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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 06.02.2002
Aktenzeichen: 4 U 43/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 542 Abs. 1 Satz 2 a.F.
BGB § 554 a a.F.
BGB § 1123 Abs. 2
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 708 Ziffer 10
ZPO § 713
Zum Kündigungsrecht des gewerblichen Mieters wegen Belästigungen aus einer nahe gelegenen Drogenberatungsstelle.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 43/01

Verkündet am: 6. Februar 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 4. Zivilsenat, durch die Richter Dr. Raben, Ruhe, Dr. Bischoff nach der am 6. Februar 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 16, vom 24.1.2001 abgeändert und -unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung - neu gefasst.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 301,61 nebst 4% Zinsen seit dem 6.9.2000 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten der 1. Instanz trägt der Kläger 97 %, die Beklagte 2,5 %.

Von den Kosten der 2. Instanz werden dem Kläger 9 %, der Beklagten 91 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist im Ergebnis überwiegend erfolgreich, im Wesentlichen aber nur wegen der jetzt vorgetragenen Aufrechnung.

1. Die Aktivlegitimation für die noch streitigen Mietforderungen ist nach der durch Beschluss vom 29. Januar 2001 (Bl. 84 d.A.) angeordneten Zwangsverwaltung über das Grundstück des früheren Klägers, auf dem sich das dem Rechtsstreit zugrundeliegende Mietobjekt befindet, auf den jetzigen Kläger als Zwangsverwalter übergegangen (§ 148 Abs. 1 ZVG). Das Berufungsverfahren bezieht sich auf Mietforderungen für die Monate Juni bis September 2000, die innerhalb der Jahresfrist des § 1123 Abs. 2 BGB liegen.

2. Zu Recht hat das Landgericht die fristlose Kündigung seitens der Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 09. Juni 2000 (Anlage K2) für unwirksam gehalten und zur Begründung zutreffend auf den Ablauf der Überlegungsfrist hingewiesen, soweit die Kündigung auf die zuvor mit einer Reihe von Schreiben, zuletzt mit Datum vom 15. Juli 1998 (Anlage B 28), gerügten Störungen gestützt ist. Darauf, dass sich diese Störungen zwischenzeitlich nicht erledigt hatten, kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht an, zumal da die Beklagte auch schon vor jenen Schreiben deutlich gemacht hatte, dass sie trotz der Störungen an dem Mietvertrag festhalten wolle. So verlängerte sie mit Anwaltsschreiben vom 22. März 1996 (Anlage B 18) den Mietvertrag durch Ausübung eines Optionsrechts bis zum 30. November 2001, machte aber gleichzeitig wegen einer Zunahme der Störungen eine Mietminderung von 60% geltend.

a) Hinsichtlich der zwischenzeitlich entstandenen weiteren Störungsquellen hat das Landgericht -ebenfalls zutreffend- auf das Fehlen einer nach §542 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. erforderlichen Abhilfefrist hingewiesen. Diese war entgegen der Ansicht der Beklagten nicht entbehrlich. Eine ernstliche und endgültige Erfüllungsverweigerung des Klägers ist nicht ersichtlich. Eine solche durfte die Beklagte auch nicht ohne Weiteres angesichts des bisherigen Verhaltens des Klägers unterstellen. Zwar waren die 1998 mitgeteilten Beanstandungen noch unerledigt, andererseits hatte es in der Vergangenheit auch wirksame Abhilfemaßnahmen gegeben, etwa das Räumungsverfahren gegen die Betreiber der Bar" (Anlagen B 9 bis 12). Die Unmöglichkeit einer Abhilfe war ebenfalls nicht ersichtlich, auch nicht bezüglich der nunmehr im selben Haus befindlichen Drogenberatungsstelle. Wenn insoweit eine kurzfristige Verlegung nicht zu erwarten war, wären doch Maßnahmen in Betracht gekommen, um übermäßige Beeinträchtigung auf ein Maß zu begrenzen, mit dem die Beklagte auch schon vorher, als sich die Drogenberatung in einem Nachbarhaus befand, hatte zurecht kommen müssen (vgl. ihr Anwaltsschreiben vom 09. Juni 1998, Anlage B 27).

Dass derartige Maßnahmen für die Beklagte nicht von Interesse hätten sein können (§ 542 Abs. 1 Satz 3 BGB a.F.), ist ebenfalls nicht ersichtlich.

b) Auf ein Kündigungsrecht wegen schwerer Pflichtverletzung gemäß § 554 a BGB a.F. kann sich die Beklagte ebenfalls nicht berufen. Wegen der Möglichkeit einer Umgehung der engeren Voraussetzungen anderer Kündigungstatbestände, hier des formalen Erfordernisses der Abmahnung und Fristsetzung gemäß §542, ist eine Kündigung nach § 554 a nur bei Vorliegen besonderer Umstände möglich, die nach strenger Prüfung den Schluss zulassen, dass die Vertragsfortsetzung dem Kündigenden nicht mehr zugemutet werden kann (BGH NJW 1988, 204; Bub/Treier/Grapentin, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., IV. Rn. 187).

