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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.04.2001
Aktenzeichen: 3 U 231/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 935
ZPO § 940
1. Der Erlass einer Patentverfügung setzt zur Vermeidung des Risikos einer Fehlbeurteilung technischer Sachverhalte im summarischen Verfahren voraus, dass das Verfügungspatent mit zumindest großer Wahrscheinlichkeit rechtsbeständig ist bzw. sich in einem anhängigen Nichtigkeits- bzw. Einspruchsverfahren als rechtsbeständig erweisen wird.

2. Für die insoweit erforderliche Beurteilung ist bei einem anhängigen Einspruchsverfahren nicht die eigene Überzeugung des Senats hinsichtlich der Neuheit bzw. der erfinderischen Höhe der patentierten technischen Lehre maßgeblich. Die zutreffende Entscheidung hängt vielmehr von einer Prognose danach ab, in welcher Weise die technischen Prüfer des EPA im Einspruchsverfahren über die geltend gemachten Entgegenhaltungen entscheiden werden.

3. Selbst wenn eine konkrete Entgegenhaltung dem Prüfer bereits im Erteilungsverfahren vorgelegen hat, kann in bestimmten Fällen die Möglichkeit nicht auszuschließen sein, dass die technischen Prüfer des EPA im Einspruchsverfahren - bei einer erneute Betrachtung des gesamten Standes der Technik - zu einem gegenüber dem Erteilungsverfahren abweichenden Ergebnis gelangen werden.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 231/00

Verkündet am: 19. April 2001

In dem Rechtsstreit

Spannbacke

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Brüning, Spannuth, Rieger nach der am 19. April 2001 geschlossenen mündlichen Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 28.07.2000 abgeändert.

Der Antrag vom 26. Juni 2000 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

und beschlossen:

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf DM 500.000.- festgesetzt.

Tatbestand:

Die Antragstellerin - ein in Israel ansässiges Unternehmen - ist Inhaberin des am 15.11.1994 angemeldeten Europäischen Patents EP 0 654 316 B1 (im Folgenden: Verfügungspatent). Die Patenterteilung u.a. für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist am 03.05.2000 bekannt gemacht worden.

Das Verfügungspatent betrifft eine "Spannvorrichtung für einen Schneideeinsatz" ("Clamping device for a cutting insert"). Sein im Rahmen dieses Rechtsstreits allein maßgeblicher Anspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung der Verfügungspatentschrift:

"Metallschneidewerkzeuganordnung mit:

einem starren Halterabschnitt (1);

einem Einsatzaufnahmeschlitz (9), der in einem vorderen Ende des Halterabschnitts (1) ausgebildet und zwischen einer mit dem Halterabschnitt (1) einstückig ausgebildeten, elastisch bewegbaren bzw. verstellbaren Spannbacke (3) und einer einen Teil des Halterabschnitts bildenden Basisbacke (4) definiert ist;

voneinander beabstandeten Verstell- und Halteflächen (14, 15), die auf der Spannbacke (3) bzw. dem Halter (2) ausgebildet sind;

wobei die Spannbacke (3) einen vorderen Abschnitt und einen hinteren Abschnitt aufweist, um den sie bezüglich der Basisbacke (4) elastisch bewegbar bzw. verstellbar ist;

dadurch gekennzeichnet, dass

die Verstellfläche (14) im wesentlichen auf dem vorderen Abschnitt der Spannbacke (3) ausgebildet und vom Aufnahmeschlitz (9) beabstandet ist; und

mit einem Schlitzöffnungsschlüssel (21, 33, 41), wobei ein Paar beabstandete, hervorstehende Klauen (24a, 24b; 34a, 34b; 42a, 42b) des Schlüssels (21, 33, 41) dazu geeignet sind, mit den Flächen (14, 15) in Eingriff zu kommen, wobei mindestens einer der Klauen

bezüglich des Halterabschnitts (1) bewegbar bzw. verstellbar ist, um die Spannbacke (3) bezüglich der Basisbacke (4) elastisch nach außen in eine Öffnungsposition zu bewegen bzw. verstellen, in der ein Einsatz (7) einsetzbar oder entfernbar ist. (Unterstreichung nicht im Original)

Wegen des Wortlauts des erteilten Patentanspruchs 1, wegen der übrigen Patentansprüche 2 bis 10 sowie wegen der deutschen Übersetzung und wegen der Patentbeschreibung wird auf den Inhalt der Verfügungspatentschrift (Patentschrift in Anlage W12=B5) sowie auf die deutsche Übersetzung der Patentbeschreibung (deutsche Übersetzung der Patenschrift in Anlage W1a) Bezug genommen.

