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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 20.12.2006
Aktenzeichen: 5 U 135/05
Rechtsgebiete: GeschmMG, UWG


Vorschriften:

GeschmMG § 42 Abs. 1
GeschmMG § 38 Abs. 2
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 9
1. Für die Frage, ob ein aufgrund eines Geschmacksmusterrechts angegriffenes Produkt beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck erweckt oder nicht, ist das Geschmacksmuster - nicht das auf dem Geschmacksmuster beruhende Produkt - dem angegriffenen Produkt im unmittelbaren Vergleich gegenüberzustellen. Es geht - anders als im Markenrecht - nicht um eine Verwechslungsgefahr aus dem undeutlichen Erinnerungsbild des durchschnittlich informierten, verständigen und situationsangemessen aufmerksamen Verbrauchers. Daher können die Ergebnisse von Verkehrsbefragungen, bei denen den befragten Personen ein auf dem Geschmacksmuster beruhendes Produkt und das Verletzungsmuster nicht gleichzeitig, sondern nacheinander vorgelegt worden sind, für die musterrechtliche Beurteilung allenfalls indizielle Bedeutung haben. Auch kann der "informierte Benutzer" im Sinne des Geschmacksmusterrechts Designunterschiede feststellen, die dem gewöhnlichen Verbraucher entgehen würden.

2. Ist die Verletzung eines Geschmacksmusterrechts zu verneinen, weil das Verletzungsmuster einen anderen Gesamteindruck hervorruft, kommen Ansprüche aus wettbewerblichem Leistungsschutz nur in Betracht, wenn über die noch zulässige Nachahmung hinausgehende unlautere Begleitumstände vorliegen.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

Geschäftszeichen: 5 U 135/05

Verkündet am: 20. Dezember 2006

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, durch die Richter Betz, Rieger, Dr. Koch nach der am 15. November 2006 geschlossenen mündlichen Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 8, vom 8.7.2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerinnen können eine Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin zu 1 gehört zu den in Deutschland und auch weltweit führenden Herstellerinnen von Mobiltelefonen. In Deutschland werden diese Telefone von der Klägerin zu 2 vertrieben.

Die Beklagte zu 1 ist ein französischer Konzern, der ebenfalls Mobiltelefone herstellt, welche in Deutschland von der Beklagten zu 2 vertrieben werden.

Im März 2004 brachten die Beklagten das Mobiltelefon SAGEM my X 5-2 auf den deutschen Markt. Dieses Telefon halten die Klägerinnen für eine widerrechtliche Nachbildung ihrer Telefone NOKIA 6220 und NOKIA 6610/6610 i. Mit der vorliegenden Klage nehmen sie die Beklagten auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch. Zum einen stützen sie ihre Ansprüche auf für die Klägerin zu 2 eingetragene Geschmacksmuster, zum anderen auf ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz.

Dem Telefon NOKIA 6220 der Klägerinnen liegt ein WIPO-Geschmacksmuster zugrunde, das u.a. mit Wirkung für Deutschland eingetragen ist und eine Priorität vom 1.11.2002 besitzt.

Aus diesem Geschmacksmuster ist nachfolgend die Abbildung 1.1 eingeblendet:

Das hierauf beruhende Telefon NOKIA 6220 sieht aus wie folgt:

Dem weiteren Telefon NOKIA 6610/6610i der Klägerinnen liegt ebenfalls ein WIPO-Geschmacksmuster mit Wirkung für Deutschland zugrunde, welches eine Priorität vom 17.6.2002 besitzt.

Aus diesem Geschmacksmuster sind nachfolgend die Abbildungen 1.1. und 6.1 eingeblendet:

Das hierauf beruhende Telefon NOKIA 6610 sieht folgendermaßen aus:

Das angegriffene Telefon SAGEM my X 5-2 wird durch die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen veranschaulicht:

Die Klägerinnen haben erstinstanzlich folgende Anträge gestellt:

1. Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, das Mobiltelefon "Sagem my X 5-2", wie nachfolgend abgebildet,

unabhängig von der konkreten Farbgebung, anzubieten, zu veräußern und/oder zu bewerben;

2. Die Beklagten werden verurteilt, den Klägerinnen schriftlich Auskunft über den Umfang der Handlungen gemäß Ziffer 1 seit 18. März 2004 zu erteilen, und zwar unter Angabe der erzielten Umsätze und der Deckungsbeiträge sowie der Werbeaufwendungen, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhe, Verbreitungsgebiet und Verbreitungszeit.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägerinnen allen Schaden zu ersetzen, der diesen aus den in Ziffer 1 beschriebenen Handlungen bereits entstanden ist oder künftig noch entstehen wird.

4. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerinnen, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klaganträge weiterverfolgen.

Die Klägerinnen vertiefen und erweitern ihr erstinstanzliches Vorbringen. Im Wesentlichen machen sie geltend :

1. Zu den geschmacksmusterrechtlichen Ansprüchen:

Das Landgericht habe den Schutzumfang der Klagemuster falsch bewertet. Aufgrund eines hohen Grades der Eigenart unter Berücksichtigung des Markterfolgs ( Anlage K 45 ) bei geringer Musterdichte im vorbekannten Formenschatz und einem mindestens normalen Grad der Gestaltungsfreiheit ( Anlage K 46 ) sei von einem hohen Schutzumfang auszugehen. Bei dem Vergleich des Gesamteindrucks der Geschmacksmuster mit dem angegriffenen Telefon habe das Landgericht zu sehr auf Detailelemente abgestellt ( Anlage K 41 ). Auch habe das Landgericht die von den Klägerinnen vorgelegten Meinungsforschungsgutachten nicht hinreichend berücksichtigt, die tatsächliche Verwechslungen zwischen dem NOKIA 6220 und dem SAGEM my X 5-2 belegten. Diese seien als Indiz dafür zu berücksichtigen, dass der Gesamteindruck des SAGEM my X 5-2 kein anderer sei als der des Geschmacksmusters. Selbst der geschulte Blick eines Handy-Designers sehe in dem Telefon der Beklagten eine Nachbildung der Telefone der Klägerin, insbesondere des NOKIA 6220 ( Anlage K 47 ).

