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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 04.09.2003
Aktenzeichen: 3 U 27/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 945
1. Dem Verfügungsschuldner ist kein nach § 945 ZPO (1.Alternative) zu ersetzender Schaden entstanden, wenn er gegenüber dem Gläubiger materiellrechtlich zur Unterlassung entsprechend dem Verbotsausspruch der einstweiligen Verfügung verpflichtet gewesen ist. Der Schuldner kann insoweit keinen Ersatz für den Verlust von Vorteilen verlangen, die er nur unter Verstoß gegen die Rechtsordnung hätte ziehen können, also auch nicht für die Befolgung einer inzwischen rechtskräftig aufgehobenen Unterlassungsverfügung; ob die rechtskräftige Aufhebungsentscheidung im Übrigen eine Bindungswirkung erzeugt, kann offen bleiben.

2. Bestand materiellrechtlich eine Unterlassungspflicht entsprechend dem Verfügungsverbot, so ist es für das Verfahren gemäß § 945 ZPO grundsätzlich belanglos, ob eine bestimmte Befolgungsmaßnahme des Schuldners (hier: Zurückziehen und Vernichten eines Werbekatalogs) geboten war oder nicht.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 27/03

Verkündet am: 04. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter

Gärtner, von Franque, Spannuth

nach der am 21. August 2003 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 16. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.000.- € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Die Parteien sind Wettbewerber. Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das sog. Generika herstellt und vertreibt. Die Beklagte gehört zum A.-Konzern, der Arzneimittel herstellt und vertreibt.

Mit der vorliegenden Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz wegen Vollziehung einer einstweiligen Verfügung in Anspruch.

Die Klägerin hat das Generika-Arzneimittel "M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. Retardtabletten" in den Wirkstoff stärken zu 100mg und 200mg vertrieben, deren Tabletten jeweils mit einer Bruchrille versehen sind (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 22/02, dort Anlage ASt 4). Sie hat für das Arzneimittel mit einer Werbekarte geworben, auf deren Rückseite u. a. der Hinweis steht: "100mg und 200mg Retardtabletten sind teilbar" (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 22/02, dort Anlage ASt 5).

In dem daraufhin eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahren umgekehrten Rubrums (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 22/02) ist mit Beschlussverfügung vom 22. Januar 2002 der Klägerin unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel verboten worden, das Arzneimittel M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. in der Darreichung einer Tablette, die mit einer Bruchrille versehen ist, in den Verkehr zu bringen und/oder mit der Aussage zu werben, M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. 100 mg und 200 mg Retardtabletten sind teilbar.

Mit seinem Urteil vom 6. Februar 2002 hat das Landgericht die einstweilige Verfügung vom 22. Januar 2002 aufgehoben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückgewiesen. Das Urteil des Landgerichts ist rechtskräftig, auf das Urteil wird Bezug genommen (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 22/02).

In dem Hauptsache-Klageverfahren ebenfalls umgekehrten Rubrums (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 366/02) ist die Klägerin mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Dezember 2002 u. a. verurteilt worden, es bei Vermeidung bestimmter Ordnungsmittel zu unterlassen,

1. das Arzneimittel M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. 100mg und 200mg in der Darreichung einer Tablette, die mit einer Bruchrille versehen ist, in den Verkehr zu bringen;

2. für das Arzneimittel M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. mit der Aussage zu werben, M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. 100 mg und 200 mg Retardtabletten sind teilbar.

Das Urteil des Landgerichts ist rechtskräftig, auf das Urteil wird Bezug genommen (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 366/02).