Die im Laufe des Erteilungsverfahrens eingereichte Anmeldeschrift EP 0 654 316 A1 (Anlage W1) enthielt - abweichend von der späteren Patenterteilung - zu der Positionierung der Verstell- und Halteflächen in dem dritten Abschnitt dieses Patentanspruchs noch die abweichende Formulierung ".., die in oder auf der Spannbacke..." ("formed in or on said clamping jaw"), während das Patents endgültig mit der Formulierung "..., die auf der Spannbacke" ("formed on said clamping jaw") veröffentlicht worden ist.

Die Antragsgegnerin vertreibt in Deutschland Stech- und Gewindesysteme (Anlage W5). Sie bietet für ihr modulares Stech- und Gewindesystem "MSS" eine GX-Klinge an, die mittels eines Montageschlüssels in eine Halterung ("Schaftwerkzeug") eingeführt wird (Klinge und Schlüssel im Original in Anlage W6, Beschreibung in Anlage W7).

Hierin sieht die Antragstellerin eine Verletzung ihres Verfügungspatents. Sie nimmt die Antragsgegnerin auf Unterlassung in Anspruch.

Das Landgericht hat es mit dem angefochtenen Urteil vom 28.07.2000 der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der üblichen Ordnungsmittel verboten, Metallschneidewerkzeuganordnung mit:

einem starren Halterabschnitt;

einem Einsatzaufnahmeschlitz, der in einem vorderen Ende des Halterabschnitts ausgebildet und zwischen einer mit dem Halterabschnitt einstückig ausgebildeten, elastisch bewegbaren bzw. verstellbaren Spannbacke und einer einen Teil des Halterabschnitts bildenden Basisbacke definiert ist;

voneinander beabstandeten Verstell- und Halteflächen, die in oder auf der Spannbacke bzw. dem Halter ausgebildet sind;

wobei die Spannbacke einen vorderen Abschnitt und einen hinteren Abschnitt aufweist, um den sie bezüglich der Basisbacke elastisch bewegbar bzw. verstellbar ist, wobei die Verstellfläche im wesentlichen auf dem vorderen Abschnitt der Spannbacke ausgebildet und vom Aufnahmeschlitz beabstandet ist; und mit einem Schlitzöffnungsschlüssel, wobei ein Paar beabstandete, hervorstehende Klauen des Schlüssels dazu geeignet sind, mit den Flächen in Eingriff zu kommen, wobei mindestens einer der Klauen bezüglich des Halterabschnitts bewegbar bzw. verstellbar ist, um die Spannbacke bezüglich der Basisbacke elastisch nach außen in eine Öffnungsposition zu bewegen bzw. verstellen, in der ein Einsatz einsetzbar oder entfernbar ist, (Unterstreichung nicht im Original) im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen, zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin bzw. deren österreichische Muttergesellschaft betreiben vor dem Europäischen Patentamt seit dem 24.05.2000/31.01.2001 das Einspruchsverfahren gegen das Verfügungspatent (Anlage B7 und AG10). Sie berufen sich im Rahmen ihrer Entgegenhaltungen in erster Linie auf die vorbekannte erfinderische Lehre aus dem amerikanischen Patent US 402.400 (D1).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist in der Sache auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Unterlassungsverfügung wegen einer Patentechtsverletzung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sind nicht gegeben. Der Senat kann aufgrund der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage, insbesondere im Hinblick auf die Entgegenhaltung aus dem amerikanischen Patent US 402.400 nicht mit der für eine Verurteilung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen Gewissheit davon ausgehen, dass sich das Verfügungspatent in dem vor dem Europäischen Patentgericht anhängigen Einspruchsverfahren als rechtsbeständig erweisen wird. Deshalb ist die Antragstellerin für die Verfolgung ihres Unterlassungsanspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.