Schließlich sei bezüglich des Tastenfeldes auch das dem NOKIA 6610 zugrunde liegende Geschmacksmuster verletzt. Dieses genieße einen eigenständigen Schutz.

2. Zu den wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen:

Das Landgericht habe weder die hohe wettbewerbliche Eigenart des NOKIA 6220 noch die wettbewerbliche Eigenart der NOKIA-Außenform hinreichend berücksichtigt ( Anlagen K 42-44 ). Zu Unrecht habe sich das Landgericht auf 14 Modelle der Klägerinnen mit anderer Außenform bezogen. Diese stellten gewissermaßen Ausreißer dar. Die Klägerinnen hätten mehr als 125 Handy-Modelle auf den Markt gebracht, die nahezu alle die typische Nokia-Außenform eines oberhalb der Mitte abgerundeten Blocks hätten. Die Klägerinnen tragen ergänzend zur Markteinführung und zu den Verkaufszahlen einiger ihrer Telefone mit dieser Außenform vor. Auch bezüglich der wettbewerbsrechtlichen Ansprüche habe das Landgericht die von den Klägerinnen vorgelegten Meinungsforschungsgutachten unzureichend und fehlerhaft gewürdigt und Beweis zu tatsächlichen Verwechslungen auf der Cebit 2004 nicht erhoben. Schließlich sei auch der Tatbestand der Rufausbeutung erfüllt.

Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Ergänzend tragen sie dazu vor, dass die Außenform der Geschmacksmuster den Gesamteindruck nicht prägen könnten, da sie vorbekannt gewesen sei (Anlage ROP 15). Es gäbe auch keine NOKIA-typische Außenform.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerinnen bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Senat folgt dem landgerichtlichen Urteil. Den Klägerinnen stehen die geltend gemachten Ansprüche weder aus Geschmacksmusterrecht noch aus Wettbewerbsrecht zu. Im Einzelnen ist hierzu Folgendes auszuführen:

1. Unterlassungsanspruch aus den §§ 42 Abs.1 , 38 Abs.1 GeschmMG

a) Die beiden Geschmacksmuster der Klägerin zu 2, zu deren klagweiser Durchsetzung nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerinnen in der Verhandlung vor dem Landgericht nach konzerninterner Vereinbarung auch die Klägerin zu 1 berechtigt ist, sind nach dem Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle bei der WIPO in Genf registriert. Diese internationale Registrierung hat für Deutschland dieselbe Wirkung wie eine nationale Anmeldung nach dem deutschen GeschmMG (Eichmann/v.Falckenstein, GeschmMG, 3. Aufl, Allgemeines, Rn.26). Wenn für Deutschland der Schutz in Anspruch genommen werden soll, müssen die Voraussetzungen des deutschen GeschmMG erfüllt sein. Auch die Prüfung, ob eine Verletzung vorliegt, erfolgt nach deutschem Recht ( Eichmann/v.Falckenstein a.a.O. Rn.27 m.w.N. ). Zutreffend hat das Landgericht also das deutsche GeschmMG angewandt.

b) Obwohl beide Muster noch während der Geltung des alten GeschmMG angemeldet worden sind, ist auf die vorliegend zu beurteilenden Ansprüche das am 1.6.2004 in Kraft getretene neue GeschmMG anzuwenden. Dies folgt im Gegenschluss aus § 66 GeschmMG.

c) Das Landgericht hat mit eingehender und sorgfältiger Prüfung die Schutzfähigkeit beider Muster, nämlich die Neuheit und Eigenartigkeit gemäß § 2 GeschmMG bejaht. Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit, sondern nur über den Schutzumfang.

d) Das Landgericht hat sodann zunächst das dem NOKIA 6220 zugrunde liegende Geschmacksmuster ( vom Landgericht als Muster A bezeichnet ) mit dem Telefon SAGEM my X 5-2 verglichen und überprüft, ob Letzteres einen anderen Gesamteindruck als das Geschmacksmuster vermittle ( § 38 Abs.2 GeschmMG ). Dies hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht bejaht.

aa) Die Prüfung nach § 38 Abs.2 GeschmMG setzt voraus, dass der Gesamteindruck des verletzten Musters unter vorrangiger Berücksichtigung derjenigen Merkmale festgestellt wird, welche seine Eigenart nach § 2 GeschmMG ausmachen. Sodann wird der Gesamteindruck des angegriffenen Musters mit dem Gesamteindruck des Geschmacksmusters verglichen. Dies geschieht in der Weise, dass das Ausmaß der Übereinstimmungen und Abweichungen festzustellen und in ihren Auswirkungen auf den Gesamteindruck zu gewichten ist ( Eichmann/von Falckenstein a.a.O. Rn.25,26 m.w.N. aus der Rechtsprechung zum alten GeschMG ). In dieser Weise ist auch das Landgericht vorgegangen.

aaa) Auf S.15 und 19 hat das Landgericht zutreffend Merkmale aufgeführt, welche die Eigenart des Geschmacksmusters A ( NOKIA 6220 ) und auch seinen Gesamteindruck prägen:

- das Innenfeld mit Lautsprecher, Display und den Bedientasten erscheint als Einheit

- das Innenfeld nimmt die geschwungene Linie der Außenform auf

- die Bedientasten sind als einheitliches Gitternetz ausgestaltet, wobei die horizontalen Linien im oberen Bereich "smiley-förmig" leicht nach oben und im unteren Bereich gegenläufig nach unten gerichtet verlaufen. Die unterste horizontalen Linie ist etwas stärker gerundet.

- die nach oben hin offene Rahmung des Innenfeldes vermittelt die Gestalt eines dickwandigen Becherglases .

Dem sind nach Auffassung des Senats allerdings noch zwei Elemente hinzuzufügen, welche für den Gesamteindruck ebenfalls prägend sind:

- die beiden mittleren vertikalen Gitterlinien laufen deutlich nach oben hin auseinander. Bis zur obersten horizontalen Linie ist der Abstand zwischen den beiden mittleren vertikalen Linien ca doppelt so groß wie unten.