Die Klägerin hat vorgetragen:

Zum Zeitpunkt der Zustellung der Beschlussverfügung (Anlage K 2: am 29. Januar 2002) habe ihr "r-xxxxxxx Arzneikatalog Februar 2002" (Anlage K 4) zur Auslieferung bereit gelegen. Dieser Monatskatalog sei für sie ein Hauptwerbemittel (Auflage: 39.170 Exemplare), er enthalte für die Fachkreise einen aktuellen Ausschnitt aus ihrem Sortiment, insbesondere mit Neueinführungen und anderen wichtigen, häufig verschriebenen Arzneimitteln. Der Katalog werde jeweils am Ende des Vormonats bundesweit an die Außendienstmitarbeiter zur Abgabe an Ärzte versandt und müsse wegen der Aktualität am ersten Werktag jedes Monats den Ärzten vorliegen.

In ihrem Februar-Katalog (Anlage K 4) seien die Tabletten des Arzneimittels "M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. Retardtabletten" in den Wirkstoffstärken zu 100 mg und 200 mg jeweils mit einer Bruchrille abgebildet gewesen (Anlagen K 4-5). Dass diese Abbildungen in ihrem Katalog einen Verstoß gegen die Beschlussverfügung darstellten, habe sie nach der Antragsschrift des Verfügungsverfahrens annehmen müssen. Demgemäß seien die druck- und versandfertigen Februar-Kataloge nach der Zustellung der Beschlussverfügung am 29. Januar 2002 nicht ausgeliefert, sondern vernichtet worden (Beweisantritt Bl. 4). Die Auslieferung der Kataloge habe am 29. Januar 2002 gerade noch gestoppt werden können, damals habe sie (die Klägerin) nicht wissen können, dass die Widerspruchsverhandlung schon am 6. Februar 2002 stattfinden würde, sie habe sich gleich entscheiden müssen, was zu tun sei.

Die Produktions- und Entsorgungskosten des nicht mehr verwendbaren Februar-Katalogs hätten 50.110,35 € betragen (Bl. 5 mit Anlagen K 6-9), die Kosten seien entstanden (Bl. 23, 25-26 mit Beweisantritt). Ein Abwarten der Widerspruchsverhandlung und des Verkündungstermin des landgerichtlichen Urteils (jeweils am 6. Februar 2002) im Verfügungsverfahren sei aus Aktualitätsgründen nicht mehr möglich gewesen (Bl. 23-24 mit Beweisantritt).

Die Beklagte sei gemäß § 945 ZPO verpflichtet, diesen Schaden zu ersetzen. Die Beschlussverfügung sei rechtskräftig aufgehoben worden und habe sich als von Anfang an ungerechtfertigt herausgestellt. Insoweit bestehe eine Bindung für den Schadensersatzprozess (§ 945 ZPO, vgl. insbesondere Bl. 38 ff.). Auf das Hauptsache-Klageverfahren komme es insoweit nicht an, auch eine erneute Prüfung der materiellen Rechtslage erübrige sich, denn es gehe nur um den Vollziehungsschaden (Bl. 44).

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 50.110,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb die Klägerin ihren Katalog nach Zustellung der Beschlussverfügung vernichtet habe. Die am 29. Januar 2002 zugestellte einstweilige Verfügung sei bereits zum Schluss der Widerspruchsverhandlung am 6. Februar 2002 durch Urteil aufgehoben worden. Schon an diesem Nachmittag hätte die Klägerin den Katalog wieder ausliefern können. Die Verzögerung von nur einer Woche rechtfertige nicht die Vernichtung der Gesamtauflage des Katalogs, der dadurch angeblich zu befürchtende Verlust des Werbeeffekts werde bestritten, ebenso die geltend gemachten Kosten der Höhe nach (Bl. 21). Im Übrigen sei offen, ob die Versendung des Katalogs gegen das Verbot der Beschlussverfügung verstoßen habe.

Der gegen die Klägerin im Verfügungs- und Hauptklageverfahren geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei von Anfang an begründet gewesen (§ 3 a HWG, § 8 AMG).

Die Klägerin sei nicht berechtigt, für das Arzneimittel ("M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. Retardtabletten") mit einer teilbaren Tablette zu werben (Bl. 20-21 mit Beweisantritt). Das Mittel sei vom Bundes Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nur als nichtteilbare Tablette zugelassen worden (Anlage B 1).