1. Einstweilige Verfügungen i.S.v. §§ 940, 935 ZPO wegen eines Unterlassungsanspruchs kommen auch in Patentrechsverletzungsangelegenheiten grundsätzlich in Betracht. Ihr Erlass setzt in der Regel die Feststellung einer wortlaut- bzw. wortsinngemäßen Verletzung des Verfügungspatents voraus, da sich die Feststellung einer äquivalenten Verletzung im Verfügungsverfahren in der Regel nicht mit dem erforderlich hohen Grad von Zuverlässigkeit feststellen lässt (Senatsurteil v. 13.01.2000 - 3 U 236/96). Darüber hinaus setzt der Erlass einer Patentverfügung zur Vermeidung des Risikos einer Fehlbeurteilung technischer Sachverhalte im summarischen Verfahren voraus, dass das Verfügungspatent mit zumindest großer Wahrscheinlichkeit rechtsbeständig ist bzw. sich in einem anhängigen Nichtigkeits- bzw. Einspruchsverfahren als rechtsbeständig erweisen wird. Ob es sogar - wie dies zuweilen weitergehend verlangt worden ist - "über jeden Zweifel erhaben" sein muss, braucht der Senat im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu entscheiden.

2. Zwischen den Parteien steht im Ergebnis nicht im Streit, dass die Antragsgegnerin mit ihrem Werkzeug wortlaut- bzw. zumindest wortsinngemäß von dem Verfügungspatent Gebrauch macht, so dass die Geltendmachung eines Unterlassungsausspruchs im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dem Grunde nach in Betracht kommt.

Soweit sich die Antragsgegnerin auf die unterschiedliche Formulierung der Veröffentlichung ("on") gegenüber der Anmeldeschrift ("in or on") beruft, vermag der Senat hierin mit dem Landgericht keine materielle Einschränkung des Erfindungsgegenstandes zu erkennen. Eine solche im Erteilungsverfahren vorgenommene Einschränkung hat die Antragsgegnerin zudem nicht glaubhaft gemacht. Allein die Veränderung des Wortlauts in einem der Patentansprüche besagt hierzu nichts, zumal sich in verschiedenen anderen Passagen der Patentschrift bzw. -ansprüche und sogar in Anspruch 1 selbst (Spalte 7, Zeile 42 der Anlage W12) weiterhin die ursprüngliche bzw. eine entsprechende Formulierung findet, die (auch) von einer Anordnung "in" der Spannbacke ausgeht (z.B. Anspruch 3). Zur näheren Begründung wird im übrigen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Hamburg Bezug genommen. Die Lehre einer Ausprägung der Verstellfläche nur (oben bzw. unten) "auf" - und nicht in - der Spannbacke wäre technisch so wenig plausibel, dass die Patentierung einer solchen Erfindung erkennbar keinen Sinn machen würde, einmal abgesehen davon, dass sie auch in einem nicht auflösbarem Widerspruch zu den der Patentanmeldung beigefügten Zeichnungen stehen würde, die die verbale Beschreibung gerade erläutern sollen und deshalb in Zweifelsfragen zur Auslegung mit heranzuziehen sind.

3. Die Parteien streiten vielmehr in erster Linie darum, ob das Verfügungspatent mangels ausreichender erfinderischer Tätigkeit auf Grund des bei der Anmeldung vorbekannten Standes der Technik auf den Einspruch der Antragsgegnerin zu widerrufen ist. Zulässigkeitsvoraussetzung und Beurteilungsmaßstab für das vorliegende Verfügungsverfahren ist demgemäß in erster Linie die Frage, ob sich ein für die Antragstellerin positiver Ausgang des Einspruchsverfahrens und damit die Rechtsbeständigkeit des Patents mit großer Wahrscheinlichkeit prognostizieren lässt.

