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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 13.09.2001
Aktenzeichen: 3 Vollz (Ws) 75/01
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 2
StVollzG § 3
StVollzG § 58
Die Substitution eines Strafgefangenen stellt keine rein ärztliche, sondern eine Maßnahme des Vollzuges dar, die sich insbesondere an den §§ 2 u. 3 StVollzG zu orientieren hat.

Die Dauersubstitution eines Strafgefangenen widerspricht in aller Regel den in den §§ 2 u. 3 StVollzG formulierten Zielen.

Ein die Gesundheit ernsthaft gefährdender "Beikonsum" zwingt die JVA zur Beendigung einer Substitution.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 3. Strafsenat Beschluss

3 Vollz (Ws) 75/01

In der Strafvollzugssache der

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 13.9.01 durch die Richter Mentz, Dr. Mohr und v. Selle beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Strafvollzugsamtes wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Große Strafkammer 13 - vom 4.7.01 aufgehoben.

Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdegegnerin trägt die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen (§ 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG). Der Gegenstandswert wird auf 8.000,- DM festgesetzt (§§ 13, 48 a GKG).

Gründe:

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die Frauenvollzugsanstalt Hahnöfersand, in der die jetzige Beschwerdegegnerin seit September 1999 einsitzt, verpflichtet, die Gefangene (weiter) mit Methadon zu substituieren, wobei die tägliche Methadondosis bis zum Erreichen der subjektiven Zufriedenheit der Gefangenen zu steigern sei.

Der angefochtene Beschluss teilt u.a. Folgendes mit:

Die Gefangene habe mehrere Freiheitsstrafen zu verbüßen, Strafende sei der 19.6.03. Sie sei seit langem schwer drogenabhängig, auch von Opiaten, es bestehe eine Hepatitisinfektion und ein Anfallsleiden, auch sei sie psychisch schwer krank. Mehrere Entgiftungen und Entwöhnungsbehandlungen seien gescheitert, seit 1994 werde sie substituiert. Nachdem der in der Anstalt für Substitutionsbehandlungen zuständige Arzt die Gefangene substituiert habe, sei sie auf Anweisung dieses Arztes ab September 2000 aus der Substitution "ausgeschlichen" worden, weil sie zuvor regelmäßigen Beikonsum von Cannabis und Benzodiazepinen gehabt habe und dieser Beikonsum nach Auffassung des Anstaltsarztes für die Gefangene extrem hohe gesundheitliche Risiken berge. Nach dem "Ausschleichen" habe sich die Gefangene innerhalb der Anstalt illegal Methadon und benzodiazepinhaltige Medikamente beschafft, um schwere Entzugserscheinungen abzumildern.

Im Oktober 2000 habe die Gefangene einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem eingangs dargestellten Ziel gestellt, diesen Antrag habe sie im Folgemonat zurückgenommen. In diesem Eilverfahren habe die Anstalt unmissverständlich erkennen lassen, dass sie dem Begehren der Gefangenen nicht stattgeben werde. Nachdem die Gefangene den gleichlautenden Antrag in der Hauptsache gestellt habe, habe das Landgericht einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt zur Frage der Notwendigkeit der (weiteren) Substitution bzw. zur Erforderlichkeit des Substitutionsabbruches angesichts des Beikonsums. Der Beschluss gibt dann die Äußerungen des beauftragten Sachverständigen (zusammengefasst) dahin wieder, die Gefangene sei in desolater psychischer Verfassung, ein "Ausschleichen" sei deshalb nicht zu vertreten, zumal die Gefangene alles daran setzen werde, sich illegal Methadon und andere Medikamente zu beschaffen, was in der JVA jederzeit möglich sei. Nach Darstellung des Sachverständigen bezögen sich die vom Anstaltsarzt ins Feld geführten gesundheitlichen Risiken von Methadonvergabe und Beikonsum auf Gegebenheiten, die vor der jetzigen Inhaftierung der Gefangenen gelegen hätten. Aus welchem Grund der Sachverständige diese Einschränkung vornahm und warum das Landgericht dieser Einschränkung folgt, teilt der Beschluss nicht mit. Das Landgericht führt dann weiter aus, es folge dem Sachverständigen und sei der Auffassung, eine Reduktion der Methadondosis könne bei der Gefangenen gerade zu verstärktem Beikonsum führen, wie die vergangen Monate belegten.

