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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: 3 U 117/06
Rechtsgebiete: HWG, UWG


Vorschriften:

HWG § 3 a
UWG § 3
UWG § 5
UWG § 6 Abs. 2 Nr. 2
1. Eine unzulässige vergleichende Werbung i.S. des § 6 II Nr. 2 UWG kann vorliegen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls durch die Werbung ein schiefes Bild zu Lasten des Mitbewerbers hervorgerufen wird. Dies kann der Fall sein, wenn ein Durchschnittswert des eigenen Arzneimittels mit dem möglichen Extremwert des Konkurrenzprodukts verglichen wird, ohne dass dies hinreichend deutlich gemacht wird.

2. Unter der Angabe "aktueller Standard" in einer vergleichenden Arzneimittelwerbung wird ein Arzt regelmäßig eine in Fachkreisen anerkannte und durchgesetzte Normalmethode verstehen. Dies kann grundsätzlich nur eine der Zulassung entsprechende Therapie sein. Ob sich in Ausnahmefällen ein "Off-Label-Use" zu einer "Standardtherapie" entwickeln kann, bleibt offen. Jedenfalls müssen dann die besonderen Umstände des Einzelfalls deutlich in der Werbung aufgeführt werden.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftszeichen: 3 U 117/06

Verkündet am: 01.02.2007

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter nach der am 21.12.2006 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 25. April 2006 (Aktenzeichen: 312 O 215/06) abgeändert.

Über das im Urteil des Landgerichts ausgesprochene Verbot hinaus wird der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall bis zu 250.000 €; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, für das Fertigarzneimittel CellCept(r)

1. mit der nachstehend eingeblendeten Darstellung

und/oder

2. mit der nachstehend eingeblendeten Darstellung zu werben und/oder werben zu lassen.

II. Die Anschlussberufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 25. April 2006 (Aktenzeichen: 312 O 215/06) wird zurückgewiesen.

III. In Abänderung der Kostenentscheidung des Urteils des Landgerichts tragen von den Kosten des Rechtsstreits die Antragstellerin 1/5 und die Antragsgegnerin 4/5.

Gründe:

A.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Vertriebs von Fertigarzneimitteln, die in der Transplantationsmedizin zum Einsatz kommen und die Abstoßungsreaktionen des Körpers gegen ein körperfremdes Transplantat verhindern.

Die Antragstellerin beanstandet verschiedene werbliche Darstellungen aus einem Werbefolder der Antragsgegnerin als irreführend und als unzulässige Bewerbung eines Anwendungsbereichs außerhalb der Zulassung, §§ 3, 3 a HWG.

Die Antragstellerin vertreibt das Arzneimittel Myfortic(r) mit dem Wirkstoff Mycophenolsäure (als Mycophenolat-Natrium), die Antragsgegnerin das Arzneimittel CellCept (r) mit dem Wirkstoff Mycophenolat-mofetil.

Beide Präparate basieren im Kern auf der Wirkung der Mycophenolsäure ("MPS" oder englisch "MPA"). Das Arzneimittel der Antragsgegnerin enthält jedoch nicht die eigentliche Mycophenolsäure, der Wirkstoff Mycophenolat-mofetil (MMF) ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass diese erst im Körper des Patienten in den eigentlich wirksamen Wirkstoff Mycophenolsäure umgewandelt wird (sog. "Prodrug"). Das Präparat der Antragstellerin ist - anders als das Mittel der Antragsgegnerin - mit einer magensaftresistenten Ummantelung verkapselt ("enteric coated" oder "EC") und wird deshalb auch nur kurz "EC-MPS" bezeichnet, während das Präparat der Antragsgegnerin üblicherweise kurz als "MMF" bezeichnet wird (5).

Gemäß Ziff. 4.1 der Fachinformation Anlage Ast 2 ist die Anwendung von CellCept

" in Kombination mit Ciclosporin und Corticosteroiden zur Prophylaxe von aktuten Transplantatabstoßungsreaktionen bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder Lebertransplantation angezeigt ".