4. Dies erscheint dem Senat im vorliegenden Fall nicht gesichert. Es kann nach Sachlage nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit ausgeschlossen werden, dass es im Einspruchsverfahren wegen des vorbekannten Stands der Technik aus dem US Patent 402.400 zu einem Widerruf des Verfügungspatents kommt und dieses damit nicht rechtsbeständig ist.

a. Allerdings hat die Antragsgegnerin glaubhaft gemacht, dass dem Prüfer des Europäischen Patentamtes (EPA) bereits im Verfahren auf Erteilung des Verfügungspatents das amerikanische Patent US 402.400 aus dem Jahr 1889 vorgelegen hat. Nachdem die Antragstellerin im Rahmen des Erteilungsverfahrens in ihren Kommentaren ("Comments" S. 9 der Anlage AG6) selbst auf das Patent US 402.400 Bezug genommen hatte, hatte das EPA - wie sich aus den von der Antragsgegnerin hierzu eingereichten Unterlagen ergibt - mit Bescheid vom 04.12.1997 das Fehlen einer Kopie hiervon beanstandet. Diese hatte die Antragstellerin dann mit Schriftsatz vom 15.06.198 nachgereicht. Damit lag das Patent US 402.400 bei der Erteilung des Verfügungspatents vor und konnte von dem Prüfer bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden. Der Senat hat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Prüfer den darin enthaltenden vorbekannten Stand der Technik nicht pflichtgemäß zur Kenntnis genommen hat.

b. Gleichwohl vermag der Senat jedenfalls nicht mit dem für eine Verbotsentscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren erforderlichen Grad an Gewissheit festzustellen, dass sich das Verfügungspatent im Einspruchsverfahren als rechtsbeständig erweisen wird.

aa. Dabei ist für die Beurteilung im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren nicht auf die eigene Beurteilung des Senats hinsichtlich der Neuheit bzw. der erfinderischen Höhe der patentierten technischen Lehre abzustellen. Die zutreffende Entscheidung hängt vielmehr von einer Prognose danach ab, in welcher Weise die technischen Prüfer des EPA im Einspruchsverfahren über die geltend gemachten Entgegenhaltungen entscheiden werden. Nur wenn mit einem hohen Grad an Gewissheit davon ausgegangen werden kann, dass sich die Einwände der Antragsgegnerin gegen die Patenterteilung als substanzlos erweisen und die Prüfer deshalb nicht zu einer vom Erteilungsverfahren abweichenden Entscheidung veranlassen werden, kann der Ausspruch einer Untersagungsverpflichtung im Rahmen des summarischen Verfügungsverfahren bereits vor dem Abschluss des Einspruchsverfahrens im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung gerechtfertigt erscheinen. Eine solche Situation hält der Senat - anders als das Landgericht - vorliegend jedoch nicht für gegeben, so dass im Zweifel der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung zu unterbleiben hat.

bb. Die Patentschrift des Verfügungspatent (Anlage W12) schildert einer Reihe von Verfahren, in denen der bei der Erteilung vorbekannte Stand der Technik zum Ausdruck kommt. Das im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits eingehend erörterter britische Patent GB 1 379 637 (Anlage W3) wird dabei ebenso angeführt wie das europäische Patent EP-A-0152729 (Anlage W2), auf das sich die Parteien zur Abgrenzung der Erfindung ebenfalls beziehen. Als weitere zitierte Referenzen nennt das Deckblatt der Patenschrift zudem die Patente US-A-1 672 458, US-A-3 175 426 und WO-A-93/20972. Allen diesen Erfindungen ist gemeinsam, dass das Einsetzen in das bzw. Entfernen des Schneideansatzes aus dem Haltewerkzeug zwar in unterschiedlicher Weise technisch gelöst ist, hierbei jedoch stets in erheblichem Umfang reibende Kräfte wirken, mit denen ein Verschleiss des Einsatzteils sowie der Halterabschnittsbacken verbunden ist. Erklärter Sinn des Verfügungspatents ist es, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, bei dem diese nachteiligen Auswirkungen vermieden werden.