Das Landgericht ist der Auffassung, das an sich vorgeschriebene Widerspruchsverfahren sei entbehrlich, da sich das Begehren auf Vornahme einer Krankenbehandlung richte und die Anstalt im Eilverfahren unmissverständlich ihre Haltung habe erkennen lassen.

Das Landgericht führt aus, die Entscheidung des Anstaltsarztes entziehe sich zwar weitgehend der gerichtlichen Kontrolle, die Gefangene habe jedoch unter Zugrundelegung der überzeugenden Darstellung des Sachverständigen einen Anspruch auf Substitution. Eine Auseinandersetzung mit der o.g. Auffassung der Anstalt bzw. des Anstaltsarztes findet sich mit Ausnahme des Hinweises, die Gefahr des Beikonsums vergrößere sich bei einer Reduktion der Substitution, in dem angefochtenen Beschluss nicht.

Ausführungen zu der Frage einer "Ermessensreduzierung auf Null" enthält die landgerichtliche Entscheidung nicht.

Die Rechtsbeschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des Beschlusses. Der ausführlichen Beschwerdebegründung ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin den beim Landgericht gestellten Antrag für unzulässig und unbegründet hält.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen. Sie trägt u.a. vor, die Durchführung eines Vorverfahrens sei angesichts der Eindeutigkeit der Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 24.10.00 entbehrlich gewesen, das Landgericht habe sich an die ihm zugebilligte Überprüfungskompetenz gehalten. Eine Auseinandersetzung mit dem Argument der Antragsgegnerin, bei Fortsetzung der Substitution bestehe Gefahr für Leib und Leben der Antragstellerin, sei nicht geboten gewesen, da es insoweit an einem substantiierten Vortrag der Antragsgegnerin fehle. Die Substitutionsbehandlung sei eine anerkannte medizinische Heilbehandlung, da Drogen zum strukturierenden Moment des Vollzugsalltags geworden seien, lasse sich Abstinenz als alleiniges Behandlungs- und Vollzugsziel nicht aufrechterhalten. Im Übrigen läge keine Spruchreife vor.

Die den Erfordernissen des § 118 StVollzG genügende Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechtes Erfolg.

Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG), die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

Der angefochtene Beschluss ist in dreierlei Hinsicht in einer Weise fehlerhaft, die eine Wiederholung dieser Fehler besorgen lässt.

Die Auffassung des Landgerichtes, das (nach hamburgischem Landesrecht erforderliche) Widerspruchsverfahren sei entbehrlich, da sich das Begehren auf Vornahme einer Krankenbehandlung richte, ist unzutreffend. Dabei kann dahinstehen, ob ein Widerspruchsverfahren vor der Anfechtung rein ärztlicher Entscheidungen erforderlich ist, da die hier in Rede stehende Entscheidung keine rein ärztliche, sondern eine - wenn auch durch medizinische Gesichtspunkte geprägte - Entscheidung des Vollzuges ist. Sowohl die Entscheidung, einen Strafgefangenen zu substituieren, als auch die Entscheidung, eine Substitution abzubrechen, sind letztlich vollzugliche Maßnahmen, die sich in erster Linie an den Inhalten der §§ 2 u. 3 StVollzG zu orientieren haben.