- unter oder auf dem Gitternetz - dies ist der zweidimensionalen zeichnerischen Darstellung des Geschmacksmusters nicht zu entnehmen - liegen eine senkrechte (unten) und waagerechte (oben) Trapezform mit abgerundeten Ecken, und zwar in der Weise, dass die untere Trapezform die Kreuzungspunkte der zwei mittleren vertikalen Linien mit den drei unteren horizontalen Linien überschneidet. Die obere Trapezform liegt über den Kreuzungspunkten der mittleren zwei vertikalen Linien mit der fünften, in der Mitte unterbrochenen horizontalen Linie des Gitternetzes ( von unten gezählt ). Diese Elemente setzen eine markanten gegenläufigen Akzent zu dem eher streng - vom Landgericht als "statisch" - bezeichneten Gitternetz und stellen ein optische Beziehung zu den ähnlichen Formen des Lautsprechers und des Displays her.

bbb) Das Landgericht hat sodann auf S.16 ff. eine detaillierte Gegenüberstellung aller Einzelmerkmale des Geschmacksmusters und des angegriffenen Telefons vorgenommen und auch gewichtet, in dem es festgestellt hat, dass die prägenden Elemente, auf die es nachfolgend auch noch einmal eingegangen ist, zu unterschiedlich seien, um sagen zu können, dass das SAGEM my X 5-2 keinen anderen Gesamteindruck hervorrufe als das Geschmacksmuster. Dieser Würdigung ist zuzustimmen .

aaaa) Übereinstimmung besteht darin, dass beide Innenfelder als einheitliche Fläche ausgebildet sind, die Lautsprecher, Display und Bedientasten aufnimmt.

bbbb) Nur teilweise Übereinstimmung besteht insoweit, als die geschwungene Außenform durch die Form des Innenfeldes aufgenommen wird. Hierbei ist zunächst klarzustellen, dass die geschwungene Außenform des Geschmacksmusters als solche vorbekannt war und damit für die Eigenart und den Schutzumfang des Geschmacksmusters für das NOKIA 6220 außer Betracht zu bleiben hat. Zum einen durch das dem NOKIA 6610 zugrunde liegende Geschmacksmuster, zum anderen durch weitere Mobiltelefone der Klägerinnen, die teilweise älter sind und auf die sie sich in anderem Zusammenhang zur Begründung der typischen NOKIA-Außenform berufen (z.B. NOKIA 3310, S.75 der Berufungsbegründung, Bl.301 und Anlage K 42).

Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ist das Innenfeld des Geschmacksmusters nach oben offen, während dasjenige des SAGEM my X 5-2 vollständig umrahmt ist. Daran ändert auch nichts, dass die Linie der "Sektglasform" - dazu sogleich - in der Struktur des äußeren Rahmens bis nach oben hin fortgeführt wird. Außerdem verjüngt sich das Innenfeld des Geschmacksmusters nach unten hin, wobei durch die beiden schrägen senkrechten Linien ein Eindruck entsteht, den das Landgericht als "Taillierung" bezeichnet. Die vorgenannten Unterschiede mögen für den Gesamteindruck zwar nicht gravierend sein, können aber auch nicht völlig vernachlässigt werden.

cccc) Den maßgeblichen Unterschied zwischen dem Geschmacksmuster und dem SAGEM my X 5-2 , der dann im Ergebnis auch zu einem anderen Gesamteindruck führt, sieht der Senat vielmehr in der Gestaltung des Tastenfeldes und in der Verbindung zum oberen Bereich des Innenfeldes mit dem Display und dem Lautsprecher.

Dabei ist vorauszuschicken, dass der Schutzbereich des Geschmacksmusters nicht bereits die Gestaltung umfasst, dass die Bedientasten nur durch dünne Linien bzw. - in der dreidimensionalen Umsetzung - Furchen getrennt werden, also nicht als einzelne Tasten oder Knöpfe ausgeformt sind. Hierzu haben die Beklagten nämlich unstreitig vorbekannte Entgegenhaltungen eingereicht, zum einen das SAMSUNG N 100 aus dem Jahr 2000 ( Anlage ROP 5 ), zum anderen das am 25.7.2002 veröffentlichte Geschmacksmuster eines Siemens-Telefons ( Anlage ROP 4, Muster Nr.6 ). Die Eigenart des Geschmacksmusters der Klägerin zu 2 gegenüber diesen vorbekannten Mustern besteht in der Gestaltung des gesamten Tastenfeldes als einheitliches Gitternetz. Demgegenüber weist das SAMSUNG N 100 die Furchenabtrennung nur zwischen den Tasten jeweils einer Tastenreihe auf. Das Siemens-Muster führt die Tasten bis zum Außenrand des Telefons, wodurch das Tastenfeld nicht als ein abgeschlossenes, von einem äußeren Rahmen umschlossenes Element erscheint. Hinzu kommt, dass um die Zentraltaste und unten rechts zusätzliche Einzeltasten in zum Teil anderer Formgebung vorhanden sind.

Wie schon das Landgericht überzeugend herausgearbeitet hat, wirkt bei dem Geschmacksmuster die Anordnung des Tastenfeldes mit den nur ganz leicht nach oben bzw. nach unten gebogenen horizontalen Linien insgesamt statisch, und zwar auch unter Berücksichtigung des ebenfalls prägenden Merkmals, dass die beiden mittleren vertikalen Linien sich nach oben hin verbreitern. Denn trotzdem wirken die Linien in sich weitgehend gerade; auch die leichte Ausbuchtung der beiden mittleren vertikalen Linien nach außen im Bereich des oberen, waagerechten Trapezes fällt erst bei sehr genauem Hinsehen auf und kann den Gesamteindruck nicht maßgeblich beeinflussen.