Aus diesem, in der Patentschrift selbst genannten Stand der Technik können sich nach Auffassung des Senats auch im Einspruchsverfahren keine berechtigten Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Patents ergeben. Allein gegenüber den dort geschilderten Verfahren und Vorrichtungen würde sich die neue Lehre aus dem Verfügungspatent ohne weiteres als erfinderische Tätigkeit i.S.v. Art. 56 Abs. 1 EPÜ zur Überwindung der sich aus den vorbekannten Problemlösungen ergebenden Nachteile darstellen.

cc. Dies gilt hingegen nicht gleichermaßen unter der gebotenen Mitberücksichtigung einer ebenfalls einschlägigen, in der Patentschrift aber nicht ausdrücklich genannten amerikanischen Erfindung aus dem vorigen Jahrhundert. Zum Zeitpunkt der Patentanmeldung war ein unerwünschte Reibungen vermeidendes Verfahren bei dem Einsetzen und Entfernen von Schneideeinsätzen in Halterungen zwar noch nicht für die Klingen spanender Werkzeuge bekannt. Allerdings war ein entsprechendes Verfahren bereits für Sägeblätter ("Tool for manipulating Saw-Teeth") beschrieben und mit dem US-Patent 402.400 schon mehr als 100 Jahre vorher am 30.04.1889 in Amerika veröffentlicht worden.

Wenngleich bei beiden patentierten Lösungen durchaus Unterschiede sowohl in dem Einsatzgebiet des Werkzeugs als auch in der konkreten Ausgestaltung der Halteeinrichtung offensichtlich sind, könnte bereits mit dieser Erfindung der Kern der erfinderische Lehre des Verfügungspatents Ausdruck gefunden haben. Insbesondere in dem Ziel, unerwünschte, zur Materialermüdung führende Reibekräfte bei dem Austausch einer Klinge aus einem Haltersystem zu vermeiden, kommt das US-Patent 402.400 dem Verfügungspatent erheblich näher als die von den Parteien erörterten und in der Patenschrift erwähnten Erfindungen GB 1 379 637 und EP-A-0152729. Vor diesem Hintergrund erschließt sich dem Senat nicht ohne weiteres, welche materiell-rechtlichen Gründe dafür maßgebend gewesen sind, dass der technische Prüfer des EPA im Erteilungsverfahren eine Kopie des US-Patents 402.400 zwar ausdrücklich angefordert und offensichtlich zur Kenntnis genommen, dieses aber zumindest in den schriftlichen Ausführungen für die Beurteilung der Patentfähigkeit des Verfügungspatents keinen Niederschlag gefunden hat und auch im übrigen - soweit ersichtlich - inhaltlich nicht zum Gegenstand der Erörterungen mit der Anmelderin im Erteilungsverfahren gemacht worden ist. Dieser Umstand erscheint dem Senat vor allem deshalb schwer nachvollziehbar, weil mit den Patenten GB 1 379 637 und EP-A-0152729 Erfindungen diskutiert worden sind, die im Hinblick auf die konkrete erfinderische Lehre nach Auffassung des Senats einen deutlich weiteren Abstand zu dem Verfügungspatent haben als das US-Patent 402.400.

Offenbar hatte die Antragstellerin mit der Patentanmeldung selbst erklärt, bei dem Patent EP 0 152 729 A3 (Anlage W2) handele es sich um den der neuen Erfindung am nächsten kommenden Stand der Technik. In dem Bescheid des EPA an die Antragstellerin vom 18.12.1996 (Anlage AG6) wird dieses Patent - das die Entgegenhaltung D1 im Erteilungsverfahren war - auf S. 2. mit den Worten "which represents the closest state of the art to the subject matter of the present application" beschrieben. Diese Einschätzung scheint dem Senat aus den nachfolgend wiedergegebenen Überlegungen nicht in jeder Hinsicht bedenkenfrei zu sein. Angesichts dieser Umstände vermag der Senat nicht mit der erforderlichen Gewissheit die Möglichkeit auszuschließen, dass die technischen Prüfer des EPA im Einspruchsverfahren bei einer erneute Betrachtung des gesamten Standes der Technik - unter Einschluss des US-Patent 402.400 - zu einem gegenüber dem Erteilungsverfahren abweichenden Ergebnis gelangen könnten. Schon dieser Umstand steht dem Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung entgegen.