Das Verfügungsverfahren sei nur wegen der Glaubhaftmachungslage zu ihren (der Beklagten) Lasten ausgegangen. Der Ausgang des Verfügungsverfahrens entfalte keine Bindungswirkung für den vorliegenden Schadensersatzprozess.

Durch Urteil vom 16. Januar 2003 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Auf das Urteil wird Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie noch vor:

Zu Unrecht habe das Landgericht die Klage abgewiesen. Wäre die einstweilige Verfügung nicht vollzogen worden, hätte sie (Klägerin) den Februar-Katalog plangemäß an die Ärzte ausgeliefert, selbst wenn der Unterlassungsanspruch materiellrechtlich bestanden hätte. Dieser sei nicht tituliert gewesen und habe damals nicht rechtmäßig durchgesetzt werden können. Sämtliche Kosten für die Katalogerstellung und -entsorgung wären nicht angefallen. Entgegen dem Landgericht sei die Vollziehung der Beschlussverfügung kausal für den geltend gemachten Schaden gewesen. Diese Kausalität werde durch das Bestehen eines materiellrechtlichen Unterlassungsanspruchs nicht unterbrochen.

Das Landgericht habe nicht zwischen einem reinen Unterlassungsschaden (insbesondere durch entgangenen Gewinn) und dem vorliegenden spezifischen Verfügungsschaden unterschieden. Dieser Schaden wäre nicht entstanden, wenn der Anspruch nicht im Verfügungswege, sondern in der normalen Hauptklage durchgesetzt worden wäre.

Wäre im ordentlichen Verfahren geklagt worden, hätte sie (Klägerin) sich auf eine mögliche Verurteilung einstellen und andere Kataloge (ohne Bewerbung der Teilbarkeit der Tablette) drucken und verteilen können. Der vorliegend geltend gemachte Schaden sei nur auf Grund der ungerechtfertigten Rechtsverfolgung im Verfügungsverfahren entstanden. Durch das Eilverfahren sei ihr die Möglichkeit genommen worden, schadensverhindernd durch einen abgeänderten Katalog zu reagieren.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte gemäß dem erstinstanzlich gestellten Klageantrag zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und trägt noch vor:

Auf den von der Klägerin herangezogenen Unterschied zwischen spezifischem Vollziehungsschaden und Unterlassungsschaden stelle die Rechtsprechung und Literatur nicht ab. Die Klägerin habe materiell-rechtlich zu keinem Zeitpunkt das Arzneimittel mit einer teilbaren Tablette in den Verkehr dürfen, deswegen habe sie keinen Schadensersatzanspruch. Dass mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung etwas nicht stimme, habe sie (Beklagte) erst später gemerkt (Bl. 84), die Klägerin hätte den Umfang der Zulassung allerdings kennen müssen. Außerdem sei der Schadensersatzanspruch nicht gegeben, weil die Vernichtung des Februar-Katalogs damals nicht angezeigt gewesen sei. Der Katalog hätte ohne weiteres nur neun Tage später verschickt werden können (Bl. 85-86).

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen überreichten Anlagen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich der Beiakten Landgericht Hamburg 315 O 22/02 und 315 O 366/02 Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

I.

Der mit der Zahlungsklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist auch nach Auffassung des Senats aus § 945 ZPO (1. Alternative) nicht begründet. Auf andere Anspruchsgrundlagen wird die Klage nicht gestützt, sie sind auch nicht ersichtlich.

Nach § 945 ZPO (1. Alternative) ist, wenn sich die Anordnung einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel entsteht. Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass die Vollstreckung aus einem nur vorläufigen Titel auf Gefahr des Gläubigers geht (BGHZ 120, 261; BGH NJW 1990, 2689). So haftet der Antragsteller dem Grunde nach auf Ersatz sowohl bei formellen Mängeln der einstweiligen Verfügung als auch dann, wenn der geltend gemachte materielle Anspruch nicht bestand (Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 2. Auflage, Rz. 287).