Demgegenüber vermittelt das Tastenfeld des SAGEM my X 5-2 durch die wesentlich stärker geschwungenen Formen der Furchen eine deutlich andere Anmutung. Nicht nur sind alle Tastenreihen einheitlich nach oben geschwungen ( Smiley-Effekt" ), sondern wird diese Schwingung durch die beiden mittleren sich nach oben sehr stark verbreiternden vertikalen Furchen aufgenommen. Die beiden vertikalen Furchen setzten sich dann als Erhebungen ( ab der obersten Tastenreihe, die die Beklagten als "Wippe" bezeichnen ) rechts und links des Displays, dessen untere Ecken dadurch etwas "abgeschnitten" werden, bis an den oberen Rand der Außenform fort, und zwar über das Innenfeld hinaus. Dadurch entsteht eine markante "Sektglasoptik".

Demgegenüber sind bei dem Geschmacksmuster der Bereich der Tasten von dem Bereich des Displays durch eine fast gerade Linie getrennt, die Verbreiterung der beiden mittleren vertikalen Linien wird mit dieser Linie zu einer schmalen Kelchform geschlossen, die sich - anders als bei dem SAGEM my X 5-2 - nicht nach oben hin fortsetzt. Die Verbindung zum oberen Bereich des Innenfeldes geschieht hier durch die Außenlinien und nicht durch die Verbreiterung der Innenlinien.

dddd) Der Senat hält die Rüge der Klägerinnen, das Landgericht habe zu sehr auf Detailelemente abgestellt, für unbegründet. Das Landgericht hat nur in einem ersten Schritt einen Gesamtbefund der Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Geschmacksmusters und des angegriffenen Telefons erhoben und hat hierbei auch verhältnismäßig geringfügige Details aufgeführt. Das Landgericht ist hierbei aber nicht stehen geblieben, sondern hat die für den Gesamteindruck prägenden Merkmale herausgearbeitet.

Auch die Rüge, das Landgericht habe zu sehr aus dem Blickwinkel eines Design-Experten geurteilt, vermag der Senat nicht zu teilen. Abzustellen ist gemäß § 38 Abs.2 GeschmMG auf die Sicht eines "informierten Benutzers". Damit ist weder der Designexperte gemeint noch der mehr oder weniger flüchtige Verbraucher. Das HABM definiert den informierten Benutzer als einen Benutzer, dem der Formenschatz gegenwärtig ist, der den Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweiges im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte ( HABM Mitt. 04,323 "Barhocker mit Lehne", Anlage K 36 ). Diese Definition deutet auf einen recht hohen Grad an Kenntnissen hin. Zumindest wird man auf einen potentiellen Abnehmer abstellen müssen, der ein bestimmtes Maß an Kenntnissen oder ein gewisses Designbewusstsein hat und dem Design in dem jeweiligen Bereich eine gewisse Beachtung schenkt ( Gottschalk, Der Schutz des Designs nach deutschem und europäischen Recht, 2002, S.74 ) Der informierte Benutzer kann jedenfalls Unterschiede feststellen, die der Aufmerksamkeit eines gewöhnlichen Verbrauchers völlig entgehen würden ( Eichmann/von Falckenstein a.a.O., § 38 Rn.24 ). Vor diesem Hintergrund ist dem Landgericht eine übertriebene Detailbetrachtung nicht vorzuwerfen.

Das Landgericht konnte auch ebenso wie der Senat aus eigener Sachkunde entscheiden. Die Mitglieder der Kammer und des Senats gehören zu den angesprochenen Verkehrskreisen für den Erwerb von Mobiltelefonen. Über die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten bei dem Design von Mobiltelefonen haben die Parteien außerdem umfangreich durch zahlreiche Beispiele und Abbildungen vorgetragen. Schließlich sind sowohl die Mitglieder der Kammer als auch des Senats als Fachspruchkörper ständig mit Fragen des Geschmacks- und Urheberrechts und der Beurteilung von Designleistungen befasst ( s. auch Gottschalk a.a.O. )

ccc) Eine andere Beurteilung ist schließlich nicht durch die Ergebnisse der von den Klägerinnen eingeholten Meinungsforschungsgutachten geboten. Nach dem ersten Gutachten haben 19,1 % der Befragten, denen zunächst eine Abbildung des NOKIA 6220 ( ohne Herstellerbezeichnung ) vorgelegt worden war und später eine Abbildung des SAGEM my X 5-2 ( ebenfalls ohne Herstellerbezeichnung ), gemeint, dass es sich um das gleiche Handy handele ( Anlage K 24, Frage 6 ). Nach dem zweiten Gutachten, bei dem die Telefone in umgekehrter Reihenfolge gezeigt worden waren ( erst SAGEM, dann NOKIA ) waren es 16 %.

Ziel beider Befragungen war es, die Verwechslungsgefahr zwischen zwei konkreten Telefonen zu ermitteln, ohne den Befragten die Möglichkeit des unmittelbaren Vergleichs zu geben. Bei der Prüfung, ob ein angegriffenes Erzeugnis beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorruft, muss jedoch das Geschmacksmuster - nicht das auf dem Geschmacksmuster beruhende Produkt - dem beanstandeten Erzeugnis gegenübergestellt werden (Eichmann/von Falckenstein a.a.O § 38 Rn.27; BGH GRUR 80, 235, 237 "Play-family"). Auch müssen die Vergleichsobjekte unmittelbar einander gegenübergestellt werden und nicht einzeln nacheinander. Es geht nicht um die Verwechslung aus dem undeutlichen Erinnerungsbild wie im Markenrecht ( Eichmann/von Falckenstein a.a.O. Rn.33 ). Zwar hat der BGH in der von den Klägerinnen zitierten älteren Entscheidung "Straßenleuchte" ausgesprochen, dass Verwechslungsgefahr ein starkes Anzeichen für den Tatbestand der unerlaubten Nachbildung nach § 5 GeschmMG a.F. sei ( BGH GRUR 61,640, 642 ). Ob dies auch für das jetzige Geschmacksmusterrecht anzunehmen ist, erscheint schon nicht unzweifelhaft ( s.dazu Eichmann/ von Falckenstein a.a.O. § 38 Rn. 26 : Verwechslungsgefahr sei unerheblich ). Selbst im Markenrecht werden tatsächliche Verwechslungen aber nur als Indiz für die normativ zu beurteilende Verwechslungsgefahr gewertet ( Ingerl-Rohnke, Markengesetz, 2.Aufl., § 14 Rn.256 ff. ). Die Frage, ob ein angegriffenes Erzeugnis auf den informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck hervorruft, ist wie die Verwechslungsgefahr im Markenrecht eine normativ zu beurteilende Frage ( Kur, GRUR 2002, 661, 668 ).

