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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 19.10.2006
Aktenzeichen: 3 U 45/06
Rechtsgebiete: AMG, UWG


Vorschriften:

AMG § 4 Abs. 14
AMG § 10 Abs. 1 Nr. 8 a
AMG § 11 Abs. 1 Nr. 6 f
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 11
UWG § 8 Abs. 1
1. Nach § 4 Abs. 14 AMG ist "Herstellen" auch das Kennzeichnen des Arzneimittel. Dazu zählt auch das Aufbringen der nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 a AMG erforderlichen Information zu dem bei der Herstellung verwendeten gentechnisch veränderten Mikroorganismus/Zelllinie als zusätzliche Angaben (Bluebox) auf der Verpackung parallelimportierter Arzneimittel.

2. Anhaltspunkte dafür, dass die EMEA einen seitens des Parallelimporteurs in die Gebrauchsinformation aufgenommenen zusätzlichen Hinweis auf den Parallelimport nicht dulden würde, bestehen zurzeit nicht. Vielmehr sprechen die von der EMEA über ihre Homepage (www.emea.europa.eu/htms/human/parallel/parallel.htm) veröffentlichten Leitlinien "EMEA POST-AUTHORISATION GUIDANCE ON PARALLEL DISTRIBUTION" (Stand: 19. Mai 2004) dafür, dass die EMEA einen solchen Hinweis für erlaubt hält.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 45/06

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 19. Oktober 2006

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Gärtner, Dr. Löffler, Terschlüssen nach der am 14. September 2006 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. Februar 2005, Az. 315 O 889/05, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beschlussverfügung des Landgerichts Hamburg vom 7. Dezember 2005, Az. 315 O 889/05, mit der Maßgabe bestätigt wird, dass im Verbotsausspruch zu I. dieser Beschlussverfügung die Worte "wenn in der Gebrauchsinformation die Antragsgegnerin nicht genannt wird" ersetzt werden durch die Worte "wenn in der Gebrauchsinformation nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Antragsgegnerin das Präparat als Parallelvertreiberin in den Verkehr bringt".

Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten der Berufung zu tragen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin aus Wettbewerbs- und Arzneimittelrecht auf Unterlassung in Anspruch.

Die Antragstellerin gehört zur S. -Gruppe und vertreibt in Deutschland u.a. das zentral zugelassene Präparat "R.". Die Antragsgegnerin ist mit dem Parallelimport von Arzneimitteln befasst. Sie importiert das Arzneimittel "R." aus Belgien nach Deutschland.

Das importierte Arzneimittel R. ist bereits deutschsprachig konfektioniert. Die Antragsgegnerin bringt auf der Verpackung zusätzlich einen blau umrandeten Aufkleber (Bluebox) an. Darauf heißt es:

"Deutschland N2

Wirkstoff: Interferon beta-1a,

produziert von gentechnisch modifizierten Ovarialzellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen).

Parallel vertrieben von:

E... GmbH,

...

PZN-2743113" (Anlage EV 1).

Im Übrigen bringt die Antragsgegnerin das Arzneimittel "R." in unveränderter Packung sowie mit unveränderter Original-Gebrauchsinformation in Verkehr. Darin steht u.a.:

"Pharmazeutischer Hersteller: S... LIMITED, ...

Hersteller: Industria Farmaceutica S... S.p.A...."

Die Antragsgegnerin wird in der Gebrauchsinformation nicht genannt. Ein Hinweis darauf, dass die Antragsgegnerin das Arzneimittel nach Deutschland importiert, mit dem Aufkleber versehen und hier in den Verkehr gebracht hat, findet sich dort nicht (Anlage EV 2).

Nachdem der vorgerichtliche Schriftwechsel der Parteien nicht zu einer einvernehmlichen Lösung geführt hatte (Anlage EV 5 bis EV 8), erwirkte die Antragstellerin unter dem 7. Dezember 2005 die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, Az. 315 O 889/05, mit welcher der Antragsgegnerin bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten wurde, das Arzneimittel R. aus Belgien zu importieren und in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr zu bringen, wenn in der Gebrauchsinformation die Antragsgegnerin nicht genannt wird.

Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin bestätigte das Landgericht Hamburg seine einstweilige Verfügung mit Urteil vom 9. Februar 2006. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, 11 Abs. 1 Nr. 6 f) und g) i.V.m. § 4 Abs. 14 und Abs. 18 AMG begründet sei. Die Antragsgegnerin sei sowohl als pharmazeutischer Unternehmer als auch als Hersteller anzusehen, und deshalb in der Packungsbeilage zu benennen.

Gegen dieses Urteil des Landgerichts vom 9. Februar 2006 legte die Antragsgegnerin frist- und formgerecht Berufung ein.

Zur Begründung der Berufung hat die Antragsgegnerin ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft, wonach sie weder als Hersteller noch als pharmazeutischer Unternehmer anzusehen sei. Sie werde lediglich als Großhändler tätig. Der verhängte Verbot verstoße gegen Art. 60 der Richtlinie 2001/83/EG. Außerdem sei ihr Vorgehen schon deshalb nicht unlauter, weil die für die Abwicklung des zentralen Zulassungsverfahrens zuständige Europäische Arzneimittelagentur (European Medicines Agency: EMEA) die Angabe des Parallelimporteurs in der Gebrauchsinformation nicht für erforderlich halte und auch nicht dulde.