Nach dem Wortlaut des § 945 ZPO ("... erweist sich") muss für die auf diese Vorschrift gestützte Schadensersatzklage nachgewiesen werden, dass die einstweilige Verfügung anfänglich ungerechtfertigt gewesen ist. Das ist dann der Fall, wenn die einstweilige Verfügung bei richtiger Beurteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten nicht hätte erlassen werden dürfen, weil die Voraussetzungen für ihren Erlass im Zeitpunkt der Anordnung nicht vorlagen (BGH NJW 1988, 3268). Außerdem muss dem Verfügungsbeklagten ein nach § 945 ZPO ersatzfähiger Schaden entstanden sein.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

1.) Der Unterlassungsanspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin entsprechend dem Verbot der Beschlussverfügung des Landgerichts vom 22. Januar 2002 war materiellrechtlich begründet. Das ergibt sich aus dem inzwischen rechtskräftigen Urteil vom 12. Dezember 2002 im Hauptsache-Klageverfahren (Landgericht Hamburg 315 O 366/02). An die damit ausgesprochene materiellrechtliche Unterlassungsverpflichtung der Klägerin ist der Senat gebunden, ihre erneute materiellrechtliche Überprüfung kommt nicht in Betracht.

(a) Nach einhelliger Auffassung ist für den Schadensersatzprozess nach §945 ZPO eine rechtskräftige Sachentscheidung im Hauptsacheverfahren zwischen diesen Parteien bindend, soweit die Rechtslage im Zeitpunkt dieser Entscheidung (in der letzten mündlichen Verhandlung) derjenigen zur Zeit des Verfügungserlasses entspricht (BGH GRUR 1992, 203 - Roter mit Genever, GRUR 1993, 998 - Verfügungskosten; Teplitzky, Wettbewerbliche Ansprüche, 7. Auflage, Kap. 36 Rz. 14 m. w. Nw.). Die Bindung ist eine Folge der materiellen Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung, die regelmäßig die Feststellung des Bestehens (oder Nichtbestehens) des der einstweiligen Verfügung zu Grunde liegenden Anspruchs einschließt und die eine abweichende Entscheidung hierüber durch ein anderes Gericht ausschließt (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Auflage, § 945 ZPO Rz. 25 m.w. Nw.).

(b) Wie oben ausgeführt, ist die Sachentscheidung im Hauptsache-Klageverfahren (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 366/02) inzwischen rechtskräftig. Damit steht die Unterlassungsverpflichtung der Klägerin gegenüber der Beklagten entsprechend dem oben wiedergegebenen Urteilsausspruch bindend fest. Diesem Verbot entspricht der oben ebenfalls zitierte Verbotsausspruch der Beschlussverfügung des Landgerichts vom 22. Januar 2002 (Beiakte Landgericht Hamburg 315 O 22/02).

Der Umstand, dass in der Beschlussverfügung der Vertrieb des Arzneimittels "M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K." und im Hauptsacheurteil des Mittels M-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. 100mg und 200 mg (jeweils mit Bruchrille) verboten worden ist, ist unerheblich. Auch die Beschlussverfügung betraf nur diese beiden Wirkstoffstärken, zumal nur in diesen eine Tablette mit Bruchrille verwendet worden ist.

(c) Die Bindung des Gerichts des Schadensersatzprozesses an die im Hauptsacheverfahren ergangene rechtskräftige Entscheidung betrifft die Bewertung der vorgetragenen Tatsachen (BGH, a. a. O. - Verfügungskosten). Unterschiede im Tatsachenvortrag haben sich vorliegend nicht ergeben, es wird auch nicht etwa der Einwand erhoben, es habe sich die Rechtslage zwischen Verfügungserlass und Hauptsacheentscheidung im Hinblick auf die materiellrechtliche Unterlassungsverpflichtung der Klägerin geändert.

