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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 29.04.2004
Aktenzeichen: 3 U 120/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 809
1. Der Besichtigungsanspruch aus § 809 BGB kann auch dem Urheber zustehen, der sich vergewissern möchte, ob eine bestimmte Sache unter Verletzung des geschützten Werks hergestellt worden ist. Voraussetzung ist dabei stets, dass für die Existenz eines Anspruchs bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (BGH GRUR 1985, 512, 516 - Druckbalken; BGH NJW-RR 2002, 1617, 1619 - Faxkarte).

2. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen den Anspruchsvoraussetzungen, die durch die begehrte Besichtigung der Sache erst geklärt werden sollen und solchen Anspruchsvoraussetzungen, die von der Besichtigung der Sache unabhängig sind.

3. Die von der Besichtigung der Sache unabhängigen Voraussetzungen müssen so weit feststehen, dass nur noch die Besichtigung der Sache erforderlich ist, um die Existenz des Anspruchs abschließend beurteilen zu können. Im Hinblick auf die durch die Besichtigung zu klärenden Anspruchsvoraussetzungen ist dagegen der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit ein im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigender Gesichtspunkt.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

3 U 120/00

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 29. April 2004

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter nach der am 15. April 2004 geschlossenen mündlichen Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Der erstmals in der Berufungsverhandlung vom 14.12.2000 gestellte Hilfsantrag sowie der weitere Hilfsantrag gemäß Schriftsatz vom 4.12.2002 werden abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung einschließlich der Kosten der Revision zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt, soweit für das Berufungsverfahren noch relevant, von der Beklagten Offenlegung des Quellcodes eines Computerprogramms wegen eines behaupteten Nachbaus einer Fax-Karte mit einem Fax-Analyser-System, das dem "Abhören" bzw. Überwachen von Fax-Sendungen dient.

Nachdem das Landgericht nach Beweisaufnahme die Klage auf Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung und Schadensersatz mit Urteil vom 18.2.2000 (308 O 341/97) abgewiesen hatte, hat der Senat die Berufung der Klägerin sowie den in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag, die Beklagte zu verurteilen, den "Quell-Code" der Programme bzw. Programmteile für das streitige System T. offen zu legen, soweit eine Übereinstimmung der Dateilänge bereits festgestellt worden ist, mit Urteil vom 11.1.2001 (3 U 120/00) abgewiesen. Die gegen das Urteil des Senats eingelegte Revision hat der BGH mit Beschluss vom 25.10.2001 nur insoweit angenommen, soweit der Hilfsantrag zurückgewiesen wurde (I ZR 45/01). Mit Urteil vom 2.5.2002 (veröffentlicht u.a. in NJW-RR 2002, 1617 - Faxkarte) hat der BGH das Urteil des Senats vom 11.1.2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage auch mit dem Hilfsantrag abgewiesen worden ist. Der BGH hat die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an den Senat zurückverwiesen.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, den Quellcode der Programme für das streitige System T. zur Kenntnis der Klägerin offen zu legen,

höchst hilfsweise die Offenlegung gegenüber einem zur Verschwiegenheit verpflichteten durch das Gericht bestimmten Gutachter zu gewährleisten.

Die Beklagte beantragt,

den Hilfsantrag abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird ergänzend auf den Akteninhalt nebst Anlagen sowie die Feststellungen des Urteils des Landgerichts vom 18.2.2000, des Senats im Urteil vom 11.1.2001 sowie des BGH im Urteil vom 2.5.2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Offenlegung des Quellcodes sowie der höchst hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Offenlegung gegenüber einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Gutachter nicht zu.

I.

Ein Anspruch auf Offenlegung des Quellcodes ergibt sich nicht aus § 809 BGB.

Nach dieser Vorschrift kann vom Besitzer die Gestattung der Besichtigung einer Sache verlangt werden, wenn der Anspruchsteller gegen den Besitzer einen Anspruch in Ansehung der Sache hat oder sich Gewissheit verschaffen will, ob ihm ein solcher Anspruch zusteht, sofern die Besichtigung der Sache aus diesem Grund für den Anspruchsteller von Interesse ist.

Der BGH hat im Urteil vom 2.5.2002 (I ZR 45/01, Urteilsumdruck S. 8, = NJW-RR 2002, 1617, 1618 - Faxkarte) entschieden, dass der Anspruch aus § 809 BGB grundsätzlich auch dem Urheber oder dem aus Urheberrecht Berechtigten zusteht, wenn er sich vergewissern möchte, ob eine bestimmte Sache unter Verletzung - beispielsweise durch Vervielfältigung - des geschützten Werkes hergestellt worden ist. Auch derjenige, dessen Leistung wettbewerbsrechtlich gegen Nachahmung geschützt ist, kann sich auf diesen Anspruch berufen (BGH, Urteilsumdruck S. 8). Dabei betrifft der Besichtigungsanspruch nicht nur die Sache selbst, hier die Faxkarte mit ihrer Software, sondern auch den hinter der Software stehende Quellcode (BGH, Urteilsumdruck S. 9).