Die Antragsgegnerin beantragt,

das Urteil vom 09.02.2006 des LG Hamburg abzuändern, die einstweilige Verfügung vom 07.12.2005 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung der Antragsgegnerin vom 22. Februar 2006 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Unterlassungstenor der Beschlussverfügung vom 7. Dezember 2005 wie folgt bestätigt wird:

...das Arzneimittel R. aus Belgien zu importieren und in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr zu bringen, wenn in der Gebrauchsinformation nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Antragsgegnerin das Präparat als Parallelvertreiberin in den Verkehr bringt.

Die Antragstellerin verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, wonach die Antragsgegnerin sowohl als Hersteller als auch als pharmazeutischer Unternehmer anzusehen sei. Zudem werde durch das Vorgehen der Antragsgegnerin der falsche Eindruck erweckt, dass ein Unternehmen der S.-Gruppe für das Inverkehrbringen des Präparats in der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich sei.

Auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 17. August 2006 wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Der Gegenstand des Unterlassungsantrages ist die Verwendung der unveränderten Original-Gebrauchsinformation der Antragstellerin für den Vertrieb des aus Belgien importierten Arzneimittels "R.", wenn in der ansonsten unveränderten Gebrauchsinformation nicht zusätzlich darauf hingewiesen wird, dass die Antragsgegnerin das Präparat als Parallelvertreiberin in den Verkehr bringt. Gegenstand des Unterlassungsantrages ist hingegen nicht, dass in der Original-Gebrauchsinformation weiterhin die Antragstellerin als "Pharmazeutischer Hersteller" und die zur S. -Gruppe gehörende Fa. Industria Farmaceutica S. S.p.A. als "Hersteller" bezeichnet wird. Maßgeblich ist mithin, dass in der Gebrauchsinformation der R.-Parallelimportpackungen nur die Antragstellerin als pharmazeutischer Unternehmer und nur die Fa. Industria Farmaceutica S. S.p.A. als Hersteller genannt werden, der zusätzliche Hinweis auf die Antragsgegnerin als Parallelimporteurin jedoch fehlt.

Dies ergibt sich zwar nicht allein aus dem insoweit zunächst offen formulierten Unterlassungsantrag der Antragstellerin ("das Arzneimittel R. aus Belgien zu importieren und in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr zu bringen, wenn in der Gebrauchsinformation die Antragsgegnerin nicht genannt wird"), ist jedoch der Begründung des Verfügungsantrages zu entnehmen. Zudem hat die Antragstellerin dies in der Berufungsverhandlung noch einmal ausdrücklich klargestellt und den Wortlaut ihres Unterlassungsantrags entsprechend präzisiert. Eine kostenrelevante teilweise Antragsrücknahme liegt darin nicht.

Zudem ist lediglich die Verletzung arzneimittelrechtlicher Bestimmungen streitgegenständlich, nicht jedoch die Verletzung von Markenrechten der Antragstellerin.

II.

Der Unterlassungsantrag ist gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG, 11 Abs. 1 Nr. 6 g, 4 Abs. 14 AMG begründet.

Für die rechtliche Beurteilung des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruchs ist nunmehr das AMG in seiner neuesten, seit dem 1. Dezember 2005 gültigen, Fassung maßgeblich.

Nach § 11 Abs. 1 Nr. 6 g AMG dürfen Fertigarzneimittel nur mit einer Packungsbeilage ("Gebrauchsinformation") in den Verkehr gebracht werden, die den Namen und die Anschrift des Herstellers enthält. Die Vorschrift gilt für den Vertrieb aller Fertigarzneimittel im Inland, sie macht für Arzneimittel mit zentraler gemeinschaftsrechtlicher Zulassung (EU-Zulassung) keine Ausnahme. Gegen diese gesetzlichen Anforderungen hat die Antragsgegnerin verstoßen.

Nach § 4 Abs. 14 AMG ist das "Herstellen" auch das Kennzeichnen des Arzneimittel. Die Antragsgegnerin versieht die aus Belgien importierten R.-Packungen unstreitig mit zusätzlichen Angaben (Bluebox), u.a. mit der gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 a AMG erforderlichen Information zu dem bei der Herstellung verwendeten gentechnisch veränderten Mikroorganismus/Zelllinie. Darin ist ein Kennzeichnen im Sinne von § 4 Abs. 14 AMG zu sehen (vgl. Kloesel/Cyran, ArzneimittelR, § 4 AMG, Anm. 49 g; Rehmann, AMG, 2. Auflage, 2003, § 11 AMG Rn. 5; OLG Hamburg GRUR 2002, 890, 892 - Fertigspritzen-Bündelpackung). Mithin ist die Antragsgegnerin - jedenfalls auch - als "Hersteller" anzusehen, und damit auch anzugeben.