aaa. Allerdings stellt sich das Verfügungspatent gegenüber dem US-Patent 402.400 entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ohne weiteres als Neuheit i.S.v. Art. 54 Abs. 1 EPÜ dar, denn in ihm offenbart sich nicht lediglich der zum Zeitpunkt der Patentanmeldung vorbekannte Stand der Technik in unveränderter Form. Die dafür vorausgesetzte Identität der technischen Lehren liegt zumindest nicht hinsichtlich aller Merkmale vor. Dies folgt schon aus den offensichtlichen Unterschieden in der Gestaltung der beiden Vorrichtungen, die sich etwa darin ausdrücken, dass bei dem Verfügungspatent die Verstellfläche (14) - je nach Wortverständnis - in bzw. auf der Spannbacke ausgebildet ist, während sich die entsprechende Öffnung bei dem US-Patent 402.400 hinter dem Einsatzaufnahmeschlitz befindet, jedenfalls nicht in der Spannbacke, wie immer man diese auch eingrenzen mag.

bbb. Demgegenüber erscheint es dem Senat zumindest nicht gesichert zu sein, dass die Ausbildung der erfinderischen Lehre des Verfügungspatents vor dem sich aus dem US-Patent 402.400 ergebenden Stand der Technik bei einer nochmaligen Überprüfung im Einspruchsverfahren in jedem Fall als ausreichende Entwicklung erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Art. 56 EPÜ Bestand haben wird. Verbleibende Zweifel wirken sich im Verfügungsverfahren zu Lasten der Antragstellerin aus.

(1) Das US-Patent nimmt als einziges - anders als alle andere Entgegenhaltungen - die für das Verfügungspatent erfindungswesentliche Spreizung der Haltebacken durch ein eigens dafür vorgesehenes Werkzeug vorweg. Die übrigen entgegengehaltenen Erfindungen hatten das Einsetzen der Klinge in den bzw. das Herauslösen aus dem Aufnahmeschlitz in unterschiedlicher Weise mit der Überwindung des von den Haltebacken ausgehenden und zum Halten des Werkstücks erforderlich "Drucks" realisiert. Gerade die Vermeidung der damit verbundenen, unerwünschten Reibungskräfte, die zur vorzeitigen Materialermüdung führen, hatte die Antragstellerin als wesentlichen erfinderischen Schritt ihrer Erfindung hervorgehoben. Dazu heisst es etwa auf S. 2 der Übersetzung der Patentschrift (zunächst zum vorbekannten Patent GB-A-1379637): "Die Verstellung der Spannbacke nach außen wird unter Verwendung eines mechanischen Schlüssels bewirkt, der in Reibungskontakt mit der Innenseite der Spannbacke verstellt wird, wodurch die Backe und/oder der Schlüssel verschleißt. Es ist die Aufgabe der vorliegenden Erfindung, eine neuartige und verbesserte Metallschneidewerkzeuganordnung bereitzustellen, bei der die vorstehend erwähnten Nachteile reduziert oder überwunden wird." Dieser Vorteil wird in Absatz 3 der Seite 3 dahingehend beschrieben, dass der reibende Kontakt vermieden wird, und zwar sowohl mit dem Einsatz als auch mit den Innenflächen der (Basis- und Spann)backen. Deshalb sind in der Erfindung der Antragstellerin sowohl in der Basis- als auch in der Spannbacke sog. "Verstell- und Halteflächen (14,15)" vorgesehen (d.h. "Löcher" bzw. Bohrungen), in die die Klauen des Spreizwerkzeugs eingreifen können, wobei sich bei einer Betätigung des Werkszeugs dann die eine Klaue (Pratze) in der Basisbacke abstützt und von der anderen Klaue die Spannbacke nach außen gedrückt wird. Hierdurch wird der Aufnahmeschlitz erweitert, so dass die Klinge reibungsfrei eingeschoben oder entnommen werden kann.

(2) Eben dieses erfinderische Prinzip realisiert bereits das US-Patent 402.400 aus dem Jahr 1889 in einer - jedenfalls im Grundsatz - weitgehend ähnlichen Weise. Auch bei diesem Patent wird die eine Backe nach außen gedrückt, um den Einsatz wechseln zu können. Der Unterschied der Lehren der beiden Erfindungen liegt vor allem in der Frage, wo sich die Bohrungen für die Aufnahme der Spannpratzen genau befinden. Bei dem Verfügungspatent sind hierfür in den beiden Backen die sog. "Verstell- und Halteflächen (14,15)" vorgesehen. Das US-Patent 402.400 realisiert dies in anderer Anordnung, aber in technisch ähnlicher Weise. Dort ist ein Loch ("hole or socket"), bezeichnet mit "d'", nicht in der Basisbacke, sondern in dem Korpus des Werkzeugstücks angeordnet, dessen Teil die Basisbacke ist. Das wäre nach der Bezeichnung des Verfügungspatents der "Halter (2)". Als zweite Verstellfläche dient eine kreisförmige Erweiterung am Ende des Aufnahmeschlitzes ("e'"), in die die zweite Klaue des Verstellwerkszeugs (das praktisch demjenigen der Antragsgegnerin entspricht) eingreift. Bei einem Verstellen des Werkzeugs drückt die in der Öffnung "e' " sitzende Pratze die Spannbacke "e" nach außen, so dass der Schneideeinsatz (hier für das Sägeblatt) freigeben ist.