Voraussetzung für einen Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB ist jedoch in jedem Fall das Vorliegen eines Anspruchs in Ansehung der Sache, wobei der Anspruch nicht nachweislich bestehen muss (Palandt-Sprau, BGB, 63. Aufl. 2004, § 809 Rn. 4). Allerdings ist nicht ausreichend, dass nur eine entfernte Möglichkeit besteht, dass gegen den in Anspruch genommenen die nachzuweisende Forderung besteht. Es muss vielmehr bereits ein gewisser Grad von Wahrscheinlichkeit der Existenz des Anspruchs vorliegen (BGH GRUR 1985, 512, 516 - Druckbalken; BGH NJW-RR 2002, 1617, 1619 - Faxkarte; Palandt-Sprau, BGB, 63. Aufl. 2004, § 809 Rn. 4).

Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Anspruchsvoraussetzungen, die durch die begehrte Besichtigung der Sache erst geklärt werden sollen (dazu nachfolgend a) und solchen Anspruchsvoraussetzungen, die von der Besichtigung der Sache unabhängig sind (dazu nachfolgend b).

a) Der BGH hat in der Druckbalkenentscheidung und in der dieses Verfahren betreffenden Faxkartenentscheidung zu der Frage Stellung genommen, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit eine Schutzrechtsverletzung vorliegen muss, um einen Besichtigungsanspruch nach § 809 BGB zu rechtfertigen. In beiden Fällen sollte die Besichtigung der Aufklärung dienen, ob eine Schutzrechtsverletzung vorliegt. Während der BGH in der eine mögliche Patentverletzung betreffenden Druckbalkenentscheidung insoweit einen erheblichen Grad an Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung verlangte (BGH GRUR 1985, 516 - Druckbalken), stellt er in der Faxkartenentscheidung jedenfalls für Fälle der Verletzung anderer Schutzrechte klar, dass der Grad der Wahrscheinlichkeit ein im Rahmen einer Gesamtwürdigung zur berücksichtigender Punkt ist (BGH NJW-RR 2002, 1617, 1619, 1620).

b) Hiervon unabhängig ist die Betrachtung der übrigen, nicht von der Besichtigung betroffenen Voraussetzungen des Anspruchs, dessen Bestehen durch die Vorlegung (Besichtigung) endgültig geklärt werden soll. Insoweit muss der Nachweis bereits bis zu einem Punkt erbracht sein, an dem nur noch die Besichtigung fehlt, um letzte Klarheit zu schaffen (BGH GRUR 1985, 512, 516 - Druckbalken). Auf die Vorlegung besteht dagegen kein Anspruch, wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen noch nicht bewiesen sind, das heißt wenn auch nach erfolgter Vorlegung noch die Möglichkeit besteht, dass weitere Tatbestandsmerkmale aufgeklärt werden müssen (BGH GRUR 1985, 512, 516 - Druckbalken m.w.N.; MüKo-Hüffer, 4. Aufl. 2004, § 809 Rn. 5). Die Voraussetzungen des Hauptanspruchs müssen vielmehr so weit feststehen, dass nur noch die Besichtigung der Sache erforderlich ist, um seine Existenz abschließend beurteilen zu können (Staudinger, Neubearb. 2002, § 809 Rn. 7 m.w.N.).

c) Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

aa) Als denkbarere Hauptansprüche kommen vorliegend Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft und Vernichtung in Bezug auf das "Fax-Analyser-System T." der Beklagten nicht (mehr) in Betracht, da diese Ansprüche Gegenstand der mittlerweile durch Nichtannahme der Revision rechtskräftig abgewiesenen Hauptanträge der vorliegenden Klage waren. Aus Anlass der Erörterungen in der mündlichen Berufungsverhandlung weist der Senat noch einmal darauf hin, dass der Klageantrag auf Schadensersatz ausdrücklich auf den Auskunftsantrag rückbezogen war, indem der Schaden ersetzt werden sollte, der der Klägerin durch die im Auskunftsantrag bezeichneten Handlungen entstanden sind und künftig noch entstehen werden. Gegenstand des Auskunftsantrags waren die Herkunft und der Vertriebsweg des Fax Analyser-Systems T. sowie die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse. Sowohl der Auskunftsanspruch als auch der darauf Bezug nehmende Schadensersatzanspruch sind auf der Grundlage sämtlicher dazu von der Klägerin vorgetragenen tatsächlichen Umstände rechtskräftig abgewiesen worden. Irgendwelche weiteren Umstände, die einen Schadensersatzanspruch stützen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

bb) Aber auch ein Unterlassungsanspruch scheidet als denkbarer Hauptanspruch eines Besichtigungsanspruchs nach § 809 BGB aus. Denn insoweit fehlt es an einer erforderlichen Begehungsgefahr.