In Ziff. 4.2, 5. Absatz der Fachinformation für Myfortic (r) (Anl. Ast 1) heißt es:

"Myfortic kann zu den Mahlzeiten oder unabhängig davon eingenommen werden. Die Patienten können eine der beiden Möglichkeiten auswählen, sollten diese dann jedoch beibehalten (siehe Abschnitt 5.2)."

Entsprechende Einschränkungen finden sich in der deutschen Fachinformation für CellCept nicht (vgl. Anlage Ast 2).

In Ziff. 5.2 ("Pharmakologische Eigenschaften") der Fachinformation von Myfortic(r) (Anlage Ast 1) heißt es weiter:

"... Im Vergleich zu Nüchtern-Bedingungen hatte die Verabreichung einer einzelnen Dosis von 720 mg Myfortic mit einer fettreichen Mahlzeit (55 g Fett, 1000 Kalorien) keinen Einfluss auf die systemische Verfügbarkeit von MPA (AUC), dem für die Wirksamkeit relevantesten pharmakologischen Parameter. Es kam jedoch zu einem Abfall der maximalen MPA-Konzentration (cmax) um 33 %. Zusätzlich waren tlag und tmax durchschnittlich 3 bis 5 Stunden verzögert, wobei einige Patienten ein tmax von > 15 Stunden aufwiesen. Der Einfluss von Nahrung führt möglicherweise zu einer Überlappung der Resorption von einem zum nächsten Dosisintervall von Myfortic. Es wurde allerdings nicht gezeigt, dass dieser Effekt klinisch signifikant ist."

Typischerweise sind mit der Verabreichung von Mycophenolsäure-Präparaten gastronintestinale Nebenwirkungen (= im Magen auftretende unerwünschte Effekte) verbundenen. Die Ummantelung beim Präparat der Antragstellerin soll nach dem Vorbringen der Antragstellerin dazu dienen, diese zu minimieren, indem die Tablette den Magentrakt weitgehend unbeschädigt von der dort wirkenden Magensäure passiert und erst im Darm resorbiert wird. Ob dies tatsächlich erreicht wird, ist zwischen den Parteien streitig. Das Mittel der Antragsgegnerin wird dagegen überwiegend im Magen resorbiert.

Die Antragstellerin wendet sich gegen werbliche Angaben, welche in dem Folder gemäß Anlage Ast 3 mit dem Titel "Immunsuppressive Therapie nach Organtransplantation" enthalten sind. Dieser Folder wurde bundesweit von den Außendienstmitarbeitern der Antragsgegnerin an Ärzte abgegeben.

Gegenstand des Antrags zu I.1. ist die Seite 4 des Werbefolders. In der Berufungsinstanz weiter relevant sind die Seiten 14 (Antrag zu I.3.) und 16 (Antrag zu I.4.).

Die Antragstellerin hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 20.2.2006 (Anlage Ast 4) abgemahnt, die Antragsgegnerin hat mit Antwortschreiben vom 3.3.2006 die Beanstandungen überwiegend zurückgewiesen. Lediglich im Hinblick auf das Diagramm auf S. 14 des Folders gab die Antragsgegnerin eine Unterlassungserklärung ab, welche eine Darstellung der nach der ersten Einnahme vorhandenen "Wirkstoffmenge im Blut" über mehrere Stunden bei Null erfasst (Anlage Ast 5, Ziff. 4).

Die Antragstellerin hat, soweit für das Berufungsverfahren noch relevant, geltend gemacht:

Mit den Angaben auf S. 4 (Antrag zu I.1.) des Folders werbe die Antragsgegnerin außerhalb der Zulassung und verstoße gegen §§, 3, 3 a HWG, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG.

Außerdem verstoße die Werbung gegen § 3 HWG, da die dort genannte Kombination nicht aktueller Standard sei, Standard sei vielmehr die Kombination gemäß der Fachinformation.