(3) Als Beleg für den von mit der Entwicklung ihrer Lehre behaupteten erfinderischen Schitt, hat die Antragstellerin im Senatstermin vor allem drei relevante Abweichungen des Verfügungspatents gegenüber dem US-Patent 402.400 hervorgehoben, die sich für einen Durchschnittsfachmann nicht bereits aus dem Stand der Technik in naheliegender Weise ergeben und deshalb Ausdruck erfinderischer Tätigkeit sein sollen:

* bei dem US-Patent 402.400 sind Halterabschnitt und Spannbacke im Hinblick auf das eingesetzte Bauteil "E" nicht einstückig ausgebildet,

* die Verstellfläche liegt nicht im vorderen Abschnitt der Spannbacke,

* sie ist gegenüber dem Aufnahmeschlitz nicht beabstandet ausgebildet.

Der Senat hält es im Ergebnis nicht für hinreichend gesichert, dass diese Unterschiede im Zusammenhang mit den übrigen Abweichungen mit der erforderlichen Gewissheit die Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents im Einspruchsverfahren gewährleisten können.

(a) Das eingesetzte Bauteil "E" kann einer einstückigen Ausbildung von Halterabschnitt und Spannbacke durchaus äquivalent sein, wenn die Lehre des Verfügungspatents die Erfindung hiermit - was naheliegt - in erster Linie gegenüber Konstruktionen abgrenzen wollte, die die Öffnung des Aufnahmeschlitzes nicht durch eine Veränderung der Spannung innerhalb eines einheitlichen Bauteils , sondern durch das Zusammenwirken mehrerer bewegliche Bauteile bzw. Scharniere bewirken. Dies kann auch mit einem fest mit dem Halterabschnitt verbundenen Bauteil "E" erreicht werden, so dass der Übergang zu einer einstückigen Ausführung nicht notwendigerweise einen erheblichen erfinderischen Schritt vollzieht.

(b) Auch der Umstand, dass sich die Verstellfläche nicht auf der Spannbacke selbst befindet, und zwar in ihrem vorderen Abschnitt, wie es das Verfügungspatent lehrt, muss einer Vorwegnahme durch das vorbekannte amerikanische Patent nicht zwingend entgegenstehen. Denn eine solche Anordnung konnte im US-Patent 402.400 aufgrund der Abmessungen der Bauteile schon konstruktiv überhaupt nicht realisiert werden. Wie die Zeichnung in Fig. 2 zeigt, ist der Aufnahmeschlitz für den Schneideeinsatz des Sägeblatts nur sehr schmal und relativ kurz ausgearbeitet. Deshalb sind die Proportionen andere als bei der streitgegenständlichen Erfindung für ein spanendes Werkzeug. Gleichwohl sind "Spann- und Basisbacken" auch bei dem US-Patent 402.400 in gleicher Weise vorhanden, wenn auch der vordere Teil der Spannbacke nur in einer Art "Miniaturausführung". Er ist so klein, dass er zur Aufnahme von Verstelllöchern ungeeignet ist. Das ist bei der Anordnung des Verfügungspatents anders. Da das Prinzip aber im Ergebnis weitgehend dasselbe ist, erscheint es dem Senat fraglich, ob für die technischen Prüfer des EPA gerade in der abweichenden Anordnung einer der Verstellflächen in der Spannbacke ein Schritt von ausreichender erfinderischer Höhe seine Ausprägung finden muss und sich diese Art der Gestaltung nicht für einen Durchschnittsfachmann des entsprechenden Sachgebiets in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ableiten ließe. Denn wenn man in der Abbildung in Anlage AG3 die Verstellflächen in den kurzen vorderen Teil der den Spannbacken entsprechenden Halterungen - eine ausreichend Abmessung vorausgesetzt - verschiebt, gelangte man ohne weitere materielle Unterschiede zu der Lehre des Verfügungspatents. Da es bei diesem nicht um die Aufnahme schmaler Sägeblätter, sondern um deutlich größerer Klingeneinsätze geht und hierfür ohnehin eine breiter ausgebildete Spannbacke erforderlich ist, erscheint es dem Senat zumindest nicht als völlig fernliegend, dass die technischen Prüfer des EPA im Einspruchsverfahren begründeterweise zu der Auffassung gelangen könnten, bei einer Spannvorrichtung für Schneideeinsätze sei aufgrund der abweichenden konstruktiven Gegebenheiten eine Verlagerung der einen Verstellfläche in die Spannbacke naheliegend und vollziehe nicht den für die Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatens erforderlich erheblichen erfinderischen Schritt.