2.) Ob das rechtskräftige Urteil des Landgerichts vom 6. Februar 2002, mit dem die Beschlussverfügung des Landgerichts vom 22. Januar 2002, wie ausgeführt, aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen worden ist, eine Bindungswirkung im vorliegenden Schadensersatzprozess nach § 945 ZPO erzeugen kann, lässt der Senat dahingestellt. Hierauf kommt es, wie unter 3.) ausgeführt wird, im Ergebnis nicht an.

(a) Es ist in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten worden, dass einem formell rechtskräftig gewordenen Urteil im Verfügungsverfahren Bindungswirkung insoweit zukommen könne, als es den Verfügungsanspruch verneine und deshalb die bereits erlassene Verfügung aufhebe und dass eine solche rechtskräftige Aufhebung den Schadensersatzrichter bei der Prüfung binden könne, ob die Anordnung der einstweiligen Verfügung von Anfang an ungerechtfertigt im Sinne des § 945 ZPO (1. Alternative) gewesen sei (RGZ 58, 236; BGHZ 62, 7, 10; BGH NJW 1992, 2297).

(b) Diese Auffassung wird allerdings schon vom Wortlaut des § 945 ZPO nicht gestützt. Anders als bei den weiteren Alternativen - einer Aufhebung auf Grund des § 926 Abs. 2 ZPO oder des § 942 Abs. 3 ZPO - knüpft die 1. Alternative des § 945 ZPO die Ersatzpflicht nicht an einen dem Verfügungsverfahren zuzuordnenden Formalakt der Aufhebung der Maßregel, sondern es muss sich einstweilige Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweisen (vgl. hierzu: Melullis, a. a. O., Rz. 294).

Auch sonst ist diese Ansicht auf gewichtige Kritik gestoßen (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Auflage, § 25 UWG Rz. 108; Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., § 945 ZPO Rz. 28). Sie geht insbesondere dahin, dass dem Verfügungsprozess ein anderer Streitgegenstand zu Grunde liege als dem Hauptsacheverfahren und damit jede Rechtskraftwirkung ausscheide, es sei eine Bindung auch wegen der weit geringeren Richtigkeitsgarantie eines summarischen Verfahrens nicht hinnehmbar (Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Auflage, § 945 ZPO, Rz. 9 m. w. Nw.).

(c) Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat bisher ausdrücklich offen gelassen, ob der bisherigen, oben dargestellten Rechtsprechung beizutreten ist (BGH, a. a. O. - Roter mit Genever, WRP 1994, 733 - Fortsetzungsverbot, WRP 1998, 877 - WINCAD).

(d) Im vorliegenden Sachverhalt kommt noch die Besonderheit hinzu, dass es nicht nur die rechtskräftige Aufhebung der Beschlussverfügung, sondern außerdem die gegenläufige rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren gibt, deren Bindungswirkung aber nach zutreffender einhelliger Meinung in jedem Falle besteht. Dass gleichwohl eine rechtskräftige Verfügungsaufhebung im nur summarischen Verfahren dann etwa vorrangig wäre, kann nicht angenommen werden.

3.) Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 945 ZPO (1. Alternative) ist jedenfalls unbegründet, weil der Klägerin kein nach dieser Vorschrift ersatzfähiger Schaden entstanden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der der Senat folgt, fehlt es an einem nach § 945 ZPO (1. Alternative) zu ersetzenden Schaden, wenn der Verfügungsschuldner materiellrechtlich ohnehin verpflichtet war, die ihm durch die einstweilige Verfügung untersagte Handlung zu unterlassen (BGHZ 15, 356 - Progressive Kundenwerbung; BGH, a.a.O. - Fortsetzungsverbot; Teplitzky, a.a.O., Kap. 36, Rz. 18 m. w. Nw.; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 945 ZPO Rz. 14 m. w. Nw.).