Die mit dem Antrag zu I.3. angegriffene Gegenüberstellung auf S. 14 des Folders sei irreführend und ergebe ein schiefes Bild. Gleiches gelte im Hinblick auf die Seite 16 des Folders (Antrag zu I.4.). Nachdem die Antragsgegnerin im Hinblick auf den ursprünglichen Antrag zu I.2. eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hatte (Bl. 52 d.A.), haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

Die Antragstellerin hat im Übrigen, sofern für die Berufungsinstanz noch relevant, beantragt,

I. es der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zu verbieten, für das Ferigarzneimittel CellCept(r)

1. mit der nachfolgend eingeblendeten Darstellung: (es folgt die Wiedergabe von S. 4 des Folders Anlage Ast 3, vgl. Abbildung bei der Wiedergabe des Tenors des landgerichtlichen Urteils)

und/oder

2. ...

und/oder

3. mit der nachstehend eingeblendeten Darstellung (es folgt die Wiedergabe von S. 14 des Folders gem. Anlage Ast 3, vgl. Abbildung im Tenor dieses Urteils)

und/oder

4. mit der nachstehend eingeblendeten Darstellung (es folgt die Wiedergabe von S. 16 des Folders gem. Anlage Ast 3, vgl. Abbildung im Tenor dieses Urteils)

und/oder

5. ...

zu werben und/oder werben zu lassen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie hat geltend gemacht:

Die Angaben im Folder seien zutreffend. Es würden im Wesentlichen die Angaben aus den Fachinformationen der im Wettbewerb stehenden Arzneimittel der Parteien werblich kommuniziert.

Mit Urteil vom 25.4.2006 hat das Landgericht der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten,

für das Fertigarzneimittel CellCept

mit der nachfolgend eingeblendeten Darstellung:

zu werben und/oder werben zu lassen.

Im Übrigen hat das LG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Gegen die Zurückweisung der Anträge zu I.3 und I.4 durch das Urteil, auf das Bezug genommen wird, wendet sich die Antragstellerin mit der Berufung und begehrt insoweit den Ausspruch der bereits erstinstanzlich beantragten Verbote. Sie beantragt weiter die Zurückweisung der Anschlussberufung der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der Berufung der Antragstellerin und wendet sich mit ihrer Anschlussberufung gegen die Verurteilung gemäß dem Antrag zu I.1 durch das Landgericht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg. Die zulässige Anschlussberufung der Antragsgegnerin ist dagegen unbegründet.

I. Gegenstand des ersten Berufungsantrags der Antragstellerin ist die Abweisung des ursprünglichen Verfügungsantrags zu I.3.

1. Gegenstand des Verfügungsantrags zu I.3 ist die Werbung für das Fertigarzneimittel CellCept mit der Darstellung gemäß der oben abgebildeten Seite 14 des Folders.

Der Antrag erfasst die konkrete Verletzungsform. Dem Vorbringen der Antragstellerin lässt sich entnehmen, dass sie diese konkrete Verletzungsform unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten angreift, nämlich unter dem Gesichtspunkt der Irreführung (Diagramme und Text) als auch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen vergleichenden Werbung.

Gegenstand des Verbotsantrags und des Verbots ist auch die Überschrift ("Was passiert, wenn die Medikamente zum Essen eingenommen werden?"). Zwar ist die Überschrift im Antrag der Antragstellerin nur unvollständig zu lesen, und zwar ersichtlich aufgrund des Kopiervorgangs. Der Antragstellervertreter hat aber in der Berufungsverhandlung ausdrücklich klargestellt, dass die Überschrift in beiden Instanzen vollständig zum beantragten Verbot gehört. Dass die Überschrift in der konkreten Verletzungsform mit dem dargelegten Wortlaut zu finden ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Nicht zum beantragten Verbot gehören die nachträglich, offenbar von der Antragstellerin in die Kopie handschriftlich eingefügten vertikalen Striche im oberen Kurvendiagramm betreffend CellCept.

Nicht Gegenstand des Antrags und seiner Begründung ist weiter die Darstellung der Wirkstoffaufnahme von Myfortic bei Einnahme zusammen mit einer fettreichen Mahlzeit im Zeitablauf in einem Diagramm, wenn die nach der ersten Einnahme dargestellten "Wirkstoffmenge im Blut" über mehrere Stunden bei Null verläuft, wie im Folder auf S. 14 unten geschehen. Insoweit hat die Antragsgegnerin vorprozessual eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben (vgl. Ast 5, Ziff 4, vorletzter Absatz).

