anderer Sache erfolgte - Unterlassung hier nicht ursächlich geworden. Wäre der Verurteilte alsbald nach am 8. September 2004 eingetretener Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Würzburg aus der Haft in den Maßregelvollzug umgesetzt worden, wäre der seitherige knapp fünfmonatige Vollzug nicht hinreichend aussagekräftig für die Frage der Legalprognose.

cc) Nach allem kann auf der Grundlage der gegenwärtigen Prognoseumstände keine günstige Legalprognose gestellt werden. Das sieht die Strafvollstreckungskammer ebenso, denn sie hat den Antrag auf Widerruf der Strafaussetzung nicht endgültig zurückgewiesen, sondern die Entscheidung bis Ende 2005 ausgesetzt. Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer scheidet es hier aber aus, bei voll aufgeklärten gegenwärtigen Prognoseumständen abzuwarten, ob künftig andere Prognoseumstände entstehen werden, um auf deren Grundlage eine abweichende Prognose stellen zu können. Eine Aussetzung der Entscheidung kann entgegen der Meinung der Strafvollstreckungskammer insbesondere nicht aus den bei paralleler Vollstreckungsrückstellung gemäß § 35 BtMG vertretenen Auffassungen hergeleitet werden.

(1) Die materielle Widerrufsvorschrift (§ 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB) bestimmt, dass das Gericht die Strafaussetzung widerruft, wenn der Verurteilte durch eine in der Bewährungszeit begangene Straftat zeigt, die der Strafaussetzung zu Grunde liegende Erwartung - namentlich der straffreien Lebensführung - habe sich nicht erfüllt. Der Normwortlaut sieht einen - nicht lediglich der Ermittlung der aktuellen Widerrufsvoraussetzungen geschuldeten - Aufschub der Widerrufsentscheidung nicht vor, ohne ihn gänzlich auszuschließen. Die zugehörige Verfahrensvorschrift (§ 453 StPO) enthält keine gegenteilige Regelung für das Widerrufsverfahren.

Auch die Gesetzgebungsgeschichte enthält keine Hinweise, dass eine Möglichkeit zur Aussetzung der Widerrufsentscheidung zwecks Zuwartens auf eine Änderung der Prognoseumstände intendiert ist (vgl. nur Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform in BT-Drs. 5/4094, Seiten 13, 73 f zu § 25 StGB in der Fassung des 1. StrRG als Vorgängervorschrift des jetzigen § 56 f StGB und Seiten 42 f, 85 f zu § 453 StPO). Eine weniger starre Regelung als zuvor wurde nur insoweit bezweckt, als nicht schon die neue Straftatbegehung zum Widerruf der Strafaussetzung ausreicht, sondern die Nichterfüllung der der Aussetzung zu Grunde gelegten Erwartungen hinzutreten muss. Zur Zeitschiene, auf der diese materiellen Voraussetzungen zu prüfen sind, verhalten sich die Materialien nicht.

Folglich besteht im Ansatz Übereinstimmung, dass der Widerruf der Strafaussetzung zwingend ist, wenn und sobald das zuständige Gericht vom Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen überzeugt ist (vgl. OLG Düsseldorf in NStZ 2000, 95; Horn in SK-StGB, § 56 f Rdn. 35; Groß in MünchKommStGB, § 56 f Rdn. 38; Lackner in Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 56 f Rdn. 7; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 56 f Rdn. 19; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., Rdn. 205).

(2) Indes wird vertreten, dass in Fällen, in denen in anderer Sache die Vollstreckung der Strafe gemäß § 35 BtMG zurückgestellt und eine Drogenabstinenztherapie eingeleitet ist, die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zurückgestellt werden kann (OLG Zweibrücken in MDR 1983, 150: bei in absehbarer Zeit abgeschlossener Therapie; OLG Düsseldorf in StV 1989, 159; OLG Celle in StV 1998, 216: um den eingeleiteten Resozialisierungsprozess nicht zu gefährden insbesondere durch anderenfalls erforderlichen Widerruf auch der Zurückstellung; Lackner, a.a.O.; Tröndle/Fischer, a.a.O.), soweit die Therapieeinleitung nicht wegen gegenwärtig günstiger Prognose dem Widerruf schon gänzlich entgegensteht (KG in StV 1984, 341; OLG Düsseldorf in StV 1998, 215). Nach anderer Ansicht hindern die anderweitige Zurückstellung der Vollstreckung nach § 35 BtMG und der Therapieantritt den Widerruf der Strafaussetzung trotz Therapiebereitschaft eines Verurteilten nicht, wenn der Behandlungserfolg noch ungewiss ist (KG bei Kotz/Rahlf in NStZ-RR 2002, 135).