Vor diesem Hintergrund kann den Befragungsergebnissen allenfalls eine gewisse Indizwirkung zugestanden werden. Sie wird jedoch bereits dadurch gemindert, dass durch die Vorlage nicht des Geschmacksmusters - einer Zeichnung -, sondern eines konkreten Produktes nicht die für § 38 Abs.2 GeschmMG entscheidende Gegenüberstellung erfolgt ist. Der Gesamteindruck des vorgelegten NOKIA 6220 wird insbesondere nicht unmaßgeblich durch die Farbgebung schwarz/silber und die nunmehr als Vertiefungen umgesetzten Trapezformen im Tastenfeld geprägt. Das SAGEM my X 5-2 ist in der sehr ähnlichen dunkelblau/silbernen Farbgebung vorgelegt worden und die Zentraltaste weist gleichfalls eine Vertiefung auf. Zwar sind die Befragten in der Frage 6 darauf hingewiesen worden, dass sie von der Farbe absehen sollten ( "Ist das - abgesehen von der Farbe - das gleiche Handy wie vorhin oder ist das ein anderes Handy ?" ). Es erscheint jedoch höchst zweifelhaft, ob eine solche abstrahierende Betrachtungsweise aus der bloßen Erinnerung möglich ist. Vielmehr dürfte jedenfalls ein Teil der 19,1 bzw. 16 % der Personen, die das später vorgelegte Handy für das gleiche hielten wie das zunächst vorgelegte, dieser Verwechslung auch aufgrund der sehr ähnlichen Farbgebung unterlegen sein.

Insgesamt ist den Gutachten daher allenfalls eine schwache indizielle Wirkung für die Frage des abweichenden Gesamteindrucks im Sinne des § 38 Abs.2 GeschmMG beizumessen. Sie reicht jedenfalls nicht aus, um das bei normativer Beurteilung gefundene Gesamtergebnis in Frage zu stellen, dass die Voraussetzungen des § 38 Abs.2 GeschmMG zu verneinen sind.

e) Das Landgericht hat sodann das dem NOKIA 6610 zugrunde liegende Geschmacksmuster ( vom Landgericht als Klagemuster B bezeichnet ) mit dem angegriffenen Telefon verglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das SAGEM my X 5-2 einen anderen Gesamteindruck vermittle. Fehler vermag der Senat insoweit nicht zu erkennen. Die Klägerinnen rügen, dass ein Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Teilschutzes dieses Musters hätte zugesprochen werden müssen, nämlich des Musters der Tastenreihen unterhalb der Zentraltaste ( Abbildung 6.1 des Geschmacksmusters ).

Schon zum alten GeschmMG war anerkannt, dass auch Teile eines Geschmacksmusters schutzfähig sein können. Sie müssen einen in sich geschlossenen Teil des Geschmacksmusters ausmachen und selbständig die Schutzvoraussetzungen des § 2 GeschmMG - Neuheit und Eigenart - erfüllen ( Eichmann/ von Falckenstein a.a.O., § 38 Rn.36 f. ).

Es ist schon nicht unzweifelhaft, ob die Tastenreihen einen in sich geschlossenen Teil des Musters ausmachen. Noch größeren Zweifeln begegnet die Frage, ob diese Gestaltung der Tastenreihen eigenständig schutzfähig, nämlich hinreichend eigenartig ist. Denn das vorbekannte SAMSUNG N 100 ( Anlage ROP 5 ) weist eine sehr ähnliche Gestaltung auf: vier Tastenreihen mit jeweils drei Tasten, die nur durch Furchen getrennt sind. Demgegenüber unterscheidet sich die Abbildung 6.1 des Geschmacksmusters von dieser vorbekannten Form im wesentlichen nur dadurch, dass die Tastenreihen sich nach oben hin etwas verbreitern und auch etwas stärker gebogen sind. Selbst wenn dies für eine Eigenart im Sinne des § 2 GeschmG ausreichte, wäre der Schutzbereich des Teilmusters als eng zu betrachten und durch das SAGEM my X 5-2 nicht verletzt. Denn dessen Tastenreihen unterscheiden sich dadurch deutlich, dass sie durchgehend als nur durch Furchen unterbrochenes Tastenfeld ausgebildet sind. Außerdem sind die Tastenreihen einheitlich und sehr viel stärker nach oben geschwungen als bei dem Teilmuster. Schließlich verbreitern sich die mittleren Tasten deutlich stärker und in einer gebogenen Linie nach oben hin, während die mittleren Tasten des Musters nur ganz geringfügig nach oben hin breiter werden. Unter Berücksichtigung des nur geringen Schutzumfangs eines etwaigen Teilmusterschutzes dieses Geschmacksmusters vermitteln die Tastenreihen des SAGEM my X 5-2 dem informierten Benutzer jedenfalls anderen Gesamteindruck als das Teilmuster.