(c) Soweit sich die Antragstellerin schließlich darauf beruft, bei der vorbekannten Gestaltung aus dem US-Patent 402.400 sei die Verstellfläche nicht gegenüber dem Einsatzaufnahmeschlitz beabstandet, ergibt sich auch hieraus nichts Abweichendes. Die Antragstellerin meint, durch die Ausbildung der einen Öffnung für die Spannpratze in der Fortsetzung des Aufnahmeschlitzes werde an dieser Stelle wiederum die - gerade zu vermeidenden - Reibungen auf die Basis- und Spannbacke ausgeübt. Die letztlich entscheidende Frage ist damit, ob die dort entstehende Reibung gleichartig ist wie diejenige, die auch beim Verfügungspatent durch die Spannpratze in der Verstellfläche auf der Spannbacke wirken würden. Hierin besteht nach Auffassung des Senats kein gravierender Unterschied, obwohl unbestreitbar ist, dass einerseits Kräfte in einem "Loch" wirken und andererseits in einer nach zwei Seiten offenen "kreisförmigen Erweiterung" eines Schlitzes, dessen obere und untere Begrenzung schon die Fortsetzungen der Haltebacken (aber wohl nicht diese selbst) sind. Aus diesem Unterschied kann die Antragstellerin aber voraussichtlich im Einspruchsverfahren nichts für sich herleiten. Denn das Verfügungspatent gibt nicht nur eine bestimmte Anordnung vor, sondern eröffnet ausdrücklich unterschiedliche Alternativen in den Ausführungsformen, wie sie in den Figuren 1 bis 7 beschrieben worden sind. Als Figur 7 stellt die Antragsgegnerin selbst eine Anordnung vor, in der - insoweit exakt wie bei US-Patent 402.400 - eine Klaue des Spreizwerkzeugs in ein Kreissegment am hinteren Ende des Aufnahmeschlitzes eingreift. Nichts anderes war bereits in dem US-Patent 402.400 vorweggenommen. Die konstruktiven Unterschiede sind jedenfalls nicht erheblich. Denn aufgrund der Anordnung der Öffnung "e' " hinter dem Einsatzaufnahmeschlitz und der Trennung durch die zwischen den beiden, allerdings aufspreizbaren "Nasen" wird ein reibender Kontakt zwischen Einsatz und Klaue des Verstellschlüssels gerade vermieden. Anders als etwa bei den als Anlagen W2 und W3 vorgelegten anderen Erfindungen aus dem vorbekannten Stand der Technik, lehrt bereits das US-Patent 402.400 eine Lösung, bei der trotz Anordnung von Einsatzaufnahmeschlitz und Verstellfläche in unmittelbarer Nähe die Nachteile der anderen bekannten Konstruktionen nicht auftreten können.

c. Aufgrund der vorstehenden Umstände vermag der Senat - anders als das Landgericht - im Rahmen der vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung den Interessen der Schutzrechtsinhaberin an einer zügigen Durchsetzung ihrer Unterlassungsansprüche im Wege des Verfügungsverfahrens keinen Vorrang einzuräumen, so dass die einstweilige Verfügung wieder aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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