(a) Dabei bedarf es, anders als es das Landgericht gemeint hat, vorliegend keiner Überprüfung und kann offen bleiben, ob die Klägerin materiellrechtlich verpflichtet gewesen ist, das Verteilen ihres Katalogs ("r-xxxxxxxxx Arzneikatalogs Februar 2002", Anlage K4) zu unterlassen. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die - vom Landgericht wohl geteilte - Auffassung des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in ihrem Schreiben vom 21. Oktober 2002 (Anlage B 1) zutrifft, das Arzneimittel "M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K. Retardtabletten" sei nur als nichtteilbare Tablette zugelassen, weil der in der Fach- und Gebrauchsinformation verwendete Begriff "nicht zerkleinern" den Begriff "nicht teilen" einschließe.

Maßgeblich ist vielmehr insoweit nur, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten verpflichtet war, die ihr durch die einstweilige Verfügung untersagte Handlung zu unterlassen. Insoweit ist der Senat an die rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts vom 12. Dezember 2002 im Hauptsache-Klageverfahren gebunden. Die beiden Verbotsaussprüche stimmen insoweit, wie oben ausgeführt, überein.

(b) Es kann auch dahingestellt bleiben, inwieweit die Klägerin auf Grund des Verbotsausspruchs der einstweiligen Verfügung gehalten gewesen war, das Verteilen ihres Kataloges (Februar 2002) einzustellen.

Das Verbot der Beschlussverfügung betraf zunächst das Inverkehrbringen des Arzneimittels "M.-xxxx-r-xxxxxxxx O.K." in der Darreichungsform einer Tablette mit Bruchrille. Ausdrücklich verboten war damit nicht auch das Werben für das Arzneimittel in dieser Darreichungsform, wie in dem von der Klägerin vorbereiteten Katalog "r-xxxxxxxx Arzneikatalog Februar 2002" (Anlage K 4).

Inwieweit durch das weitere Verbot der Beschlussverfügung betreffend das Werben mit der Aussage, die in Rede stehenden Retardtabletten seien "teilbar", auch die Werbung unter Verwendung einer Abbildung von Tabletten mit Bruchrille (wie im Katalog der Klägerin) erfasst ist, kann dahingestellt bleiben. Denn sollte die Verwendung des Katalogs deswegen unter das gerichtliche Verbot feilen, würde - entsprechend den obigen Ausführungen - auch insoweit die Unterlassungspflicht materiellrechtlich bestehen, weil das Verbot im rechtskräftigen Hauptsacheurteil gleich lautet und bindend ist, und es wäre dann deswegen kein ersatzfähiger Schaden entstanden. Andernfalls wäre die Einstellung der Katalogverteilung und dessen Vernichtung nicht geboten gewesen; dann käme aber ohnehin kein zu ersetzender Vollziehungsschaden in Betracht. Es wäre allenfalls zu erwägen, ob das Zurückziehen des Katalogs eine adäquat-kausale Folge des Verbots gemäß der Beschlussverfügung gewesen ist, etwa weil es der Klägerin nicht zuzumuten war, mit einem Katalog ihren Abnehmer zu begegnen, in dem wegen des Verbots nicht lieferbare Azneimittel angeboten werden. Diese Entschließung lag aber allein in der Sphäre der Klägerin. Wenn sie materiellrechtlich verpflichtet ist, den Vertrieb der Arzneimittel in der Darreichungsform mit Bruchrille zu unterlassen hatte, ist es ihr auch zuzumuten, dem Verbot entsprechend ihre Kataloge zu gestalten.

(c) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist dabei zwischen einem "reinen Unterlassungsschaden und spezifischen Vollziehungsschaden" nicht zu unterscheiden.

Die Klägerin argumentiert, der mit der Klage geltend gemachte "spezifische Vollziehungsschaden" betreffend die Herstellung und Vernichtung des "r-xxxxxxxx Arzneikatalogs Februar 2002" (Anlage K 4) sei ihr zu ersetzen, weil er nur auf Grund der ungerechtfertigten Rechtsverfolgung im Verfügungsverfahren entstanden sei, wodurch sie nicht schadensverhindernd durch einen abgeänderten Katalog habe reagieren können.