2. Unterlassungsanspruch aus den §§ 3,4 Nr.9a,8 Abs.3 Nr.1 UWG

a) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, können wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen der Nachahmung eines Produkts grundsätzlich neben Ansprüchen aus Geschmacksmusterrecht bestehen ( § 50 GeschmMG; für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster : BGH WRP 06,75 "Jeans" ). Wenn jedoch eine Verletzung des Sonderschutzrechts nicht vorliegt, weil ein angegriffenes Erzeugnis einen anderen Gesamteindruck im Sinne des § 38 Abs.2 GeschmMG hervorruft, müssen zusätzliche, über die Nachahmung hinaus gehende unlautere Begleitumstände vorliegen, die die Wettbewerbswidrigkeit begründen. Die aus der noch zulässigen Nachahmung folgende etwaige Verwechslungsgefahr für sich ist hinzunehmen ( BGH GRUR 80,235,238 "Play-family"). Hiervon ist auch das Landgericht ausgegangen.

b) Ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch wegen vermeidbarer Herkunftstäuschung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart und eine gewisse Bekanntheit besitzt ( z.B. BGH GRUR 2002,275 "Noppenbahnen" ). Weiterhin muss das angegriffene Produkt eine Nachahmung des wettbewerblich eigenartigen Produkts darstellen und die Gefahr einer Herkunftstäuschung herbeiführen. Dabei besteht zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Intensität der Übernahme und den besonderen wettbewerblichen Umständen - hier der Herkunftstäuschung - eine Wechselwirkung: Je höher der Grad der wettbewerblichen Eigenart und je höher der Grad der Übernahme, desto geringer sind die Anforderungen an die besonderen Umstände, die die Wettbewerbswidrigkeit begründen ( z.B. BGH GRUR 2002,820 "Bremszangen" ).

c) Den Klägerinnen ist darin zu folgen, dass das Telefon NOKIA 6220, dessen wettbewerbswidrige Nachahmung die Klägerinnen rügen, bereits von Haus aus eine gewisse wettbewerbliche Eigenart besitzt. Dies folgt schon aus den vom Landgericht im Einzelnen aufgeführten Merkmalen, die seine Eigenart gemäß § 2 GeschmMG begründen. Denn diese äußerlich sichtbaren Merkmale sind zugleich geeignet, auf eine betriebliche Herkunft hinzuweisen. Die Innenfläche aus Tastenfeld, Display und Lautsprecher ist in der dreidimensionalen Umsetzung des Geschmacksmusters als plane Oberfläche mit zwei tastenübergreifenden Vertiefungen ausgestaltet, was ebenfalls eine durchaus eigenartige Gestaltung ist, wie die Modelle der Wettbewerber zeigen ( Anlage ROP 13, S.44 und 94-98 ). Die Farbgebung in Metallicfarben ist für Mobiltelefone allerdings gängig.

Soweit die Klägerinnen in besonderem Maße auf die wettbewerbliche Eigenart der Außenform des NOKIA 6220 abstellen und insoweit eine einheitliche Designlinie ihrer verschiedenen Telefonmodelle für sich in Anspruch nehmen, hat das Landgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerinnen auch andere Außenformen verwendeten, und der Außenform keine maßgebliche Bedeutung beigemessen. Die Kritik der Berufung an diesem Befund teilt der Senat nicht.

Nach dem insoweit unbestrittenen ergänzenden Vortrag der Klägerinnen in der Berufungsinstanz, führen sie über 125 Telefonmodelle. Ihre Behauptung, dass diese 125 Modelle "nahezu" alle dieselbe Außenform aufwiesen, haben die Beklagten allerdings bestritten. Die Klägerinnen haben diese Behauptung nicht näher substantiiert und belegt. Für die in Anspruch genommene Designlinie haben die Klägerinnen erstinstanzlich sieben Beispiele vorgelegt ( Anlage K 6 ) und weitere acht Beispiele in der Berufungsinstanz ( Anlage K 42 ), wovon allerdings drei schon in der Anlage K 6 enthalten sind. Es handelt sich damit um insgesamt zwölf Modelle von 125, also weniger als 10 %. Die Klägerinnen haben auch nicht vorgetragen, dass gerade mit diesen zwölf Modellen ein wesentlicher Teil ihres Verkaufsumsatzes in Deutschland erzielt würde. Schließlich weisen die Außenformen dieser insgesamt zwölf Telefone schon unter sich durchaus Unterschiede auf. So ist etwa das NOKIA 3310, das von den zwölf Modellen nach den Angaben der Klägerinnen bei weitem am häufigsten verkauft worden ist, nicht im oberen Bereich, sondern gleichmäßig an den Seiten gerundet. Auch das NOKIA 8850 ( Abb.6 der Anlage K 6 ) wirkt eher eckig. Es kann vor diesem Hintergrund dahingestellt bleiben, ob die in der Berufungsinstanz ergänzend für die Außenform vorgetragenen Tatsachen noch zugelassen werden können ( §§ 529, 531 ZPO ).

Diesen schon unter sich nicht einheitlichen Außenformen stehen - wie vom Landgericht zutreffend aufgezeigt - etwa gleich viele Telefone der Klägerinnen gegenüber, die eine ganz andere Außenform aufweisen. Selbst wenn man die Klapphandys als eigene Gattung ansehen wollte, sind dies folgende Modelle

NOKIA 6020, 6670, 6600 aus Anlage ROP 9

NOKIA 3230, 6680 aus Anlage ROP 13, S.44

NOKIA 7260, 5140, 6810, 6630, 3220, 7600 aus der Anlage ROP 13, S.94-97. Auf die Ausführungen des Landgerichts zu den unterschiedlichen Merkmalen dieser Telefone wird Bezug genommen ( S.25 des Urteils). Der Vortrag der Klägerinnen, es handele sich hierbei gewissermaßen um "Ausreißer" einer im Übrigen einheitlichen Designlinie, vermag daher nicht zu überzeugen.