2. Der geltend gemachte Antrag rechtfertigt sich zum einen aus dem Gesichtspunkt der unzulässigen vergleichenden Werbung (§§ 3, 6 II Nr. 2 UWG).

a) Danach handelt unlauter i.S. von § 3 UWG, wer vergleichend wirbt, wenn der Vergleich nicht objektiv auf eine oder mehrere wesentliche, relevante, nachprüfbare und typische Eigenschaften oder den Preis dieser Waren oder Dienstleistungen bezogen ist. Eine unzulässige unsachliche Werbung kann dann vorliegen, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalles durch die Werbung ein schiefes Bild zu Lasten des Mitbewerbers hervorgerufen wird (vgl. Senat, Beschluss vom 25.8.2005, 3 U 133/04; Urteil vom 21.2.2002, 3 U 138/01 = BeckRS 2002 Nr. 30241681, Orientierungssatz in GRUR-RR 2002, 398).

b) So liegt der Fall auch hier.

Eine vergleichende Werbung i.S. des § 6 I UWG liegt vor. In der streitgegenständlichen Darstellung erfolgt eine Gegenüberstellung von Produkteigenschaften des Arzneimittels CellCept mit den Eigenschaften des Konkurrenzprodukts Myfortic.

c) Diese vergleichende Werbung ist unsachlich i.S. des § 6 Nr. 2 UWG, denn in der Darstellung gem. Seite 14 des Folders wird ein schiefes Bild zu Lasten der Antragstellerin hervorgerufen. Der Verkehr wird der Darstellung bei gebotener Gesamtbetrachtung die Sachaussage entnehmen, dass bei der 1. Einnahme einer normalen (durchschnittlichen) Verzögerung der Wirkstoffaufnahme von CellCept von 1,5-2 Stunden eine mögliche ("bis zu") Extremverzögerung der Wirkstoffaufnahme von 15 Stunden bei Myfortic gegenüber steht. Dies ergibt ein schiefes Bild. Denn tatsächlich wird ein Durchschnittswert für CellCept mit einem möglichen Extremwert für Myfortic in Beziehung gesetzt. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin selbst (S. 7 des Schriftsatzes vom 5.4.2006) existiert auch für CellCept ein möglicher Extremwert, nämlich 3 Stunden. Dieser wird in der Darstellung aber verschwiegen. Im Einzelnen:

aa) Bei der Darstellung der Eigenschaften von CellCept in der oberen Hälfte der Seite spricht der Text von einer "nicht wesentlichen Verzögerung" der Wirkstoffaufnahme bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme. Das daneben stehende Diagramm "übersetzt" diese Aussage dahin, dass bei der 1. Einnahme von CellCept eine Verzögerung von ca. 1,5-2 Stunden gegenüber einer Einnahme auf nüchternem Magen eintritt. Dieser Wert ist auf der exakt nach Stunden unterteilten Zeitachse ablesbar. Deshalb kann der Senat dem im nicht nachgelassenen und daher verspäteten Schriftsatz vom 24.1.2007 (eingegangen am 26.1.2007 per Telefax) gebrachten Sachvortrag der Antragsgegnerin nicht nachvollziehen, wonach bei der Darstellung von CellCept ein Extremwert von 3,0 Stunden zugrunde gelegt worden sei. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass eine Verzögerung im Extremfall auch bei 3 Stunden liegen kann, finden sich weder im Text noch im Diagramm. Auch fehlt jeder Hinweis darauf, dass die im Diagramm dargestellte Verzögerung von etwa 1,5-2,0 Stunden ein Durchschnittswert ist. Der Verkehr, also die durch den Folder angesprochenen Ärzte, werden deshalb davon ausgehen, dass 1,5-2 Stunden die im Text dargestellte "nicht wesentliche Verzögerung" bei CellCept ist.