Der Einordnung der Antragsgegnerin als Hersteller steht auch nicht entgegen, das der Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 6 g AMG von dem Hersteller nur im Singular spricht. Weder aus diesem Wortlaut noch aus der Begründung zum 5. AMG-Änderungsgesetz (Anlage AG 1) ergibt sich der zwingende Schluss, dass auch im Falle des Parallelimports nur der ursprüngliche Hersteller genannt werden soll. Dieses Verständnis des Herstellerbegriffs steht auch im Einklang mit europarechtlichen Regelungen, insbesondere der Regelung des Art. 59 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG des europäischen Parlament und des Rates vom 31. März 2004.

In Art. 59 Abs. 1 lit. f) vii) der genannten Richtlinie ist festgehalten, dass in der Packungsbeilage "Name und Anschrift des Herstellers" anzugeben ist. Auch insoweit ist der Singular verwendet worden. Weder aus diesem Wortlaut noch aus der Gesamtsystematik der Richtlinie ergibt sich der zwingende Schluss, dass auch im Falle des Parallelimports nur der ursprüngliche (produzierende) Hersteller genannt werden soll. Vielmehr geht die Richtlinie - an anderer Stelle - davon aus, dass die Herstellung auch teilweise erfolgen kann, dass mithin mehrstufige Herstellungsprozesse möglich sind (vgl. Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie). Dies spricht dafür, dass auch etwaige weitere Hersteller anzugeben sind.

Mithin hat die Antragsgegnerin gegen die Regelung des § 11 Abs. 1 Nr. 6 g AMG verstoßen.

Dieser Rechtsansicht steht auch die von der Antragsgegnerin zitierte EuGH-Entscheidung "Loendersloot/Ballantine" (GRURInt 1998, 145 ff.), welche sich mit der Änderung von Etiketten parallelimportierter Whisky-Flaschen beschäftigt, nicht entgegen. Das auf den Arzneimittelverpackungen aufgebrachte zusätzliche Etikett wird von der Antragstellerin nicht beanstandet. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist vielmehr die Frage, ob die Antragsgegnerin im Bereich zulassungspflichtiger Arzneimittel und bei Berücksichtigung der entsprechenden Regelungen des AMG die Original-Gebrauchsinformation unverändert, d.h. ohne Hinweis auf ihre eigene Tätigkeit, verwenden darf. Dazu ist der zitierten EuGH-Entscheidung nichts zu entnehmen.

Mit dem Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Nr. 6 g AMG war zugleich ein Verstoß gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG gegeben. Es handelt sich bei der Bestimmung des AMG nach der zum vormals geltenden UWG vertretenen Auffassung um eine wertbezogene Norm, denn sie dient dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung (OLG Hamburg, GRUR 2002, 890, 892 - Fertigspritzen-Bündelpackung; OLG Hamburg, MD 2002, 130, 136 - Pflichtangaben auf Packungsbeilagen; OLG Hamburg, PharmaR 2003, 54, 64 - Zum Umverpacken eines markengeschützten Arzneimittels beim Parallelimport). Damit liegt der von der Norm bezweckte Schutz der Verbraucher auf der Hand, womit zugleich der Bezug zum Wettbewerbsgeschehen hergestellt ist. Die Norm ist also dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

Ein Ausnahmefall, bei dem kein Verstoß gegen § 3 UWG anzunehmen wäre (vgl. BGH GRUR 1999, 1128 - Hormonpräparate) ist vorliegend nicht gegeben.

Anhaltspunkte dafür, dass - wie die Antragsgegnerin meint - die EMEA den von der Antragstellerin verlangten zusätzlichen Hinweis auf den Parallelimport durch die Antragsgegnerin in der Gebrauchsinformation nicht dulden würde, bestehen nicht. Vielmehr sprechen die von der EMEA über ihre Homepage (www.emea.europa.eu/htms/human/parallel/parallel.htm) veröffentlichten Leitlinien "EMEA POST-AUTHORISATION GUIDANCE ON PARALLEL DISTRIBUTION" (Stand: 19. Mai 2004) dafür, dass die EMEA einen solchen Hinweis für erlaubt hält. Die Ziffer 15 dieser Leitlinien befasst sich mit der Frage "How and where shall I mention the parallel distributor and repacker on the medicinal product?". Nachfolgend werden zulässige Angaben auf der äußeren und der inneren Verpackung vorgestellt. Im Hinblick auf die Packungsbeilage heißt es dann:

"Package leaflet References to the 'parallel distributor' and 'repacker' is allowed in the package leaflet..."

Auch in der zur Zeit in der Abstimmung befindlichen neuen Fassung dieser EMEA-Leitlinien wird die zusätzliche Angabe des Parallelvertreibers in der Packungsbeilage als erlaubt angesehen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die verlangte zusätzliche Angabe zum Parallelimport durch die Antragsgegnerin zu Vertriebsbeschränkungen seitens der EMEA führen wird.

Nach alledem ist die Berufung der Antragsgegnerin unbegründet.

Ob der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch im Hinblick auf die Angabe des pharmazeutischen Unternehmers (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 h AMG) oder des Einführers (§ 11 Abs. 1 Nr. 6 g AMG) begründet ist, kann für die Entscheidung des Rechtsstreits offen bleiben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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