Nach Auffassung des Senats besitzt das Telefon NOKIA 6220 der Klägerinnen unter Berücksichtigung sämtlicher in diesem Abschnitt abgehandelter Elemente und unter weiterer Berücksichtigung eines durch eine Vielfalt ähnlicher Gestaltungen geprägten Marktes durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart.

d) Die Klägerinnen haben auch die für die Fallgruppe der vermeidbaren Herkunftstäuschung erforderliche gewisse Bekanntheit nachgewiesen. Die Rechtsprechung stellt insoweit keine hohen Anforderungen. Zwar haben die Beklagten die Verkaufszahlen für das NOKIA 6220 bestritten. Die Klägerinnen haben jedoch belegt, dass das NOKIA 6220 vielfach, und zwar auch von namhaften Anbietern, beworben worden ( Anlagen K 14,31 ) und auch von diversen Institutionen, u.a. Stiftung Warentest, besprochen und getestet worden ist ( Anlage K 15 ). Insgesamt ist damit eine für die Herkunftstäuschung notwendige gewisse Bekanntheit ohne weiteres zu bejahen.

e) Die Intensität der Designübernahme zwischen den Telefonen NOKIA 6220 einerseits und SAGEM mx X 5-2 andererseits stuft der Senat mit dem Landgericht sowie unter Berücksichtigung der geschmacksmusterrechtlich noch hinzunehmenden Annäherung als eher gering ein. Insoweit kann zunächst auf die Ausführungen zu § 38 Abs.2 GeschmMG verwiesen werden. Die Beklagten haben die charakteristische "Sektglasoptik", die dem NOKIA 6220 gerade fehlt, noch dadurch betont, dass sie den sich nach oben öffnenden, mittleren Bereich des Tastenfeldes in einem sehr viel helleren Silber gestaltet haben als die seitlichen Tasten. Dadurch wird der Abstand zu dem NOKIA 6220 nach Einschätzung des Senats weiter vergrößert.

Die Außenformen sind zwar praktisch identisch, hierin sieht der Senat jedoch - wie ausgeführt - keine wettbewerblich eigenartige Gestaltung.

f) Auch den Grad einer möglichen Herkunftstäuschung schätzt der Senat nicht so hoch ein wie die Klägerinnen. Entscheidend für Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz wegen vermeidbarer Herkunftstäuschung sind - anders als im Markenrecht - die Verhältnisse in der Verkaufssituation, also am sog. "point of sale" ( BGH GRUR 05,349, 352 "Klemmbausteine III"). Dort treten die Telefone der Klägerinnen und der Beklagten dem Verkehr mit jeweils deutlich angebrachten Herstellerkennzeichnungen auf der Frontseite entgegen. Soweit das Telefon SAGEM my x 5-2 auch ohne Herstellerkennzeichnung auf dem Telefon selbst von T-Mobile vertrieben wird, befindet sich das Kennzeichen SAGEM my X 5-2 mehrfach auf der Verpackung ( Anlage ROP 14 ). Dass das Telefon ohne Verpackung vertrieben wird, tragen auch die Klägerinnen nicht vor.

Inwieweit Herstellerkennzeichnungen Herkunftstäuschungen vermeiden können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab ( BGH GRUR 2005,443, 445 - Viennetta ). Hier ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Kauf eines Mobiltelefons um kein Alltagsgeschäft handelt, welches der Verkehr nur mit geringer Aufmerksamkeit erledigt und bei dem ihm die Herkunft des Produkts eher gleichgültig ist. Vielmehr handelt es sich um ein anspruchsvolles technisches Gerät, dessen Funktionen und Einsatzmöglichkeiten in den letzten Jahren immer mehr ausgeweitet worden sind. Dem Verkehr kommt es bei dem Kauf nicht nur auf das Design, sondern ganz wesentlich auf die Bandbreite und die Güte der technischen Funktionen und damit auf den Hersteller an. Zwar wird vielfach auch das Design für den Kauf eine Rolle spielen. Die Parteien haben indessen eindrucksvoll dargelegt, dass der Markt der Mobiltelefone durch eine schon geradezu verwirrende Vielzahl ähnlicher Modelle geprägt wird und auch die einzelnen Hersteller Mobiltelefone in ganz unterschiedlichem Design führen. Der Verkehr wird daher die angebrachten Kennzeichnungen keineswegs vernachlässigen ( BGH a.a.O., S.446 ), sondern ihnen vielmehr besondere Aufmerksamkeit widmen. Dies kann der Senat, dessen Mitglieder zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, aus eigenem Erfahrungswissen beurteilen.

Zwar ist auch noch denkbar, dass der Verkehr einer mittelbaren Verwechslung unterliegt, mithin SAGEM für eine Zweitmarke von NOKIA hält. Dafür, dass im Bereich von Mobiltelefonen eine Übung von Herstellern bekannter Marken besteht, ihre Telefone unter Zweitmarken und in ähnlichem Design wie die Originale zu vertreiben, gibt es nach dem Sachvortrag der Klägerinnen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte.

g) Soweit die Klägerinnen als Begründung für das unlautere Verhalten der Beklagten noch anführen, dass diese eine bisherige Designlinie verlassen hätten und sich nunmehr bewusst an die Telefone der Klägerinnen anlehnten, überzeugt dieses Argument nicht. Denn bereits das Vorgängermodell des angegriffenen Telefons, das SAGEM my X 5, besaß die "Sektglasoptik" und eine dem jetzt angegriffenen Modell sehr ähnliche Außenform ( vorletzte Abbildung in dem Anlagenkonvolut K 13 ). Diese Außenform deutet sich auch bereits in dem SAGEM MW 3026 an, wenn auch in etwas gedrungenerer Ausführung ( Anlage zum Protokoll vom 15.11.2006 ). Der Schritt vom SAGEM my X 5 zum streitgegenständlichen SAGEM my X 5-2 besteht im Wesentlichen darin, dass die Tasten nicht als Einzeltasten, sondern als ein Tastenfeld ausgebildet sind, d.h. die Tasten nur durch Furchen getrennt sind. Die Abtrennung der Tasten nur durch Furchen ist aber nicht erstmals von den Klägerinnen mit dem NOKIA 6220 verwirklicht worden, sondern war vorbekannt, wie der Senat im Zusammenhang mit den geschmacksmusterrechtlichen Ansprüchen bereits ausgeführt hat. Die Ausbildung als geschlossenes Tastenfeld nähert sich zwar wiederum dem NOKIA 6220 an, hier wird jedoch durch die Fortführung der "Sektglasoptik" und ihrer Verstärkung durch die Farbgebung ein durchaus deutlicher Abstand eingehalten.