Dem Kontext, nämlich dem in der unteren Hälfte abgedruckten Text zu Myfortic entnimmt der Verkehr weiter, dass es für Myfortic offenbar Erkenntnisse zu einem Extremwert der Verzögerung gibt ("kann", "bis zu"). Da entsprechende Angaben zu CellCept fehlen, wird der Verkehr davon ausgehen müssen, dass es insoweit keine solchen Erkenntnisse gibt, dass also die dargestellte Verzögerung von 1,5-2 Stunden auch in Extremfällen nicht überschritten werden.

Insgesamt geht also die Sachaussage von Diagramm und Text zusammengenommen im Hinblick auf das Arzneimittel CellCept dahin, dass eine Verzögerung der Wirkstoffaufnahme bei der 1. Einnahme bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme von 1,5-2 Stunden erfolgt. Da sich keine Hinweise auf einen Extremfall ("kann" und "bis zu") finden, noch insoweit sonstige Erläuterungen gegeben werden, wird der Verkehr von einer "normalen" Verzögerung insoweit ausgehen und eine größere Verzögerung in Extremfällen nicht in Rechnung stellen.

bb) Bei der Darstellung im Hinblick auf das Arzneimittel Myfortic in der unteren Hälfte der Seite 14 des Folders spricht der Text von einer möglichen ("kann") Verzögerung der Wirkstoffaufnahme bei Einnahme zusammen mit einer fettreichen Mahlzeit um "bis zu 15 Stunden". Das Diagramm "übersetzt" dies dahin, dass die Wirkstoffspitze bei der 1. Einnahme bei 10 Stunden eingezeichnet ist, dann wieder abfällt. Der Verkehr wird ggf. registrieren, dass das Diagramm offenbar nicht den im Text dargestellten "Extremfall" von bis zu 15 Stunden Verzögerung darstellt, sondern einen um 5 Stunden geringeren Verzögerungswert. Ob diese 10 Stunden ein statistischer Durchschnittswert sind oder ein Wert, der absolut am häufigsten auftritt, bleibt im Dunkeln, da der Wert insoweit nicht erläutert wird. Die Sachaussage von Diagramm und Text zusammengenommen ist, dass es (in Exremfällen) zu einer Verzögerung der Wirkstoffaufnahme von Myfortic bei der 1. Einnahme zusammen mit einer fettreichen Mahlzeit von bis zu 15 Stunden kommen kann.

cc) Mithin sagt der Vergleich insgesamt aus, dass eine (durchschnittliche) Verzögerung der Wirkstoffaufnahme von 1,5-2 Stunden bei CellCept einer mögliche Extremverzögerung von 15 Stunden bei Myfortic gegenübersteht, jeweils bei der 1. Einnahme, wobei CellCept zusammen mit einer Nahrungsaufnahme verabreicht wurde, während Myfortic zusammen mit einer "fettreichen Mahlzeit" verabreicht wurde. Es wird also ein Durchschnittswert für CellCept mit einem Extremwert für Myfortic in Beziehung gesetzt, obwohl es auch für CellCept einen Extremwert der Wirkstoffverzögerung (3 Stunden) gibt, was verschwiegen wird. Dies entspricht nicht den Anforderungen an einen sachlichen Werbevergleich, zumal unter Anwendung des heilmittelwerberechtlichen Strengeprinzips. Danach sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit gesundheitsbezogener Aussagen zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Werbeangaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH GRUR 2002, 182, 185 - Das Beste jeden Morgen m.w.N.; Senat, GRUR-RR 2002, 173, 174 f. - pur; Senat, GRUR-RR 2001, 84, 87 - Handzahnbürste; Doepner, HWG, 2. Aufl. 2000, § 3 Rn. 22). Eventuelle Unklarheiten in der Darstellung müssen deshalb zu Lasten der werbenden Antragsgegnerin gehen, die es in der Hand hat, ihre Aussagen klar und deutlich zu formulieren und in Kurvendiagrammen unmissverständlich zu visualisieren.