Die Verlegung der Drogenberatungsstelle in das Haus des Mietobjekts dürfte schon nicht als eine schuldhafte Pflichtverletzung i.S. von § 554 a zu bewerten sein. Immerhin war das örtliche Milieu ohnehin, zumal durch die schon vorher in der Nachbarschaft gelegene Drogenberatungsstelle, durch Drogenabhängige mitbestimmt, zudem war die jetzige Vermietung auch durch ein Allgemeininteresse an Drogenhilfeeinrichtungen gedeckt (vgl. BGH 07.04.2000, V ZR 39/99, ZMR 2000, 743).

Selbst wenn in der bloßen Vermietung an die Drogenberatung eine Pflichtverletzung gegenüber der Beklagten zu sehen sein sollte, ist im Rahmen der strengen Prüfung der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung zu berücksichtigen, dass trotz der seit 1989 geltend gemachten Störungen die Beklagte immer am Vertragsverhältnis festgehalten hat, sogar durch zweimalige Optionsausübung, und das ordentliche Vertragsende nach weiteren 17 Monaten ohnehin bevorstand. Unter diesen Umständen hätte die Beklagte zumindest auch im Hinblick auf § 554 a ihrer Kündigung eine Abmahnung vorausschicken müssen (vgl. Bub/Treier/Grapentin, IV. Rn. 190).

c) Auch ein außerordentliches Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§242 BGB) stand der Beklagten nicht zu. Auch insoweit gilt für das Verhältnis zu anderen Kündigungsgründen dasselbe wie für § 554 a. Sind, wie hier, lediglich die formellen Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung nach § 542 nicht erfüllt, kann derselbe Kündigungsgrund nicht zum Anlass einer fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund genommen werden, sofern nicht weitere, das Vertragsverhältnis erheblich gefährdende Umstände hinzutreten (Bub/Treier/Grapentin, IV. Rn. 195; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl., Rn. 1010). Das ist hier nicht ersichtlich.

Zwar mag eine Verschlechterung des Milieus eingetreten sein, auch durch das Näherrücken der Drogenberatungsstelle. Soweit diese die Geschäftstätigkeit der Beklagten beeinträchtigt hat, lassen die von ihr mit Schriftsatz vom 12. Juli 2001 mitgeteilten Umsatzzahlen aber einen kontinuierlichen Rückgang insbesondere ab 1998 erkennen. Sollte die Drogenberatung schon damals im selben Haus gewesen sein, könnte dies im Jahre 2000 nicht mehr zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen werden. Sollte die Drogenberatung erst im Jahr 2000 in dasselbe Haus gezogen sein, ist kein stärkerer Umsatzrückgang feststellbar als in früheren Jahren.

d) Allerdings ist davon auszugehen, dass der Einzug der Drogenberatung in dasselbe Haus zu erhöhten Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs geführt hat und deshalb die vom Kläger jetzt hingenommene Minderung um 30 % wegen der bisherigen Störungen um weitere 10 % gestiegen ist. Dies hatte die Beklagte schon mit ihrem Kündigungsschreiben vom 9.6.2000 geltend gemacht. Bei einer wie bisher auf die Nettomiete bezogene Minderung von 40 % (= 1.330,- DM) betrug die Monatsmiete statt 4.819,80 DM ab Juni 2000 3.489,80 DM. Der Zahlungsbetrag für Juni bis September 2000 beträgt danach nur 13.959,20 DM.

3. Diese Forderung des Klägers ist durch die jetzt geltend gemachten Gegenansprüche der Beklagten aus Kautions- und Nebenkostenguthaben in Höhe von 13.369,30 DM getilgt. Allerdings beruht dies nicht auf der in der Berufungsbegründung geltend gemachten Hilfsaufrechnung, da der frühere Kläger bereits mit Anwaltsschreiben vom 29. September 2000 (Anl. B 30) eine konkludente Aufrechnung seinerseits erklärt und insbesondere seine Mietforderungen für Juni bis September 2000 zur Tilgung der Gegenforderungen der Beklagten verwandt hatte. Mietforderungen aus früheren Zeitabschnitten, die vorrangig getilgt worden wären (§§ 396 Abs. 1, 366 Abs. 2 BGB a.F.), sind nicht ersichtlich und vom Landgericht für den Zeitraum von Januar bis Mai 2000 rechtskräftig verneint worden.

4. Angesichts des Ergebnisses der Berufung ergibt sich die Kostenentscheidung für die erste Instanz aus §§ 91, 92 ZPO. Bei der Kostenverteilung für die zweite Instanz war zu berücksichtigen, dass die Beklagte ihr überwiegendes Obsiegen in dieser Instanz ihrem neuen, auf das Anwaltsschreiben des früheren Klägers vom 29.9.2000 gestützten Vorbringen verdankt, das sie auch schon in der ersten Instanz geltend zu machen imstande war (§ 97 Abs. 2 ZPO).

Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO n.F.) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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