h) Eine unlautere vermeidbare Herkunftstäuschung vermögen auch die Umfrageergebnisse des von den Klägerinnen in Auftrag gegebenen Meinungsforschungsgutachtens nicht zu begründen ( Anlagen K 24, 25 ). Nach der Umfrage Anlage K 24 ( NOKIA gegen SAGEM ) unterlagen 19,1 % aller Befragten ( 19,8 % der befragten Handybesitzer und 16,1 % der Handy-Design-Interessierten ) einer unmittelbaren Verwechslung zwischen dem NOKIA 6220 und dem SAGEM my X 5-2 und weitere 26,3 % aller Befragten ( 36,1 % der Handybesitzer und 39,6 % der Handy-Design-Interessierten ) hielten das SAGEM -Telefon für ein solches von NOKIA. Nach der Anlage K 25 ( SAGEM gegen NOKIA ) unterlagen 16 % aller Befragten ( 15,8 % der Handy-Besitzer und 9,5 % der Handy-Design-Interessierten ) einer unmittelbaren Verwechslung zwischen dem SAGEM my X 5-2 und dem NOKIA 6220 und weitere 38,4 % ( 50, 2 % der Handy-Besitzer und 56,4 % der Handy-Design-Interessierten) hielten das SAGEM -Telefon für ein solches von NOKIA. Der Senat folgt der Beurteilung des Landgerichts, dass diese Umfragen trotz der beachtlichen Zahlen nicht ausreichen, um unter Berücksichtigung der Wertungen des vorrangigen Sonderrechtsschutzes einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch zu begründen.

Zunächst wurden den Befragten neutralisierte Telefone ohne Herstellerkennzeichen vorgelegt, was schon nicht den maßgeblichen Verhältnissen am point of sale entspricht ( s.o.). Auch wurde den befragten Personen nicht die Frage gestellt, aufgrund welcher Merkmale die nacheinander vorgelegten Mobiltelefone miteinander verwechselt wurden bzw. die Zuordnung zu einem bestimmten Hersteller erfolgte. Soweit die Ergebnisse auf Merkmale zurückzuführen sind, die bereits bei der geschmacksmusterrechtlichen Beurteilung Berücksichtigung gefunden haben, werden die Klägerinnen allein hieraus resultierende Verwechslungsgefahren hinzunehmen haben, wie oben bereits ausgeführt worden ist.

Das Landgericht weist schließlich zutreffend darauf hin, dass die Befragten nur einen Hersteller nennen konnten, es sich bei NOKIA jedenfalls im Juli 2004 mit Abstand um den Marktführer unter den Mobiltelefonen handelte und die weit überwiegende Zahl der Handybesitzer unter den Befragten selbst NOKIA-Telefone besaßen. Der Senat teilt die Einschätzung des Landgerichts, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Personen, die die Telefone nicht unmittelbar verwechselt , aber das SAGEM- Telefon dennoch NOKIA zugeordnet haben, dies deshalb taten, weil es die nächstliegende Antwort war. Auch hier wird die Aussagekraft der Umfragen dadurch erheblich beeinträchtigt, dass nicht nach den Gründen für die Zuordnung gefragt worden ist.

i) Dem Landgericht ist schließlich nicht vorzuwerfen, dass es keinen Beweis über die Behauptung der Klägerinnen erhoben hat, eine Mitarbeiterin der Beklagten auf der CEBIT 2004 habe erklärt, "jeder Zweite" habe gesagt, dass das SAGEM my X 5-2 "sehr nach NOKIA ausschaue". Dass Ähnlichkeiten zwischen den beiden Telefonen bestehen, ist nicht zu bezweifeln und bedarf keiner Beweisaufnahme. Für die Frage, ob diese Ähnlichkeiten von den Klägerinnen rechtlich noch hinzunehmen sind oder nicht, wäre eine solche Beweisaufnahme, selbst wenn sie die Behauptung der Klägerinnen bestätigen sollte, unergiebig.

Unter Berücksichtigung eines hinreichenden geschmacksmusterrechtlichen Abstandes, einer durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart des NOKIA 6220, eines eher geringen Grades der Nachahmung und eines ebenfalls eher geringen Grades der möglichen Herkunftsverwechslung am point of sale folgt der Senat somit der Auffassung des Landgerichts, dass auch ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch nicht besteht.

3. Unterlassungsanspruch aus § 4 Nr.9 b UWG

Ein Anspruch wegen Rufausbeutung ist mit dem Landgericht ebenfalls zu verneinen. Es fehlt schon an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Verkehr gerade mit dem Design des NOKIA 6220 einen guten Ruf verbindet und trotz einer nur ähnlichen Gestaltung mit dem SAGEM my X 5-2 ein Imagetransfer auf Letzteres stattfindet. Hierzu haben die Klägerinnen selbst eine zu große Zahl von Mobiltelefonen in verschiedenem Design auf den Markt gebracht. Auch die Klägerinnen tragen nicht vor, dass es sich bei dem NOKIA 6220 um dasjenige ihrer Modelle - sozusagen ihren "Mercedes" - handelt, mit dessen Design besondere Gütevorstellungen verbunden sind. Nach den von den Klägerinnen vorgetragenen Verkaufszahlen des Jahres 2004 in Deutschland steht das NOKIA 6220 erst an siebter Stelle.

4. Die weiterhin geltend gemachten Folgeansprüche auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung sind mangels Rechtsverletzung nicht gegeben. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO. Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Zum neuen Geschmacksmustergesetz liegen bisher nur wenige höchstrichterliche Erkenntnisse vor. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie hoch die Anforderungen an den "anderen Gesamteindruck" im Sinne des § 38 Abs.2 GeschMG zu stellen sind und inwieweit Verwechslungsgefahren eine Rolle spielen. Auch bedarf die Abgrenzung zu den wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen nach § 4 Nr.9 UWG weiterer höchstrichterlicher Klärung.



Ende der Entscheidung

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