dd) Zu Unrecht meint das Landgericht, der Verkehr würde davon ausgehen, dass es sich um eher schematische Kurvendarstellungen handele, die lediglich beispielhaft die mögliche Entwicklung der Wirkstoffkonzentration zeigten und dass deshalb auch andere Kurvenverläufe denkbar seien. Dies mag allenfalls für die untere Grafik betreffend Myfortic geltend, da der Verkehr der Abweichung von Text ("bis zu 15 Std.") und Grafik (1. "Peak" bei etwa 10 Stunden) eine ggf. nur durchschnittlich-gegriffene Aussage zum Wert in der Grafik entnehmen könnte. Für die Darstellung von CellCept gilt dies aber nicht. Vielmehr enthält die Grafik eine konkret definierte Zeitachse und eben nicht - wie die Wirkstoffachse - eine Darstellung ohne konkret ablesbare Wertescala.

II. Die Berufung der Antragstellerin hat auch im Hinblick auf den zweiten Berufungsantrag Erfolg. Gegenstand dieses Antrags der Antragstellerin ist die Abweisung des ursprünglichen Verfügungsantrags zu I.4.

1. Gegenstand des Verfügungsantrags zu I.4 ist die Werbung für das Fertigarzneimittel CellCept mit der Darstellung gemäß der oben abgebildeten Seite 16 des Folders (Überschrift: "Was muss bei der Einnahme der Medikamente beachtet werden?") . Der Antrag erfasst wiederum die konkrete Verletzungsform, und zwar, wie dargelegt, einschließlich der Überschrift.

2. Der Antrag ist begründet aus dem Gesichtspunkt der Irreführung (§§ 3, 5 UWG).

a) Aus dem Gesamtzusammenhang entnimmt der durch den Folder angesprochene Arzt dem 1. Spiegelstrich ("Voraussetzung für eine sichere Immunsuppression ist eine regelmäßige Wirkstoffaufnahme ohne `LückenŽ und `PeaksŽ") und dem 3. Spiegelstrich ("Eine fettreiche Nahrung verzögert die Wirkstoffaufnahme erheblich"), dass es bei der Einnahme von Myfortic zusammen mit fettreicher Nahrung zu einer erheblichen Verzögerung der Wirkstoffaufnahme kommt, also eine "Lücke" entsteht.

Da der klare Wortlaut von "verzögert" spricht, ohne diese Aussage etwas durch die Worte "kann" oder "möglicherweise" zu relativieren, wird jedenfalls ein wettbewerbsrechtlich relevanter Teil des Verkehrs von einer generellen Verzögerung der Wirkstoffaufnahme bei einer Einnahme zusammen mit fettreicher Nahrung ausgehen, also nicht nur von einer möglichen Verzögerung in Einzelfällen.

b) Diese Verkehrsvorstellung ist jedoch unrichtig. Die Antragstellerin hat substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht, dass Resorptionsverschiebungen bei Myfortic nicht generell auftreten, sondern nur eine solche Möglichkeit besteht. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Heilmittelwerberecht (vgl. OLG Hamburg PharmR 2004, 29, 31 = GRUR-RR 04, 88 ff.; Baumbach/Hefermehl-Köhler, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl. 2006, § 12 Rn. 2.95; Doepner, HWG, 2. Aufl. 2000, § 3 Rn. 34) ist mithin die Antragsgegnerin gehalten, die Richtigkeit ihrer pauschalen Behauptung darzulegen und zu beweisen. Dies ist ihr nicht gelungen:

Die Antragsgegnerin beruft sich zum einen auf die Fachinformation für Myfortic (Anlage Ast 1). Die Fachinformation referiert jedoch lediglich, dass Fälle von Wirkstoffverzögerungen aufgetreten sind (Ziff. 5.2.). Ihr ist aber nicht zu entnehmen, dass dies generell bei Einnahme mit fettreicher Nahrung so ist. Auch hat die Antragstellerin dargelegt und glaubhaft gemacht (vgl Anlage Ast 18), dass die Angabe in der Fachinformation nur auf die Daten von 2 Patienten beruht und die Metabolisierung von Myfortic grundsätzlich durch die Nahrungsaufnahme nicht beeinflusst wird, die Verzögerungen bei den 2 Patienten mithin nur Ausnahmen seien. Diesen Vortrag hat die Antragsgegnerin nur bestritten, nicht aber widerlegt. Der Sachvortrag der Antragsgegnerin im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 24.1.2007, bei Gericht per Telefax eingegangen am 26.1.2007, ist verspätet.