Diese Argumentation greift nicht durch. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Unterlassungsanspruch der Beklagten gemäß der Beschlussverfügung, wie ausgeführt, bestand. Das erfasst den Schadensersatzanspruch der Klägerin insgesamt.

Der Unterlassungsschuldner kann Ersatz für den Verlust von Vorteilen, die er - wegen des bestehenden Unterlassungsanspruchs - nur unter Verstoß gegen die Rechtsordnung hätte ziehen können, nicht verlangen (Melullis, a. a. O. Rz. 295, 298 m. w. Nw.). Das gilt nicht etwa nur für einen entgangenen Gewinn, sondern auch für den von § 945 ZPO miterfassten "Befolgungsschaden", d. h. für die aus der Beschränkung der Handlungsfreiheit erwachsenen Nachteile, einschließlich der Aufwendungen, die zur Abwendung oder Minderung der aus der ungerechtfertigten Verfügung folgenden Schäden erforderlich waren (BGH, a.a.O. - Verfügungskosten; Melullis, a.a.O., Rz. 301 m. w. Nw.). In seiner Erwartung, aus rechtswidrigem Verhalten Vorteile und Gewinne ziehen zu können, ist weder schutzwürdig noch entspricht die Anordnung einer derartigen Ersatzpflicht dem Schutzzweck des §945 ZPO (Melullis, a.a.O., Rz.298 m. w. Nw.).

Nach allgemeiner Auffassung ist in dem Umfang, in dem der behauptete Nachteil tatsächlich durch das Unterlassen von Handlungen entstanden ist, die nach materiellem Recht zu unterlassen waren, für die Konstruierung eines Schadens, der dem Unterlassungspflichtigen durch die Respektierung des (später aufgehobenen) gerichtlichen Verbots erwachsen könnte, begrifflich kein Raum (BGH GRUR 1981, 289 - Fotoartikel; RGZ 65, 66). Wer durch eine mit der einstweiligen Verfügung untersagte Wettbewerbsmaßnahme gegen Wettbewerbsbestimmungen verstoßen hat, die jedenfalls auch den Schutz des Wettbewerbers bezwecken, kann nicht von diesem mit der Begründung Schadensersatz verlangen, er sei durch das vorläufige Verbot an der Fortsetzung eines unlauteren Verhaltens gehindert gewesen (BGH GRUR 1955, 346 ff., NJW 1990, 125; Melullis, a. a. O., Rz. 298 m. w. Nw.)

Demgemäß fehlt ein "Befolgungsschaden" immer dann, wenn und soweit der Schuldner materiell-rechtlich ohnehin zur Unterlassung verpflichtet war (BGHZ 126, 374, 375 m. w. Nw.; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 945 ZPO Rz. 14). Das gilt im Übrigen auch dann, wenn das Verbot aus formellen Gründen aufgehoben wurde; wird z. B. die nach § 926 ZPO gesetzte Klagefrist versäumt und deswegen die einstweilige Verfügung aufgehoben, so kann dem Verfügungsbeklagten ein nach § 945 ZPO zu ersetzender Schaden nur entstanden sein, wenn er an einer erlaubten Tätigkeit gehindert wurde.

Nichts anderes würde für eine mangels Dringlichkeit aufgehobene Verfügung gelten. Die gegenteilige Argumentation der Klägerin lässt unberücksichtigt, dass die materiellrechtliche Unterlassungsverpflichtung nicht erst mit dem Erwirken eines Titels beginnt und auch bei Aufhebung einer Beschlussverfügung fortbestehen kann.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin nicht begründet.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.). Die Rechtssache geht, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, über die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt nicht hinaus. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die Zulassung der Revision ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Ende der Entscheidung

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