Das Landgericht hat den Umfang seiner Überprüfungskompetenz abstrakt zwar zutreffend formuliert (S. 10/11 des Beschlusses), diesen Maßstab dann aber völlig ignoriert. Das Landgericht hat sich nämlich nicht wirklich mit dem einen Abbruch der Substitutionsbehandlung schon allein tragenden und auch ausreichend substantiiert vorgetragenen Grund der Entscheidung der Anstalt, nämlich die Gefahr für Leib und Leben der Beschwerdeführerin bei Methadoneinnahme und Beikonsum von sonstigen Rauschmitteln, auseinandergesetzt. Die Überprüfungskompetenz der Gerichte ist in Bezug auf ärztlich geprägte Entscheidungen im Vollzug ohnehin in starkem Maße eingeschränkt (vgl. KG, NStZ 85, 45). Dies gilt umsomehr in Bezug auf die hier in Rede stehende Entscheidung, da die Substitution von Strafgefangenen kaum mit den sich aus § 2 StVollzG ergebenden, von der Anstalt und dem Anstaltsarzt bei der Frage einer etwaigen Substitution an herausragender Stelle mit zu berücksichtigenden Aufgaben des Vollzuges in Einklang zu bringen ist, zumal die Gründe für die Substitution, nämlich das Verhindern oder die Abmilderung einer möglichen Verelendung, anders als möglicherweise bei in Freiheit befindlichen Abhängigen, bei Strafgefangenen, die im Vollzug versorgt und betreut werden, ohnehin schwerlich als gegeben angesehen werden können. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Angleichungsgrundsatzes des § 3 Abs. 1 StVollzG. Strafgefangene sollen im Vollzug (abgesehen von einem eventuell sinnvollen "Ausschleichen" nach Strafantritt) gerade nicht illegale Rauschmittel oder Ersatzdrogen konsumieren, sondern entsprechend § 3 Abs. 3 StVollzG unter Inanspruchnahme sozialtherapeutischer und psychologischer Hilfen darauf vorbereitet werden, in Freiheit ein Leben ohne jedweden Drogenkonsum führen zu können. Daran ändert auch das Vorbringen der Beschwerdegegnerin nichts, die Situation in den Haftanstalten sei durch jederzeitige Verfügbarkeit von Betäubungsmitteln geprägt, dem unter anderem dadurch Rechnung getragen worden sei, dass durch die Strafanstalten sterile Einwegspritzen zur Verfügung gestellt würden. Dieses Vorbringen lässt unberücksichtigt, dass eine etwaige jederzeitige Verfügbarkeit von Drogen im Vollzug kein nicht beherrschbares Naturereignis darstellte, sondern durch geeignete Maßnahmen deutlich reduziert werden könnte. Dass Drogenabstinenz Vollzugsziel ist, ergibt sich schon daraus, dass mit der Erreichung von Abstinenz eine tragfähige Grundlage für künftige Straffreiheit Drogenabhängiger geschaffen wird. All dies hat (auch) das Landgericht verkannt. Es hat vielmehr eine eigene Bewertung - gestützt auf das Sachverständigengutachten - vorgenommen.

Fehlerhaft ist weiter, dass das Landgericht übersehen hat, dass eine Verpflichtung der Anstalt nur dann in Betracht kommt, wenn sich das Ermessen der Anstalt "auf Null reduziert" hätte. Angesichts der von der Anstalt zu Recht vorgebrachten Argumentation der erheblichen Risiken für Leib und Leben der Gefangenen liegt eine solche Ermessensreduzierung jedenfalls nicht nahe.

Der Senat beschränkt sich nicht auf eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, sondern entscheidet gemäß § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG an Stelle der Strafvollstreckungskammer, da Spruchreife nicht nur in Bezug auf die Verpflichtungsklage, sondern auch in Bezug auf die inzidente Anfechtungsklage vorliegt. Wie oben ausgeführt, trägt das Argument der erheblichen Risiken für Leib und Leben für sich allein die Entscheidung, die Substitution zu beenden. Dies wird schon daran deutlich, dass der einen Strafgefangenen in Kenntnis eines Beikonsums von benzodiazepinhaltigen Medikamenten mit Methadon substituierende Anstaltsarzt und damit entsprechend auch der die Verantwortung für diesen Gefangenen tragende Anstaltsleiter Gefahr liefen, strafrechtlich verfolgt zu werden, wenn sich denn die dargestellten Risiken realisierten.

Ende der Entscheidung

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