Der US-amerikanischen Fachinformation gemäß Anlage AG 1 (vgl. dort S. 3 "Food effect") lässt sich ebenfalls ein solcher genereller Verzögerungseffekt nicht entnehmen. Der dortige Text deckt sich insoweit mit der deutschen Fachinformation. Auch dort geht es wieder nur um die Schilderung von aufgetretenen Fällen, nicht aber um die Beschreibung eines generell zu beobachtenden Effekts. Ein solcher ist von der Antragstellerin - wie dargelegt - in Abrede gestellt worden, und zwar belegt durch die eidesstattliche Versicherung gemäß Anlage Ast 18.

III. Die Anschlussberufung der Antragsgegnerin ist zulässig.

Die Antragsgegnerin richtet ihre Berufung gegen beide vom Landgericht unabhängig voneinander angeführten Begründungen und erfüllt damit die Anforderungen des § 520 III ZPO. Zwar liegt der Schwerpunkt der Berufungsbegründung bei § 3a HWG. Die Antragsgegnerin greift aber auch die Begründung des Landgerichts im Hinblick auf § 3 HWG unter Hinweis auf Anlage AG 2 an.

Die Anschlussberufung der Antragsgegnerin hat allerdings in der Sache keinen Erfolg.

1. Gegenstand der Anschlussberufung ist die Verurteilung gemäß dem ursprünglichen Verfügungsantrag zu I.1.

2. Gegenstand dieses Antrags ist die Werbung für das Fertigarzneimittel CellCept mit der Darstellung gemäß der oben abgebildeten Seite 4 des Folders (Überschrift: "Welche immunsuppressiven Regime gibt es?"). Der Antrag erfasst wiederum die konkrete Verletzungsform, und zwar wiederum aus den bereits dargelegten Gründen einschließlich der Überschrift.

3. Die streitgegenständliche Werbung verstößt zum einen gegen § 3a HWG.

Gem. § 3a S. 2 HWG ist eine Werbung für Arzneimittel unzulässig, wenn sich die Werbung auf Anwendungsgebiete oder Darreichungsformen bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind.

a) Zum Anwendungsgebiet ist - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin -im Hinblick auf CellCept auch der Umstand zu zählen, dass CellCept gemäß der mit "Anwendungsgebiete" (!) überschriebenen Ziffer 4.1. der Fachinformation nur "in Kombination mit Ciclosporin und Corticosteroiden zur Prophylaxe von aktuten Transplantatabstoßungsreaktionen bei Patienten mit allogener Nieren-, Herz- oder Lebertransplantation angezeigt" ist (Hervorhebung durch den Senat). So ist die Frage, ob ein Arzneimittel allein oder nur in Kombination mit anderen Mitteln eingesetzt werden darf, zwanglos unter den Wortlaut von § 3a S. 2 HWG zu subsumieren. Dies verlangt auch der Sinn und Zweck der Vorschrift. Deren Normzweck betrifft die Vorbeugung von potentiellen Irreführungsgefahren hinsichtlich des Umfangs der medizinisch-pharmakologischen Überprüfung der Verkehrsfähigkeit durch die nationale oder internationale Zulassungsbehörde und daraus resultierender Gesundheitsgefahren (Doepner, HWG, 2. Aufl. 2000, § 3a Rn. 11 zur bisherigen, weiter anwendbaren Rechsprechung; vgl. auch Kügel/Hesshaus PharmaR 2006, 70, 71). Gegenstand der Zulassung und damit der behördlichen Überprüfung war jedoch nur die Anwendung von CellCept in Kombination mit den unter "Anwendungsgebiete" genannten anderen Präparaten.

Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, es müsse die Möglichkeit bestehen, einen fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisstand bezogen auf eine andere Kombination werblich kommunizieren zu können. Ein Arzneimittelhersteller ist nicht daran gehindert, insoweit eine Erweiterung der Zulassung zu erwirken, also letztlich den von ihm geltend gemachten fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnisstand der behördlichen Prüfung zu unterwerfen. Ohne eine solche fachbehördliche Überprüfung muss jedoch das strenge Werbeverbot des § 3a HWG greifen. Danach ist eine Werbung außerhalb der Zulassung selbst bei einem - hier noch nicht einmal vorliegenden - deutlichen Hinweis auf die noch nicht erfolgte Zulassung nicht erlaubt (Doepner, HWG, 2. Aufl. 2000, § 3a Rn. 11; Kügel/Hesshaus PharmaR 2006, 70, 71).

b) Die vorliegend angesprochenen Ärzte werden die Angabe

"Mycophenolatmofetil

CellCept"

+

Calcineurininhibitor

Cyclosporin oder Tacrolimus"

im hier nach dem Antrag maßgebenden Äußerungszusammenhang der Seite 4 des Folders dahin verstehen, dass eine kombinierte Anwendung von CellCept mit Cyclosporin oder Tacrolimus von der Zulassung des Arzneimittels CellCept umfasst ist.

Bereits die Überschrift "Welche Immunsuppressiven Regime gibt es?" und die weitere Zwischenüberschrift "Erhaltungstherapie" legt dem Arzt nahe, dass nachfolgend keine "Off-Label"-Anwendungen beschrieben werden. Jedenfalls für die hier streitgegenständliche Angabe ergibt sich dies weiter aus der Angabe "aktueller Standard". Darunter wird der Arzt, dem herkömmlichen Sprachgebrauch folgend, eine in Fachkreisen anerkannte und durchgesetzte Normalmethode verstehen. Dies kann nur eine der Zulassung entsprechende Therapie sein.

Es muss hier nicht entschieden werden, ob sich unter keinen Umständen ein "Off-Label-Use" als "Normaltherapie" in der Praxis herausbilden kann. Dies dürfte jedenfalls nicht der Normalfall sein, sondern nicht zuletzt wegen der vielschichtigen Rechtsprobleme, die mit dem "Off-Label-Use" verbunden sind (vgl. z.B. Freund, PharmaR 2004, 275 ff.) allenfalls die seltene Ausnahme. Wird in der Werbung - wie hier - nichts weiter zu besonderen Umständen kommuniziert, muss der Arzt davon ausgehen, dass eine als "Standard" bezeichnete Therapie innerhalb der Zulassung liegt.

Die Antragsgegnerin hat kein abweichendes Verkehrsverständnis dargelegt und glaubhaft gemacht. Der Verweis auf die eidesstattliche Versicherung gemäß Anlage AG 2 führt schon nicht weiter, weil dort ohne jede Begründung eine schlichte Behauptung aufgestellt wird. Im Übrigen bezieht sich die eidesstattliche Versicherung nur auf "Standardtherapie in der Nierentransplantation", auf diese Transplantationsart ist die Werbeaussage aber nicht beschränkt.

c) Eine kombinierte Anwendung von CellCept mit Tacrolimus ist nicht von der Zulassung umfasst. Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, auch Tacrolimus gehöre, wie das von der Zulassung umfasste Ciclosporin, zur Gruppe der Calcineurininbitoren. Denn die Fachinformation nennt als zugelassene Kombinationspräparate eben nicht diese Gruppe, sondern konkret Ciclosporin und Coritcosteroide.

4. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die verwiesen wird, hat das Landgericht zudem einen Verstoß gegen § 3 HWG festgestellt. Die angesprochenen Ärzte werden ohne hinreichende Anhaltspunkte einen "Off-Label-Use" nicht als "aktueller Standard" in der "Erhaltungstherapie" ansehen. Ein abweichendes Verkehrsverständnis hat die Antragsgegnerin, wie bereits dargelegt, nicht glaubhaft gemacht.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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