(1) Eine Wiederholungsgefahr besteht jedenfalls seit Abgabe der Unterlassungserklärung der Beklagten vom 19. Juni 1997 (Anlage K 11) nicht mehr. Anhaltspunkte dafür, dass diese Unterlassungserklärung inhaltlich unzureichend ist, sind von der Klägerin weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Unterlassungserklärung entspricht sowohl in ihrem Verbotsausspruch als auch im Hinblick auf die dort versprochene Vertragsstrafe wörtlich der Erklärung, wie sie die Klägerin selbst in ihrer Abmahnung vom 31.1.1997 verlangt hat (Anlage K 7). Selbst wenn man, was die Klägerin hier wohlgemerkt nicht tut, die Auffassung vertreten würde, dass die Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht den gesamten Kern des konkreten Beanstandungsfalles abdecke, also ggf. eine weitergehende Abstrahierung verlangt werden könne, würde dies einen Unterlassungsanspruch nicht begründen können. Denn dadurch, dass die Klägerin ursprünglich eine bestimmte Unterlassungserklärung verlangt hat und die Beklagte genau diese Erklärung abgegeben hat, hat sich das Unterlassungsbegehren auf diesen übereinstimmenden Inhalt konkretisiert, darüber hinausreichende Ansprüche stehen der Klägerin nicht (mehr) zu.

(2) Die Klägerin trägt auch keinerlei Anhaltspunkte für eine Erstbegehungsgefahr vor. Die Faxkarte beruht auf der mittlerweile veralteten Windows 3.1. - Technologie. Sofern die Klägerin Exporte des Faxsystems vorgetragen hat, liegen diese in 1995, jedenfalls vor der Unterlassungsverpflichtungserklärung vom 19.6.97.

(3) Ein Unterlassungsanspruch ist auch nicht deswegen als Hauptanspruch zu unterstellen, weil der BGH im zurückverweisenden Urteil ausgeführt hat, es komme "im Streitfall auch ein Unterlassungsanspruch in Betracht" (BGH, Urteilsumdruck S. 8, lit. b). Der Senat ist hieran nicht gemäß §§ 565 II ZPO a.F., 563 II n.F. ZPO gebunden. Denn die Frage des Bestehens einer Begehungsgefahr ist nicht Gegenstand der rechtlichen Beurteilung des zurückverweisenden Urteils. Der BGH hat insoweit keinerlei Ausführungen zu dem Tatbestandsmerkmal der Wiederholungsgefahr gemacht und hat auch das Vorliegen eines Unterlassungsanspruchs nicht vollständig bzw. bis auf die Frage der Schutzrechtsverletzung vollständig geprüft und bejaht. Es wurde lediglich ausgeführt, ein Unterlassungsanspruch käme "in Betracht", was nur bedeutet, ein solcher Anspruch sei rechtlich grundsätzlich denkbar. Dem Urteil des BGH lässt sich auch keine Feststellung entnehmen, aus der sich ergeben würde, dass die Abgabe der Unterlassungsverpflichtungserklärung gemäß Anlage K 11 in die Betrachtung einbezogen wurde.

cc) Einen weiteren Hauptanspruch, dessen Prüfung die Offenlegung des Quellcodes dienen könnte, hat die Klägerin nicht geltend gemacht geschweige denn dessen Voraussetzungen vorgetragen. Er ist auch sonst nicht ersichtlich.

3. Auch andere Anspruchsgrundlagen, die den Offenlegungsanspruch begründen könnten, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

4. Damit fehlt es auch an den Voraussetzungen für den höchst hilfsweise geltend gemachten Anspruch. Dieser setzt das grundsätzliche Bestehen eines Anspruchs auf Offenlegung voraus.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache geht, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, über die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt nicht hinaus. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die Zulassung der Revision ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Der Wert der Beschwer der Klägerin beträgt ausweislich des Streitwertbeschlusses des BGH vom 2.5.2002 Euro 10.225,83 (= DM 20.000,-).

Die Zuerkennung einer Abwendungsbefugnis gemäß § 711 kam nicht in Betracht (§ 713 ZPO). Eine Beschwerde wegen der nicht zugelassenen Revision (§ 544 ZPO) ist vorliegend nicht zulässig (§ 26 Nr. 8 EGZPO).



Ende der Entscheidung

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