Formell zählt die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zum Vollstreckungsrecht (StPO § 453 im 7. Buch, 1. Abschnitt: Strafvollstreckung; zur Reichweite des Begriffes vgl. Bringewat, Strafvollstreckung, Einl. Rdn. 2). Die das Strafverfahrensrecht beherrschende Beschleunigungsmaxime (vgl. Pfeiffer in KK-StPO, 5. Aufl., Einl. Rdn. 11) gilt grundsätzlich auch im Vollstreckungsverfahren (vgl. Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 449 Rdn. 6). Der Gesetzgeber hat indes im Vollstreckungsrecht mit den §§ 35 ff BtMG Sonderregelungen zu Gunsten betäubungsmittelabhängiger Straftäter geschaffen, die den aus § 449 StPO folgenden Vollstreckungszwang unter näher geregelten Voraussetzungen zurücktreten lassen hinter einer Zurückstellung der Strafvollstreckung zwecks Ermöglichung einer Drogenabstinenztherapie. Ein entsprechender Ansatz findet sich im Erkenntnisverfahren, das insoweit in den Blick zu nehmen ist, als der Widerruf der Strafaussetzung gemäß § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB materiell eine Korrektur der im Erkenntnisverfahren getroffenen unrichtigen Legalprognose beinhaltet (vgl. Horn, a.a.O., Rdn. 12, 13; Schäfer, a.a.O., Rdn. 193). Zwar ist dem Erkenntnisverfahren gegen Erwachsene ein Innehalten des Prozesses zwecks Abwartens, ob künftig neue, dem Angeklagten günstigere Strafzumessungstatsachen eintreten werden, fremd, sondern es gilt gerade hier die Beschleunigungsmaxime. Doch bestimmt § 37 Abs. 2 BtMG, dass unter näher geregelten Voraussetzungen ein Erkenntnisverfahren bis zur letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung vorläufig eingestellt werden kann, wenn ein betäubungsmittelabhängiger Straftäter sich einer Therapie der in § 35 Abs. 1 BtMG bezeichneten Art unterzieht und seine Resozialisierung zu erwarten ist.

Ob bei Zusammentreffen von Widerrufsreife wegen ungünstiger aktueller Legalprognose nach § 56 f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB mit einer - prognostisch geringeren Anforderungen unterliegenden (vgl. HansOLG Hamburg in StV 1998, 390, 391; Weber, BtMG, 2. Aufl., § 35 Rdn. 142, 149 m.w.N.) - Handhabung nach §§ 35 ff BtMG in anderer Sache ein in den letztgenannten Sondervorschriften zum Ausdruck gekommener Rechtsgedanke eine Ausnahme vom Grundsatz alsbaldiger Widerrufsentscheidung (siehe vorstehend Ziff. (1)) zulässt oder gar gebietet, kann hier dahinstehen. Jedenfalls würde die Ausnahme nicht weiter reichen als die Zurückstellung in unmittelbarer Anwendung der §§ 35 ff BtMG. Für eine Zurückstellung der Vollstreckung ist kein Raum, wenn eine weitere freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung und Besserung zu vollstrecken ist (§ 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG), ohne dass das Gesetz bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zwischen Betäubungsmittelabhängigen und sonstigen Süchtigen differenziert. Damit tritt in Wortlaut und Systematik der Vorschriften allemal das Konzept zutage, bei einer anstehenden Maßregelvollstreckung nach § 64 StGB nicht auf den in anderer Sache grundsätzlich gegebenen beschleunigten Verfolgungs- und Vollstreckungsanspruch gegen einen betäubungsmittelabhängigen Täter zeitweise zu verzichten.

(3) Dafür, dass allein schon das Zusammentreffen von Widerrufsentscheidung und Maßregelvollstreckung in anderer Sache ein Zuwarten auf künftige Ergebnisse des Maßregelvollzuges rechtfertigen könnte, fehlt jeglicher gesetzlicher Anhalt. Bei in anderer Sache anstehender Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt jedenfalls wegen Alkoholsucht wird ein alsbaldiger Widerruf der Strafaussetzung als nicht gehindert gesehen (vgl. OLG Düsseldorf in NStZ 2000, 55; OLG Nürnberg in NStZ-RR 2002, 365). Jedenfalls wenn, wie vorstehend aufgezeigt, ein in den §§ 35 ff BtMG ausgedrückter Rechtsgedanke keine Ausnahme trägt, bleibt es bei dem Grundsatz der Trennung zwischen sofortiger Widerrufsentscheidung in der einen und künftiger Vollzugsentwicklung in der anderen Sache.

Zudem bestünde die Besorgnis, bei alsbaldigem Widerruf der Strafaussetzung und folglich anstehender Vollstreckung der Freiheitsstrafe werde auch die Zurückstellung der Vollstreckung in anderer Sache gemäß § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG widerrufen werden müssen (so OLG Celle, a.a.O.), in der vorliegenden Konstellation nicht, da die in anderer Sache rechtskräftig angeordnete Maßregelvollstreckung nach § 64 StGB unberührt bleibt.

3. Weniger einschneidende Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung (§ 56 f Abs. 2 StGB) scheiden aus.

Zwar hat das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf die ursprünglich für erforderlich erachtete Bestellung eines Bewährungshelfers unterlassen, jedoch verspricht eine solche Bestellung für die Zukunft keine Aussicht auf Erfolg. Auf den in anderer Sache zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren drei Monaten sowie zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilten Beschwerdeführer würde ein Bewährungshelfer wegen auf längere Zeit absehbaren Vollzuges nicht tatsächlich einwirken können.

Auflagen verbieten sich hier, weil nicht (zusätzliche) Genugtuung für das begangene Unrecht (§ 56 b Abs. 1 S. 1 StGB) in Rede steht, sondern auf den Verurteilten als Bewährungsversager spezialpräventiv einzuwirken ist. Geeignete Weisungen (§ 56 c StGB) sind nicht ersichtlich. Eine Verlängerung der Bewährungszeit reicht schon deshalb nicht aus, weil es nicht gilt, günstige Ansätze über einen längeren Zeitraum zu beobachten und mit den Mitteln der Bewährungshilfe zu stabilisieren.

C.

Die Kostenentscheidung folgt § 465 StPO.



Ende der Entscheidung

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